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[Pause von 10 Minuten.]

PROF. DR. EXNER: Herr Generaloberst! Wann hörten Sie zum erstenmal von, Plänen zur Rheinlandbesetzung?

JODL: Am 1. oder 2. März 1936, also etwa sechs Tage vor der tatsächlichen Besetzung. Früher konnte ich davon auch nicht hören; denn früher war der Entschluß beim Führer selbst nicht gefaßt.

PROF. DR. EXNER: Bestanden bei Ihnen und den Generalen militärische Bedenken gegen diese Besetzung?

JODL: Ja, ich muß sagen, daß uns etwa so unheimlich zumute war, wie einem Spieler, der sein ganzes Vermögen im Roulette auf Rot oder Schwarz setzt.

PROF. DR. EXNER: Hatten Sie rechtliche Bedenken?

JODL: Nein, ich war weder ein Völkerrechtler noch war ich Politiker. Es war politisch ausgesprochen, daß diese Paktverflechtung zwischen der Tschechoslowakei, Rußland und Frankreich den Locarno-Pakt illusorisch gemacht hätte. Das nahm ich zunächst als eine Tatsache hin.

PROF. DR. EXNER: Wie stark waren unsere Truppen im Rheinland nach der Besetzung?

JODL: Wir besetzten das Rheinland im ganzen mit rund einer Division, wovon aber nur drei Bataillone in das westrheinische Gebiet vorgeschoben wurden, nämlich je ein Bataillon nach Aachen, nach Trier und nach Saarbrücken.

PROF. DR. EXNER: Drei Bataillone, das ist eigentlich nur eine Besetzung von symbolischer Bedeutung?

JODL: Ja, sie benahmen sich auch nur symbolisch.

PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, haben Sie etwas getan, um einen militärischen Konflikt wegen dieser Besetzung zu vermeiden?

JODL: Es kamen damals sehr ernste Meldungen von unseren Militär-Attachés aus London und Paris, deren Eindruck ich mich auch nicht entziehen konnte, und wir schlugen damals dem Feldmarschall Blomberg vor, doch vielleicht zu erörtern, diese drei Bataillone westrheinisch zurückzuziehen, wenn dafür die Franzosen etwa das Vier- und Fünffache von ihrer Grenze zurückziehen würden.

PROF. DR. EXNER: Ist dieser Vorschlag gemacht worden?

JODL: Der Vorschlag ist dem Führer gemacht worden. Der Führer hat ihn aber abgelehnt. Er hat aber ganz schroff den Vorschlag des Generals Beck abgelehnt, zu erklären, daß wir das westrheinische Gebiet nicht befestigen würden. Das war ein Vorschlag von General Beck, den der Führer schroff ablehnte.

PROF. DR. EXNER: Meinten Sie, daß damals irgendwelche Angriffsabsichten mit dieser Aktion verbunden seien.

JODL: Nein, von Angriffsabsichten konnte gar keine Rede sein.

PROF. DR. EXNER: Warum nicht?

JODL: Ich kann nur sagen, in dieser Lage hätte uns allein die französische armée de couverture hinweggeblasen.

PROF. DR. EXNER: Glauben Sie, daß bei den maßgeblichen Leuten damals Angriffsabsichten vorhanden waren?

JODL: Nein, es bestanden bei niemandem Angriffsabsichten; aber es ist natürlich möglich, daß im Gehirn des Führers mit dieser Besetzung bereits der Gedanke vorhanden war, das sei eine Voraussetzung, damit er später aktiv im Osten handeln könne. Das ist möglich, ich weiß es nicht, denn ich bin nicht im Gehirn des Führers gesessen.

PROF. DR. EXNER: Sie hatten auch kein äußerliches Zeichen dafür?

JODL: Nein, keinerlei.

PROF. DR. EXNER: Kannten Sie das sogenannte Hitler-Testament vom 5. November 1937, das hier vorgetragen wurde?

JODL: Ich habe es zum erstenmal hier im Gerichtssaal gehört.

PROF. DR. EXNER: Was hörten Sie denn damals darüber?

