[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie den Begriff »Indirekte Zwangsarbeit« schon gehört?
SAUCKEL: Nein. Ich bitte mir das zu erläutern.
DR. SERVATIUS: Es ist in dem französischen Bericht ein Begriff geschaffen worden für die Arbeiter, die nun in Frankreich in Rüstungsbetrieben arbeiteten, so daß der Erfolg der Arbeit Deutschland zunutze kam.
Damit hat Sauckel nichts zu tun.
Dieser französische Bericht, der sich sehr eingehend von der wirtschaftlichen Seite mit dem Arbeitseinsatz befaßt, sagt, es wäre nach einem wohldurchdachten, geschmeidigen System vorgegangen worden, indem zunächst freundlich verhandelt und dann zu Schärferem übergegangen wurde, je nach dem Verhalten angepaßt.
[Zum Zeugen gewandt:]
War hier ein Plan festgelegt? Hatten Sie irgendwelche Anordnungen hier durchzuführen oder nach welchem System wurde vorgegangen?
SAUCKEL: Ich möchte bitten, mich zu dieser Frage äußern zu können. Ein Plan dieser Art, wie Sie ihn hier aufzeichnen, hat niemals vorgelegen. Das einzige, was vorgelegen hat, das ist mein Programm, das ich aufgestellt habe und das dem Gericht vorliegt. Zu dem muß ich mich bekennen mit allen Konsequenzen, die es für mich hat. Dafür übernehme ich die Verantwortung auch für meine Beamten. Dieses Programm habe ich in meinen Anordnungen, die ebenfalls lückenlos vorliegen, zur Durchführung gebracht. Die Entwicklung dieses Krieges hat mir nicht gestattet, eine Überlegung zu treffen, so wie es nunmehr post faktum naheliegt, daß man sie konstruiert. Wir selbst haben ja im Entwicklungsfluß dieses Krieges gestanden und sind selbst nicht zur Besinnung für solche Überlegungen gekommen.
DR. SERVATIUS: Was waren in Frankreich die Sperr- und Ausnahmebetriebe?
SAUCKEL: Die Sperrbetriebe waren Betriebe, die zwischen Reichsminister Speer und, ich glaube, dem französischen Wirtschaftsminister Bichelonne, verabredet waren, also Betriebe, die zum Teil für deutsche Rüstung, zum Teil für deutsche Zivilversorgung arbeiten sollten und die von der Wertung meiner Dienststellen ausgeschlossen sein sollten.
DR. SERVATIUS: Wie hoch war nun die Zahl der Arbeitskräfte, die überhaupt aus dem Ausland nach Deutschland gebracht worden sind?
SAUCKEL: Die Zahl der Arbeitskräfte, die aus dem Ausland nach Deutschland gebracht worden sind, könnte nach den sorgfältigen Schätzungen und Registrierungen des Statistischen Amtes im Reichsarbeitsministerium auf etwa rund fünf Millionen beziffert werden.
DR. SERVATIUS: Bestimmten Sie nun, wieweit Arbeitskräfte eingesetzt werden sollten und was hereinzubringen war?
SAUCKEL: Nein, das konnte ich ja gar nicht bestimmen, denn ich war ja nicht die deutsche Wirtschaft, und ich konnte ja von mir aus nicht den Umfang der Wirtschaftsrüstung und landwirtschaftlichen Programme festlegen.
DR. SERVATIUS: Nun gab es neben dem laufenden Bedarf, den Sie zu decken hatten, ja auch sogenannte Programmforderungen des Führers. Trifft das zu?
SAUCKEL: Ja, denn der Führer stellte ja die Rüstungsprogramme auf, soweit ich unterrichtet bin.
DR. SERVATIUS: Sie haben mir hier vier Programme angegeben. Ich lese die Zahlen einmal vor, vielleicht bestätigen Sie sie:
Das erste Programm im April 1942: Es wurden gefordert 1,6 Millionen und wurde erfüllt mit 1,6 Millionen, davon Ausländer ebenfalls 1,6 Millionen.
