[Zum Zeugen gewandt:]
Nun, was waren das für militärische Maßnahmen, die da jetzt getroffen wurden?
JODL: Am 13. oder 14. 9. hat die Tschechoslowakei diese acht Jahrgänge einberufen, und wir stellten den verstärkten Grenzaufsichtsdienst, das heißt also den verstärkten Zollgrenzschutz auf, um die vielen flüchtenden Sudetendeutschen aufzunehmen. Am 17. September hat der Führer das Freikorps Henlein gebildet – auch gegen die bisherige Vereinbarung, ohne es uns vorher zu sagen. Denn es war vorher vereinbart, daß diese wehrpflichtigen Sudetendeutschen in das Ersatzheer kommen sollten. Um diese Zeit begannen bereits die politischen Besprechungen. Die erste im Berghof hatte schon stattgefunden. Am 23. 9. hat Benesch die Mobilmachung in der Tschechoslowakei befohlen, und erst jetzt und erst von diesem Zeitpunkt an begann in Vereinbarung mit den politischen Besprechungen der militärische Aufmarsch gegen die Tschechoslowakei. Es gab für mich keinen Zweifel, daß er dem Zwecke dienen sollte für den Fall, daß die Tschechoslowakei sich irgendeiner Vereinbarung, die wir mit den Westmächten getroffen hatten, nicht beugen würde. Denn der Führer hatte ja klipp und klar ausgedrückt, daß er nur handeln würde, wenn ihm Frankreich und England politisch oder militärisch nicht in den Arm fällt.
PROF. DR. EXNER: Sie haben noch zwei Einträge in Ihrem Tagebuch am 22. und am 26. 9. gemacht, die beweisen, daß Sie in dieser Zeit sehr besorgt waren. Aussage Kapitän Bürkner, erster Band meines Dokumentenbuches, Seite 34, wiederum ein Auszug aus 1780-PS vom 22. 9.:
»Chef Ausland Kapitän Bürkner teilt mit, daß nach einem abgehörten Ferngespräch zwischen Prag und dem hiesigen tschechischen Gesandtschaftsrat soeben die Deutsche Gesandtschaft in Prag gestürmt werde. Ich veranlasse sofort die telephonische und funkentelegraphische Verbindungsaufnahme mit Prag durch Oberst Juppe.
10.50 Uhr: Bürkner teilt mit, Nachricht habe sich nicht bestätigt. Auswärtiges Amt hat mit unserer Gesandtschaft gesprochen.
10.55 Uhr bekomme ich Verbindung mit Prag und mit Toussaint. Auf meine Frage, wie es ihm geht, sagt er: danke, ausgezeichnet. Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, der von 1. Meldung verständigt war mit dem Hinweis, sich zu überlegen, welche Maßnahmen zu er greifen wären, wenn der Führer eine sofortige Bombardierung Prags wünscht, wird durch Ic über die Falschmeldung, die vielleicht gerade den Zweck hatte, uns zu einer militärischen Handlung zu veranlassen, orientiert.«
Und dann sagt er am 26. 9.:
»Wichtig, daß wir uns vor der Antwort Prags nicht durch falsche Meldungen zu militärischen Aktionen verleiten lassen.«
Die Anklage behauptet, es sei schon lange vorher der 1. Oktober 1938 als Angriffstag in Aussicht genommen worden. Sagen Sie einmal, welche Bedeutung hat das Datum des 1. Oktober 1938 für den Fall »Grün« gehabt?
JODL: Ich habe das, glaube ich, schon vorausgenommen. Ich habe schon erklärt, daß das neue Mobilmachungsjahr begonnen hat und daß es überhaupt in keinem Befehl einen Termin gibt, in dem die Auslösung eines Feldzugs gegen die Tschechoslowakei zeitlich festgelegt war.
PROF. DR. EXNER: Glaubten Sie an eine Lokalisierung des Konfliktes?
JODL: Ich glaubte fest daran; denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß der Führer in dieser Situation, in der wir uns befanden, einen Konflikt mit Frankreich und England auslöste, der zu unserem sofortigen Zusammenbruch hätte führen müssen.
