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[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Zeuge! Bezüglich der Bekleidung der Ostarbeiter haben Sie Ausführungen gemacht und gesagt, daß sie in denselben Kleidern schliefen, mit denen sie aus dem Osten gekommen waren. Fast alle von ihnen hatten keinen Mantel und waren daher gezwungen, ihre Decken zu gebrauchen – selbst bei kaltem und regnerischem Wetter –, ihre Decken an Stelle von Mänteln zu tragen. War es immer so, oder war es nur vorübergehend? War es eine allgemeine Erscheinung oder nur eine einzelne Beobachtung?

JÄGER: Ich muß, um ein Mißverständnis wie eben zu vermeiden, nochmal erklären:

Bei Beginn meiner Tätigkeit war ich vollständig auf mich allein angewiesen. Da bestand auch keine Lagerführung. Ich hatte selbst niemand, der mit mir zusammenarbeitete. Die Kalorientabelle, ebenso wie die der Kleidung, sind erst nachträglich aufgestellt worden. Die Lagerleitung, die nach Hahn bestand, wenn ich mich recht erinnere, war nur bis Februar oder April 1943. Die Phase, die ich schildern wollte hier, und die ich auch geschildert habe, erstreckt sich immer auf die Zeit des Beginns meiner Arbeit. Zu jener Zeit waren die Bedingungen in der Tat so, wie ich sie beschrieben habe, und ich hatte mich danach zu richten. Das bezog sich auch auf die Kleider, wie ich festgestellt habe. Diese Leute blieben in der Verfassung, wie sie ankamen, soweit es die Kleidung betraf, für einige Zeit, und soweit ich sagen kann, erhielten sie damals nichts.

DR. SERVATIUS: Was wurde dagegen unternommen?

JÄGER: Ich meldete diese Geschichte sobald wie möglich, ich weiß nicht wann, und es sollten dann überall, wie ich sah, Schneiderstuben, Schusterstuben, Handwerkstuben in den Lagern eingerichtet werden, die auch zum Teil eingerichtet waren.

DR. SERVATIUS: Eine Frage: Hat sich im großen dann die Sache erheblich gebessert im Laufe Ihrer Tätigkeit, oder wurde es schlimmer?

JÄGER: Es wurde nicht schlimmer. Nach 1943, nach den ersten schweren Luftangriffen, war natürlich das Durcheinander immer sehr groß. Es verbrannte sehr viel; wenn ich nur daran erinnere, daß in einer Nacht 19000 Leute obdachlos wurden, wo natürlich Kleider und Wäsche, alles verbrannte, so entstanden dadurch natürlich Lücken, die ja erst langsam wieder aufgefüllt worden sind.

DR. SERVATIUS: Wurden diese Zustände durch die Firma Krupp verschuldet oder durch mangelnde Aufsicht von seiten der Arbeitsfront?

JÄGER: Wie gesagt, habe ich die Arbeitsfront nur ein einziges Mal im Lager gesehen. Da machte diese Kommission allerdings Anstände. Es wurde damals – es war im Lager am Krämerplatz – die Firma Krupp mit einer Ordnungsstrafe belegt wegen der Zustände. Das ist aber auch das einzige Mal, daß ich mit der Arbeitsfront überhaupt in Berührung kam.

DR. SERVATIUS: War es dann so, daß die Firma Krupp Widerstand in irgendeiner Weise gegen die Verbesserungen leistete, so daß die Arbeitsfront eingreifen mußte?

JÄGER: Das kann ich nicht sagen; darauf hatte ich keinen Einfluß und wußte nichts darüber, weil ich nur mit den ärztlichen Dingen zu tun hatte und weder zu den Sitzungen der Firma Krupp noch zu denen der Arbeitsfront zugezogen wurde. Ich konnte immer nur melden.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben sich nun zu den. Gesundheitsverhältnissen ebenfalls geäußert und gesagt, daß die Versorgung mit medizinischen Instrumenten, Bandagen, Arzneien und anderen sanitären Bedarfsartikeln in diesen Lagern vollkommen unzureichend war. Ist das so oder sind das auch Ausnahmefälle, oder ist es eine ständige Erscheinung?

JÄGER: So fand ich die Lager im Oktober 1942 und mußte dann langsam aufräumen. Später kam natürlich eine Besserung.

DR. SERVATIUS: Sie sagen hier, daß die Zahl der erkrankten Ostarbeiter doppelt so groß war wie die der deutschen Arbeiter; Tuberkulose war besonders weit verbreitet. Prozentual gab es unter den Ostarbeitern viermal so viel als unter den Deutschen. Ist das richtig?

