[Das Gericht vertagt sich bis
31. Mai 1946, 10.00 Uhr.]
Einhundertdreiundvierzigster Tag.
Freitag, 31. Mai 1946.
Vormittagssitzung.
[Der Angeklagte Sauckel im Zeugenstand.]
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Angeklagter Sauckel! Gestern habe ich von Ihnen keine zufriedenstellende Antwort auf meine Frage, welche Anzahl ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland aus den besetzten Gebieten verbracht wurde, bekommen.
Jetzt wird man Ihnen ein Dokument Nummer 1296-PS vorlegen. Das ist Ihr Bericht vom 27. Juli 1942. Außerdem wird Ihnen das Dokument Nummer 1739-PS vorgelegt werden. Das ist eine Übersicht Ihrer Tätigkeit bis zum 30. November 1942. Ich möchte Ihnen erklären, daß es sich hier um die Anzahl der nach Deutschland verbrachten ausländischen Arbeitskräfte einschließlich der Kriegsgefangenen handelt. Der Ausfall an Arbeitskräften ist in diesem Fall ohne Bedeutung, da dadurch die Zahl der nach Deutschland gebrachten Personen nicht verändert wird. Diese Personen wurden nach Deutschland gebracht, sind aber später als Folge zu schwerer Arbeit umgekommen oder auch wegen Arbeitsunfähigkeit zurückgeschickt worden.
Haben Sie die Dokumente jetzt vor sich liegen?
SAUCKEL: Ja, ich bitte die Dokumente ansehen zu dürfen; es handelt sich um Zahlen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Bitte sehr. Im Dokument Nummer...
SAUCKEL: Ich bin noch nicht fertig. Ich kann das Dokument...
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Es ist nicht nötig, sich den Inhalt aller Dokumente zu vergegenwärtigen. Im Dokument Nummer 1296-PS am Ende der letzten Seite des Berichts finden Sie Punkt V. Er ist überschrieben: »Gesamtübersicht«.
Haben Sie diese Stelle gefunden?
SAUCKEL: Nein, ich habe es noch nicht gefunden. Welches Dokument, bitte?
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nummer 1296-PS. Haben Sie es gefunden?
SAUCKEL: Ich habe diese Stelle gefunden, ja.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dort ist die Gesamtzahl mit 5124000 Menschen angegeben.
Ist diese Zahl richtig?
VORSITZENDER: Zwölf Millionen sagten Sie?
GENERALMAJOR ALEXANDROW: 5124000 Personen.
VORSITZENDER: Der Dolmetscher hat zwölf Millionen gesagt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das war falsch.
SAUCKEL: Ich muß ausdrücklich zu diesem Dokument bemerken, daß die Zahl hier mit 5124000 angegeben ist. Darunter befinden sich 1576000 Kriegsgefangene. Diese rechnen aber nicht unter die Zivilarbeiter und waren in der Verwaltung und im Gewahrsam des Heeres. Sie wurden während ihres Einsatzes beziehungsweise in ihrem Einsatz unter den Generalen für das Kriegsgefangenenwesen in den einzelnen Wehrkreisen betreut und versorgt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie wurden aber in der deutschen Industrie eingesetzt. Bitte, lesen Sie die Überschrift zu Punkt V:
»Gesamtübersicht über die zurzeit in Deutschland in Arbeit eingesetzten fremden Arbeitskräfte...«
SAUCKEL: Jawohl, das ist richtig.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das genügt mir. Sehen Sie sich nun an...
SAUCKEL: Ich bitte, hierzu erklären zu dürfen, daß die Kriegsgefangenen nicht betreut und untergebracht waren in den Betrieben oder bei der DAF, sondern in den Lagern, die den Generalen für das Kriegsgefangenenwesen in den Wehrkreisen unterstanden haben, aus diesem Grunde auch in meinen Statistiken bei den Zivilarbeitern nicht mitgezählt wurden.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Über die Zahl der in Ihrer Organisation arbeitenden Kriegsgefangenen werde ich noch ergänzende Fragen stellen. Im Moment interessiert mich die Frage, wie viele Zivilpersonen und Kriegsgefangene in der deutschen Industrie eingesetzt waren.
Bestätigen Sie die Zahl von 5124000? Ist sie richtig oder nicht?
SAUCKEL: Das ist für diesen Augenblick eine richtige Zahl. Ich bitte aber, damit das Hohe Gericht ein genaues Bild des Vorganges bekommt, mich auf ein sehr genaues Dokument beziehen zu dürfen.
Das ist das Dokument 1764-PS. Es handelt sich um eine genaue Aufzählung wiederum der einzelnen Zivilarbeiter der einzelnen Länder und der Kriegsgefangenen etwa ein halbes Jahr später, die ich höchsten Reichsstellen beziehungsweise Parteistellen in Posen vorgetragen habe; sie war auch dem Führer und den Reichsstellen vorgelegt...
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich muß Sie unterbrechen...