Das zweite Programm im September 1942: 2 Millionen, erfüllt 2 Millionen, davon Ausländer 1 Million, also nur die Hälfte.
Dann im Jahre 1943: Gefordert 1 Million, erfüllt 1 Million, davon Ausländer 1 Million.
Dann das letzte Programm am 4. Januar 1944: Vom Führer gefordert 4 Millionen, erfüllt mit 0,9 Millionen.
SAUCKEL: Darf ich Sie berichtigen? Die Zahl ist falsch, es muß heißen: erfüllt mit 3 Millionen.
DR. SERVATIUS: Gefordert 4 Millionen, erfüllt 3 Millionen, und wieviel Ausländer davon?
SAUCKEL: 0,9 Millionen.
DR. SERVATIUS: Davon 0,9 Millionen Ausländer. Wieviel Arbeiter kamen davon aus dem Osten, wie viele aus dem Westen, wie viele aus den sonstigen Gebieten?
SAUCKEL: Ich kann das in genauen Zahlen natürlich ohne Unterlagen und Statistiken hier nicht angeben. Ich darf aber im Durchschnitt sagen, daß sich diese Anteile zu je 30 Prozent verteilen; der Osten ist wohl etwas stärker gewesen.
DR. SERVATIUS: Wie wurde der Bedarf ermittelt?
SAUCKEL: Der Bedarf wurde ermittelt durch die Forderungen der Bedarfsträger.
DR. SERVATIUS: Was waren das, Bedarfsträger?
SAUCKEL: Bedarfsträger, das waren das Wirtschaftsministerium, das Rüstungsministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Handwerk, die Reichsbahn, der Bergbau und so weiter, alle großen Institutionen.
DR. SERVATIUS: Wem legten sie ihre Forderungen vor?
SAUCKEL: Sie legten ihre Forderungen gewöhnlich zugleich dem Führer und mir vor beziehungsweise bei den Sammelstellen, die im Vierjahresplan vorhanden waren.
DR. SERVATIUS: Das war die Abdeckung, wenn es sich um die Abdeckung ihrer Ansprüche handelte oder waren das die ersten Anforderungen?
SAUCKEL: Ja, ich sagte ja, das war verschieden. Die Anforderungen gelangten zu mir, sie gelangten fast immer zugleich zum Führer; der Führer mußte sie ja genehmigen.
DR. SERVATIUS: Welche Stellung hatte die Zentrale Planung?
SAUCKEL: Die Zentrale Planung war eine Stelle, in der vor allem meines Wissens die Rohstoffkontingente festgelegt wurden, aber in der auch Arbeits- und Arbeiterfragen besprochen wurden.
DR. SERVATIUS: Konnten Sie von dort Befehle bekommen?
SAUCKEL: Ja, die an mich gestellten Forderungen mußte ich ja als Befehle auffassen, denn der Führer hat mich ja verpflichtet, die Forderungen der Kriegswirtschaft zu erfüllen.
DR. SERVATIUS: Gehörten Sie selbst zur Zentralen Planung?
SAUCKEL: Nein, ich wurde nur hinzugezogen, soweit Debatten, die den Arbeitseinsatz betrafen, dort zur Tagesordnung standen.
DR. SERVATIUS: In welchem Verhältnis stand nun Ihre Dienststelle zu der Dienststelle Speer?
SAUCKEL: Meine Dienststelle stand zu der Dienststelle Speer so, daß die Forderungen Speers zu erfüllen waren.
DR. SERVATIUS: Hatte Speer einen eigenen Arbeitseinsatzapparat?
SAUCKEL: Ja, den mußte er ja innerhalb seines Ministeriums haben, hat er auch gehabt; das ist ja wesentlich.
DR. SERVATIUS: Konnten Sie die Anforderungen, die an Sie gestellt wurden, nun alle decken?
SAUCKEL: Nein.
DR. SERVATIUS: Waren die Arbeitsreserven erschöpft?
