[Pause von 10 Minuten.]
[Der Zeuge Hildebrand betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.
ZEUGE HUBERT HILDEBRAND: Hubert Hildebrand.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts hinzusetzen und nichts verschweigen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
Setzen Sie sich, bitte.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie waren in der Dienststelle Sauckel tätig? Stimmt das?
HILDEBRAND: Jawohl.
DR. SERVATIUS: Sie waren Timm unterstellt. Was war Ihr besonderer Aufgabenbereich?
HILDEBRAND: Ich hatte im Reichsarbeitsministerium seit 1930 Arbeitsvermittlungsfragen der Eisen- und Metallwirtschaft, der Chemiewirtschaft, der Textilwirtschaft und seit 1940 auch Westarbeiterfragen zu bearbeiten.
DR. SERVATIUS: Also regionale Westfragen?
HILDEBRAND: Jawohl, in Frankreich, Belgien und Holland, einen Teil dieser Fragen.
DR. SERVATIUS: Sie müssen daran denken, daß Sie eine Pause machen, ehe Sie antworten. Hatten Sie einen Überblick über die gesamten Vorgänge in der Dienststelle Sauckels?
HILDEBRAND: Nein, den hatte ich nicht.
DR. SERVATIUS: Sie nahmen aber teil an den Stabsbesprechungen?
HILDEBRAND: Jawohl, da war ich meistens zugegen.
DR. SERVATIUS: Auf diesem Wege erfuhren Sie also in gewissem Maße von den Vorgängen in den anderen Stellen?
HILDEBRAND: Jawohl.
DR. SERVATIUS: Ich will Sie fragen im besonderen über die Verhältnisse in Frankreich. Welche Stellung hatte der Generalbeauftragte für den Arbeitseinsatz in Frankreich?
HILDEBRAND: Der Generalbeauftragte für den Arbeitseinsatz hatte in Frankreich wie in den anderen besetzten Gebieten besondere Beauftragte ernannt, die Wünsche von ihm dorthin übermittelten und an der Durchführung dieser Aufgaben und Wünsche teilnahmen. Träger der Organisation für den gesamten Arbeitseinsatz auf den besetzten Westgebieten blieben aber die dortigen deutschen militärischen oder zivilen Verwaltungsstellen.
DR. SERVATIUS: Eine eigene Organisation hatte er nicht?
HILDEBRAND: Von dem ersten Beauftragten in Frankreich wurde versucht, eine eigene Organisation aufzuziehen. Nach kurzer Zeit aber traf er dabei auf den Widerstand der deutschen Verwaltungsstellen, und die von ihm inzwischen aufgezogenen Dienststellen wurden von dem Militärbefehlshaber übernommen.
DR. SERVATIUS: Welche Stellung hatte der Militärbefehlshaber?
HILDEBRAND: Der Militärbefehlshaber war und blieb eigenverantwortlich für den gesamten Einsatz in seinem Bezirk und auch für den Einsatz von Kräften aus seinem Bezirk nach Deutschland.
DR. SERVATIUS: Welche Stellung hatte die Deutsche Botschaft?
HILDEBRAND: Die Deutsche Botschaft hatte bei allen Verhandlungen, die vom Generalbevollmächtigten oder von seinem Beauftragten mit den französischen Regierungsstellen zu führen waren, die Federführung.
DR. SERVATIUS: Welche Stellung hatte die Französische Regierung im Arbeitseinsatz?
HILDEBRAND: Die Französische Regierung traf Vereinbarungen mit dem Generalbevollmächtigten über die Durchführung seiner Programme, sie wies ihre eigenen Dienststellen an, Aufgaben zur Durchführung zu bringen, insbesondere, als die Dienstverpflichtung zur Einführung in Frankreich kam. Sie erließ die erforderlichen Verordnungen und die notwendigen Anweisungen an ihre untergeordneten Stellen.
DR. SERVATIUS: Wer hatte nun die Verwaltungsexekutive bei der Arbeitererfassung? Machten das die Franzosen oder die Deutschen?
