[Zum Zeugen gewandt:]
Wie war die Dauer der Arbeitsverträge?
SAUCKEL: Die Dauer der Arbeitsverträge richtete sich nach den jeweils mit den in Frage kommenden Regierungen abgeschlossenen Abkommen. Bei den westlichen und südlichen Ländern kam eine Vertragsdauer von einem halben Jahr, dreiviertel Jahr und einem Jahr in Frage. Bei den östlichen Ländern und bei den sowjetischen Arbeitern fand ich eine Regelung bei meinem Amtsantritt vor, die sich auf unbestimmte Zeit bezog. Ich habe, weil ich auch diese Regelung trotz der weiteren Entfernungen für notwendig hielt, durchgesetzt, daß auch diese Verpflichtung auf zwei Jahre beschränkt blieb.
DR. SERVATIUS: Sollte dieser Arbeitseinsatz nach dem Kriege fortdauern, und sollten die Arbeiter in Deutschland bleiben? Ich frage danach, weil von der Französischen Anklage aus dem Buch »Europa arbeitet in Deutschland« – das ist RF-5, Seite 23 – eine Stelle verlesen worden ist, die folgendermaßen lautete:
»Ein großer Prozentsatz der Fremdarbeiter wird auch nach dem Siege noch in unseren Gauen bleiben, um dann, auf Aufbauarbeit umgeschult, zu vollenden, was der Kriegsausbruch fertigzustellen hinderte und was an bisher nur skizzierten Projekten auf Verwirklichung wartet.«
Daraus ist geschlossen worden, daß die Zwangsverpflichtung auch nach dem Kriege fortbestehen sollte.
SAUCKEL: Es ist dies zum Teil oder es ist dies ganz die Meinung des Verfassers dieses Aufsatzes. Aber ich glaube, es ist ja auch vermerkt, daß die Arbeiter nach Hause zurückkehren werden, um dort einen Teil ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie in Deutschland bei neuen Arbeiten gewonnen haben, zum Nutzen ihrer eigenen Heimat verwenden zu können. Aber auf keinen Fall war von mir in irgendwelcher Form beabsichtigt, und ich konnte es auch gar nicht, nach dem Kriege fremde Arbeiter in Deutschland zurückzubehalten. Im Gegenteil, ich habe ja angeordnet, daß eine sorgfältige Ausländerarbeiterkartothek, eine Zentralkartothek angelegt wurde, auf Grund derer es mir bei einem günstigen Ausgang des Krieges möglich gewesen wäre, gewissenhaft diese Arbeiter wieder in ihre Heimat entlassen zu können und darüber einen Überblick zu haben.
DR. SERVATIUS: Ich habe Sie richtig verstanden: Es handelt sich nicht um ein zwangsmäßiges Festhalten der Arbeiter, sondern darum, sie auf Grund der Werbung hier zu behalten?
SAUCKEL: Ja, es ist mir nicht berichtet worden, daß ein ganzer Teil der Fremdarbeiter an und für sich in Deutschland bleiben wollte. Das ist eine Hypothese.
DR. SERVATIUS: Wie war es nun mit der Zwangsverpflichtung? Auf welche Dauer wurden die Verträge abgeschlossen?
SAUCKEL: Es wurden zwischen freiwilligen Verpflichtungen und – wie wir es im deutschen Verordnungs-Sprachgebrauch genannt haben – Dienstverpflichtungen, weder in der Bezahlung noch in der Vertragsdauer ein Unterschied gemacht. Es galt für alle Länder dasselbe. Wenn ein Franzose für ein halbes oder für ein dreiviertel Jahr dienstverpflichtet war, dann hatte er genau wie der freiwillige Arbeiter das Recht, nach einem dreiviertel Jahr zurückzukehren. Es bestand die Möglichkeit der Verlängerung.
DR. SERVATIUS: In welchen Fällen wurde der Vertrag verlängert?