JODL: Der Feldmarschall von Blomberg orientierte den General Keitel und dieser orientierte mich, daß eine Besprechung beim Führer stattgefunden hätte. Auf meine Frage nach einem Protokoll wurde mir erklärt, es sei kein Protokoll geführt worden. Das stelle ich unter Beweis durch Eintragungen in mein Tagebuch, da steht es drin, Dokument 1780-PS. Das, was mir gesagt worden ist, war überhaupt nichts Sensationelles und unterschied sich kaum von dem, was bisher in der allgemeinen Anweisung für die Vorbereitung eines Krieges bereits festgelegt war. Ich kann nur annehmen, daß der Feldmarschall Blomberg damals diese Dinge für sich behalten hat, an deren Ausführung er vielleicht selbst nicht glaubte.

PROF. DR. EXNER: Gab es einen Aufmarschplan gegen Österreich?

JODL: Es gab keinen Aufmarschplan gegen Österreich, das muß ich hier ausdrücklich feststellen.

PROF. DR. EXNER: Nun kommen wir zu dem Dokument C-175, Exhibit Nummer US-69. Das ist eine Weisung in dem Dokumentenband, erstes Buch Seite 18 und folgende für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht vom Jahre 1937. Der Ankläger hat seinerzeit aus dieser Weisung nur den Fall »Otto« verlesen, so daß der Anschein entstehen mußte, das Ganze sei ein Aufmarschplan gegen Österreich. Erklären Sie die Bedeutung dieser Weisung.

JODL: Diese Weisung war eine jener typischen einheitlichen Kriegsvorbereitungen für jeden denkbaren Fall. Solche Anweisungen gab es in Deutschland jedes Jahr, seit es überhaupt einen Generalstab und eine allgemeine Wehrpflicht gibt; und diese theoretische militärische Arbeit unterschied zwei Fälle, nämlich solche Kriegsfälle, die ihrer Natur nach politisch wahrscheinlich waren oder wahrscheinlich sein konnten, und solche, die unwahrscheinlich waren. Für die ersteren sollte ein Aufmarsch bearbeitet werden durch das Heer und die Luftwaffe. Für die letzteren sollte man nur Überlegungen anstellen, und wenn das Gericht auf Seite 21 dieses Dokuments geht am Schluß dieser Seite, Teil 3, so findet es den Satz:

»Folgende ›Sonderfälle‹ sind innerhalb des Oberkommandos im allgemeinen ohne Beteiligung von Außenstellen zu durchdenken.«

Und unter diesen Fällen erscheint der Sonderfall »Otto« auf Seite 22.

PROF. DR. EXNER: Und auf Seite 18 dieses Dokuments ist eine Weisung, die gültig ist vom 1. Juli 1937 bis voraussichtlich 30. September 1938, also etwas mehr als ein Jahr. Sie löst wiederum eine frühere derartige Weisung ab, wie sie im ersten Absatz steht, die vorher für dieselben Probleme bearbeitet worden ist. Haben Sie an Besprechungen über den Fall Österreich teilgenommen?

JODL: Nein, ich habe an keinerlei Besprechungen teilgenommen.

PROF. DR. EXNER: Der Trialbrief sagt, Sie seien am 12. Februar 1938 in Obersalzberg gewesen. Keitel hat dies bereits berichtigt. Ihre Eintragung im Tagebuch vom 12. März 1938 beruht demnach nur auf einem Bericht, den Sie von Keitel bekamen. Ist das richtig?

JODL: Ja, es ist nur der Niederschlag einer kurzen Erzählung, die mir der General Keitel über diesen Tag gemacht hat, die vielleicht sogar etwas farbenfroh ausgeschmückt war.

PROF. DR. EXNER: Da heißt es am 11. Februar, abends:

»General Keitel mit General v. Reichenau und Sperrle in Obersalzberg. Schuschnigg mit G. Schmidt werden unter schwersten politischen und militärischen Druck gesetzt.«

Hier steht in der englischen und französischen Übersetzung:

»Schuschnigg mit G. Schmidt werden wieder unter schwersten politischen und militärischen Druck gesetzt.«

Dieses »wieder« ist in meinem deutschen Original nicht vorhanden.

Nun, haben Sie Täuschungsmanöver gegen Österreich vorgeschlagen? Das wird Ihnen verübelt.