SAUCKEL: Nach meiner Überzeugung, ja. Ich habe ja bereits im Jahre 1943, es war das ja mit ein Zweck meines Manifestes, darauf hingewiesen, denn es waren ja auch die wirtschaftlichen Aufgaben der besetzten Gebiete selbst außerordentlich beachtlich. Sie mußten sichergestellt und geordnet werden, sie durften ja nicht durcheinander gehen.
DR. SERVATIUS: Was waren noch für Arbeitsreserven in Deutschland vorhanden?
SAUCKEL: In Deutschland waren ab 1943 keine ernsthaft einsetzbaren Arbeitsreserven mehr vorhanden. Es haben hier sehr viele Diskussionen darüber stattgefunden, aber der Hauptbedarf an Arbeitskräften bestand ja vor allem in Facharbeitern, in Bergarbeitern und Schwerarbeitern.
DR. SERVATIUS: Und wieweit waren Arbeitsreserven in Frankreich, die man holen wollte?
SAUCKEL: Ja, ich muß sagen, von unserem Standpunkt aus gesehen und nach unserer wirtschaftlichen und arbeitsmäßigen Beurteilung waren in den besetzten Gebieten sehr reichliche Arbeitskräfte und Reserven vorhanden.
DR. SERVATIUS: Sie meinen also, daß, im Vergleich gesehen, die Wirtschaftskräfte Deutschlands mehr erschöpft waren als in den besetzten Gebieten?
SAUCKEL: Ich darf das vielleicht durch einen Vergleich zum ersten Weltkrieg demonstrieren? Im ersten Weltkrieg waren im deutschen Arbeitseinsatz etwa eingesetzt zwischen 10 und 12 Millionen deutsche Menschen, in diesem Weltkrieg etwa 25 Millionen Menschen, deutsche Männer und Frauen, davon über die Hälfte Frauen. Es wurden im Arbeitseinsatz, das darf ich mit bemerken, in Deutschland nicht mitgezählt alle die Frauen, die etwa im Roten Kreuz oder in sonstigen Betreuungsstellen, in der Volkswohlfahrt und so weiter ständig tätig waren; die konnten in meinen Statistiken nicht mitgeführt werden. In anderen Ländern sind sie mitgeführt worden.
DR. SERVATIUS: Ich habe nun eine abschließende Frage: Wenn Sie Ihre Tätigkeit als Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz vom heutigen Standpunkt betrachten, wie stehen Sie dann zur Frage des Arbeitseinsatzes von ausländischen Kräften überhaupt?
SAUCKEL: Diese Frage ist von mir sehr schwer zu beantworten. Ich selbst und das ganze deutsche Volk haben und mußten auf dem Standpunkt stehen, daß dieser Krieg vom deutschen Volk – und ich darf hier und muß hier um der Wahrheit willen auch die Partei einschließen – weder gewünscht noch veranlaßt war. Wir standen auf dem Standpunkt, für unser Volk unsere Pflicht tun zu müssen.
DR. SERVATIUS: Sie sollen keine ins Breite gehende Erklärung abgeben, sondern typisch auf die Frage des Arbeitseinsatzes eingehen, ob Sie selbst Ihre Tätigkeit heute für berechtigt ansehen oder nicht?
SAUCKEL: Von der Kriegslage und der deutschen Wirtschaftslage aus gesehen und so wie ich meinen Arbeitseinsatz aufgefaßt und durchzuführen versucht habe, habe ich ihn als berechtigt und vor allen Dingen als unabwendbar notwendig angesehen, denn dieses von uns besetzte Gebiet und Deutschland zusammen war wirtschaftlich ein unzertrennbares Gebiet.
Wir hätten ohne einen solchen Austausch der östlichen und westlichen Kräfte in Deutschland keinen Tag existieren können. Das deutsche Volk selbst war bis zum Äußersten in Arbeit eingesetzt.
DR. SERVATIUS: Ich bin mit der Vernehmung des Angeklagten als Zeugen fertig.
DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Herr Zeuge! Hat das Ostministerium öfter versucht, die von Ihnen geforderten Arbeitskontingente herabzusetzen?
SAUCKEL: Das hat nicht nur das Ostministerium versucht, das habe ich selbst versucht, sehr eingehend, beim Führer und bei allen Bedarfsträgern.