SAUCKEL: Ich bitte, meine Erklärung beenden zu lassen. Ich bitte sehr höflich darum. Ich muß hier diese Dinge ganz klarstellen, das verlangt meine Gewissenhaftigkeit der Welt gegenüber.
Im Februar 1943, also ein halbes Jahr später, erscheint auf Seite 7 dieses Dokuments Nummer 1764 wiederum eine genaue Aufzählung mit einer Zahl von 4014000 Zivilarbeitern und 1658000 Kriegsgefangenen, insgesamt – diese Zahl war sehr genau – 5672000.
Daß sich trotz der Hereinnahme weiterer fremder Zivilarbeiter die Zahl nicht wesentlich erhöht hat, geht daraus hervor, daß, wie ich schon gestern sagte, die Zivilarbeiter aus den westlichen, südlichen und südöstlichen Gebieten meist nur Arbeitsverträge haften, die auf ein halbes Jahr lauteten und nach Möglichkeit und unter meiner Fürsorge auch eingehalten worden sind; denn sonst hätte ich ja, wenn ich sie nicht eingehalten hätte beziehungsweise darauf gedrungen hätte, keine neuen mehr bekommen.
Wenn ich in einem halben Jahr einige Hunderttausend beschäftige und sie wieder weggebe, dann verschwindet diese Zahl immer wieder, weil sie in die Heimat zurückgekehrt sind. Darum sind viel mehr Zivilarbeiter ins Reich hereingekommen, als immer zu irgendeinem Zeitpunkt – als in Gesamtzahl gemeldet – aufgezählt waren; denn die Zurückkehrenden müssen in Abzug gebracht werden. Das sind sehr viele.
Es liegt ein französisches Dokument vor, ein Bericht des Gesandten Hemmen in Paris. Mein Verteidiger wird die Güte haben, später mir die PS-Nummer anzusagen. Daraus geht hervor, daß zwar – nicht nach Darstellung meines Amtes, sondern der Botschaft in Paris – etwa rund 800000 französische Arbeiter nach Deutschland gekommen sind, aber 1944 nur noch 400000 in Deutschland anwesend waren, weil auf Grund der terminbedingten Verträge ja täglich diese Verträge abliefen und täglich Tausende zurückfuhren, in diesem Zeitraum also immer umschichtig die Hälfte der Verträge abgelaufen war, die andere Hälfte in Arbeit war. Das ist eine exakte und nach meinem besten Gewissen gemachte Erklärung zu dieser Darlegung.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Darüber, was diese Arbeitsverträge darstellen – diese sogenannten Arbeitsverträge –, werde ich später sprechen.
Mein französischer Kollege hat bereits während seines Verhörs in genügender Weise die verbrecherischen Methoden, die bei der Aufbringung der Arbeitskräfte im Westen angewandt wurden, nachgewiesen. Was im Osten vor sich ging, werde ich später aufzeigen. Jetzt möchte ich, daß Sie mir die Zahl, die sich in Ihrem Bericht befindet, die Zahl von 5124000 Menschen, bestätigen. Ich bitte Sie, ohne weitere Erläuterungen zu sagen, ob diese Zahl richtig ist oder nicht.
SAUCKEL: Sie ist für den Augenblick dieser Aufstellung richtig. Sie hat sich ständig verändert aus den Gründen, die ich angegeben habe.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Diese Zahl gilt für den 24. Juli 1942; das ist uns allen klar.
Jetzt sehen Sie sich das zweite Dokument 1739-PS an.
VORSITZENDER: 1739?
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Auf der letzten Seite befindet sich folgender Satz:
»Nur dann ist die Gewähr gegeben, daß die gewaltige Zahl von fremden Arbeitern und Arbeiterinnen im Reichsgebiet, die nun etwa 7 Millionen – eingerechnet alle arbeitenden Kriegsgefangenen – erreicht hat, der deutschen Kriegswirtschaft den höchsten Nutzeffekt erbringt...«
Haben Sie diesen Satz gefunden? Steht dort die Zahl von sieben Millionen?
SAUCKEL: Hier wird die Zahl von sieben Millionen genannt einschließlich aller zur Arbeit eingesetzten Kriegsgefangenen, in diesem Augenblick zur Arbeit eingesetzt...
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ja, das ist mir bekannt, das steht ja da geschrieben. Ich frage nur, ob die Zahl von sieben Millionen in diesem Dokument vorkommt oder nicht?
SAUCKEL: Die steht in diesem Dokument geschrieben, jawohl.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und ist das eine richtige Zahl?
SAUCKEL: Das ist eine richtige Zahl, und ich bitte das Gericht, die zwei nachfolgenden Sätze noch verlesen zu dürfen, weil Sie mir verbrecherische Methoden vorwerfen. Ich meinerseits habe mein ganzes Können und den Einfluß, den ich hatte, eingesetzt, um verbrecherische Methoden zu verhüten. Das beweisen die zwei nachfolgenden Sätze, die ich nun lesen werde. Sie lauten...
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich muß Sie wieder unterbrechen.