JODL: Ich habe keine Täuschungsmanöver vorgeschlagen. Die hat der Führer befohlen. Sie sind auch, glaube ich, gar nicht rechtswidrig; und ich glaube, daß im Spielsaal der Weltgeschichte, in der Politik und in der Kriegführung immer mit falschen Karten gespielt wird. Aber der Führer hatte sie befohlen, das steht auch in dem Tagebucheintrag. Ich habe militärische Unterlagen an Canaris geliefert, nämlich, wo unsere Garnisonen sind, welche Übung zur Zeit stattfindet. Canaris hat sie bearbeitet und hat sie dann in München ausgelöst.

PROF. DR. EXNER: Was meinten Sie, daß der Zweck dieser...

JODL: Ja, als Zweck war mir angegeben, einen gewissen Nachdruck auszuüben, daß sich Schuschnigg an die Vereinbarungen von Obersalzberg auch hält, wenn er wieder zu Hause ist.

PROF. DR. EXNER: Wie lange vor dem Einmarsch haben Sie von den Einmarschabsichten gehört?

JODL: Ich habe zum erstenmal am 10. März, vormittags gegen 11.00 Uhr, davon gehört.

PROF. DR. EXNER: Der Einmarsch war?

JODL: Der Einmarsch war am 12. Als der General Keitel und der General Viehbahn, der damals vorübergehend Chef des Wehrmachtführungsstabes war, überraschend in die Reichskanzlei bestellt wurden, hörte ich zum erstenmal von dieser Absicht.

PROF. DR. EXNER: Und Sie ließen sich dann eine Ausarbeitung machen, oder wie war das?

JODL: Dort hörten sie überraschend durch den Führer, daß es sich um das Problem Österreich drehe, und da erinnerten sie sich, daß es ja eine Generalstabsarbeit »Otto« gibt und ließen mich mit dieser Anweisung nachkommen; sie erfuhren dann von mir, daß zwar eine solche Anweisung bestand, daß aber praktisch gar nichts vorbereitet war, denn sie war ja nur zu durchdenken und war nur für den Fall einer österreichischen Restauration vorgesehen und, da eine solche nicht in Aussicht stand, hatte praktisch das Oberkommando des Heeres gar nichts gemacht.

PROF. DR. EXNER: Wie faßten Sie denn selbst die ganze österreichische Aktion auf?

JODL: Mir erschien es als ein Familienzwist, der sich in ganz kurzer Zeit in Österreich innerpolitisch von selbst lösen würde.

PROF. DR. EXNER: Und worauf gründete sich diese Anschauung?

JODL: Diese Auffassung gründete sich auf meine persönlich sehr guten Kenntnisse von Österreich, mit dem ich durch Verwandtschaft und Bekanntschaft und durch den deutsch-österreichischen Alpenverein als Kenner der sämtlichen österreichischen Berge ja viel mehr verflochten war wie mit dem deutschen Norden, und ich wußte, daß in diesem Lande tatsächlich seit langer Zeit gegen den Willen des Volkes regiert wurde, wofür der Bauernaufstand in der Steiermark ein charakteristisches Beispiel war.

PROF. DR. EXNER: War der Einmarsch eine Ausführung des Vorschlags C-175?

JODL: Nein, der Einmarsch wurde vollkommen improvisiert in wenigen Stunden. Das Ergebnis war auch danach. Es blieben nämlich 70 Prozent der ganzen Panzerwagen und Kraftfahrzeuge auf der Straße Salzburg-Wien und Passau-Wien liegen, weil die Kraftfahrer mitten aus der Rekrutenausbildung heraus vor diese Aufgabe gestellt wurden.

VORSITZENDER: Angeklagter! Sie haben gerade erklärt, daß der Führer Ihnen gesagt habe, dies sei das österreichische Problem. Sie haben das doch gesagt, nicht wahr?

JODL: Ich sagte, daß der Führer den General Keitel und den General von Viehbahn am 10. März, vormittags, orientiert hat. Mit mir hat er nicht gesprochen und ich habe bis zu diesem Tag auch den Führer noch nicht gesprochen.

VORSITZENDER: Ich wollte nur das Datum wissen. Am 10. März sagten Sie?

JODL: Am 10. März, vormittags.

PROF. DR. EXNER: Ist es richtig, daß lediglich Friedensformationen in die Grenzgebiete einmarschiert sind, in die österreichischen Gebiete einmarschiert sind?