DR. THOMA: Ich möchte zu dem Dokument 054-PS, das die Mißstände bei der Werbung und bei dem Transport der Ostarbeiter schildert, noch einige Fragen stellen. Sind Sie gegen diese Mißstände, die hier aufgeführt worden sind, auch persönlich vorgegangen?
SAUCKEL: Ja, selbstverständlich. Ich bitte die Zeugen zu hören, die dazu kommen.
DR. THOMA: Ist Ihnen aufgefallen, daß dieser Bericht sich auf Stadt und Bezirk Charkow in der Ukraine bezieht, und wissen Sie, daß dieser ganze Bezirk sich nie unter der Zivilverwaltung des Ostministeriums befunden hat?
SAUCKEL: Ja, das weiß ich. Ich habe ja auch ausgeführt, daß das ein Bericht nicht an mich, sondern an eine Heeresstelle gewesen ist. Diese Heeresstelle hatte Ihre eigene Arbeitseinsatzabteilung gehabt, die ihr unmittelbar unterstanden hat.
DR. THOMA: Ist Ihnen in diesem Bericht der folgende Absatz aufgefallen, und zwar auf der ersten Seite:
»a) Mit wenigen Ausnahmen sind die Ukrainer, die im Reich in Einzelarbeit stehen, zum Beispiel in handwerklichen Kleinbetrieben, als landw. Arbeiter...«
SAUCKEL: Darf ich bitten, wo steht das?
DR. THOMA: Das steht auf Seite 1, der letzte Absatz:
»Überblicksmäßig durch das mit den Herren Besprochene und an Hand von Berichten Gelesene kann allgemein festgestellt werden:«
SAUCKEL: Welches? Das sind verschiedene Dokumente, die hier enthalten sind?
DR. THOMA: Natürlich meine ich 054-PS.
SAUCKEL: Welches?
DR. THOMA: Ich meine es ist der erste, zweite, dritte, – Absatz d, der zweite Absatz:
SAUCKEL: Ja, ich habe ihn gefunden.
DR. THOMA: Da heißt es also, daß die Ukrainer, die im Reich in Einzelarbeit stehen, »sehr zufrieden mit den Verhältnissen« sind.
»b) Sehr beklagen sich dagegen die in Gemeinschaftslagern untergebrachten Ukrainer.«
Stimmt das?
SAUCKEL: Ja, ich habe ja bei meinen Ausführungen die Stelle zitiert, wonach der Briefschreiber auch festgestellt hat, daß das in den ersten Monaten der Fall gewesen ist; denn ich habe ja sofort eine Überprüfung der Lager und eine Verbesserung der Lager vornehmen lassen; ich bin so weit gegangen, den Reichsarbeitsminister zu veranlassen, eine neue Lagerordnung herauszugeben, alles in Verfolg dieser Beschwerden.
DR. THOMA: Sind Sie mehrfach persönlich in den besetzten Ostgebieten gewesen und haben dort unter anderem in Riga, Kowno, Shitomir zu den Verwaltungsführern gesprochen?
SAUCKEL: Ich habe nicht nur zu den Verwaltungsführern gesprochen, sondern ich habe ja auch in Rußland dieses Manifest zusammengestellt und herausgegeben; und das, was im Manifest steht, habe ich diesen Dienststellen dort in derselben Weise aufgegeben.
DR. THOMA: Ja. Aber ist es richtig, daß Sie dort die besondere Dringlichkeit des Führerauftrages betont haben?
SAUCKEL: Die besondere Dringlichkeit des Führerauftrages – das war ja meine Pflicht, dafür war ich ja da.
DR. THOMA: Das ist rechtlich nicht ganz glatt, denn ihre eigentliche Bevollmächtigung ging doch von Göring aus, als dem Beauftragten für den Vierjahresplan?
SAUCKEL: Ja, das ist richtig, das war ja ein Instanzenzug: Führer, Göring, Vierjahresplan. Das war die Reihenfolge.
