[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
[Der Angeklagte Jodl im Zeugenstand.]
DR. LATERNSER: Herr Generaloberst! Vor Besetzung der Tschechoslowakei fand am 10. 8. 1938 auf dem Berghof eine Besprechung Hitlers mit den militärischen Führern statt, bei der auch Sie zugegen waren. Über diese Besprechung ist bisher hier noch nicht gesprochen worden. Ich möchte Sie fragen: Was hatte diese Besprechung zum Gegenstand?
JODL: Bei dieser Besprechung hielt der Führer nur vor Generalstabsoffizieren einen etwa zweieinhalbstündigen Vortrag über die gesamtpolitische und militärische Lage und ging dabei vor allem ein auf das sudetendeutsche Problem, von dem er sagte, daß es unter allen Umständen gelöst werden müsse. Er schilderte die verschiedenen Möglichkeiten und er schilderte vor allem deutlich seine Absicht, aber auch sein Vertrauen, daß er das zuwege brächte, ohne daß ihm dabei Frankreich und England in die Arme fallen würden.
DR. LATERNSER: Das war der Inhalt dieser Besprechung?
JODL: Das war im wesentlichen der Inhalt dieser Besprechung.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, aus welchem Grunde die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile und ihre Chefs nicht beteiligt waren?
JODL: Das weiß ich daher, weil der Chefadjutant, Major Schmundt, mich vor der Besprechung darüber informierte. Er sagte mir, es sei die Absicht des Führers, einmal zu den älteren General-Stabsoffizieren unmittelbar zu sprechen, wenn sie dem Einfluß ihrer Oberbefehlshaber entzogen seien, damit sie nicht unter Umständen durch die zu kritische Einstellung der Oberbefehlshaber wieder in der Ausführung seiner Weisungen wankend würden.
DR. LATERNSER: Nun ist es aber während dieser Besprechung dennoch zu einer sehr erheblichen Kritik gekommen, und zwar seitens dieser Offiziere?
JODL: Ich will nicht sagen, daß es eine Kritik war, aber einer der Generale glaubte doch, den Führer auf die Möglichkeit hinweisen zu können oder hinweisen zu müssen, daß eben doch Frankreich und England eingreifen würden, wenn er gegen die Tschechei etwas unternähme. Das war der General von Wietersheim.
DR. LATERNSER: Hat Hitler dieses Prinzip der Ausschaltung der höchsten militärischen Führer von einer derartigen Besprechung in späteren Fällen auch noch befolgt?
JODL: Der Führer hat das sehr oft, ich möchte sagen, grundsätzlich getan. Er ließ sich zum Beispiel nach unserem gescheiterten Angriff auf den Brückenkopf von Nettuno, südwestlich von Rom, untere Truppenführer aus diesen Kämpfen ins Führerhauptquartier kommen, und zwar vom Regimentskommandeur angefangen bis zum Kompaniechef, und hat sie persönlich tagelang ohne Anwesenheit ihrer Vorgesetzten und jeden für sich allein verhört. Er tat das gleiche sehr, sehr oft mit Fliegeroffizieren, die er ohne Beteiligung des Oberbefehlshabers der Luftwaffe vernommen hat.
DR. LATERNSER: Herr Generaloberst! Sie waren bei den meisten Besprechungen über die Lage bei Hitler anwesend. Konnten die jeweilig im Führerhauptquartier anwesenden Oberbefehlshaber ohne weiteres an diesen Besprechungen teilnehmen?
JODL: Solange bei diesen Orientierungen über die Lage nur von dem die Rede war, was sich schon ereignet hatte, war der Führer sehr weitherzig mit der Teilnahme. Sobald aber etwas zur Sprache kam, was erst eine operative Absicht war, zum Beispiel der Angriff 1942 in Rußland, da durfte ein Oberbefehlshaber von der Westfront nicht teilnehmen und umgekehrt auch nicht. Also bezüglich seiner Absichten weihte er nur die Offiziere ein, die es dienstlich wissen mußten.
DR. LATERNSER: In solchen Fällen wurde dann der sogenannte »Kleinste Kreis« zur Lagebesprechung befohlen?