JODL: Ja, es sind tatsächlich nur die Friedensformationen, die für die Parade in Wien bestimmt waren, endgültig eingerückt. Alle eventuellen für eine militärische Auseinandersetzung, vielleicht auch mit der Tschechoslowakei oder Italien, vorgesehenen Aufstellungen wurden im letzten Augenblick angehalten und haben die Grenze nicht überschritten.

PROF. DR. EXNER: Also, Munitionskolonnen beispielsweise?

JODL: Nein, alles zurückgeblieben.

PROF. DR. EXNER: Gab es im letzten Augenblick noch ein Schwanken in der politischen Führung bei dieser Sache?

JODL: Ich erhielt am 11. März, nachmittags, aus der Reichskanzlei die Mitteilung, daß die Wehrmacht nicht einrücken würde, sondern daß die Polizei durch die bereitgestellte Wehrmacht hindurchmarschieren und allein einrücken sollte. Aber abends, am 11. März, um 20.30 Uhr wurde mir die endgültige Entscheidung übermittelt, daß die Wehrmacht doch einrücken würde. Den Grund für diese Schwankungen habe ich nicht erfahren.

PROF. DR. EXNER: Es handelt sich also im ganzen nicht um einen gewaltsamen Einmarsch?

JODL: Nein, es handelt sich um einen reinen Friedensmarsch, charakterisiert dadurch, daß ich dem Chef der Operationsabteilung des Heeres vorgeschlagen habe: »Nehmen Sie die Musikkorps an die Spitze und lassen Sie alle Kraftfahrer unbedingt Brillen aufsetzen, sonst werden ihnen durch die Blumen die Augen ausgeworfen.«

PROF. DR. EXNER: Welche Bedeutung hatte der von Ihnen abgezeichnete Einmarschbefehl? Und zwar haben Sie den Einmarschbefehl C-182, USA-77 vorgelegt bekommen. Sie können sich erinnern?

JODL: Ja, ich erinnere mich. Das ist nichts anderes, als die aktenmäßige Niederlegung dessen, was längst vorher mündlich befohlen war und schon in der Ausführung begriffen war. Dieser schriftliche Befehl wäre ja viel zu spät gekommen.

PROF. DR. EXNER: Und welche Bedeutung hat das Dokument C-103. Das ist USA-75 und betrifft einen eventuellen Zusammenstoß mit tschechischen Truppen oder mit italienischen Truppen auf österreichischem Gebiete. Wieso kamen Sie dazu?

JODL: Das beruhte auf einer Anfrage des Generalstabs des Heeres. Er wollte für jeden Fall – auch für den unwahrscheinlichsten – wissen, wie sich die Truppe zu verhalten hätte. Darauf erklärte ich das telephonisch über den General Schmundt beim Führer, und dessen Entscheidung habe ich dann hier schriftlich in seinem Auftrag niedergelegt.

PROF. DR. EXNER: Nun, wie verlief die Aktion tatsächlich?

JODL: Sie verlief genau, wie erwartet. Es war ein Jubel- und Triumphzug, wie er wahrscheinlich selten in der Geschichte stattgefunden hat, wenn man auch heute recht ungern das noch wissen will. Die Bevölkerung kam in der Nacht schon entgegen, die Zollschranken fielen, die Grenzbäume wurden niedergelegt und daher nannte die ganze deutsche Truppe diesen Einmarsch nur den »Blumenkorso«.

PROF. DR. EXNER: Wir kommen jetzt zu der Frage der Tschechoslowakei. Haben Sie an den Besprechungen vom 21. April 1938 und vom 28. Mai 1938, welche von der Anklage als »Verschwörerkonferenzen« betrachtet werden, teilgenommen?

JODL: Ich habe an keiner dieser Besprechungen teilgenommen.

PROF. DR. EXNER: Welcher Art waren damals Ihre Generalstabsarbeiten für den Fall »Grün«? »Grün« war ja der Fall Tschechoslowakei.