DR. THOMA: Gut. Wenn Sie dann also immer von einem Führerauftrag sprachen, so wollten Sie doch da noch einen besonderen Druck dahintersetzen?
SAUCKEL: Nein. Diese Überlegung habe ich gar nicht gehabt. Es ist mir vom Führer aufgetragen worden, Herr Doktor, den Ausfall an deutschen Soldaten zu ersetzen; das waren Aufträge, die direkt vom Führer oder Göring an mich gegangen sind auf Grund der Anforderungen der Bedarfsträger.
DR. THOMA: Ist da ein schriftlicher Auftrag an Sie ergangen?
SAUCKEL: Ja, da sind auch schriftliche Aufträge ergangen.
DR. THOMA: Von Hitler persönlich?
SAUCKEL: Von Hitler und von Göring persönlich, von beiden.
DR. THOMA: Ist Ihnen erinnerlich, daß Sie mit Rosenberg eine Abmachung trafen, daß den Ostarbeitern in Deutschland nach ihrer Rückkehr in die Heimat Land zugeteilt werden sollte, um sie nicht gegenüber den Zurückgebliebenen zu benachteiligen?
SAUCKEL: Ja, das ist zwischen Rosenberg und mir festgelegt worden, das stimmt.
DR. THOMA: Ist das in Vollzug gesetzt worden?
SAUCKEL: Inwieweit das in Vollzug gesetzt worden ist, kann ich nicht sagen, das war Aufgabe des Ostministeriums. Ich nehme an, soweit es möglich war.
DR. THOMA: Können Sie sich erinnern, daß Rosenberg dauernd für die Abschaffung des sogenannten Ostabzeichens eingetreten ist?
SAUCKEL: Für die Abschaffung des Ostabzeichens sind sowohl Rosenberg als auch ich eingetreten. Es liegt ein Brief des Reichsführers-SS vor, wo er das abgelehnt hat; es ist aber dann, ich weiß das genau, Ende 1943 oder Anfang 1944 gelungen, dieses Ostabzeichen zu beseitigen und durch ein nationales Abzeichen zu ersetzen, wie bei den anderen Ausländern auch.
DR. THOMA: Warum sollte dieses Ostabzeichen abgeschafft werden?
SAUCKEL: Das Ostabzeichen sollte aus verschiedenen Gründen abgeschafft werden, vor allem aber, um eine Herabminderung des Gefühls der Ostarbeiter selbst zu beseitigen, als wenn sie hier eine besondere Kennzeichnung tragen sollten.
DR. THOMA: Nun habe ich noch eine letzte Frage: Sie sagten, Sie entsännen sich nicht, außer den mit Rosenberg besprochenen Beschwerden andere erhalten zu haben. Nun sind zahlreiche Beschwerden bei der Zentralstelle für die Ostvölker mit der DAF laufend untersucht worden. Hat Ihnen die DAF darüber Bericht erstattet?
SAUCKEL: Die DAF hat mir Bericht erstattet, daß sie im Sinne meiner Anordnungen überall Unzulänglichkeiten und Mißstände abstellte, wo sie sie angetroffen hat. Dazu war sie ja verpflichtet; Sie mußte sich aber, um diese Mißstände abzustellen, nicht an mich wenden, sondern an die Abteilung Gewerbeaufsicht beim Reichsarbeitsminister, die hierfür zuständig war.
DR. THOMA: Haben Sie sich vergewissert, ob die Gewerbeaufsicht die Mißstände abgeschafft hat?
SAUCKEL: Ich habe ja dort meine eigene Inspektion eingerichtet, wie sie von Dr. Servatius gekennzeichnet worden ist. Die Gewerbeaufsicht aber war die einzige autorisierte Stelle, die gesetzesmäßige Vollmachten hatte, ihrerseits Zwangsmittel anzuwenden; ihr Aufsichtsorgan war der Reichsarbeitsminister, der ja voll im Dienst war.
DR. THOMA: Ich habe keine weiteren Fragen. Danke schön.
VORSITZENDER: Was ist das Ostabzeichen, von dem Sie gesprochen haben?