JODL: Das ist richtig. Da gab im Auftrage des Führers der Chefadjutant bekannt, es findet jetzt noch eine Besprechung im »Kleinsten Kreise« statt, an der nur teilnehmen: die und die Offiziere.
DR. LATERNSER: Haben Sie während der Lagebesprechung häufig energische Gegenvorstellungen von Oberbefehlshabern gehört und miterlebt? Von wem und bei welcher Gelegenheit? Ich bitte Sie, auf die wichtigsten Vorfälle sich zu beschränken.
JODL: Ich kann nur ganz kurze Antworten auf die Frage geben, sonst müßte ich eine Stunde darüber sprechen. Ich kann sagen, daß es überhaupt keinen Vortrag gab, bei dem nicht die, ich möchte sagen, alte traditionelle Auffassung über Operationen in einen Konflikt geriet mit der revolutionären des Führers, so daß ich, von einzelnen Operationen vielleicht im ersten Teil des Krieges abgesehen, feststellen kann, daß bei jedem derartigen Vortrag eines Oberbefehlshabers die Meinungen aufeinanderplatzten. Da könnte ich alle Oberbefehlshaber nennen, die es überhaupt gibt. Ich weiß keinen, bei dem das nicht der Fall gewesen wäre.
DR. LATERNSER: Sie kannten ja sicherlich alle Oberbefehlshaber der Armee?
JODL: Die Oberbefehlshaber in der ersten Hälfte des Krieges, die kannte ich bis einschließlich der Armeeoberbefehlshaber alle. In der zweiten Hälfte des Krieges gab es Armeeoberbefehlshaber im Osten, die ich nicht kannte. Sie waren meist nicht aus dem Generalstab hervorgegangen, sondern aus der Truppenlaufbahn; die kannte ich dann teilweise nicht.
DR. LATERNSER: Herr Generaloberst! Konnte zum Beispiel ein Oberbefehlshaber einer Armee sich ohne weiteres bei Hitler zu einer Besprechung anmelden?
JODL: Ein Oberbefehlshaber einer Armee konnte das nicht. Ein Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe mußte erst den Oberbefehlshaber des Heeres fragen, solange es diesen gab. Als der Oberbefehlshaber des Heeres nicht mehr da war, beantragten die Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe meist bei der militärischen Adjutantur oder durch den Chef des Generalstabs des Heeres, daß sie zum Vortrag bestellt werden sollen. Die Armeeoberbefehlshaber konnten das nicht.
DR. LATERNSER: Wenn also ein Oberbefehlshaber einer Armee beabsichtigte, gegen irgendeine Maßnahme, die er nicht für richtig hielt, Gegenvorstellungen zu erheben, dann mußte er sich an seinen Oberbefehlshaber der Heeresgruppe und dieser sich wieder an den Oberbefehlshaber des Wehrmachtsteiles wenden; und lediglich über diesen konnten im normalen Dienstwege Gegenvorstellungen Hitler gegenüber gemacht werden?
JODL: Das ist durchaus richtig; das haben alle militärischen Stellen getan und es war eine langjährige Erscheinung.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie über eine Aufputschung Hitlers durch Himmler gegen die Generale? Wenn ich den Ausdruck »Generale« gebrauche, dann verstehe ich nur diejenigen, die unter die »Gruppe« fallen.
JODL: Ich habe einen Teil dieser Antwort vielleicht schon vorweggenommen, indem ich darüber Klage geführt habe, daß wir nicht in der Lage waren, den Führer von militärischen Meldungen und Nachrichten abzuriegeln, die er von unverantwortlichen Stellen bekam. Und es war nun eine laufende Erscheinung, daß gerade aus Kreisen der Polizei unaufhörlich die Gelegenheit benutzt wurde, auf dem Wege über Himmler gegen die traditionelle, oder wie sie es nannten, reaktionäre, humanitäre, ritterliche Einstellung der höheren Führer zu Felde zu ziehen, durch die die scharfen Befehle des Führers über ein, wie er sagte, brutales Durchgreifen inhibiert würden. Das war eine ständige Erscheinung; nicht gegenüber allen, durchaus nicht, auch nicht gegenüber allen Oberbefehlshabern; aber auf manche konzentrierte sich das.