PROF. DR. EXNER: Und Ihre Einträge im Tagebuch sind ja wohl mit der Sorge wegen Zwischenfällen zu erklären?
JODL: Ja. In meinem Tagebuch am 8. September ist ein Gespräch mit dem General von Stülpnagel eingetragen, das lautet etwa, daß Stülpnagel im Augenblick sehr besorgt ist, der Führer könne von dieser von ihm so oft zitierten Grundlage abweichen und sich doch zu militärischen Handlungen hinreißen lassen auch auf die Gefahr hin, daß Frankreich gegen uns, eingreift; und da habe ich ihm erwidert nach dem Eintrag in mein Tagebuch, daß ich tatsächlich im Augenblick diese Sorgen auch etwas hätte.
PROF. DR. EXNER: Das ist ein Eintrag, den das Gericht findet auf Seite 26, erster Band meines Dokumentenbuches, wiederum ein Auszug aus 1780-PS, Eintragung vom 8. 9. 1938.
Und was war Ihre Besorgnis? Das haben Sie schon gesagt, unsere Schwäche?
JODL: Es war ganz ausgeschlossen, mit fünf aktiven Divisionen und sieben Reservedivisionen in einer Westbefestigung, die nur eine große Baustelle war, 100 französischen Divisionen standzuhalten. Das war militärisch unmöglich.
PROF. DR. EXNER: Nun haben Sie am 24. August in einem Schreiben an Schmundt Ausführungen gemacht über den Wert eines Zwischenfalles für die Aufgaben der Wehrmacht in diesem Falle hier. Das wird Ihnen schwer zum Vorwurf gemacht. Welche Bedeutung hatte dann diese Ausführung Ihrerseits?
Das ist wiederum 388-PS, Seite 35, erster Band; es ist ein Auszug aus der schon oft zitierten 388-PS, eine Vortragsnotiz zum Zeitpunkt des X-Befehls und die Frage der Vorausmaßnahme. Bitte, erklären Sie, was Sie hier in dieser Generalstabsarbeit beabsichtigt haben?
JODL: Der Befehl des Führers vom 30. Mai, den ich schon erläuterte, der ließ gar keine andere Wahl, als zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt, wenn es überhaupt zu einem solchen Falle kommen sollte, anzugreifen. Das konnte nur auf Grund eines Zwischenfalles sein, denn ohne Anlaß ging es ja nicht und nach einer langen Spanne Zeit sollte es nicht sein. Das Heer brauchte, um zu einem solchen überraschenden Durchbruch durch die tschechoslowakischen Befestigungen bereit zu sein, vier Tage Vorbereitung. Geschah nach diesen vier Tagen nichts, dann ließen sich die militärischen Vorbereitungen nicht mehr geheimhalten, und die Überraschung fiel weg. Es blieb also gar keine andere Möglichkeit, als entweder ein spontaner Zwischenfall in der Tschechoslowakei, der vier Tage später die militärische Handlung auslöste, oder aber der Termin wurde vorher bestimmt; dann mußte in diesen vier Tagen, die das Heer zu seinem Aufmarsch brauchte, ein Zwischenfall eintreten. Anders war die Forderung, die der Führer gestellt hatte, generalstabs-technisch gar nicht zu lösen, und diese Schwierigkeit oder diese Zwangslage dem Führer eindeutig klarzulegen, das war der Zweck meines Schreibens an den Major Schmundt.
Nun ereigneten sich damals ja jeden Tag Zwischenfälle, denn ich darf erinnern, daß seit der ersten tschechoslowakischen Teilmobilmachung die sudetendeutschen Wehrpflichtigen sich zum größten Teil der Einberufung entzogen hatten. Sie flüchteten über die Grenze nach Deutschland, und der tschechoslowakische Grenzschutz hat auf sie geschossen. Täglich kamen die Einschläge der Geschosse auf deutsches Gebiet. Im ganzen sind etwa 200000 Sudetendeutsche auf diese Weise über die Grenze geflüchtet. Insofern war der Begriff eines Zwischenfalles nicht eine kriminelle Gemeinheit, als was ich sie bezeichnen würde, wenn man zum Beispiel einen solchen Gedanken gegenüber der friedlichen Schweiz erwogen hätte. Wenn ich also sagte, welch großes Interesse wir an einem solchen Zwischenfall hätten, sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, daß ein solcher Zwischenfall eben dann, falls überhaupt militärisch gehandelt würde-es sind ja alles nur theoretische Überlegungen –, zu einem »casus belli« gemacht werden mußte.