SAUCKEL: Der Vertrag wurde verlängert, wenn der Arbeiter aus freien Stücken seinen Dienst weiterverrichten wollte oder wenn außergewöhnliche Notstände im Betriebe oder Ausfälle und dergleichen eine Verlängerung rechtfertigten. Das mußte dann mit den Verbindungsmännern abgeschlossen werden.
DR. SERVATIUS: Waren neben den Zivilarbeitern auch Kriegsgefangene in Deutschland eingesetzt? Was hatten Sie mit diesem Einsatz zu tun?
SAUCKEL: Der Einsatz der Kriegsgefangenen war ein ziemlich komplizierter, denn er mußte ja erfolgen im Einvernehmen mit dem General für das Kriegsgefangenenwesen. Schwierig war dabei für mich die sogenannte Technik der Umsetzung. Es ist dies ein Begriff, den ich etwa folgendermaßen erläutern darf:
Es bestand die Genfer Konvention beziehungsweise das Haager Abkommen; nach diesem dürfen Kriegsgefangene nicht in Waffenfertigung oder Munitionsfertigung eingesetzt werden. Wenn es nun trotzdem im Sprachgebrauch bei uns hieß: »Es werden Kriegsgefangene in den Rüstungsindustrien eingesetzt«, dann bedeutete das, daß soundso viele deutsche Frauen oder Arbeiter umgesetzt wurden in die von der Genfer Konvention verbotenen Industrien und an deren Stelle ein Kriegsgefangener gesetzt wurde. Das geschah alsdann im Einvernehmen mit den Dienststellen des Generals für das Kriegsgefangenenwesen.
DR. SERVATIUS: Und wer überwachte die Einhaltung der Konvention?
SAUCKEL: Der General für das Kriegsgefangenenwesen, wir selbst beziehungsweise die Arbeitseinsatz- Verwaltung hat sich auf den Standpunkt der Einhaltung der Genfer Konvention gestellt und hat verschiedene Male auch einen Katalog der Arbeiten zusammengestellt, die für Kriegsgefangene zulässig waren. Er ist auch zu meiner Zeit im Jahre 1942 und 1943 als Sonderdruck herausgegeben worden und liegt ja ebenfalls in dem sogenannten Blaubuch vor.
DR. SERVATIUS: Sind Ihnen Fälle bekanntgeworden, wo Kriegsgefangene entgegen der Konvention beschäftigt wurden?
SAUCKEL: Es haben dann bestimmte Abmachungen stattgefunden mit der Französischen Regierung, soweit es sich um Freiwillige handelte und zum Teil um Ostarbeiter.
DR. SERVATIUS: Wer war für die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung der Kriegsgefangenen verantwortlich?
SAUCKEL: Das waren ausschließlich die Dienststellen des Generals für das Kriegsgefangenenwesen.
DR. SERVATIUS: Ist Ihnen bekannt, daß Millionen von Kriegsgefangenen zugrunde gegangen waren zu der Zeit, als Sie Ihr Amt antraten?
SAUCKEL: Es ist mir, ehe ich mein Amt antrat, bekanntgeworden, daß in den sogenannten Kesselschlachten im Osten sehr viele Kriegsgefangene dadurch umgekommen sind, daß sie durch die lange Andauer dieser Schlachten schon äußerst entkräftet auf dem Schlachtfeld geblieben sind und sich ihrem Abtransport und Weitertransport sehr, sehr große Schwierigkeiten auch auf unserer Seite entgegengestellt haben. Nähere Umstände sind mir hierüber nicht bekannt.
DR. SERVATIUS: Nun haben Sie auch zu Beginn Ihrer Tätigkeit auch mit Kriegsgefangenen im Einsatz zu tun gehabt. Was haben Sie da festgestellt? Oder haben Sie irgend etwas unternommen?
SAUCKEL: Ich habe festgestellt, daß ein Teil der russischen Kriegsgefangenen außerordentlich unterernährt gewesen ist.
DR. SERVATIUS: Und was haben Sie unternommen?
