HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Aber vielleicht sagen Sie, was der Sinn war, warum wir diese Spannungsstufen übernommen haben, was der geistige Gedanke dabei war.

JODL: Der Zweck war der, ein Mittel zu haben – was ja in Europa zu dieser Zeit allgemein üblich war –, um eine erhöhte Kriegsbereitschaft herzustellen, bevor man den öffentlichen Mobilmachungsbefehl erließ.

PROF. DR. EXNER: Hatte der Reichsverteidigungsausschuß mit der Aufrüstung zu tun?

JODL: Nein, er hatte mit der Aufrüstung gar nichts zu tun.

PROF. DR. EXNER: Hatte der Reichsverteidigungsausschuß mit politischen Plänen oder Absichten zu tun?

JODL: Auch mit politischen Problemen hat er sich in keiner Weise befaßt.

PROF. DR. EXNER: Aber doch immerhin mit dem Fall eines Krieges?

JODL: Nur mit dem Fall der Mobilmachung.

PROF. DR. EXNER: Aha, wobei ein bestimmter Kriegsfall nicht...

JODL: Für jeden Kriegsfall brauchte man eine Mobilmachung, für jeden Krieg, der überhaupt möglich war.

PROF. DR. EXNER: Sie waren im Ausschuß mit den Mobilmachungsbüchern befaßt, stimmt das?

JODL: Ja. Ich glaube, ich habe schon auseinandergesetzt, daß in diesen Büchern eben alle Einzelheiten jeder Obersten Reichsbehörde, in Spannungsstufen gegliedert, mit Kennzeichen versehen, festgelegt wurden.

PROF. DR. EXNER: Ja, Sie sagen jeder Obersten Reichsbehörde. Was meinen Sie damit?

JODL: Ich meine sämtliche Ministerien.

PROF. DR. EXNER: Also alle Zivilbehörden.

JODL: Alle Zivilbehörden. Deren Vorbereitungen mußten ja in Übereinstimmung gebracht werden mit den militärischen.

PROF. DR. EXNER: Worin bestanden die Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone?

JODL: Die Vorbereitungen in der entmilitarisierten Zone befaßten sich ausschließlich mit der Räumung, also der Preisgabe des westrheinischen Gebietes im Falle einer französischen Besetzung.

PROF. DR. EXNER: Ich glaube, das ist schon sehr deutlich besprochen worden. Ich weise diesbezüglich auf EC-405, GB-160 hin; das ist Seite 11 unseres Dokumentenbuches im ersten Band, wo von der zehnten Sitzung die Rede ist. Nun wird Ihnen aber vorgeworfen, Sie hätten strengste Geheimhaltung vorgeschrieben bei diesen Vorbereitungen, die doch nach Ihrer Schilderung rein defensiver Natur waren. Warum geschah das?

JODL: Die Geheimhaltung derartiger Maßnahmen ist in der ganzen Welt selbstverständlich. Bei uns in Deutschland war es besonders wichtig, weil nämlich die zivilen Behörden seit Jahren gar nicht mehr gewohnt waren, sich mit militärischen Dingen zu befassen, und weil es mir besonders wichtig erschien, daß im Ausland nicht eine falsche Auffassung – sagen wir durch Erbeutung eines solchen Befehls – entstehen würde, ein Mißverständnis, wie es besonders charakteristisch hier in diesem Prozeß ja aufgetreten ist, nämlich über den Begriff »Freimachen des Rheins«.

PROF. DR. EXNER: Warum befahlen Sie besondere Vorsicht? Um das Ausland nicht zu beunruhigen?

JODL: Wir waren in dieser Zeit im Zustand einer noch größeren Schwäche als zu Zeiten des Hunderttausend-Mann-Heeres. Dieses Hunderttausend-Mann- Heer war nämlich jetzt aufgesplittert in Hunderte von kleinen Grüppchen. Es war die Zeit unserer allergrößten Ohnmacht, und in dieser Zeit mußte man wirklich sorgfältigst jegliche Spannung mit dem Ausland vermeiden.

PROF. DR. EXNER: Welcher Art waren die militärischen Pläne jener Zeit?