PROF. DR. EXNER: Nun, wie erklärt sich Ihre Bemerkung,
»sofern nicht ohnehin die Abwehrabteilung mit der Organisation des Zwischenfalls beauftragt wird«.
Diese Bemerkung steht auf Seite 38, im zweiten Absatz am Ende. Das ist der Auszug aus 388-PS.
JODL: Ich war ein zu guter Kenner der Kriegsgeschichte – der europäischen Kriegsgeschichte, möchte ich sagen –, um nicht zu wissen, daß die Frage des ersten Schusses – also des äußeren Kriegsanlasses, nicht die tiefere Kriegsursache – in fast jedem Krieg und auf jeder Seite eine große Rolle gespielt hat. Die Schuld für den Kriegsausbruch dem Gegner zuzuschieben ist – das beweist, glaube ich, die Geschichte – keine typisch deutsche Eigenschaft, sie war allen europäischen Staaten gemeinsam, die je Krieg miteinander geführt haben. In dem Fall der Tschechoslowakei lag die tiefere Kriegsursache offen zutage. Ich brauche den Zustand mit den dreieinhalb Millionen Deutschen nicht zu schildern, die hier gezwungen werden sollten, gegen ihr eigenes Volk zu kämpfen. Ich habe diese Tragödien, kann ich nur sagen, aus nächster Nähe in meinem eigenen Hause erlebt. In diesem Falle lag die tiefere Kriegsursache fest, und der von England entsandte Lord Runciman hat darüber keinen Zweifel gelassen. In einer solchen Lage hatte ich allerdings keine moralischen Bedenken, einen dieser Zwischenfälle auch noch etwas auszuweiten und durch die Abwehr – durch eine Gegenaktion – in der man auf ein solches Treiben von tschechischer Seite mal kräftig erwiderte, einen solchen Zwischenfall etwas, ich möchte sagen, auszuweiten und aufzubauschen, um, falls die Lage das überhaupt politisch erlaubte, England und Frankreich nach Ansicht des Führers nicht eingreifen würden, hier einen Grund, einen wirklich sichtbaren Grund zu einer Aktion zu haben.
PROF. DR. EXNER: Meine Herren Richter! Ich möchte noch auf einen Punkt aufmerksam machen. Nach meiner Ansicht findet sich wieder ein Fehler der Übersetzung, nämlich im zweiten Absatz von unten auf Seite 36; das ist diese Vortragsnotiz über den Zwischenfall. Der zweite Absatz von unten auf Seite 36 lautet im Deutschen:
»Die Aktion ›Grün‹ wird ausgelöst durch einen Zwischenfall in der Tschechei, der Deutschland den Anlaß zu militärischem Eingreifen gibt.«
Die Übersetzung dieser letzten Worte im Englischen ist »provocation«. »Anlaß« ist »provocation«.
VORSITZENDER: Was sagen Sie? Was ist die Änderung?
PROF. DR. EXNER: Ich glaube, daß das keine richtige Übersetzung ist, ich bin nicht ganz sicher. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken. »Anlaß«, im Französischen heißt es »Prétexte«, nach dem, was wir wissen, – »Vorwand«.
VORSITZENDER: Herr Dr. Exner! Es ist kein Unterschied in der Bedeutung der Worte »Provokation« oder »Anlaß«.
PROF. DR. EXNER: Es klingt aggressiver, nicht wahr, »Provokation«. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß es im Deutschen »Anlaß« heißt, nicht etwa »Provokation«.