HILDEBRAND: Man muß hier zwei Abschnitte unterscheiden. Als es sich nur um die Anwerbung von Freiwilligen handelte, bis zum Herbst 1942, konnten diese Freiwilligen sich melden sowohl bei deutschen Dienststellen wie bei der französischen Dienststelle, auch bei Werbebüros, die zum Teil von deutschen Firmen und zum Teil von deutschen Wehrmachtsteilen eingerichtet worden waren. Nach der Einführung der Dienstverpflichtung lag die Verwaltungsexekutive, die Durchführung der Verordnung, ausschließlich bei der französischen Dienststelle.
DR. SERVATIUS: Und was geschah, wenn jemand sich nicht meldete?
HILDEBRAND: Dann erfolgten Vorladungen erstmals und dann nochmalige durch französische Dienststellen, und wenn diese keinen Erfolg hatten, schalteten die französischen Dienststellen die französische Polizei ein.
DR. SERVATIUS: Wurden diejenigen, die sich entzogen, auch vor Gericht gestellt?
HILDEBRAND: Ich nehme an, daß dies teilweise geschehen ist; genau weiß ich es nicht.
DR. SERVATIUS: Vor deutsche oder französische Gerichte?
HILDEBRAND: Vor ein französisches, laut französischer Verordnung.
DR. SERVATIUS: Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Franzosen, die freiwillig von Frankreich nach Deutschland gekommen sind?
HILDEBRAND: Die Zahl der freiwilligen Franzosen betrug bis etwa Mitte 1942 – ich kann das jetzt allerdings nur aus dem Gedächtnis ungefähr sagen...
DR. SERVATIUS: Bitte, nur die ungefähre Zahl.
HILDEBRAND: Etwas über 200000. Nachdem im Laufe des Jahres 1942 die Dienstpflichtverordnung eingeführt worden war, wurde gleichzeitig aber auch noch in erheblichem Umfange eine Freiwilligenwerbung betrieben. Die Zahl der Freiwilligen war zeitweise wesentlich größer als die Zahl der Dienstverpflichteten, so daß insgesamt mehr als die Hälfte aller aus Frankreich angeworbenen Arbeitskräfte Freiwillige waren. Bemerkenswert ist, daß Frauen überhaupt nur als Freiwillige angeworben wurden. Eine Dienstverpflichtung fand für sie nicht statt. Bei den Dienstverpflichtungen ist noch ferner zu beachten, daß eine Reihe von ihnen nur formaler Natur waren. In Wirklichkeit hatten sich diese Arbeitskräfte freiwillig gemeldet. Sie legten aber aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Gründen der Rücksichtnahme auf ihre Angehörigen oder Bekannten aus ihrer Ortschaft Wert darauf, dienstverpflichtet zu werden. Wir haben Dienstverpflichtungen gehabt, die nachträglich veranlaßt wurden. Insbesondere in den letzten Monaten vor Kriegsschluß kamen solche Anträge an die deutschen Arbeitsämter heran, und das Auswärtige Amt stellte an den Generalbevollmächtigten den Antrag, solchen Anträgen stattzugeben, und dies geschah auch.
DR. SERVATIUS: Haben Sie in Ihrem Ressort etwas über Anwerbemethoden gehört, Umstellen von Kirchen, Kinos und ähnlichem in Frankreich?
HILDEBRAND: Nein, eine derartige Anwerbung ist mir nicht bekannt. Ich weiß wohl, daß sowohl in Frankreich wie auch in Belgien Ausweiskontrollen stattfanden von Angehörigen von sogenannten aufgerufenen Jahrgängen, die zur Registrierung aufgerufen worden waren.
DR. SERVATIUS: Sie sind ja wahrscheinlich auch in Paris gewesen und haben dort mit den deutschen Dienststellen gesprochen. Stimmt das?
HILDEBRAND: Jawohl, ich habe jedesmal in Paris Gelegenheit genommen, mit Angehörigen der Dienststellen über die laufenden Vorgänge Rücksprache zu nehmen.
DR. SERVATIUS: Sind Ihnen denn dort keine Dinge erzählt worden, die Sie in Erstaunen setzen mußten?
