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[Zum Zeugen gewandt:]

Nun, was ist denn geschehen?

JODL: Ich glaube, man müßte den Ausdruck »aufziehen« noch erklären. Das deutsche Wort »aufziehen« hat auch etwas Bedenkliches. Es ist gesagt worden, das sei für den Angeklagten Jodl eine typische Bemerkung für eine militärische Ausdrucksweise dieser Zeit; Das heißt nämlich nicht: »etwas vortäuschen«, wie die Anklagebehörde angenommen hat, sondern ich sagte genau so: »Wir müssen, glaube ich, diese Operation ganz anders aufziehen«, das heißt, anders anpacken. Wir sagten: »Ich würde diese Vorführung von neuen Waffen vor dem Führer ganz anders aufziehen«, das heißt zum Beispiel »in einer anderen Reihenfolge, auf eine andere Art«. Also unter uns Soldaten hieß »aufziehen« genau so viel wie »etwas anpacken«, »etwas arrangieren«, aber nicht »etwas vortäuschen«.

PROF. DR. EXNER: Das Wort »aufziehen« hat keinen irgendwie täuschenden Nebensinn, meinen Sie?

JODL: Nein.

VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis

4. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsechsundvierzigster Tag.

Dienstag, 4. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte Jodl im Zeugenstand.]

PROF. DR. EXNER: Herr Generaloberst! Wir haben gestern angefangen, von den Kriegsverbrechen zu sprechen, und ich möchte zuvor noch einige Vorfragen behandeln. Welche Stellung und welche Aufgaben hatten Sie in der Zeit des Krieges?

JODL: Ich hatte die gesamte Generalstabsarbeit zu leisten für die strategische operative Kriegführung. Mir war daneben die militärische Propagandaabteilung unterstellt, der die Zusammenarbeit mit der Presse oblag, und ich hatte als Drittes eine Dienststelle, die, im großen gesprochen, die Nachrichtenmittel auf die einzelnen Wehrmachtsteile zu verteilen hatte. Dieses ganze Aufgabengebiet füllte mich derart aus, daß eine Durcharbeit Nacht für Nacht bis 3.00 Uhr morgens die Regel war. Mich um andere Dinge noch zu kümmern, blieb gar keine Zeit. Ich mußte schon die Zusammenarbeit mit der Presse, die ja täglich informiert werden mußte, fast ausschließlich meinem persönlichen Generalstabsoffizier überlassen.

PROF. DR. EXNER: Diese Aufgaben, von denen Sie eben gesprochen haben, waren alle Aufgaben Ihres Amtes, und das war, nicht wahr, der Wehrmachtführungsstab, dessen Chef Sie waren?

JODL: Dessen Chef ich war.

PROF. DR. EXNER: Und eine Abteilung des Führungsstabes, die erste und wichtigste, war die operative?

JODL: Die operative.

PROF. DR. EXNER: Und das war Ihr Hauptaufgabenkreis. Die Anklage nennt Sie Stabschef des Feldmarschalls Keitel. Was sagen Sie dazu?

JODL: Das ist nicht richtig und ist ja schon durch die Gliederung dargelegt worden, die im Falle des Feldmarschalls Keitel hier vorgelegt wurde. Das ist ein großer Unterschied. Als Stabschef wäre ich ein Gehilfe des Feldmarschalls Keitel gewesen für dessen sämtliche Obliegenheiten. Ich war aber nur der Chef einer der vielen Dienststellen, die dem Feldmarschall Keitel unterstanden.

Es hat sich nun seit dem Jahre 1941 der Brauch herausgebildet, daß ich mit meiner Operationsabteilung dem Führer unmittelbar die gesamten operativen Dinge vortrug, während der Feldmarschall Keitel unter Benützung meiner Quartiermeisterabteilung – also eine Art persönlicher Arbeitsstab – alle übrigen Aufgaben übernahm.

PROF. DR. EXNER: Hatten Sie als Chef des Wehrmachtführungsstabes eine Befehlgewalt?

JODL: Nein, oder besser gesagt, nur über meine Arbeitsstäbe. Ich unterstand dem Feldmarschall Keitel, und auch dieser war nicht Befehlshaber, sondern nur Chef eines Stabes. Aber selbstverständlich habe ich in diesem Kriege viele operative Einzelheiten selbst entschieden und selbst unterschrieben. Es gab darüber niemals den geringsten Konflikt mit den Oberbefehlshabern, weil ich ihr Vertrauen besaß und im allerbesten Einvernehmen mit ihnen arbeitete.

PROF. DR. EXNER: Nun ist es für den Außenstehenden nicht ganz einfach zu verstehen, daß, obwohl Sie keine Befehlsgewalt haben, doch, weiß Gott wie viele Befehle hier vorliegen, die von Ihnen unterschrieben sind, und zwar in verschiedener Weise unterschrieben, teils mit Ihrem ganzen Namen, teils mit einem »J«, dem Anfangsbuchstaben Ihres Namens. Bitte, erklären Sie uns diese Verschiedenheit.