SAUCKEL: Ich bitte zu dieser Erklärung, die ich gesehen habe, nach den mir vom Gericht gewährten Möglichkeiten, die nachfolgende Erklärung in der Vorlesung dieser beiden Sätze noch anfügen zu dürfen.
»... Unterernährte, halbver...«
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Angeklagter Sauckel...
VORSITZENDER: Lassen Sie ihn die zwei Sätze vorlesen, die er verlesen möchte.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie stehen mit der Frage der Verbringung von Arbeitskräften nach Deutschland in keinem Zusammenhang; und wenn man...
VORSITZENDER: Ich habe die Übersetzung der Dokumente nicht, so daß ich es nicht sagen kann. Ich möchte, daß er die Sätze vorliest.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dann lesen Sie, bitte.
SAUCKEL:
»... halbverzweifelte Ostarbeiter zum Beispiel würden die deutsche Kriegswirtschaft mehr belasten, als wie sie Nutzen bringen könnten.
Diese Voraussetzung allen beteiligten Stellen bis in die Betriebe« – für die war ich nicht zuständig, das füge ich ein – »hinein immer wieder klarzumachen, ist mein ständiges Bestreben.«
Ich möchte hier mit diesen beiden Sätzen meine Gewissenhaftigkeit zum Ausdruck bringen, wie ich meine Aufgabe, die für mich sehr schwer war, innerlich zu erfüllen gesucht habe.
VORSITZENDER: Nun, Angeklagter, wollen Sie freundlichst die Fragen beantworten und nur dann Erklärungen abgeben, wenn es notwendig ist, die Antwort zu erläutern. Sie wurden nur gefragt, ob die Zahl 5124000 im ersten Dokument richtig war und ob die Zahl von 7000000 im zweiten Dokument stimmt. Sie sagten, daß beide richtig wären.
Herr General, bitte fahren Sie fort.
SAUCKEL: Ich habe schon geantwortet, daß es richtig ist, daß in diesem Dokument die Zahl von sieben Millionen angegeben ist...
VORSITZENDER: Gut, wir wollen keine weiteren Erklärungen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich verstehe sehr gut, daß Sie kein Interesse daran haben, diese erschreckenden Zahlen noch zu vergrößern, nicht einmal um ein paar geringfügige Zahlen, geschweige denn um Millionen. Gestern haben Sie erklärt, daß im Jahre 1943 zusätzlich ungefähr zwei Millionen und im Jahre 1944 noch 900000 Arbeiter nach Deutschland gebracht wurden.
SAUCKEL: Ich muß dies außerordentlich berichtigen. Ich habe das nicht gesagt, sondern richtig ist, daß vom Juli 1942 bis Ende 1943 etwa zwei Millionen fremde Arbeiter nach Deutschland gekommen sind, nicht nur im Jahre 1943. Vom Februar 1943 zum Beispiel bis zum Ende 1943 sind nur eine Million nach Deutschland gekommen, weil wir damals sehr große Schwierigkeiten hatten. Es sind aber etwa vom Juli 1942 bis Ende 1942 eineinhalb Millionen gekommen, so daß in eineinhalb Jahren etwa noch zwei Millionen zu der ersten gestern genannten Zahl dazugekommen sind.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wie viele Sie im Jahre 1942 erhalten haben, ist uns bereits bekannt. Sie haben gestern ganz deutlich erklärt, daß im Jahre 1943 etwa zwei Millionen Arbeiter nach Deutschland kamen. Ist das richtig? Ich spreche vom Jahre 1943.
SAUCKEL: Wenn ich das gestern so zum Ausdruck gebracht haben sollte – ich erinnere mich dessen nicht genau –, dann ist das nicht richtig; sondern richtig ist, daß etwa vom Juli 1942 bis Ende 1943 zwei Millionen Fremdarbeiter nach Deutschland eingesetzt worden sind.
VORSITZENDER: Herr General! Der Gerichtshof ist an der genauen Anzahl der Fremdarbeiter, die nach Deutschland kamen, in keiner Weise interessiert. Es ist kein großer Unterschied, ob es fünf, sechs oder sieben Millionen waren. Es ist äußerst schwer, diesen Ziffern zu folgen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe nicht die Absicht, die Anzahl der nach Deutschland verschickten Arbeiter mit mathematischer Genauigkeit festzustellen. Jedoch halte ich es für unerläßlich, das Ausmaß dieser begangenen Verbrechen zu erkennen. Deswegen versuche ich, vom Angeklagten Sauckel zu erfahren, wie viele ausländische Arbeiter im Laufe des Krieges nach Deutschland gebracht wurden.
VORSITZENDER: Ich habe Ihnen soeben erklärt, daß wir es als unerheblich betrachten. Sie sagten, daß Sie keine Feststellung mit mathematischer Genauigkeit wollen, aber wir haben trotzdem eine geraume Zeit mit diesem Versuch vergeudet.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das kommt davon, daß der Angeklagte Sauckel die ihm gestellten Fragen ungenau beantwortet.