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[Das Gericht vertagt sich bis

5. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsiebenundvierzigster Tag.

Mittwoch, 5. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte Jodl im Zeugenstand.]

GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es wird gemeldet, daß der Angeklagte Seyß-Inquart von der Verhandlung abwesend ist.

PROFESSOR DR. HERBERT KRAUS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Herr Präsident! Im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft bitte ich, eine Denkschrift Hitlers über den Vierjahresplan vom Jahre 1936 nachreichen zu dürfen. Es handelt sich hier um eine beglaubigte Abschrift, die im Lager Dustbin von einem englischen Offizier beglaubigt worden ist. Ich habe dem Stück die Nummer Schacht Exhibit Nummer 48 gegeben. In der Sitzung vom 1. Mai – in der Nachmittagssitzung – hat mein Freund Dr. Dix auf diese Denkschrift Bezug genommen, die noch nicht in unser Dokumentenbuch aufgenommen werden konnte. Darauf hat Dr. Schacht einige Stellen aus dieser Denkschrift zitiert. Der Herr Vorsitzende hat erklärt, wir dürften diese Denkschrift nachreichen, natürlich im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist einverstanden, und deshalb hoffe ich, sie nunmehr überreichen zu dürfen.

Ich überreiche ferner eine Anzahl englischer Übersetzungen. Es ist mir leider bisher noch nicht möglich gewesen, Übersetzungen in den anderen Sprachen fertigen zu lassen, und ich bitte um die Erlaubnis, diese Übersetzungen dann nachliefern zu dürfen.

VORSITZENDER: Herr Professor Kraus! Bevor die anderen Übersetzungen nicht tatsächlich fertiggestellt sind, können die Dokumente nicht als Bestandteil des Protokolls angesehen werden.

PROF. DR. KRAUS: Nein, die englischen Übersetzungen liegen vor und die anderen sind noch nicht fertig, und die darf ich nachreichen?

VORSITZENDER: Ja gewiß, und sie werden dann Bestandteil des Protokolls werden.

PROF. DR. KRAUS: Jawohl, als Nachtrag zum Dokumentenbuch.

PROF. DR. EXNER: [zum Zeugen gewandt] Herr Generaloberst! Sie haben uns gestern gesagt, Sie seien Chef des Wehrmachtführungsstabes gewesen während des Krieges, und daß Ihre Aufgabe hauptsächlich war, Pläne für Operationen militärischer Art vorzubereiten. Das ist richtig? Nicht wahr?

JODL: Das ist richtig.

PROF. DR. EXNER: Nun, woher bekamen Sie die Pläne? Wer bestimmte, welche Pläne Sie zu machen hatten?

JODL: Das war wie in jedem militärischen Stab. Der Oberbefehlshaber, in diesem Falle der Führer persönlich, verlangte die Unterlagen für die Entscheidungen, Karten, Stärkemeldungen – eigene Stärke, gegnerische Stärke – Meldungen über den Gegner; dann traf er seine Entscheidungen, und danach setzte dann meine Generalstabsarbeit ein, nämlich diese Entscheidungen in die notwendige militärische Form zu gießen, die der ganze Apparat der Wehrmacht brauchte.

PROF. DR. EXNER: Nun, haben Sie im Zuge dieser Studien und Arbeiten auch Operationen zu bearbeiten gehabt, die nie zur tatsächlichen Ausführung gekommen sind?

JODL: Ich habe eine Menge solcher Operationen vorbereitet. Von den ganzen Operationen, die ich auf Befehl und Weisung vorbereitet habe, wußte ich eigentlich nur von einer einzigen, daß sie ganz sicher ausgeführt würde – das war die gegen Jugoslawien. Bei allen anderen Operationsplänen stand die Entscheidung lange Zeit offen, ob sie je ausgeführt werden oder nicht.

Als Beispiel für Operationspläne, die in allen Einzelheiten ausgearbeitet wurden, aber nicht zur Durchführung kamen, nenne ich die Invasion in England, den Einmarsch in Spanien, die Wegnahme von Gibraltar, die Wegnahme von Malta, die Eroberung der Fischer-Halbinsel bei Petsamo, ein Winterangriff auf Kandalakscha an der Murmanskbahn.

PROF. DR. EXNER: Nun, bezogen sich diese Ihre Aufgaben auf alle Kriegsschauplätze?

JODL: Zu Beginn des Krieges bezog sich meine Generalstabsarbeit überhaupt nicht auf Kriegsschauplätze, sondern die Weisungen des Führers gingen nur an die Wehrmachtsteile, also an Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe, und erst mit dem Norwegenfeldzug entwickelte sich zum ersten Male der Zustand, daß der Wehrmachtführungsstab für einen Kriegsschauplatz verantwortlich wurde. Und völlig änderte sich dieser Zustand, als zu Beginn des Jahres 1942 der Führer selbst den Oberbefehl über das Heer übernahm. Es ist Kesselring schon danach gefragt worden und ist die Antwort schuldig geblieben. Aber es ist doch selbstverständlich, daß der Führer als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht nicht mit Hilfe von Jodl Befehle an sich selbst als Oberbefehlshaber des Heeres geben und diese Befehle dann mit Hilfe von Generaloberst, Zeitzler ausführen konnte. Infolgedessen trat die Trennung ein; von diesem Augenblick führte er mit dem Generalstab des Heeres die gesamte Ostfront, und der Wehrmachtführungsstab wurde für die Generalstabsarbeit aller übrigen Kriegsschauplätze verantwortlich.

PROF. DR. EXNER: Nun hat der Zeuge Feldmarschall Paulus hier behauptet, das OKW sei verantwortlich für den Befehl, Stalingrad zu halten, und tatsächlich ist in der Presse draußen Keitel und Jodl wiederholt beschuldigt worden für diesen so unglückseligen Befehl. Ist das richtig?

JODL: Nein, das ist nicht richtig. Der Zeuge, mit dem ich tiefstes Mitleid habe und mit dem ich in kameradschaftlichster Weise zusammengearbeitet habe, der konnte das ja gar nicht wissen. Die Tatsache ist folgende: Die Entscheidung im ersten Moment, wo die Gefahr drohte, daß Stalingrad zu halten sei, traf der Führer in einem Gespräch unter vier Augen mit dem Generaloberst Zeitzler und entgegen dessen Vorschlag. Das hat mir Zeitzler selbst, als er von dieser Besprechung kam, berichtet. In einem Späteren Stadium, als schon die Schneestürme über die Steppen des Dongebietes brausten, da stand noch einmal die Frage des Ausbruches der Garnison Stalingrad zur Debatte. Da waren der Feldmarschall Keitel, der Generaloberst Zeitzler und ich zugegen.

VORSITZENDER: Herr Dr. Exner! Mir ist nicht ganz klar, wieso das erheblich sein soll, auch wenn Feldmarschall Paulus vielleicht etwas gesagt hat. Er mag Aussagen über die Schlacht bei Stalingrad gemacht haben; er hat es sogar unbestritten getan; aber ich sehe nicht ganz ein, was das mit dem uns vorliegenden Fall zu tun hat oder inwiefern es mit dem Fall Jodl zusammenhängt.

PROF. DR. EXNER: Herr Präsident! Es ist schon damit erledigt. Es war das Bedürfnis vorhanden, diesen Irrtum des Feldmarschalls Paulus aufzuklären. Es ist aber damit erledigt.