JODL: Man muß unterscheiden: Die Befehle, die der Führer selbst unterschrieben hat; waren sie operativer Art, dann findet sich bei diesen Befehlen am Schluß unten rechts mein Anfangsbuchstabe, das heißt, daß ich an der Formulierung dieses Befehls mindestens mitgearbeitet habe. Dann gab es Befehle, die stammten ebenfalls vom Führer, aber sie waren vom Führer nicht selbst unterschrieben, sondern »im Auftrage Jodl«. Dann hatten sie aber stets zu Beginn den Satz: »Der Führer hat befohlen«, oder der Satz kam im Verlaufe des Befehls vor, es ging ihm eine Präambel voraus, meist eine Begründung, und dann hieß es: »Der Führer hat daher befohlen«.

PROF. DR. EXNER: Und welcher Unterschied besteht jetzt zwischen den zwei Gruppen? Warum waren die einen vom Führer unterschrieben, die anderen nicht unterschrieben, sondern nur von Ihnen?

JODL: Der Unterschied ist lediglich der, daß diese von mir unterschriebenen Befehle von geringerer Wichtigkeit waren.

PROF. DR. EXNER: Nun gibt es aber auch Befehle, welche nicht anfangen mit »Der Führer hat befohlen« und doch von Ihnen unterzeichnet sind. Was ist mit diesen?

JODL: Bei diesen Befehlen lautet die Unterschrift in der Regel: »Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, im Auftrage Jodl.« Das sind Befehle, die gehen von mir aus, daß heißt, ich habe sie formuliert, oder mein Stab hat sie formuliert. Der Führer selbst und Feldmarschall Keitel waren vielleicht darüber unterrichtet, aber nicht immer. Und dann gibt es noch Befehle, da findet man auf der ersten Seite oben rechts meine Paraphe, das sind Befehle von anderen Stellen; mein »J« auf der ersten Seite das bedeutet ausschließlich einen Bürovermerk, daß diese Befehle mir vorgelegen haben. Ein Beweis, daß ich sie gelesen habe, ist das nicht; denn wenn ich beim Überfliegen der ersten Seite gesehen habe, daß es sich um eine Angelegenheit handelt, die meine Arbeit nichts angeht, habe ich den Befehl abgezeichnet und beiseitegelegt, denn ich mußte Zeit sparen.

PROF. DR. EXNER: Nun gibt es noch eine große Gruppe von Dokumenten, die Ihnen teilweise zum schweren Vorwurf gemacht werden, welche nicht Befehle sind, sondern Vortragsnotizen. Erklären Sie, was nun das bedeutet?

JODL: Die Vortragsnotiz war eine Einführung in Höheren Stäben, bestimmt für Menschen, die nicht die Zeit haben Riesenakte zu studieren. Eine Vortragsnotiz enthielt deshalb in ganz kurzer komprimierter Form die Schilderung irgendeines Vorganges, oft die Stellungnahme anderer Dienststellen, manchmal auch einen Vorschlag; aber, was das Entscheidende ist, es war kein Befehl, es war kein Befehlsentwurf, sondern es bildete die Unterlage für einen Befehl.

PROF. DR. EXNER: Vielleicht wird es am besten klar, wenn Sie dem Gericht an Hand des gestern besprochenen Vortragsentwurfs bezüglich der Kommissare dies erklären. Das ist 884-PS, Exhibit USSR-351, gestern schon besprochen, zweiter Band meines Dokumentenbuches, Seite 152.

Bevor Sie anfangen, möchte ich das Gericht auf einen Übersetzungsfehler aufmerksam machen: Da heißt es auf Seite 152 unter I:

»OKH hat einen Entwurf für ›Richtlinien betreffend Behandlung politischer Hoheitsträger und so weiter‹« – betreffend Kommissare – »vorgelegt.«

In der englischen Übersetzung heißt es:

»Army High Command presents a statement.« Es ist ein Entwurf.

Und im Französischen – das ist mir gar nicht recht verständlich – heißt es:

»Confirmation des instructions«. Es müßte offenbar heißen: »Projet«.

Das deutsche Original lautet jedenfalls:

»OKH hat einen Entwurf für Richtlinien betreffend Behandlung politischer Hoheitsträger und so weiter für die einheitliche Durchführung des bereits am 31. 3. 1941 erteilten Auftrages vorgelegt....«

Das sind die Kommissare. Das Ganze ist eine Vortragsnotiz, und bitte erklären Sie jetzt, was das bedeutet?

