[Zum Zeugen gewandt:]
Außer diesen Erklärungen, von denen Sie soeben sprachen und die Sie Ihrem Verteidiger gemacht haben, haben Sie erklärt, daß beim Einsatz der Kriegsgefangenen in der deutschen Industrie die Bestimmungen der Genfer und der Haager Konventionen berücksichtigt wurden. Entsinnen Sie sich dessen?
SAUCKEL: Ja, das liegt auch dokumentarisch vor, daß im Reichsarbeitsministerium und in meinen Dienststellen die Anweisung bestand und in Sonderdrucken weitergegeben worden ist, daß die Genfer Konvention auch gegenüber sowjetrussischen Kriegsgefangenen eingehalten werden soll.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Geht denn daraus hervor, daß Sie keinen Unterschied zwischen den sowjetischen Kriegsgefangenen und den zivilen Arbeitskräften machten?
SAUCKEL: Nein, das geht nicht daraus hervor.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Also wurden diese Bestimmungen beim Arbeitseinsatz insofern verletzt, als die Kriegsgefangenen den Zivilpersonen angeglichen und in der Kriegsindustrie eingesetzt wurden.
SAUCKEL: Dann habe ich Sie falsch verstanden oder Sie mich. Ich habe ja ausdrücklich gesagt, daß ich Wert darauf gelegt habe, daß es gedruckt worden ist und daß während meiner Dienstzeit ein Sonderdruck an die Betriebe und an die Interessenten herausgegeben worden ist, worin festgestellt war, daß die Genfer Konvention eingehalten werde. Mehr kann ich nicht tun.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ihr Verteidiger hat Sie über die Operation, die unter dem Decknamen »Heu« bekannt ist, gefragt. Diese Frage haben Sie wie folgt beantwortet; ich zitiere aus der Niederschrift:
»Sauckel: Nein, ich hatte mit dieser besonderen Maßnahme nichts zu tun.«
Jetzt werde ich Ihnen einen Brief von Alfred Meyer, datiert vom 11. Juli 1944, übergeben. Es ist das Dokument 199-PS. Es ist ein an Sie gerichteter Brief. Lesen Sie Absatz 1; dort steht folgendes:
»Das bisher in Minsk stationierte Kriegseinsatzkommando Mitte muß seine Tätigkeit in der Einberufung jugendlicher weißruthenischer und russischer Kräfte für einen militärischen Einsatz im Reich unter allen Umständen fortsetzen. Das Kommando hat zusätzlich die Aufgabe, Jugendliche von 10 bis 14 Jahren ins Reich zu überführen.«
Haben Sie die Stelle gefunden?
SAUCKEL: Ich habe die Stelle gelesen und darf dazu erwidern, daß der Brief zwar an mich gerichtet ist, also zur Information, daß ich aber mit diesem Vorgang weder in meinem Amt noch persönlich etwas zu tun hatte. Das ist ja schon im Komplex des Angeklagten Schirach erörtert und innerhalb dieser Stellen durchgeführt worden; der Arbeitseinsatz als Amt war daran nicht beteiligt. Ich persönlich erinnere mich auch nicht.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Und wie war Ihr Verhältnis zum »Kriegseinsatzkommando Mitte«? War das Ihr Stab?
SAUCKEL: Ich verstehe die Frage nicht. Welchen Stab meinen Sie?
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Den Stab, der in dem Brief von Alfred Meyer erwähnt wird, Stab Mitte, der sich mit dem Einsatz von Arbeitskräften befaßte.
SAUCKEL: Ich finde das Wort Stab nicht.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Es steht ganz am Anfang des Satzes. »Das... Kriegseinsatzkommando... muß...«
SAUCKEL: Kriegseinsatzkommando Mitte ist mir ein vollständig unbekannter Begriff. Ich weiß nicht, was es war, ob eine militärische oder zivile Dienststelle. Das hat nichts mit mir zu tun. Ich kenne das nicht.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier erklärt, daß die staatliche Sicherheitsverwaltung besondere Erkennungszeichen für die aus den besetzten Gebieten gebrachten Menschen eingeführt hatte. Für Sowjetbürger war das Zeichen... Sie können mich nicht hören?
SAUCKEL: Ich verstehe die Übersetzung nicht.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier vor dem Gerichtshof bekundet, daß für die aus den besetzten Gebieten hereingebrachten Menschen besondere Erkennungszeichen eingeführt wurden. Die Sowjetbürger bekamen ein Zeichen mit der Aufschrift »Ost«, die Polen mit einem »P«. Sie haben erklärt, daß Sie damit nicht einverstanden waren. Was haben Sie getan, um dieser Verhöhnung ein Ende zu bereiten?
SAUCKEL: Ich habe ständig Versuche unternommen, eine solche Kennzeichnung überhaupt zu vermeiden. Der Reichsführer-SS hat es kategorisch verlangt; es liegt auch meines Wissens hier ein Brief von ihm vor, daß die ausländischen Arbeiter, die sich ja auf meinen Wunsch frei in Deutschland bewegen sollten, gekennzeichnet sein müßten, wenn sie aus ihrem Lager herausgehen. Es war keine Verhöhnung. Ich möchte das ausdrücklich betonen, ich habe es nicht als eine Verhöhnung aufgefaßt.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das ist Ihr Standpunkt. Haben Sie darüber mit Ihrem nächsten Vorgesetzten, dem Angeklagten Göring, gesprochen?