JODL: Ich sagte schon, es gab die Kampfanweisung für den Grenzschutz Ost, und dann bearbeitete ich in dieser Zeit noch eine Kampfanweisung für den Befehlshaber in Ostpreußen für den Fall, daß er durch einen plötzlichen Überfall Polens vom Reich abgeschnitten würde.

PROF. DR. EXNER: Wußten Sie von irgendwelchen deutschen Angriffsabsichten in jener Zeit?

JODL: Davon war überhaupt keine Rede und kein Gedanke daran.

PROF. DR. EXNER: Dazu möchte ich aus der zwölften Sitzung des Reichsverteidigungsausschusses einen Satz nur vorlesen, und zwar Seite 14 des ersten Bandes unseres Dokumentenbuches EC-407, GB-247. Bei dieser Sitzung sagte Oberstleutnant Wagner OKH – wer was das?

JODL: Das war der spätere Generalquartiermeister.

PROF. DR. EXNER: Er sagte:

»Der Ausgang des Krieges« – nämlich des letzten Krieges – »hat eine völlig veränderte militärpolitische Lage für den Fall eines nächsten Krieges hinterlassen, nämlich die Notwendigkeit, ihn im eigenen Lande zu führen.«

Das sagt er am 14. Mai 1936. Was würden Sie entnehmen aus diesem Satze?

JODL: Ja, man würde vielleicht sagen...

VORSITZENDER: Dr. Exner! Das ist doch sicherlich eine Erklärung von jemand anderem, und diese Erklärung spricht für sich selbst. Dieser Zeuge kann uns das nicht erläutern.

PROF. DR. EXNER: [zum Zeugen gewandt] Ja, nun sagen Sie, haben Sie im Truppenamt und später bei der Landesverteidigung mit der Aufrüstung zu tun gehabt?

JODL: Mit der Aufrüstung im eigentlichen Sinne hatte ich persönlich gar nichts zu tun. Sie war Sache der Wehrmachtsteile, also Heer, Marine, Luftwaffe, wurde von deren Organisationsabteilungen bearbeitet und von den Oberbefehlshabern mit dem Führer unmittelbar besprochen. Daß aber auch meine Generalstabsarbeit zum Wiederaufbau der Deutschen Wehrmacht beigetragen hat, das hoffe ich und will ich nicht bestreiten.

PROF. DR. EXNER: Ihr Tagebuch 1780-PS enthält auch nirgends ein Wort über Aufrüstung. Sie haben sich also offenbar damals nicht mit diesem Problem befaßt. Wie dachten Sie zur Frage der Aufrüstung? Ich meine, waren Sie positiv eingestellt gegenüber der Aufrüstung?

JODL: Ich war damals der Auffassung wie meine Vorgesetzten; und es ist charakteristisch, daß am Tage vor der Erklärung, daß 36 Divisionen aufgestellt würden, sowohl Blomberg wie Fritsch dem Führer vorschlugen, doch nur 24 Divisionen aufzustellen. Sie fürchteten eine Verwässerung des ganzen Heeres. Sie fürchteten vielleicht auch eine zu stürmische Außenpolitik, auf Kräfte gestützt, die nur auf dem Papier standen.

PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, eine mir wichtig erscheinende Frage: Mit welchen Terminen rechnete man denn damals bei der Aufrüstung im Jahre 1935?

JODL: Es waren verschiedene Stufungen vorgesehen. Die erste Stufe bis 1942/1943, den Westwall wollte das Heer bis 1945 im wesentlichen, im Jahre 1952 ganz zu Ende haben, und der Aufbauplan der Marine erstreckte sich auf die Jahre bis 1944/1945.

PROF. DR. EXNER: Was war denn nach Ihrer damaligen Anschauung der Sinn der Aufrüstung?

JODL: Nachdem eine Abrüstung nicht zustandegekommen war, war das Ziel, die militärische Parität gegenüber den Nachbarländern Deutschlands herzustellen.