JODL: Dieses Dokument ist ein typisches Beispiel. Zuerst enthält es den Entwurf einer anderen Dienststelle des OKH, aber auch nicht im Wortlaut, sondern nur in einer kurzen, komprimierten Form. Dann zweitens enthält es unter dem Abschnitt II auf Seite 153 die Auffassung einer anderen Dienststelle, nämlich des Reichsleiters Rosenberg. Dann enthält es einen Vorschlag meines Stabes selbst unter III.

Das Ganze ist also noch lange kein Befehl, sondern es soll ein solcher werden; und auf eine solche Vortragsnotiz habe ich natürlich unzählige von kurzen, ich möchte sagen, saloppen Randbemerkungen gemacht als Stichwort für die weitere Behandlung und Besprechung oder Erledigung dieses ganzen Vorganges. Das kann man also nicht mit denselben Maßen messen, wie die wohlüberlegten Worte, die dann in einem endgültigen Befehl kommen.

PROF. DR. EXNER: Soviel also über die Vortragsnotiz und Ihre Bemerkungen da.

Nun gehen wir über zu dem höchst heiklen Kapitel des Kommandobefehls. Er hat das Gericht schon mehrfach beschäftigt, und er geht ja über die Bedeutung und über die Wirkung dieses Verhandlungssaales noch hinaus, wie wir aus der Zeitung wissen.

Ich möchte von Ihnen etwas über die Vorgeschichte hören. Der Befehl ist 498-PS, US-501. Ich habe ihn nicht in meinem Dokumentenbuch, habe aber Herrn Generalsekretär gebeten, ihn dem Gericht in den verschiedenen Sprachen zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, daß das geschehen ist. Zu diesem Befehl kommt noch ein Erläuterungsbefehl, beide vom Führer unterschrieben. Das ist 503-PS, Exhibit US-542.

MR. ROBERTS: Es ist 498-PS. Es ist im Dokumentenbuch von Keitel und Jodl Nummer 7, Seite 64.

PROF. DR. EXNER: Der erste Befehl ist an die Truppe gerichtet; der zweite ist eine Erläuterung, an die Befehlshaber gerichtet. Der erste Befehl bedroht feindliche Soldaten bei banditenhafter Kampfführung mit der Vernichtung und beruft sich dabei auf den Wehrmachtsbericht. Bitte sagen Sie zunächst, in welchem Zusammenhang steht der Kommandobefehl mit dem Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942?

JODL: Ich bitte das Gericht, daß ich in diesem Ausnahmefall etwas ausführlicher werden darf. Es dreht sich bei diesem Befehl um sehr viel, nicht um mich; meine Person spielt in diesem Prozeß gar keine Rolle. Es dreht sich um die Ehre der deutschen Soldaten und der deutschen Offiziere, die ich hier auch in meiner Person vertrete.

Der Kommandobefehl ist mit dem Zusatz im Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942 untrennbar verbunden, denn es ist der Ausführungsbefehl zu dieser Ankündigung im Wehrmachtsbericht.

PROF. DR. EXNER: Von wem stammten diese Ankündigungen im Wehrmachtsbericht? Wer hat sie verfaßt?

JODL: Dieser Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942 – das heißt, es ist ein Zusatz zum Wehrmachtsbericht – stammte im Hauptteil von mir. Er beschäftigt sich mit der Widerlegung einer Mitteilung des englischen Kriegsministeriums, auf die ich nicht näher eingehen will, denn es ist ein sehr heikler Punkt. Die Anklagebehörde besonders wünscht ihn nicht aufzugreifen.

PROF. DR. EXNER: Nun der Zusatz aber...

VORSITZENDER: Dr. Exner! Wir wissen nicht, zumindest ich habe das Dokument vom 7. Oktober 1942 nicht gesehen. Die Anklagevertretung hat, soviel wir wissen, keine Einwendung gegen irgendeine Antwort auf ein englisches Dokument erhoben.

PROF. DR. EXNER: Ja, ich wollte dieses Dokument vorlegen; es wurden aber Objections gemacht.

VORSITZENDER: Was meint der Angeklagte, wenn er sagt, die Anklagevertretung wünscht nicht, daß er das vorbringt oder darauf antwortet?

PROF. DR. EXNER: Ja, das bedeutet wahrscheinlich, daß wir eben diesen Wehrmachtsbericht nicht vorlegen durften. Aber er kann ja kurz den Inhalt sagen.

VORSITZENDER: Nun, es mag eine Frage der Übersetzung sein. Wenn er aber nur meint, daß von der Anklagebehörde kein Beweismaterial zu diesem Gegenstand vorgelegt wurde, so ist nichts dagegen einzuwenden, daß er das sagt. Aber wenn er behauptet, daß die Anklagevertretung nicht wünscht, daß er die Sache vorlegt oder zu dem Dokument Stellung nimmt, so ist das eine ganz unangemessene Erklärung.

PROF. DR. EXNER: Ah so, ja.