SAUCKEL: Ich habe gemeinsam mit dem General für das Kriegsgefangenenwesen veranlaßt, daß alle diese Kriegsgefangenen – es waren im Reich, soweit mir bekannt und erinnerlich ist, damals lediglich 70000 – bei deutschen Bauern untergebracht worden sind, mit dem Auftrag, den wir das »Aufpäppeln« nannten. Mit diesem Aufpäppeln war für diese Bauern verbunden die Verpflichtung, diese Kriegsgefangenen ein Vierteljahr lang mindestens unbeschäftigt zu ernähren. Dafür bekamen sie die Zusicherung, daß bis zum Ende des Krieges diese wiederhergestellten und ausgenährten Kriegsgefangenen bei ihnen zum Arbeiten verbleiben sollten.
DR. SERVATIUS: Sind im Laufe des Krieges Kriegsgefangene in freie Arbeiter umgewandelt worden?
SAUCKEL: Ja. Es hat ja der Einsatz der französischen Arbeiter insbesondere von mir aus nur auf Grund von Abmachungen mit der Französischen Regierung stattgefunden. Diese Abmachungen fanden statt unter dem Vorsitz des Deutschen Botschafters in Paris. Es wurden auf Grund der mir vom Führer erteilten Aufträge und der Aufträge des Reichsmarschalls über diese Kontingente verhandelt. Das erste Verhandlungskontingent betrug 250000 französische Arbeiter und 150000 Facharbeiter.
Als Gegenleistung für diese Zurverfügungstellung von Arbeitern, ich betone freiwilligen, sollten und sind zunächst 50000 französische Kriegsgefangene, die Landwirte waren, der Französischen Regierung zurückgegeben worden, um die Landbestellung in Frankreich auf deren Feldern oder Gütern besser zu ermöglichen. Das war das erste Abkommen.
DR. SERVATIUS: Was ist die »Releve«?
SAUCKEL: Die »Releve« war ein Abkommen zwischen der Französischen Regierung und meiner Dienststelle dahingehend, daß für drei französische Arbeiter, die nach Deutschland kamen, ein französischer Kriegsgefangener durch den Führer für seine Heimat freigegeben und beurlaubt wurde, also nach Hause zurückkehrte.
DR. SERVATIUS: Auf wessen Veranlassung wurde dieses Abkommen getroffen?
SAUCKEL: Dieses Abkommen wurde auf Veranlassung eines Gespräches zwischen dem französischen Ministerpräsidenten und mir getroffen. Ich hatte von mir aus sehr viel Verständnis dafür, weil ich ja im vorigen Weltkrieg selbst fünf Jahre hinter Stacheldraht gesessen hatte.
DR. SERVATIUS: War es eine Erleichterung für die Gefangenen? Sie kamen nach Hause?
SAUCKEL: Sie kamen nach Hause.
DR. SERVATIUS: Und wie wurde das aufgenommen von der Zivilbevölkerung, vor allen Dingen also von den Arbeitern, die nach Deutschland mußten?
SAUCKEL: Ja, das war ja ein Akt der Kameradschaft. Soweit ich Berichte bekommen habe, wurde das sehr günstig aufgenommen.
DR. SERVATIUS: Traten dann praktisch hierdurch an Stelle eines Kriegsgefangenen drei Arbeiter in die Gefangenschaft?
SAUCKEL: Nein, sie bewegten sich ja in Deutschland genau so wie die übrigen französischen Arbeiter vollkommen frei, wie die deutsche Bevölkerung.
DR. SERVATIUS: Mußten sie auf unbegrenzte Zeit kommen?
SAUCKEL: Nein, nach ihrem Vertrag wie die anderen Arbeiter.
DR. SERVATIUS: Wie lange war die Durchschnittsdauer des Vertrages?
SAUCKEL: Dreiviertel Jahre.
DR. SERVATIUS: Dann war es so, daß nach dreiviertel Jahren sowohl die Kriegsgefangenen als auch die Arbeiter wieder zu Hause sein konnten?
SAUCKEL: Jawohl. Dieser ständige Umtausch machte ja immer neue Verhandlungen und Vereinbarungen mit der Französischen Regierung notwendig, denn sie mußten ja auch immer wieder ersetzt werden.