Nun, die Anklage nennt diese Überlegungen, über die wir gerade gesprochen haben, kriminelles Denken und bringt sie in Zusammenhang mit der angeblich geplanten Ermordung des Deutschen Gesandten in Prag; wir hätten diesen Mord geplant, um einen Anlaß zum Einmarsch in die Tschechoslowakei zu haben. Was haben Sie dazu zu sagen?
JODL: Das ist natürlich grotesk. Dieses Beispiel, das der Führer gegenüber dem Feldmarschall Keitel gebraucht hatte, daß der Deutsche Gesandte durch den Prager Pöbel ermordet wird, kannte ich überhaupt nicht. Das hat mir der General Keitel gar nicht erzählt, das habe ich hier erst gehört. Im übrigen ist es, glaube ich, müßig, darüber weiter zu reden, denn wir haben genau das Gegenteil gemacht. Wir haben dem General Toussaint den Befehl gegeben, die Deutsche Gesandtschaft in Prag in Verteidigungszustand zu setzen und das Leben aller ihrer Insassen zu schützen, denn sie war einmal tatsächlich ernsthaft bedroht.
PROF. DR. EXNER: Dies wird erwiesen durch Jodl 62, AJ-9, dritter Band des Dokumentenheftes, Seite 200. Es ist wiederum der Fragebogen, gerichtet an Toussaint, der damals Militär-Attaché in Prag war. Die dritte Frage lautete:
»Ist es wahr oder nicht, daß Sie im Sommer 1938 den Befehl bekommen haben, die Deutsche Gesandtschaft in Prag zu verteidigen und das Leben aller Deutschen in der Gesandtschaft zu schützen?«
Antwort: »Ja, es beruht auf Wahrheit. Ich erinnere mich an die Tatsache, daß dieser Befehl wahrscheinlich im September 1938 telephonisch gegeben wurde.« – und so weiter. Und dann in der vierten Frage:
»Es ist wahr, daß die Deutsche Gesandtschaft...«
VORSITZENDER: Der Zeuge hat schon einmal gesagt, daß es so war.
PROF. DR. EXNER: Ich berufe mich also nur auf die Zeugenaussage Toussaints.
Nun wird darüber hinaus behauptet, der Zwischenfall wäre von uns projektiert oder geplant gewesen. Nun, darauf brauchen wir nicht näher einzugehen. Ist es dann wirklich zu einem Zwischenfall gekommen?
JODL: Nein. Es ist weder ein Zwischenfall vorbereitet worden, noch war ein Zwischenfall notwendig. Die Zwischenfälle überschlugen sich überhaupt von Tag zu Tag, und die Lösung war ja eine politische und eine ganz andere.
PROF. DR. EXNER: Also diese Vortragsnotiz, die wir ja schon öfters vorgelesen haben, ist nur rein theoretischer Natur geblieben?
JODL: Die ist reine Papierarbeit geblieben. Es war ein Gedanke, der eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre. Aber es ist ja schon klargestellt worden, daß in dem Augenblick, als die politischen Besprechungen begannen, ich mich unablässig bemühte, daß die Provokationen, die von der tschechoslowakischen Seite offenbar gewünscht waren, uns nicht zu irgendwelchen militärischen Maßnahmen veranlaßten.
PROF. DR. EXNER: Waren den Signatarmächten in München Ende September die militärischen Vorbereitungen in Deutschland bekannt? Wußten die dort verhandelnden Staatsmänner, daß wir militärisch vorbereitet sind?
JODL: Ich habe aus der Darstellung der Anklagebehörde den subjektiven Eindruck gewonnen, als ob man das erst heute wüßte und im Herbst 1938 in München nicht gewußt hätte. Das ist aber ganz ausgeschlossen. Die ganze Welt wußte von der Einberufung der acht Jahrgänge in der Tschechoslowakei Mitte September. Die ganze Welt wußte von der Totalmobilmachung am 23. September. Der politische Mitarbeiter der »Times« hat am 28. September in einem langen Artikel gegen diese tschechoslowakische Mobilmachung polemisiert. Kein Mensch wunderte sich, daß wir sofort nach der Unterschrift in München am 1. Oktober eingerückt sind...
VORSITZENDER: Herr Dr. Exner...
