[Zum Zeugen gewandt:]
Bestanden diese Lager damals, und waren sie belegt?
JÄGER: Soweit ich mich erinnern kann. Man muß dabei bedenken, daß ich, als ich meine Tätigkeit begann, überhaupt nicht wußte, welche Lager da waren. In einer Sitzung, die zusammengerufen wurde, wo Ärzte der verschiedensten Nationalität waren, fragte ich dann zu allererst, was sind für Lager da. Das wußte man nicht, und daraufhin wurde zuerst eine Liste beschafft, in der die Lager aufgeführt wurden. Ich habe dann...
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben hier namentlich die Lager aufgeführt. Sie sind also nicht gewiß, daß diese Lager damals im Oktober 1942 bestanden haben?
JÄGER: Ich habe, soweit ich mich erinnern konnte, die Lager aufgeführt, die bei Beginn oder zu Beginn meiner Tätigkeit da waren. Es war ja auch so, daß ich diese Lager alle selbst aufsuchen mußte. Ich war auf mich ganz allein angewiesen.
DR. SERVATIUS: Sie sagen weiter bezüglich des Essens der Ostarbeiter – wenn Sie nämlich auf die zweite Seite des Dokuments gehen – haben Sie dort folgendes gesagt:
»Das Essen für die Ostarbeiter war vollkommen unzureichend. Die Ostarbeiter erhielten 1000 Kalorien pro Tag weniger als das Minimum für Deutsche...«
VORSITZENDER: Dr. Servatius! Nach den Namen der Lager sagt er:
»Sämtliche Lager waren von Stacheldraht umgeben und waren streng bewacht.«
Soviel ich verstehe, wollen Sie das bestreiten?
DR. SERVATIUS: Waren die Lager mit Stacheldraht umgeben und streng bewacht, wie es hier steht?
JÄGER: Am Anfang, ja.
DR. SERVATIUS: Sie wissen aber nicht, ob es bei allen Lagern war.
JÄGER: Die Lager, die ich besuchte, wo man mich ja noch gar nicht kannte, zum Beispiel Krämerplatz und Dechenschule, waren stark bewacht, und ich mußte mich überhaupt erst ausweisen, um hineinzukommen.
DR. SERVATIUS: Ich wiederhole die Frage bezüglich des Essens. Sie sagten, die Ostarbeiter erhielten 1000 Kalorien pro Tag weniger als das Minimum für Deutsche; während deutsche Arbeiter, die Schwerstarbeit leisteten, 5000 Kalorien pro Tag bekamen, erhielten die Ostarbeiter, die dieselbe Arbeit machten, nur 2000 Kalorien pro Tag. Ist das zutreffend?
JÄGER: Das war am Beginn meiner Tätigkeit zutreffend. Die Ostarbeiterverpflegung war, wie aus den aushängenden Listen ersichtlich war, festgelegt, und es war ein Unterschied in der Verpflegung der Ostarbeiter und der deutschen Arbeiter. Die 5000 Kalorien, die hier erscheinen, die bekamen einzelne Kategorien von deutschen Schwerstarbeitern; das war nicht allgemein.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Ich werde Ihnen eine Tabelle der Kalorien vorlegen.
[Dem Zeugen wird die Tabelle überreicht.]
DR. SERVATIUS: Ich überreiche dem Gericht eine Abschrift der Tabelle. Es ist dies eine genaue Aufstellung der Kalorien, die den einzelnen Arbeiterkategorien zukommt. Sie beginnt mit dem 9. Februar 1942, ist aufgegliedert in die einzelnen Verpflegungsposten für die einzelnen Arbeiterarten, und auf der letzten Seite ist eine Zusammenfassung der mittleren Kalorien, die gegeben worden sind. Dort sind angegeben in der Zusammenfassung Gruppe 1 Ostarbeiter und Sowjetkriegsgefangene, Durchschnittsarbeiter 2156 Kalorien, Schwerarbeiter 2615, Schwerstarbeiter 2909, Lang- und Nachtarbeiter 2244 Kalorien. Sind Ihnen diese Zahlen geläufig?
JÄGER: Ungefähr.