JÄGER: Das war am Anfang so, als wir die Arbeiter ohne jede ärztliche Untersuchung überhaupt gesandt bekamen. Wenn ich durch die Lager ging, hörte ich von den Lagerärzten – und sah selbst gelegentlich bei Instruktionen –, daß sehr viele Leute erkrankt waren. Die Zahl lag bedeutend höher als bei den Deutschen, soweit ich das damals übersehen konnte.

DR. SERVATIUS: Was wurde dagegen unternommen von der Firma Krupp?

JÄGER: Es wurden dann, nachdem wir feststellten, daß es sich um Tuberkulose handelte, sofort Untersuchungen in großer Anzahl, sogar Röntgenuntersuchungen, vorgenommen, und zwar in erheblichem Maße. Dann wurden die Tuberkulösen ausgeschieden und in eine klinische Behandlung gebracht, und zwar ins Kruppsche Lazarett.

DR. SERVATIUS: Weiter sagten Sie, auch Flecktyphus war unter diesen Arbeitern weit verbreitet.

JÄGER: Damit habe ich mich im besonderen beschäftigt, da wir ungefähr 150 Fälle hatten.

DR. SERVATIUS: In welcher Zeit?

JÄGER: Während der ganzen Zeit von 1942 bis 1945.

DR. SERVATIUS: Wie viele Arbeiter waren da zu dieser Zeit?

JÄGER: O, das wechselte.

DR. SERVATIUS: Nennen Sie eine Zahl, ungefähr.

JÄGER: Gut, wenn ich mich recht erinnere, es mögen ungefähr 23000 oder vielleicht 24000 gewesen sein; vielleicht waren es mehr. Später waren es ungefähr 9000; aber die Zahlen wechselten.

DR. SERVATIUS: Halten Sie das für eine richtige Erklärung, wenn von einer solch großen Zahl im Laufe der langen Zeit 150 Personen Flecktyphus haben, zu sagen, Flecktyphus war unter den Arbeitern sehr verbreitet gewesen?

JÄGER: Ja, wir hatten ja unter der deutschen Bevölkerung überhaupt keinen Flecktyphus. Darum mag natürlich diese Erklärung zu Recht bestehen. Wenn nämlich bei einer Bevölkerung von 400000 oder 500000, wie sie Essen hatte, kein Fleckfieber war und wenn man bei einem Durchschnitt von 20000 150 Fälle hatte, dann kann man das wohl sagen.

DR. SERVATIUS: Mit anderen Worten, Sie halten Ihre Behauptung aufrecht, daß das eine richtige Erklärung ist, daß Typhus verbreitet war. Sie sagen außerdem, daß Träger dieser Krankheiten Wanzen, Läuse, Flöhe und anderes Ungeziefer waren, und diese plagten die Insassen dieser Lager. Trifft dies auf alle Lager zu?

JÄGER: Das war fast in allen Lagern mit Beginn meiner Tätigkeit so. Es wurde dann eine Desinfektionsanstalt von der Firma Krupp errichtet, die gleich in Angriff genommen wurde, sofort zerstört wurde, wieder aufgebaut und wieder zerstört wurde.

DR. SERVATIUS: Dann sagen Sie weiter, in Krankheitsfällen mußten die Arbeiter so lange zur Arbeit gehen, bis sie von einem Lagerarzt arbeitsunfähig geschrieben wurden. Für Arbeiter in den Lagern der Seumannstraße, Grieperstraße, Germaniastraße und Kapitän-Lehmann-Straße wurden keine täglichen Sprechstunden abgehalten. Diese Lager wurden von den zuständigen Lagerärzten nur jeden zweiten oder dritten Tag besucht. Infolgedessen mußten die Arbeiter trotz ihrer Krankheit bis zum Erscheinen eines Arztes zur Arbeit gehen. Ist das richtig?

JÄGER: Daß ein Arbeiter, wenn er nicht vom Arzt krank geschrieben wurde, zur Arbeit mußte, war selbstverständlich. Das war auch bei der deutschen Bevölkerung so. Ich bin selbst Kassenarzt und hatte das in sehr vielen Fällen, wenn einer sich nicht krank meldete, so mußte er zur Arbeit gehen. Da gab es keinen Unterschied.

DR. SERVATIUS: Und Sie sagen hier, daß das in den genannten Lagern so war, daß keine eigentliche Sprechstunde war. Das bedeutete also, daß der Mann sich nicht krankschreiben lassen konnte?

JÄGER: Doch er konnte ja zum Arzt gehen. Gerade weil keine Ärzte da waren, habe ich es so angeordnet, daß, wenn es möglich war, die Leute zu mir in meine Sprechstunde kamen, zu mir persönlich.

DR. SERVATIUS: Sie haben hier aber gesagt...

VORSITZENDER: Ich denke, es ist besser, wir werden uns jetzt vertagen.