PROF. DR. EXNER: Nun, damit ist dieser Fall erledigt. Ist es richtig, daß Sie im August 1938 einen neuen Aufmarschplan entwarfen, den Sie schon am 7. Juli angekündigt hatten? Also einen neuen Aufmarschplan nach dem bisherigen?
JODL: Ja, ich habe schon vor der Lösung nach dem Münchener Abkommen aus eigener Initiative einen Sicherungsaufmarsch für alle Grenzen Deutschlands entworfen, und zwar derart, daß die Grenzen nur abzusichern waren und die Masse des Heeres als Zentralreserve in der Mitte Deutschlands bereitgestellt werden sollte. Dieser Entwurf war bei der Voruntersuchung auch mal hier, und zwar in seiner vollständigen Ausfertigung. Er ist jetzt im Dokument 388-PS nicht mehr enthalten, aber es ist ein Hinweis darauf vorhanden.
PROF. DR. EXNER: Auf Seite 40 unseres Dokumentenbuches. Das ist wieder ein Auszug aus 388-PS, Seite 40, erster Band des Dokumentenbuches; da heißt es, ganz unten zu b:
»... nach Abschluß von ›Grün‹ muß man bald einen provisorischen Aufmarsch in Kraft setzen können.«
Und dann:
»Bei diesem wird es in Erweiterung des... Gesagten zunächst darauf ankommen, mit der Wehrmacht den Schutz der deutschen Grenzen einschl. des neuen Zuwachses zu gewährleisten und sich die Verfügung über die Masse des Feldheeres und der Luftwaffe noch offen zu halten. Ein solcher zukünftiger Aufmarsch ›Grenzsicherung‹ müßte für die verschiedenen Fronten getrennt in Kraft gesetzt werden können.«
Warum haben Sie diesen »Grenzsicherungsaufmarsch« gemacht, was veranlaßte Sie dazu?
JODL: Der Anlaß war, daß, wenn die Notwendigkeit für einen Aufmarsch gegen die Tschechoslowakei nach Erledigung dieses Problems in irgendeiner Form weggefallen war, wir überhaupt keinen Aufmarschplan mehr hatten. Und da mir keine andere Absicht des Führers bekannt war, habe ich diesen Aufmarsch, der ja für alle möglichen Fälle gelten konnte, aus eigener Initiative entworfen.
PROF. DR. EXNER: Wußten Sie nach dem Münchener Abkommen irgend etwas von den Absichten des Führers, auch weiterzugehen und Böhmen und Mähren zu besetzen?
JODL: Nein, davon hatte ich keinerlei Vorstellung. Ich habe den Inhalt seiner Rede vom 26. September, wo er sagte: »Vor uns liegt nun das letzte Problem, das zu lösen ist« – diese Versicherung hatte ich geglaubt, und das geht auch daraus hervor, daß ich in diesen Tagen – es war am 10. oder 11. September – dem Feldmarschall, damals General Keitel vorgeschlagen hatte, er möge doch die angekündigte Englische Delegation nach Iglau erbitten – das liegt in Mähren –, weil in Iglau die zahlreichen Deutschen, die dort wohnten, durch bewaffnete tschechoslowakische Kommunisten bedroht waren, ein Vorschlag, den ich nie gemacht hätte, wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, daß der Führer noch weitere Absichten auf Böhmen-Mähren hatte.
PROF. DR. EXNER: Nun ist diese weitergehende Absicht des Führers am 21. Oktober 1938 in einer Weisung niedergelegt worden. Haben Sie das noch im OKW erlebt, oder wie war das?
JODL: Nein, diese Weisung habe ich nicht mehr erlebt und nicht mehr gesehen. Ich habe die hier im Gerichtssaal gesehen, also in der Voruntersuchung.
PROF. DR. EXNER: Sie wurden also jetzt versetzt nach?
JODL: Ich wurde versetzt nach Wien, und zwar als Artilleriekommandeur der dortigen 44. Division.
PROF. DR. EXNER: Ende Oktober, nicht wahr?
JODL: Ende Oktober.
