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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Angeklagte Sauckel im Zeugenstand.]

DR. NELTE: Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichts auf folgende Tatsache lenken:

General Alexandrow hat sich heute vormittag auf das Dokument 744-PS bezogen. Zunächst wurde mir eine Urkunde vorgelegt, die als deutsche Übersetzung bezeichnet war. Diese Übersetzung enthält offenbare Unmöglichkeiten.

VORSITZENDER: Dr. Nelte, sagten Sie 744?

DR. NELTE: 744-PS.

VORSITZENDER: Ich habe keine Notiz darüber, daß er sich auf dieses Dokument bezogen hätte. Ich weiß nicht, ob er... General Alexandrow, haben Sie heute vormittag 744-PS erwähnt?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jawohl, ich habe mich heute vormittag auf dieses Dokument bezogen. Es ist eine Verordnung des Angeklagten Keitel vom 8. Juli 1943 über Verwendung von Kriegsgefangenen im Bergbau.

DR. NELTE: Ich erhielt dann von der Sowjetrussischen Anklagebehörde das Original, das heißt, die Photokopie eines Schreibens vom 8. Juli 1943, unterschrieben von Keitel. Es liegen mir nun zwei deutsche Texte vor, die nicht nur inhaltlich voneinander stark abweichen, sondern es ist sogar auf der Übersetzung ein Zusatz, der auf dem Original nicht steht, nämlich zu dem Kopf »Chef des Oberkommandos der Wehrmacht« ist hinzugefügt »Generalstab des Heeres«.

Ich möchte Sie nun nicht damit aufhalten, daß ich die sonstigen unrichtigen Übersetzungen verlese; ich muß aber annehmen, daß Ihnen die fremdsprachlichen Texte vorliegen, die, wie ich aus der Rückübersetzung feststellen muß, unrichtig sind. Da dieses Dokument, das Originaldokument, das Beweisstück ist und nicht beanstandet wird, möchte ich Sie bitten anzuordnen, daß die Ihnen vorgelegten fremdsprachlichen Übersetzungen daraufhin geprüft werden, inwieweit sie von dem Originaldokument abweichen.

VORSITZENDER: Ist das Dokument schon vorher zum Beweis vorgelegt worden? Ist es als Beweis angeboten worden? War es ein Beweisstück?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: 744-PS.

VORSITZENDER: Das heißt noch nicht, daß es als Beweisstück vorgelegt wurde. Das heißt lediglich, daß es auf diese Weise gekennzeichnet wurde. Wurde es bereits vorher als Beweisstück angeboten?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich weiß nicht, welche US-Nummer das Dokument hat. Aber soviel ich weiß, ist es als Beweisstück vorgelegt worden. In dem Exemplar, welches in deutscher Sprache vorgelegt wurde, heißt es, daß die deutsche Übersetzung am 26. November 1945 von Leutnant der USA- Infanterie Niebergall verfertigt wurde. Wenn Dr. Nelte diese Übersetzung fehlerhaft findet, so glaube ich, daß man die Übersetzungsabteilung beauftragen sollte, die Fehler zu korrigieren.

DR. NELTE: Ich bin überzeugt, Herr Präsident...

VORSITZENDER: Das beste wird sein, es von der Übersetzungsabteilung nochmals überprüfen zu lassen. Wir werden anordnen, daß es sofort geschieht.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: [zum Zeugen gewandt] Man wird Ihnen gleich das Protokoll der Rede Rosenbergs vorlegen. Ich werde mich auf ein ganz kurzes Zitat beschränken. Bitte, lesen Sie mir nach:

»Sie haben z. T. die Vorstellung, als ob der Weg nach Deutschland ungefähr etwas Ähnliches sei, wie der Weg nach Sibirien.«

Und weiter:

»Ich weiß, wenn man 11/2 Millionen Menschen herbringt, kann man sie nicht wunderbar unterbringen. Daß hier Tausende von Menschen schlecht untergebracht sind oder schlecht behandelt werden, ist selbstverständlich. Darüber braucht man sich keine grauen Haare wachsen zu lassen. Es ist aber eine sehr nüchterne Frage – und ich nehme an, Gauleiter Sauckel hat sie schon besprochen oder wird noch darüber sprechen –: Diese Menschen aus dem Osten werden nach Deutschland gebracht, um zu arbeiten und eine möglichst große Arbeitsleistung zu erzielen. Das ist eine ganz nüchterne Angelegenheit. Um eine Leistung zu erzielen, darf man sie natürlich nicht zu 3/4 erfroren herbringen, 10 Stunden stehen lassen; man muß ihnen vielmehr soviel zu essen geben, daß sie Kraftreserven haben...«

Hat der Angeklagte Rosenberg die Bedingungen, unter denen Sie die Arbeiter aus den besetzten Gebieten nach Deutschland brachten, richtig beschrieben? Oder glauben Sie, daß diese Beschreibung nicht zutrifft?

SAUCKEL: Ich kann nicht sagen und erkennen, wann Rosenberg diese Rede gehalten hat. Ich selbst habe sie nicht gehört und keine Abschrift davon bekommen. Ich kann aber ausdrücklich feststellen, daß, sowie ich mein Amt angetreten habe, ich in umfassendster Weise Vorkehrungen getroffen habe, daß Zustände, wie sie Rosenberg hier besprochen hat und die nicht meine Amtszeit berühren können, unter allen Umständen vermieden worden sind; denn dafür habe ich mein umfassendstes Anordnungswerk erlassen. Um solche Zustände zu verhüten, habe ich für jede Nation, die in Deutschland arbeitete, Hunderte von gültigen verbindlichen Anordnungen gesetzlicher Art erzielt, die das bis ins einzelne unmöglich machten. Das habe ich dazu zu sagen. Es kann sich nicht, auf Zustände meiner Zeit beziehen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Vorsitzender! Ich werde mich mit dieser einen Stelle aus der Rede des Angeklagten Rosenberg begnügen. Ich werde auch die vielen Dokumente, die dem Gerichtshof bereits vorliegen, nicht behandeln; Dokumente, welche die verbrecherischen Methoden, die mit Wissen des Angeklagten Sauckel bei der Anwerbung von Arbeitskräften in den besetzten Gebieten und bei deren Ausbeutung als Sklaven in Deutschland angewandt wurden, unzweideutig feststellen. Ich werde nur noch dem Gerichtshof ein neues Dokument, USSR-468, vorlegen. Es ist die Arbeitskarte, die einer polnischen Bürgerin, Maria Atler, von den deutschen Behörden in Breslau ausgehändigt wurde. Diese Arbeitskarte ist insofern charakteristisch, als auf der Rückseite ein Stempel mit der Abbildung einer Sau zu finden ist. Nach einer eidesstattlichen Erklärung der Maria Atler sind solche Arbeitskarten von deutschen Behörden in Breslau im Jahre 1944 an alle Fremdarbeiter ausgehändigt worden. Zusammen mit diesem Originaldokument lege ich die von der Polnischen Staatskommission beglaubigte Aussage Maria Atlers vor.