DR. SERVATIUS: Vergleichen Sie, was dazu die deutschen Arbeiter bekommen: Die Normalverbraucher 2846 Kalorien, die Schwerarbeiter 3159, Schwerstarbeiter 3839, Lang- und Nachtarbeiter 2846 Kalorien. Stimmt das mit Ihrer Erklärung überein, wonach Sie sagen, daß deutsche Schwerstarbeiter 5000 Kalorien bekamen, während die Ostarbeiter nur 2000 Kalorien bekamen.
VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte. Es ist sehr schwer, Dr. Servatius, diesen Zahlen zu folgen, wenn Sie uns nicht die genaue Seite angeben. Sind Sie jetzt auf der letzten Seite?
DR. SERVATIUS: Es ist dies eine Zusammenfassung.
VORSITZENDER: Auf welcher Seite lesen Sie jetzt?
DR. SERVATIUS: Auf der letzten Seite, das letzte Blatt rechts, zuerst die Verpflegungsgruppe 1, 2, 3 auf verschiedenen Blättern, und auf dem letzten Blatt ist rechts neben der Gruppe 3, die sich mit den Polen befaßt, eine Zusammenfassung der Kalorien für Ostarbeiter, für. Deutsche und für Polen. Wenn man hier nun gegenüberstellt, in den Kolonnen, die Hohe der Kalorien, dann müßte sich das decken mit dem, was der Zeuge hier gesagt hat. Er hat die Schwerstarbeiter herausgegriffen und gesagt, Deutsche bekommen 5000 Kalorien. Aus der Tabelle ergibt sich, daß sie nur 3839 bekommen, und er sagt, die Ostarbeiter bekommen 2000 Kalorien, während sie nach der Tabelle 2900 bekommen: Also anstatt ein Verhältnis von 5000 zu 2000 Kalorien ist es von 2900 zu 3800 also rund 1000 Kalorien, und nicht wie der Zeuge hier angegeben hat 3000 Kalorien. Ist das richtig? Bleiben Sie bei Ihrer Darstellung. Es ist ein Unterschied zu machen...
VORSITZENDER: Ich habe die Antwort des Zeugen nicht gehört.
MR. DODD: Ich glaube, es wäre dem Gerichtshof und besonders der Anklagevertretung dienlicher, wenn man feststellen könnte, wer diese Tabelle zusammengestellt hat und ob die Zahlen, die hier angegeben sind, auf die Lager zutreffen, die diesem Zeugen unterstanden. Vom bloßen Ansehen kann ich nicht feststellen, wo sie zusammengestellt worden ist, abgesehen von der ersten Seite, wo es heißt:
»Nach der Nahrungstabelle von Dr. Hermann Schall, leitender Arzt des Sanatoriums ›Westend‹. Berechnung der bewirtschafteten Lebensmittel für die Gemeinschaftslager der Fa. Friedr. Krupp...« und so weiter.
Aber diese Dinge können im ganzen zusammengestellt und dem Zeugen vorgelegt werden. Ohne die Vorlage bestimmter Unterlagen halte ich ein solches Kreuzverhör für unzulässig.
DR. SERVATIUS: Ich habe eine eidesstattliche Versicherung, die die Herkunft dieser Tabelle belegen kann.
VORSITZENDER: Haben Sie diese Tabelle schon einmal gesehen?
DR. SERVATIUS: Es ist eine eidesstattliche Erklärung des Zeugen Hahn.
JÄGER: Bin ich gefragt worden, bitte?
DR. SERVATIUS: Das Original hat der Zeuge; es ist da angeheftet; kann ich den Zeugen ersuchen, mir das Dokument zurückzugeben?
JÄGER: Ich wollte eine Erklärung dazu abgeben: Zu Beginn meiner Tätigkeit war die Verpflegung der Ostarbeiter durchaus abweichend von der Verpflegung der übrigen deutschen Bevölkerung und auch von der der sogenannten Westarbeiter, Franzosen, Belgier, und so weiter. Es ergibt sich, daß die Zahlen, wenn es nicht genau festgestellt ist, doch immerhin einen Unterschied von 700 bis 800 Kalorien aufweisen. In der ersten Zeit, ich glaube bis Februar oder März 1943, bekamen ja die Ostarbeiter keine zusätzliche Verpflegung, weder Lang- noch Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen. Die kamen erst nach einem Erlaß von Sauckel, soweit ich mich erinnere, zu Beginn des Jahres 1943. Da wurden die Ostarbeiter, soweit ich mich erinnere, den deutschen Arbeitern in der Verpflegung gleichgestellt und bekamen auch Lang-, Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen, die sie vorher überhaupt nicht bekommen hatten.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie also sagen, diese Tabelle kann stimmen. In Wirklichkeit aber bekamen die Arbeiter das nicht, was in der Tabelle stand. Habe ich Sie so richtig verstanden?