PROF. DR. EXNER: Wie haben Sie sich militärisch das Weitere vorgestellt... Das haben Sie uns eigentlich schon beantwortet.
JODL: Ich rechnete tatsächlich jetzt mit einer Periode der politischen Entspannung und eines Friedens. Das kann ich ruhig sagen.
PROF. DR. EXNER: Und wie gestaltete sich jetzt Ihr persönliches Schicksal?
JODL: Ich hatte eben, weil ich von keiner anderen Absicht wußte, meinen Wohnsitz nach Wien verlegt. Ich bin nach Wien umgezogen mit meinen Möbeln, was ich niemals getan hätte, wenn ich nur die Vorstellung eines bevorstehenden Krieges gehabt hätte; denn ich wußte ja, daß ich im Falle eines Krieges als Chef des Wehrmachtführungsstabes vorgesehen war, also wieder nach Berlin zurück mußte. Ich habe den General Keitel gebeten, daß er mir behilflich ist, zum 1. Oktober 1939 Kommandeur der 4. Gebirgsdivision in Reichenhall zu werden, eine Bitte, die mir auch nicht in den Sinn gekommen wäre, wenn ich eine Ahnung gehabt hätte von dem, was uns bevorsteht.
PROF. DR. EXNER: Blieben Sie als Artilleriekommandeur in Wien in Beziehung zum OKW?
JODL: So gut wie gar nicht. Ich hatte keinerlei Beziehungen. Ich erhielt keinerlei militärische Schriftstücke aus dem Oberkommando der Wehrmacht während dieser ganzen Zeit.
PROF. DR. EXNER: Wer hat Sie dann während dieser ganzen Zeit über die Lage orientiert?
JODL: Niemand. Ich wußte während dieser Zeit über das, was vorging und was beabsichtigt war, nicht mehr als jeder Leutnant in meiner Artillerie.
PROF. DR. EXNER: Standen Sie mit Keitel in privatem Briefverkehr?
JODL: Ich habe von General Keitel einen Brief bekommen, und zwar war es Ende Juli 1939, in dem er mir selbst die erfreuliche Mitteilung machte, daß ich aller Voraussicht nach am 1. Oktober Kommandeur der 4. Gebirgsdivision in Reichenhall würde und daß als Chef des Wehrmachtführungsstabes – und zwar nunmehr friedensmäßig besetzt – der General von Sodenstern diese Stelle ab 1. Oktober übernehme,
PROF. DR. EXNER: Waren Sie beteiligt an dem Plan, die restliche Tschechoslowakei zu besetzen?
JODL: Nein, ich war nicht beteiligt. Ich blieb zunächst während dieser Besetzung in Wien und übernahm vorübergehend die Stelle des Chefs des Stabes vom 18. Armeekorps in Wien. Ich wurde allerdings dann später mit der ganzen 44. Division in die Tschechoslowakei, nämlich nach Brünn, verlegt.
PROF. DR. EXNER: Wann hörten Sie dann von der Sache?
JODL: Von dieser Aktion im März 1939 erfuhr ich durch die Befehle meines Divisionsstabes etwa zwei oder drei Tage vorher.
PROF. DR. EXNER: War dieser Einmarsch in die Tschechoslowakei eine Ausführung des ursprünglich von Ihnen entworfenen Planes »Grün«?
JODL: Nein, damit hat er gar nichts mehr zu tun. Es waren auch ganz andere Truppen, und es war nicht mal die Hälfte der Truppen, die im Jahre 1939 in die Tschechoslowakei einrückten, als wie im Jahre 1938 vorgesehen waren.
PROF. DR. EXNER: Nun, in dieser Zeit, während Sie in Wien waren, ist am 23. Mai 1939 eine Besprechung beim Führer gewesen, die hier oft zitiert wurde über die Ignorierung der Neutralität und so weiter. Es heißt da wiederholt: Warlimont sei anwesend gewesen als Ihr Vertreter. Wie steht es damit? War er Ihr Vertreter?