SAUCKEL: Das Ostabzeichen bestand aus einem blaugeränderten Viereck mit der blauen Inschrift »Ost«. Es sollte oder mußte auf Veranlassung des Reichsführers-SS zuerst auf der rechten Brustseite getragen werden und später auf dem Ärmel; ganz spät noch ist dann auf meine Veranlassung ein nationales Abzeichen gewählt worden, ich glaube blau oder ähnlich, wie die russischen Farben, wie diese Leute es wünschten.
DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Sauckel! Der Angeklagte Keitel und das Oberkommando der Wehrmacht sind von der Anklagebehörde mit dem Anklagepunkt: »Deportation von Zivilpersonen zum Zwecke des Arbeitseinsatzes« beschuldigt worden. Sie persönlich sind vor dem Prozeßbeginn auch darüber verhört worden, ob das OKW und Keitel als Chef OKW bei der Beschaffung, Anwerbung und Aushebung von Menschen in besetzten Gebieten beteiligt waren.
Eine Reihe von Unklarheiten, die das diesbezügliche Protokoll enthält, sind durch Ihre Vernehmung schon geklärt worden, insbesondere haben Sie auf die letzte Frage vom Kollegen Thoma klargestellt, daß der organisatorische Befehlsweg war: GBA, Vierjahresplan, Göring und Führer. Ist das richtig?
SAUCKEL: Das ist im großen für die Regel richtig.
DR. NELTE: Mir liegt daran, festzustellen, ob in diesen Befehlsweg zuständigkeitsgemäß das OKW eingeschaltet war oder der Führer in einer anderen Funktion als Oberkommandierender der Wehrmacht.
SAUCKEL: Ich selbst bin nicht Soldat gewesen und habe im einzelnen die Organisation des OKW und des OKH nicht gekannt; es war auch für einen Laien oft schwer, diese Dinge auseinanderzuhalten. Richtig ist, daß für die Erfassung der Arbeiter in den besetzten Gebieten, die Heeresgruppen unterstanden haben, das Oberkommando des Heeres zuständig gewesen ist. Es mußten also Arbeitsverordnungen für besetzte Gebiete, die unter der Hoheit des Heeres gestanden haben, durch eine Verordnung oder durch Gesetze des Generalstabs des Heeres erlassen werden.
DR. NELTE: Sie meinen wahrscheinlich Generalquartiermeister des Heeres, ja?
SAUCKEL: Der Generalquartiermeister war meines Wissens der Nachgeordnete des Oberbefehlshabers des Heeres.
DR. NELTE: Sie wollen also damit sagen, daß das OKW und der Angeklagte Keitel für die Frage der Erfassung, also für die Frage der Beschaffung, Anwerbung, Aushebung der Arbeitskräfte in besetzten Gebieten keinerlei zuständige Funktionen hatte?
SAUCKEL: Er hatte für diese Frage keinerlei zuständige Funktionen. Ich bin mit dem Feldmarschall Keitel dadurch in Verbindung gekommen, daß der Führer mich des öfteren beauftragt hat, den Feldmarschall Keitel zu bitten, die Vermittlung seiner Aufträge an die Heeresgruppen telephonisch oder durch Anweisungen weiterzugeben.
DR. NELTE: Wie war es nun mit der Frage des Arbeitereinsatzes? Hatte das Oberkommando der Wehrmacht und insbesondere der Angeklagte Keitel als Chef des OKW, eine zuständige Funktion für die Frage des Arbeitereinsatzes in der Heimat?
SAUCKEL: Nein, denn der Einsatz der Arbeiter erfolgte ja in den Wirtschaftszweigen, für die sie angefordert waren, und die hatten mit dem OKW nichts zu tun.
DR. NELTE: Danke sehr.
VORSITZENDER: Wünscht ein Anklagevertreter ein Kreuzverhör durchzuführen?
M. JACQUES B. HERZOG, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Angeklagter Sauckel! Sie sind im Jahre 1925 der Nationalsozialistischen Partei beigetreten, nicht wahr?