HILDEBRAND: Wir haben wie bei jeder Durchführung von größeren Aufgaben selbstverständlich auch einzelne Schwierigkeiten und einzelne Übergriffe gehabt. So wurde mir unter anderem mal gemeldet, daß in der Pépiniere, einer Art Durchgangslager für Leute, die abreisen sollten, unhaltbare Zustände herrschten. Diese sind sofort dem Stadtkommandanten von Paris mitgeteilt worden, der für Abhilfe gesorgt hat. Dann sind Übergriffe bei der Anwerbung von Kräften in Marseille erfolgt, wo durch Werber Erpressungen stattgefunden haben. Dies wurde auch sofort abgestellt. Darüber hinaus wurden an mich herangetragen eine größere Reihe von Einzelfällen. Es handelte sich hier um kleinere Schwierigkeiten über Urlaub, Löhne und so weiter, die ich jedesmal den zuständigen Abteilungen zur weiteren Verfolgung weitergab.
DR. SERVATIUS: Gehörte es zu Ihrer Amtspflicht, die Sachen zu verfolgen?
HILDEBRAND: Soweit sie in meinen Aufgabenbereich fielen, wurde sofort das Weitere von mir selbst veranlaßt; soweit andere Abteilungen damit befaßt waren, wurde es unmittelbar an diese zur weiteren Erledigung abgegeben.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Ich habe nicht gefragt, was Sie getan haben, sondern ob es Ihre Dienstpflicht war, sich um diese Dinge zu kümmern?
HILDEBRAND: Im Bereiche meiner Abteilung lag die allgemeine Anwerbung und statistische Kontrolle der Programme. Fragen der Unterkunft, der Löhne, des Transports wurden in anderen Abteilungen bearbeitet. Selbstverständlich war es, wenn ich von Mißständen erfuhr, meine Pflicht, sofort diesen Dingen nachzugehen, schon im Interesse der weiteren Werbung.
Wir legten den allergrößten Wert darauf, daß jeder Mißstand sofort zu beseitigen war, da nur dadurch die Anwerbung von Freiwilligen weiterhin gewährleistet blieb. Die Dienstverpflichtung wurde deshalb als letzte Notwendigkeit betrachtet.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Ich will wissen, ob es Ihre Dienstpflicht oder Ihre moralische Pflicht war, sich um diese Dinge zu kümmern.
HILDEBRAND: Es dreht sich in diesem Falle um die moralische und um die Dienstpflicht.
DR. SERVATIUS: Bezüglich der Durchführung der Transporte habe ich eine Frage. Es sind hier Transportmißstände vorgebracht worden; deswegen möchte ich von Ihnen hören, wie von Ihnen aus die Transporte, die von Frankreich kamen, überwacht und geleitet wurden. Können Sie das kurz schildern?
HILDEBRAND: Für die Durchführung der Transporte war beim Militärbefehlshaber in Frankreich eine besondere Abteilung gebildet. Für jeden Mann, der nach Deutschland ging, stand fest, zu welcher Firma er ging, da ja die Anwerbung auf Grund von Verträgen erfolgte, auf Grund von ausgearbeiteten Arbeitsbedingungen, so daß bekannt war, welche Reiseroute zu wählen war. Die Transporte wurden so zusammengestellt, daß möglichst viele zusammenkamen, daß eine bestimmte Zahl von Arbeitskräften nach einer bestimmten Richtung und zu einer bestimmten Firma ging.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Diese Einzelheiten interessieren mich weniger als die Frage, wie Sie die Transporte geleitet und wie Sie kontrolliert haben, wenn etwas Unregelmäßiges auf der Reise passierte?
HILDEBRAND: Ich wollte mit der Mitteilung einiger Einzelheiten nur kennzeichnen, daß bis ins einzelne hinein eine genaue Erfassung jeder Person erfolgte, die für Deutschland vorgesehen war, daß für jeden Transport genaue Listen angelegt wurden von Personen und von den Firmen, zu denen sie kamen. Für die Transporte wurden Begleiter gestellt, die den Transport hinbrachten bis an seinen Bestimmungsort. Dort wurden sie übergeben den Präsidenten der Landesarbeitsämter, die für die weitere Betreuung Sorge zu tragen hatten.
DR. SERVATIUS: Ich will Ihnen einen praktischen Fall vorführen. Es ist hier ein Fall vorgetragen worden, wo ein Transportzug im Saargebiet liegenblieb, nach einigen Tagen geöffnet wurde und die meisten Menschen erfroren waren. Führten Sie eine Kontrolle über solche Züge durch? Hätte Ihnen das gemeldet werden müssen? Kann das ein Zug gewesen sein, der in Ihrem Auftrage lief, oder wie erklären Sie das?