JÄGER: Aus dieser Tabelle geht ja der Unterschied hervor.
DR. SERVATIUS: Es ist ein Unterschied von 3000 Kalorien von Ihnen angegeben worden, während nach der Tabelle sich ein Unterschied von etwa 1000 Kalorien ergibt.
JÄGER: Ich sagte vorher, es gab einzelne Kategorien von Schwerstarbeitern, das waren Feuer- und Bergarbeiter; diese bekamen bis zu 5200 Kalorien. Das war nicht allgemein, das waren nur besondere Facharbeiter, die bis zu 5200 bekamen.
DR. SERVATIUS: Dann ist also nicht korrekt das, was Sie hier sagen, weil Sie es nicht erwähnten. Sie sagen allgemein, daß, während die deutschen Arbeiter, die die schwerste Arbeit leisteten, 5000 Kalorien bekamen, die Ostarbeiter, die dieselbe Arbeit leisteten, nur 2000 Kalorien am Tag erhielten. Das ist doch eine allgemeine Erklärung. Und es geht nicht daraus hervor, daß es sich um Ausnahmen handelt in Bezug auf einzelne Arbeitergruppen. Ist das richtig?
JÄGER: So habe ich das aufgefaßt, und ich glaube, daß Sie es, wie hier steht, verstehen.
VORSITZENDER: Woher kommt diese Tabelle nun, und werden Sie sie unterbreiten?
DR. SERVATIUS: In der eidesstattlichen Versicherung ist diese Behauptung aufgestellt. Und der Zeuge hat damals ja klar gesagt, daß die Schwerstarbeiter, wenn es Deutsche waren, 5000 Kalorien bekamen und wenn sie Ostarbeiter waren, nur 2000 bekamen. Das ist eine klare Erklärung des Affidavits, die ja der Tabelle widerspricht.
VORSITZENDER: Wollen Sie diese Tabelle als Beweismittel einreichen?
DR. SERVATIUS: Jawohl.
VORSITZENDER: Welche Nummer wollen Sie ihr geben?
DR. SERVATIUS: Es wird Beweisstück Nummer 11.
VORSITZENDER: Bezieht sich die eidesstattliche Erklärung auf die Tabelle?
DR. SERVATIUS: Ich fragte wegen des Affidavits, ob es richtig ist?
VORSITZENDER: Nein, ich fragte, ob sich die eidesstattliche Erklärung darauf bezieht und ob sie die Tabelle identifiziert, die der Zeuge eben in der Hand gehabt hat.
DR. SERVATIUS: Ja.
VORSITZENDER: Dr. Servatius! Sie haben eine eidesstattliche Erklärung des Zeugen Walter Hahn hier vorgelegt. Wird in dieser eidesstattlichen Versicherung diese Tabelle erwähnt und wird darin angegeben, woher die Tabelle kommt, von wem sie aufgestellt wurde und worauf sie sich bezieht?
DR. SERVATIUS: Die eidesstattliche Versicherung, die als Dokument D-288 vorliegt, erwähnt die Tabelle nicht, wohl die Versicherung, die ich übergeben habe. Ich habe jetzt verstanden. Es ist die eidesstattliche Erklärung des Zeugen Hahn, dort ist die Tabelle als Anlage beigefügt, und sie wird gedeckt durch die eidesstattliche Versicherung dieses Zeugen. Und dieses Dokument überreiche ich dann zu den Beweisen.
VORSITZENDER: Ich sagte, die eidesstattliche Versicherung von Walter Hahn. Identifiziert sie die Tabelle, und ist sie ihr beigefügt? Auf welcher Seite ist sie? Es sind sieben Seiten. Wir können es nicht finden, wollen Sie uns nicht die Seite nennen?