SAUCKEL: Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, ob ich mit Göring direkt gesprochen habe. Ich kann nur aussagen, daß ich das immer wieder periodisch versucht habe, so lange, bis im Frühjahr – ich glaube im März 1944 – tatsächlich meine Bemühungen Erfolg hatten, und dieses kleine »Ostabzeichen« in ein nationales Abzeichen am Ärmel umgewandelt wurde, so wie es von Verbindungsmännern für die verschiedenen Völker im Osten vorgeschlagen wurde.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich fragte Sie, ob Sie darüber mit Göring gesprochen haben?
SAUCKEL: Ich kann mich nicht erinnern. Es kann sein, ja; es kann sein, nein; es ist ja oft darüber gesprochen worden.
VORSITZENDER: General Alexandrow! Ich glaube, Sie könnten davon abgehen.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Auf die Fragen Ihres Verteidigers und meines französischen Kollegen, wie sich der Angeklagte Speer zu Ihrer Ernennung als Generalbevollmächtigter verhielt, haben Sie erwidert, daß Ihnen darüber etwas Genaues nicht bekannt war. Nun lasse ich Ihnen einen Zeitungsartikel aus dem »Völkischen Beobachter« vorlegen. Es ist Dokument USSR-467, das ich dem Gerichtshof überreiche.
Dieser Artikel wurde am 28. März 1942 aus Anlaß Ihrer Ernennung zum Generalbevollmächtigten veröffentlicht. Sie können dort sogar Ihre Photographie finden. Haben Sie die Stelle gefunden, wo folgendes zu lesen ist:
»Die Ernennung des Gauleiters Sauckel erfolgte auch wegen der überragenden Bedeutung des Arbeitseinsatzes in den Rüstungsindustrien auf Wunsch des Reichsministers Speer.«
Wir nehmen an, daß Sie diesen Artikel gelesen haben müssen. Haben Sie ihn gelesen?
SAUCKEL: Das kann ich Ihnen im Augenblick wirklich nicht genau sagen. Es ist wohl möglich oder wahrscheinlich. Ich habe damals nicht viel Zeit zum Zeitunglesen gehabt. Ich möchte Ihnen aber ausdrücklich sagen, Herr Ankläger, daß ich ja während meiner Zeit weit über fünf Millionen deutsche Arbeitskräfte aus verschiedensten Industriekreisen in die Rüstungswirtschaft überführt hatte. Also es war ein Auftrag, der sich ja in der Hauptsache mit auch auf deutsche Arbeitskräfte und deren Umschichtung bezog.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Mich interessiert etwas anderes, warum der Angeklagte Speer an Ihrer Ernennung zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz interessiert war. Das will ich feststellen. Können Sie mir insoweit etwas sagen?
SAUCKEL: Warum der Herr Reichsminister Speer an meiner Ernennung interessiert war, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe meinem Verteidiger schon gesagt, daß ich selber damals überrascht war.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ihr Verteidiger hat Sie am 29. Mai mit dem Dokument EC-68 bekanntgemacht. Es ist ein Dokument, das die Behandlung ausländischer Arbeiter polnischen Volkstums betrifft. Ich will mich bei diesem Dokument nicht aufhalten, da Ihr Verteidiger länger darüber gesprochen hat. Ich will mich darauf beschränken, Ihre Antwort auf diese Frage Ihres Verteidigers, so wie sie im Gerichtsprotokoll erscheint, zu zitieren. Ich lese aus der Niederschrift:
»Sauckel: Ich darf bei diesem Dokument zunächst darauf hinweisen, daß es vom 6. März 1941 stammt – also über ein Jahr vor meiner eigenen Beauftragung. Nachdem dieses Dokument, Nummer 4, hier vorgelegt worden ist, muß ich meinem Fall noch zusätzliche Doku mente beifügen, welche bestätigen, daß ich automatisch alle solche nutzlosen Anordnungen vernichtet habe. In einem solchen Falle hätte ich ja an irgendeine Dienststelle im Reiche keine solchen Befehle geben können.«
Erinnern Sie sich an diese Aussage in der Sitzung vom 29. Mai dieses Jahres?
SAUCKEL: Jawohl.
VORSITZENDER: Herr General! Mir wird gesagt, daß dies eine ungenaue Übersetzung ist. Es heißt »abgestellt« und nicht »vernichtet«. Sie sagten »vernichtet«.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich lese den russischen Text des Protokolls. Es können wohl einige Ungenauigkeiten darin sein. Ich habe nichts dagegen, daß das Wort »vernichtet« durch »abgestellt« ersetzt wird; der Sinn bleibt ja der gleiche.
SAUCKEL: Darf ich noch einmal um den Zusammenhang bitten, es ist mir nicht klar.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich will jetzt auf das Dokument EC-68 nicht zurückkommen. Ich möchte nur feststellen, was Sie Ihrem Verteidiger im Zusammenhang mit diesem Dokument geantwortet haben. Sie bestreiten Ihre Aussage, die ich soeben verlesen habe, nicht. Entspricht es dem, was Sie hier am 29. Mai ausgesagt haben?
SAUCKEL: Nein, aber ich verstehe nicht, was da der Begriff »vernichtet« mit zu tun hat.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Man darf nicht »vernichten«, sondern »abstellen« lesen.
SAUCKEL: Das ist möglich.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie bestätigen doch die Aussage, die ich soeben verlesen habe?
SAUCKEL: Ja.
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nun sagen Sie mir: Erinnern Sie sich, unter welchen Bedingungen die ukrainischen Frauen und Mädchen aus den besetzten Gebieten von Ihnen in der deutschen Landwirtschaft eingesetzt wurden? Ich werde Ihnen jetzt das Dokument USSR-383 vorlegen lassen.
VORSITZENDER: Haben Sie die PS-Nummer?
GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nein, es ist ein USSR-Dokument.