JODL: Ich muß dabei wieder zurückgreifen auf das Dokument C-175, Seite 17 des ersten Dokumentenbuches. In dieser allgemeinen Anweisung für eine einheitliche Kriegsvorbereitung waren die zwei Hauptfälle bearbeitet oder zu bearbeiten: Ein Defensivaufmarsch gegen ein den Krieg eröffnendes Frankreich, der Fall »Rot«. Und ein Offensivaufmarsch, Fall »Grün«, gegen die Tschechoslowakei. Das wäre genau so bearbeitet worden, auch wenn wir keinen akuten Konfliktfall mit der Tschechoslowakei gehabt hätten, denn ein Zweifrontenkrieg, vor dessen Problem wir ja immer standen, war niemals anders zu führen noch zu gewinnen, als durch einen Angriff gegen den Schwächeren. Diese Weisung wurde nun oder mußte im Abschnitt Fall »Grün« in dem Augenblick neu bearbeitet werden, als Österreich automatisch als neuer Aufmarschraum dazu gekommen war. Und so entstand am 20. Mai 1938 eine neue Entwurfsfassung für den Fall »Grün«, von mir entworfen, die mit den Worten, die bisher üblich waren, beginnt:

»Es liegt nicht in meiner Absicht, die Tschechoslowakei ohne Herausforderung schon in nächster Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen...«

PROF. DR. EXNER: Warten Sie! Dieses Zitat ist in 388-PS, US-26, das Dokument vom 20. Mai 1938.

»Es liegt nicht in meiner Absicht, das Tschechoslowakei ohne Herausforderung schon in nächster Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen...«

Nun, bitte fortzusetzen.

JODL: Das war am 20. Mai. Am 21. Mai, also am Tage danach, ereignete sich ein ungeheuerlicher Zwischenfall. Die Tschechoslowakei machte nämlich nicht nur mobil, sondern sie marschierte sogar an unseren Grenzen auf. Der tschechoslowakische Generalstabschef erklärte Toussaint das damit, daß zwölf deutsche Divisionen in Sachsen aufmarschiert seien. Ich kann nur feststellen, und meine Tagebucheinträge beweisen das, es war nicht ein deutscher Soldat bewegt worden. Es war nichts, aber auch gar nichts geschehen.

PROF. DR. EXNER: Hier wäre hinzuweisen auf einen Fragebogen AJ-9, und zwar ist das ein Fragebogen, der an den General Toussaint, den damaligen, deutschen Militär-Attaché in Prag gerichtet war. Der bestätigt die damalige Mobilmachung, dritter Band 199; auf Seite 201 unten wird gefragt:

»Was war der Grund für die tschechoslowakische Mobilmachung im Mai 1938?«

Und darauf sagte er:

»Meine persönliche Ansicht ist, daß die Tschechoslowakische Regierung eine klare Stellungnahme der politischen Verbündeten erzwingen wollte. Vom tschechoslowakischen Chef des Generalstabs Krejci wurde mir als Grund für die Mobilmachung mitgeteilt, daß er genaue Nachrichten darüber habe, daß im Raum um Dresden 10 bis 12 deutsche Divisionen aufmarschiert seien und daß er es nicht mehr länger verantworten könne, keine Gegenmaßnahmen zu ergreifen.«

Und demgegenüber wäre jetzt noch eine Tagebuchnotiz von Jodl in Band 1, Seite 26 anzuführen:

»Die Absicht des Führers, das tschechoslowakische Problem noch nicht anzurühren, wird durch den tschechischen Aufmarsch vom 21. 5., der ohne jede deutsche Bedrohung und ohne jeden auch nur scheinbaren Anlaß vor sich geht, geändert. Er führt in seinen Folgeerscheinungen durch das Stillhalten Deutschlands zu einem Prestigeverlust des Führers, den er nicht noch einmal hinzunehmen gewillt ist. Daher ergeht am 30. 5. die neue Weisung für ›Grün‹.«

Das ist also aus dem Tagebuch Jodls, Seite 26, erster Band. Bitte, jetzt setzen Sie fort.

JODL: Das war also die Mitteilung, die ich, sei es durch den General Keitel, sei es durch den damaligen Major Schmundt, über den Eindruck beim Führer bekommen hatte. Die Folge davon war, daß er persönlich meinen Entwurf vom 20. Mai abänderte und an den Anfang die Worte setzte:

»Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen. Den politisch und militärisch geeigneten Zeitpunkt abzuwarten oder herbeizuführen ist Sache der politischen Führung.«

PROF. DR. EXNER: Diese Worte kommen vor in dem früher schon zitierten Dokument 388-PS, US-26, und zwar in dem Befehl vom 30. 5.1939. Nun sagen Sie kurz, was war der Inhalt dieser Weisung?