SAUCKEL: Ich habe der Nationalsozialistischen Partei zum erstenmal lose als einfaches Mitglied schon 1923 angehört und bin 1925 bei Neugründung der Partei ihr wieder beigetreten.
M. HERZOG: Aber von 1921 an haben Sie die nationalsozialistische Politik unterstützt?
SAUCKEL: Von 1921 an habe ich eine deutsche Politik unterstützt. Ich habe ja 1921 noch nicht der Partei angehört; sie war mir bekannt und ich habe mit ihr sympathisiert; das ist wohl der richtige Ausdruck.
M. HERZOG: Haben Sie nicht von dieser Zeit an Reden zugunsten des Nationalsozialismus gehalten?
SAUCKEL: Ich habe etwa von Mitte 1921 an für Deutschland Reden gehalten, nicht ausgesprochen für die Partei, im kleinsten Ausmaß, so wie mir das vom Herzen kam, in kleinen Zusammenkünften.
M. HERZOG: Sie waren Gauleiter, Mitglied des Landrates, Innenminister und Reichsstatthalter von Thüringen. Stimmt es, daß Sie in dieser Eigenschaft die Nazifizierung Ihres Gaues durchgeführt haben?
SAUCKEL: Ich war Ministerpräsident von Thüringen vom Jahre 1932 an, vom August und zugleich Innenminister.
M. HERZOG: Ich stelle die Frage noch einmal: Ist es richtig, daß Sie als Gauleiter und Reichsstatthalter von Thüringen die Nazifizierung Ihres Gaues durchgeführt haben?
SAUCKEL: Die Nazifizierung, das ist ein Begriff, der mir weder geläufig war noch den ich für richtig halte. Ich habe für die Nationalsozialistische Partei geworben und mich für sie eingesetzt.
M. HERZOG: Waren Sie Obergruppenführer der SS?
SAUCKEL: Ich habe nicht richtig verstanden, der SS?
M. HERZOG: Sie waren SS-Obergruppenführer, nicht wahr?
SAUCKEL: Ich habe schon im Verhör ausgesagt, daß ich ehrenhalber Obergruppenführer der SS gewesen bin. Ich habe selbst niemals in der SS Dienst getan oder in der SS Funktionen ausgeübt.
M. HERZOG: Seit wann waren Sie Obergruppenführer der SS?
SAUCKEL: Nach meiner Erinnerung war ich Obergruppenführer der SS von 1934 an.
M. HERZOG: Und bis wann?
SAUCKEL: Bis zum Schluß.
M. HERZOG: Unter den Dokumenten, die Sie in Ihrem Dokumentenbuch vorgelegt haben, befindet sich das Dokument Sauckel Nummer 95, Seite 252 der französischen Übersetzung. Ich lese den folgenden Absatz vor:
»Meine lieben Volksgenossen! Unsere herrliche SA und SS, ein Jahrzehnt lang geschmäht und verfolgt als der Auswurf des deutschen Volkes, hat diese Revolution durchgeführt, sie gestützt und getragen in unerschütterlicher Disziplin.«
Ist das richtig...
VORSITZENDER: Woraus lesen Sie vor?
M. HERZOG: Von Dokument 95 aus dem Dokumentenbuch des Angeklagten, Dokument Sauckel Nummer 95, das gestern von dem Verteidiger vorgelegt wurde. Seite 252 der französischen Übersetzung. Es steht im dritten Dokumentenbuch des Angeklagten.
VORSITZENDER: Ja, fahren Sie fort.
M. HERZOG: Ich wiederhole meine Frage und lese:
»Meine lieben Volksgenossen! Unsere herrliche SA und SS, ein Jahrzehnt lang geschmäht und verfolgt als der Auswurf des deutschen Volkes, hat diese Revolution durchgeführt, sie gestützt und getragen in unerschütterlicher Disziplin.«
Bestätigen Sie diese Erklärung?
SAUCKEL: Ja, ich bitte, mir dann das Dokument im Kreuzverhör zu geben, daß ich dazu eingehend Stellung nehmen kann.