DR. SERVATIUS: Wurden diese Verhandlungen unter einem gewissen Druck geführt?
SAUCKEL: Nein, ich bitte, am besten dafür Zeugen zu hören. Sie wurden auf freier diplomatischer Grundlage geführt.
DR. SERVATIUS: In welchem Umfange wurde diese »Releve« nun durchgeführt, in sehr großem? Oder war sie eng?
SAUCKEL: Sie wurde durchgeführt auf der Grundlage von 250000 Arbeitern, die nach Deutschland sollten.
DR. SERVATIUS: Von der Französischen Anklage wird im Regierungsbericht gesagt, man habe nur Kranke und Schwache geschickt, die sowieso nicht arbeiten konnten. Wie ist es damit?
SAUCKEL: Nach meinem Wissen sind französische kriegsgefangene Soldaten zurückgeschickt worden. Die Rücksendung und die Auswahl dieser Soldaten unterlag mir nicht, sondern dem General für das Kriegsgefangenenwesen. Ich halte es für möglich, daß man natürlich auch kranke Soldaten auf diese Weise in ihre Heimat auf Grund ihres Wunsches zurückbeförderte, aber bestimmt war es nicht die Absicht, nur kranke oder nur ältere Soldaten zurückzuschicken, sondern Soldaten; das war der Grund des Abkommens.
DR. SERVATIUS: Nun ist ein zweites Verfahren gewählt worden, das erleichterte Statut, das die Franzosen »Transformation« nennen. Was war das für eine Regelung?
SAUCKEL: Das erleichterte Statut war ein drittes Abkommen, das folgendes beinhaltete: Daß in Deutschland französische Kriegsgefangene dieselben Verträge und dasselbe Statut bekamen, wie die übrigen französischen Zivilarbeiter.
DR. SERVATIUS: Wenn ein neuer französischer Arbeiter nach Deutschland kam? Es war also das Verhältnis 1:1?
SAUCKEL: 1:1.
DR. SERVATIUS: Mußte dieser französische Arbeiter sich auf die Dauer verpflichten oder war auch hier die Zeit begrenzt?
SAUCKEL: Genau dasselbe wie bei der »Releve«.
DR. SERVATIUS: Wurde dieses Statut von den französischen Soldaten begrüßt oder als unbillig empfunden?
SAUCKEL: Es wurde nicht als unbillig empfunden, es wurde begrüßt, je nach der Einstellung des betreffenden Soldaten. Ein wesentlicher Teil lehnte es ab, ein anderer Teil hat es sehr gerne angenommen, denn es war ja damit verbunden, daß er einen hohen Lohn bekam und sämtliche Freiheiten außerhalb des Stacheldrahtes und dergleichen. Ich habe selbst miterlebt, wie ein ganzes solches Lager sich diesem Statut angeschlossen hat. Es kam dadurch zum Ausdruck, daß die Tore und der Stacheldraht beseitigt wurden. Das Gefangenenstatut wurde aufgehoben, und es gab auch sonst keine Bewachung mehr.
DR. SERVATIUS: Durften diese nun zu Arbeitern gewordenen Gefangenen auch nach Hause fahren?
SAUCKEL: Das geht aus meinen Dokumenten hervor, daß sie nach Hause fahren durften.
DR. SERVATIUS: Haben sie einen Urlaub bekommen?
SAUCKEL: Urlaub haben sie bekommen. Ein großer Teil ist zurückgekehrt, ein ebenso großer Teil ist nicht mehr zurückgekehrt.
DR. SERVATIUS: Ich beziehe mich hier auf das Dokument RF-22, deutscher Text, Seite 70 des französischen Regierungsberichtes, wo dies zugegeben wird. Es heißt dort, daß die Gefangenen Heimaturlaub zu Beginn dieser Umwandlung bekamen und dann wörtlich:
»Die Unglücklichen kehrten aber nicht zurück und darum wurde dieses Verfahren eingestellt.«