PROF. DR. EXNER: Ich möchte hier in diesem Zusammenhang auf eine Urkunde hinweisen, die schon vorgelegt worden ist, nämlich den Zweijahresbericht des Generals George Marshall; er ist schon vorgelegt worden, und zwar als »Raeder Nummer 19«. Ich habe hier einen Teil, den ich benützen wollte, unter AJ-3, Jodl-56, vorgelegt, und zwar Seite 168. Zur Frage der Aufrüstung scheinen mir einige Sätze zu stehen, die den Nagel auf den Kopf treffen; zweiter Absatz, Seite 6, letzter Satz:

»Die Welt nimmt die Wünsche der Schwachen nicht ernst. Schwäche ist eine zu große Versuchung für die Starken, vor allem für die Gewalttäter, die nach Macht und Reichtum streben.«

Und dann auf der nächsten Seite noch ein Satz:

»Wir müssen vor allem, scheint mir, das tragische Miß verständnis berichtigen, daß eine Sicherheitspolitik eine Kriegspolitik ist.«

Sagen Sie, wie war damals unser militärisches Stärkeverhältnis zum Ausland?

JODL: Als wir im Jahre 1935 36 Divisionen aufstellten, da besaßen Frankreich, Polen und die Tschechoslowakei 90 Friedensdivisionen und 190 Divisionen im Kriege. Wir hatten kaum eine schwere Artillerie, und die Panzerwaffe war erst in den primitivsten Anfängen. Es ist hier verschiedentlich von dem Begriff defensiver und offensiver Rüstung gesprochen worden. Es würde zu weit führen, darauf einzugehen. Ich möchte nur sagen, daß es für Deutschland in seiner geographischen Lage diesen Begriff nicht gab. Auch die Abrüstungskonferenz ist nach monatelangen Verhandlungen an dieser Begriffsdefinition gescheitert.

PROF. DR. EXNER: Dazu möchte ich einen Sachverständigen zitieren, wieder George Marshall, Seite 168 meines Dokumentenbuches, aus dem ich gerade verlesen habe, auch wieder nur einen Satz, nämlich im ersten Absatz:

»Die einzige erfolgreiche Verteidigung, die eine Nation jetzt aufrechterhalten kann, ist die Kraft des Angriffs...«

Nun behauptet aber die Anklage, Sie hätten wissen müssen, daß eine so ungeheuere Aufrüstung wie die deutsche überhaupt nur einem Angriffskrieg dienlich sein kann. Was meinen Sie?

JODL: Das ist, glaube ich, nur aus militärischer Unkenntnis zu erklären. Wir waren bis zum Jahre 1939 zwar in der Lage, Polen allein zu zerschlagen, aber wir waren niemals – weder 1938 noch 1939 – eigentlich in der Lage, einem konzentrischen Angriff dieser Staaten gemeinsam standzuhalten. Und wenn wir nicht schon im Jahre 1939 zusammenbrachen, so kommt das nur daher, daß die rund 110 französischen und englischen Divisionen im Westen sich während des Polenfeldzuges gegenüber den 23 deutschen Divisionen völlig untätig verhielten.

PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, wann kam es dann wirklich zu einer starken Aufrüstung?

JODL: Die wirkliche Aufrüstung wurde erst nach Kriegsbeginn durchgeführt. Wir traten in diesen Weltkrieg ein mit etwa 75 Divisionen. 60 Prozent unserer gesamten wehrfähigen Bevölkerung waren unausgebildet, das Friedensheer war etwa 400000 Mann stark gegenüber fast 800000 Mann im Jahre 1914. Die Vorräte an Munition und an Bomben – der Zeuge Milch hat davon schon gesprochen – waren geradezu lächerlich.

PROF. DR. EXNER: Dazu möchte ich eine Tagebuchnotiz von Ihnen verlesen, Seite 16 des ersten Bandes meines Dokumentenbuches, das ist 1780-PS, USA-72. Da schreiben Sie am 13. Dezember:

»Generalfeldmarschall trägt nach der Zusammenstellung der L« – also der Landesverteidigung – »den Stand des Kriegspotentials der Wehrmacht vor, dessen größter Engpaß in der schlechten Munitionsbevorratung des Heeres 10 bis 15 Kampftage = 6 Wochen Vorrat liegt.«

JODL: Also 10 bis 15 Kampftage hatten wir Munition.

PROF. DR. EXNER: Nun komme ich zur Frage der Rheinlandbesetzung.

VORSITZENDER: Wir machen jetzt eine Pause.