JODL: Es wurde das mit einer ungeheueren Beharrlichkeit immer wieder hinzugesetzt, an der Besprechung nahm der General Warlimont teil. Er war der Stellvertreter, oder einmal hieß es auch, daß er der Gehilfe Jodls war. Davon ist gar keine Rede, er war mein Nachfolger, aber nicht mein Stellvertreter. Wenn man das auch noch so oft wiederholt, deswegen wird es nicht wahr. Er war mein Nachfolger.
PROF. DR. EXNER: Sie waren ausgeschieden aus dem OKW, nicht wahr?
JODL: Ich war aus dem OKW vollkommen ausgeschieden. Daß Warlimont später zufällig mein Stellvertreter wurde, das hat ja mit den Ereignissen im Mai 1939 nichts zu tun.
PROF. DR. EXNER: Wann haben Sie zum erstenmal von dieser Sitzung im Mai 1939 gehört?
JODL: Hier in Nürnberg erst, im Jahre 1946.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, hatten Sie inzwischen irgendwelche Beziehungen zu Parteiführern oder zu österreichischen Nationalsozialisten?
JODL: Nein, nicht im geringsten, mit niemandem.
PROF. DR. EXNER: Oder zu den hier Angeklagten?
JODL: Auch nicht.
PROF. DR. EXNER: Der Führer war in dieser Zeit einmal mit Keitel in Wien. Ich glaube für zwei Tage oder was. Hatten Sie sich bei ihm zu melden?
JODL: Ja, er ist von Prag kommend unauffällig in Wien gewesen, und bei dieser Gelegenheit habe ich den General Keitel kurz gesprochen, den Führer aber nicht.
PROF. DR. EXNER: Sie wurden ihm nicht vorgestellt?
JODL: Nein.
PROF. DR. EXNER: Wie waren denn Ihre Kriegsdienstbestimmungen?
JODL: Wie ich schon sagte, ich sollte im Falle eines Krieges der Chef des Wehrmachtführungsstabes werden.
PROF. DR. EXNER: Und welches waren Ihre privaten Pläne für diesen Sommer?
JODL: Ich hatte in diesem Sommer bereits die Schiffskarten, um eine Reise ins östliche Mittelmeer anzutreten am 23. September 1939.
PROF. DR. EXNER: Am 23. September 1939 sollte die Reise...
JODL:... sollte die Reise von Hamburg aus beginnen, und die Karten hatte ich bereits bezahlt.
PROF. DR. EXNER: Wann hatten Sie die Karten besorgt, können Sie sich daran erinnern?
JODL: So ungefähr in der zweiten Hälfte Juli.
PROF. DR. EXNER: Wann kehrten Sie nach Berlin zurück?
JODL: Ich bin mir über den genauen Termin nicht klar, aber ich vermute am 23. oder 24. August auf Grund eines Telegramms, das mich überraschend in Brünn erreichte.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, wenn Sie dieses Telegramm nicht bekommen hätten, wann hätten Sie denn dann nach Berlin fahren müssen?
JODL: Im Falle einer allgemeinen Mobilmachung hätte ich auch so nach Berlin fahren müssen.
PROF. DR. EXNER: Und hatten Sie sich in Berlin jetzt dem Führer vorzustellen?
JODL: Nein, ich habe mich auch nicht gemeldet. Ich habe mich nur selbstverständlich bei General Keitel und bei dem Generalstabschef des Heeres und der Luftwaffe und bei der Seekriegsleitung gemeldet.
PROF. DR. EXNER: Herr Präsident! Ich wäre mit dem Gegenstand fertig. Ich glaube, es wäre jetzt geeignet, Schluß zu machen.
VORSITZENDER: Können Sie uns sagen, wie lange Sie wahrscheinlich noch brauchen werden?
PROF. DR. EXNER: Ich hoffe sehr... ja, ich glaube sicher, daß ich im Laufe des morgigen Vormittags fertig werde. Ich glaube, das kann man wohl ziemlich sicher sagen bis Mittag.
DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Ich habe im Namen meines Klienten Ihnen die Bitte vorzutragen, ihm zu gestatten, daß er zur Vorbereitung seines Falles zwei Tage von der Sitzung fernbleibt.
VORSITZENDER: Gewiß.