HILDEBRAND: Ein derartiger Vorfall wäre uns sofort bekanntgeworden; wir erhielten, da die Transporte bei den Präsidenten des Landesarbeitsamtes vorangemeldet waren, sofort Kenntnis, wenn Transporte nicht ankamen. Dies ist wiederholt geschehen nämlich dann, wenn durch irgendwelche Notstände, durch unterwegs entstandene Schwierigkeiten ein Transport angehalten wurde, zum Beispiel in den letzten Kriegstagen bei der Beseitigung von Luftschäden, bei Verkehrsstörungen und dergleichen, so daß wir dann sofort Recherchen nach diesen Transporten aufnehmen konnten, was auch in jedem Falle geschah. Der Fall, den Sie eben nannten, ist mir nicht bekannt.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie müssen langsamer sprechen; die Dolmetscher kommen nicht mit.
Nehmen Sie Stellung zu diesem Vorkommnis, das ich geschildert habe: den Zug mit Erfrorenen im Saargebiet.
HILDEBRAND: Dieses Vorkommnis kann sich unmöglich im Rahmen von Transporten des Arbeitseinsatzes abgespielt haben. Die Transporte wurden gut vorbereitet.
DR. SERVATIUS: Das haben Sie ja schon gesagt.
HILDEBRAND: Jawohl.
DR. SERVATIUS: Wie erklären Sie sich dann diesen Transport?
HILDEBRAND: Ich habe zum erstenmal durch die Presse in den letzten Monaten davon Kenntnis bekommen, daß auch Transporte von seiten der SS nach Deutschland durchgeführt worden sind, bei denen solche Zustände gewesen sein sollen, wie Sie sie eben gesagt haben.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sind Sie bei Verhandlungen zugegen gewesen, die Sauckel mit Laval geführt hat?
HILDEBRAND: Jawohl, ich war häufig zugegen.
DR. SERVATIUS: In welcher Atmosphäre spielten sich diese Verhandlungen ab?
HILDEBRAND: Diese Verhandlungen spielten sich in verbindlicher Form ab. Gelegentlich kam es allerdings auch, insbesondere, wenn Zusagen der Französischen Regierung nicht eingehalten worden waren, zu schärferen Auseinandersetzungen, aber irgendwelche besonderen Schwierigkeiten traten bei diesen Verhandlungen im allgemeinen nicht auf. Es wurden über die Zahl der Kräfte, die nach Deutschland abgestellt werden sollten, Vereinbarungen getroffen. Laval war grundsätzlich stets bereit, Deutschland Kräfte zur Verfügung zu stellen.
DR. SERVATIUS: Wie war denn speziell das Verhältnis Laval-Sauckel? Hat sich Laval günstig ausgesprochen gegenüber Sauckel oder ungünstig?
HILDEBRAND: Herr Laval hat sich jeweils bedankt für Erleichterungen, die auch für Frankreich erreicht worden waren, zum Beispiel bezüglich des französischen Kriegsgefangenenstatuts, Besuch von Frauen von französischen Arbeitern, bei der Übernahme von Sozialleistungen auf Angehörige von französischen Arbeitern, die in Deutschland waren. Diese Dinge spielten sich ab, wie gesagt, in der Form von Vereinbarungen, wo der eine Teil Arbeitskräfte zur Verfügung stellte und der andere Teil wieder Kräfte zurückgab oder sonstige Vorteile gewährte. Laval äußerte allerdings wiederholt den dringenden Wunsch, noch mehr für Deutschland leisten zu können, wenn ihm dafür politische Vorteile gewährt werden könnten. Er bat deshalb wiederholt auch den Generalbevollmächtigten, daß er ihm beim Führer Besprechungen ermöglichen möge, um in Frankreich für eine weitere Leistung eine günstige Atmosphäre zu schaffen.
DR. SERVATIUS: Bestand dieses freundschaftliche Verhältnis bis zum Schluß?
HILDEBRAND: Bis zur letzten Verhandlung, die, wie ich glaube, Ende 1944 stattfand.
DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich glaube, die Fragen von »Releve« und »Transformation« sind wohl hinreichend geklärt worden, so daß ich den Zeugen darüber nicht nochmals zu befragen brauche.