JODL: In dieser Weisung vom 30. Mai waren durch den Führer drei Fälle genannt, wie ein Konflikt mit der Tschechoslowakei entstehen könnte, nämlich: Ohne Anlaß politisch ausgeschlossen und nicht möglich; nach einer längeren Spannungszeit sehr unerwünscht, weil das militärische Moment der Überraschung wegfällt; am besten nach einem Zwischenfall – wie sie zu dieser Zeit schon beinahe täglich vorkamen –, der uns moralisch auch gegenüber der Welt die Berechtigung zu einem Einschreiten gibt. Es war dann weiter die Forderung erhoben, daß das Heer am ersten Tage durch die Befestigungen durchbrechen müsse, um damit den beweglichen Kräften, den Panzerdivisionen, den Weg frei zu machen für eine freie Operation, um nach vier Tagen eine Lage herzustellen, die die militärische Situation der Tschechoslowakei aussichtslos erscheinen ließe.

PROF. DR. EXNER: Warum ist nun im Juni die ganze Weisung neu entworfen worden?

JODL: Im Juni ist die ganze Weisung C-175 neu entstanden, und zwar deswegen, weil am 1. Oktober das neue Mobilmachungsjahr begann, und weil ja diese Weisung C-175 ohnehin schon nur bis zum 30. 9. 1938 in Voraussicht dieses Termins Gültigkeit hatte. Die alte Weisung galt natürlich noch bis zum 1. Oktober, wurde aber am 1. Oktober hinfällig durch die Weisung, die am 24. Juni oder 18. Juni von mir entworfen worden ist; und in dieser Weisung stand nun über den Fall »Grün« auch im Sinne der Absichten des Führers, daß er beabsichtige oder daß es das Nahziel seiner Politik sei, ab 1. Oktober 1938 – nicht am, sondern ab 1. Oktober 1938 – jede günstige Gelegenheit auszunützen, um das tschechoslowakische Problem zu lösen, aber nur, wenn Frankreich nicht eingreift oder marschiert und aus demselben Grund dann auch England nicht. Ich stelle damit fest, daß es in keinem Befehl für das Auslösen eines Krieges gegen die Tschechoslowakei einen Termin gibt, sondern die Weisung vom 30. Mai ließ den Termin überhaupt offen; und die neue Weisung C-175 vom 18. Juni, die sagte nur ab 1. Oktober bei der ersten günstigen Gelegenheit.

PROF. DR. EXNER: Das ist auf Seite 29 unseres Dokumentenbuches, und zwar der zweite Satz:

»Ich bin entschlossen, ab 1. 10....«

JODL: Ich darf die Frage damit abschließen, um die Vorgänge ganz scharf zu präzisieren: In der Tat ist vor dem 14. September militärischerseits gar nichts geschehen.

PROF. DR. EXNER: Da wäre wieder auf eine Tagebuchnotiz von Jodl im ersten Band des Dokuments Seite 32 hinzuweisen. Es ist ein Auszug aus 1780-PS, US-72, eine Eintragung vom 14. 9. 1938:

»Mittags gibt ›Ausland‹ die Nachricht, daß in der Tschechei der allgemeine Mobilmachungsbefehl angeschlagen ist... Das ist aber nicht geschehen. Wohl aber sind mit kurzfristigen Gestellungsbefehlen etwa 8 Jahrgänge einberufen worden. Da die Sudetendeutschen in Massen über die Grenze gehen, beantragen wir gegen 17.30 auf Vorschlag des OKH, 2. Abt. die Einberufung des verstärkten GAD (Grenzaufsichtsdienstes) an der tschechischen Grenze im Wehrkreis VIII, IV, XIII und XVII. Der Führer gibt aus München die Genehmigung.«

VORSITZENDER: Woraus lesen Sie denn vor?

PROF. DR. EXNER: Ich habe gelesen von Seite 32 meines Dokumentenbuches I, Seite 32 des ersten Bandes des Dokumentenbuches; das ist ein Auszug aus Jodls Tagebuch, und zwar vom 14. 9., also gerade um diese kritische Zeit.