M. HERZOG: Dies ist also dem Dokumentenbuch, das Sie selbst unterbreitet haben, entnommen?
SAUCKEL: Jawohl, es ist mir sehr wohl bekannt.
M. HERZOG: Entsprachen die Nürnberger Judengesetze Ihrer eigenen Überzeugung?
SAUCKEL: Die Gesetzgebung, wie sie den Nürnberger Gesetzen entspricht, war ja von mir nicht beeinflußt. Die Überzeugung, die ich habe, ist die, daß ein jedes Volk und jede Rasse das Recht hat zu existieren und den Anspruch hat, respektiert zu werden und geschützt zu werden durch sich selbst. Was ich für das eigene Volk in Anspruch nehme und genommen habe, ist genau dasselbe.
M. HERZOG: Haben Sie darauf geachtet, daß die Nürnberger Gesetze im Gau Thüringen genau eingehalten wurden?
SAUCKEL: Die Nürnberger Gesetze konnten in Thüringen Anwendung finden, soweit es sich für mich nur um die Eigenschaft von der Ernennung oder Absetzung von Beamten handelte; ich hatte selbstverständlich nach deutschen Gesetzen die Pflicht, das Gesetz durchzuführen. Es war mit diesem Gesetz weder eine Mißhandlung noch sonst eine andere unmenschliche Handlung verbunden, die ich durchzuführen gehabt hätte.
M. HERZOG: Haben Sie Hitlers Theorie über den Lebensraum zugestimmt?
SAUCKEL: Von Lebensraum hat der Führer in seinem Buch geschrieben. Inwieweit ich dem zustimmte oder nicht, kann meines Erachtens in diesem Prozeß nicht für mich zur Sprache gebracht werden, denn ich habe darauf keinen Einfluß gehabt, wie der Führer selbst das Wort »Lebensraum« auffaßte.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie die Frage, ob Sie der Theorie des Lebensraums zustimmen oder nicht, beantworten müssen.
SAUCKEL: Es sind mir die Ausführungen, die der Führer über den Begriff Lebensraum gemacht hat – das bitte ich mir zugute zu halten – nicht voll gegenwärtig. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich nicht die Frage des Lebensraums mit der Durchführung von Kriegen und Angriffskriegen jemals gedanklich in Verbindung gebracht habe. Ich habe das auch nicht gedanklich weitergegeben, sondern der Begriff Lebensraum ist für uns vielleicht am besten gekennzeichnet gewesen durch die Tatsache, daß die europäische Bevölkerung sich in den letzten 100 Jahren verdreifacht hat von 150 Millionen auf 450 Millionen.
M. HERZOG: Waren Sie mit der Theorie des »Lebensraums« einverstanden oder nicht? Antworten Sie mir mit Ja oder Nein.
SAUCKEL: Ich habe der Theorie des »Lebensraums« nicht zugestimmt, wenn es sich um Angriffskriege gehandelt hätte.
M. HERZOG: Waren Sie mit Hitlers Theorie der »Herrenrasse« einverstanden?
SAUCKEL: Ich könnte vielfältig nachweisen, daß ich die Betonung einer »Herrenrasse« persönlich und auch in Ansprachen stets abgelehnt habe. Ich stehe persönlich auf dem Standpunkt der Tüchtigkeit, aber nicht des Herrentums.
M. HERZOG: Dann waren Sie also nicht der Ansicht, daß die Außenpolitik des Deutschen Reiches von diesen zwei Grundsätzen geleitet werden sollte? Einerseits der Theorie des »Lebensraums« und andererseits der Theorie der »Herrenrasse«?
SAUCKEL: Ich habe schon meinem Verteidiger gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß ich mich mit Außenpolitik nicht befaßt habe, nicht über sie informiert wurde, da ich kein Außenpolitiker bin.
M. HERZOG: Haben Sie nicht im Gegenteil alle außenpolitischen Maßnahmen gutgeheißen, und haben Sie nicht daran teilgenommen?
VORSITZENDER: Vielleicht brechen wir lieber jetzt ab; Sie können diese Frage morgen wiederholen.