DR. SERVATIUS: Es ist im deutschen Text die Seite 4.
VORSITZENDER: Gut. Meinen Sie dort, wo es heißt:
»Der Kaloriengehalt dieser Verpflegung ergibt sich aus der von mir aufgestellten Kalorienberechnung, die sich auf die gesamte Kriegsdauer erstreckt.«
Meinen Sie das? Das ist auf Seite 4 unserer Abschrift. Es steht unter Buchstabe »C«, wo es heißt: »Verpflegung der französischen Kriegsgefangenen und der italienischen Militärinternierten«.
DR. SERVATIUS: Es ist dort, wo ich schon sagte, auf Seite 4 des deutschen Textes, wo er sagt, daß die Verpflegungspläne nach Kalorien aufgestellt wurden und wo es heißt:
»Der Kaloriengehalt der Verpflegung ergibt sich aus der von mir aufgestellten Berechnung, die sich auf die ganze Kriegsdauer erstreckt.«
Das ist die Anlage.
VORSITZENDER: Man kann wohl sagen, daß das Dokument beigeheftet ist, aber es bezieht sich mit keinem Wort darauf.
DR. SERVATIUS: Das Dokument ist aber beigeheftet, so daß sich daraus ergibt, daß es dazu gehören muß.
VORSITZENDER: Gut.
DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wollen Sie...
MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich will hier nicht streiten. Aber vielleicht verstehe ich nicht recht. Ich denke, wir müßten wissen, wann diese Tabelle aufgestellt worden ist und von wem. In der eidesstattlichen Versicherung wird von einer Anlage gesprochen. Mag sein, daß sie von diesem Hahn aufgestellt wurde, aber es ist uns noch nicht mitgeteilt worden. Dieser Zeuge hat nicht dahingehend ausgesagt, und der Verteidiger hat uns auch nichts gesagt.
VORSITZENDER: Herr Dodd! Die Situation ist folgende, nicht wahr? Der Mann namens Walter Hahn hat eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, die dieser Tabelle beigeheftet ist. Diese Erklärung ist datiert...
MR. DODD: Ja, 1946...
VORSITZENDER:... nachdem dieser Zeuge die eidesstattliche Erklärung gemacht hat und nach ausführlichen Antworten von ihm in der Beweisaufnahme...
MR. DODD: Ja, was ich völlig klären möchte, ist, daß diese Tabelle, über die der Zeuge im Kreuzverhör vernommen wird, scheinbar nicht zu der Zeit aufgestellt worden ist als er die Verantwortung für diese Lager hatte. Bis jetzt geht aus dem Verhör licht hervor, daß dies der Fall ist. Ich glaube, das dürfte von großer Bedeutung für die Bewertung des durch das Kreuzverhör geführten Beweises sein.
Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß Sauckel sich in seiner Verteidigung darauf berufen hat, daß er mit der Verpflegung und Betreuung der Arbeiter nichts zu tun hatte, nachdem sie in Deutschland waren, sondern daß die DAF dafür verantwortlich gewesen sei. Ich denke, es wäre zweckmäßiger, wenn der Verteidiger dieses klarstellen würde, damit wir wissen, ob er seine Verantwortlichkeit für die Zeit, nachdem die Arbeiter nach Deutschland verbracht worden waren, eingesteht, und ob das der Zweck dieses Kreuzverhörs ist.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Servatius.
DR. SERVATIUS: Herr Präsident!...
VORSITZENDER: Einen Augenblick. Der Gerichtshof ist nicht der Meinung, daß es nötig ist, Ihr Kreuzverhör zu unterbrechen. Sie können fortfahren.
DR. SERVATIUS: Die Anklagebehörde hat soeben diese Behauptung als eine Anklage gegen Sauckel vorgetragen. Wenn die Anklage heute auf dem Standpunkt steht, daß Sauckel für die Vorgänge in den Betrieben nicht verantwortlich ist, sondern der Betriebsführer, und daß er nicht auch für die Kriegsgefangenen verantwortlich war, sondern daß die Wehrmacht dafür verantwortlich ist, dann bin ich in der Lage, auf diesen Zeugen zu verzichten.