DR. LATERNSER: Herr Generaloberst! Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Ich hatte Sie gefragt, ob Sie etwas von einer Aufputschung Hitlers durch Himmler wissen, und zwar aus Gründen, die Sie mir bitte angeben wollen.
JODL: Ja, die Folge dessen, was ich eben geschildert habe, die war dann ein Vortrag Himmlers, natürlich unter vier Augen, beim Führer, in dem er nun gegen einzelne Oberbefehlshaber, ausschließlich gegen solche des Heeres, Klage führte; wir merkten das daran, daß dann am nächsten Tage der Führer plötzlich anfing, gegen diesen Oberbefehlshaber, ohne daß wir wußten warum, irgendwelche Einwendungen zu erheben und ihn schlecht zu machen.
DR. LATERNSER: Wie war das Verhältnis zwischen OKW und OKH?
JODL: Vor dem Kriege und in der ersten Zeit des Krieges war das Verhältnis zwischen Oberkommando der Wehrmacht und Oberkommando des Heeres mit einer starken Spannung belastet. Der Grund war aber ausschließlich ein intern-militärischer, weil durch die Schaffung des Oberkommandos der Wehrmacht eine Generalstabsgruppe entstanden war, die sich außerhalb der Befugnisse des Chefs des Generalstabs des Heeres befand und, ich möchte sagen, beinahe über den Generalstab des Heeres gestellt, diesem Befehle gab. Und diese Konstellation wurde natürlich vom Generalstab des Heeres mit einem außerordentlichen Mißtrauen betrachtet. Ich darf aber hinzusetzen, daß es meinen und des Feldmarschalls Keitel und vieler vernünftiger Offiziere Bemühungen gelungen ist, diese Spannung im Laufe des Krieges völlig zu überwinden.
DR. LATERNSER: Das dürfte genügen, Herr Generaloberst, zu diesem Punkt.
Den militärischen Führern wird zum Vorwurf gemacht, die Beendigung des aussichtslosen Krieges unnötig verzögert zu haben. Was wissen Sie über Bemühungen der Feldmarschälle von Rundstedt und Rommel nach geglückter Invasion?
JODL: Ich erinnere mich der Besprechung mit diesen beiden Oberbefehlshabern, als der Führer mit mir in das vorbereitete Hauptquartier nördlich Reims geflogen war. Das war etwa im Juli 3944. Bei dieser Besprechung haben sowohl der Feldmarschall von Rundstedt als auch besonders Rommel in einer ganz unmißverständlichen Weise den Ernst der Gesamtlage in Frankreich dargestellt, gekennzeichnet durch die überwältigende Überlegenheit der angelsächsischen Luftwaffe, gegen die man eben mit Erdoperationen machtlos war. Und ich erinnere mich genau, daß der Feldmarschall Rommel zum Schluß den Führer fragte: »Mein Führer, wie stellen Sie sich denn eigentlich überhaupt jetzt den Weitergang dieses Krieges vor.« Der Führer war ziemlich ungehalten über diese Bemerkung und gab nur kurz zur Antwort: »Das ist eine Frage, die nicht zu Ihren Obliegenheiten gehört. Die müssen Sie meine Sache sein lassen.«
DR. LATERNSER: Haben Sie den Brief gelesen, den Feldmarschall von Kluge kurz vor seinem Tod an Hitler geschrieben hat?
JODL: Ich stand neben dem Führer, als er diesen Brief bekam. Er öffnete den Umschlag, las den Brief und gab ihn dann mir zum Lesen. Es stand genau das Gegenteil von dem drin, was ich erwartet hatte. Der Feldmarschall von Kluge begann diesen Brief mit einer ungeheuren Anerkennung der Person des Führers, indem er schilderte, wie er ihn bewundert habe, mit welcher Energie er diesen Krieg durchgehalten hätte, und er sei ihm vielleicht innerlich viel näher gestanden, als der Führer ahne. Er sei auch noch mit vollem Vertrauen an seine Aufgabe im Westen herangegangen. Aber nachdem die versprochene Unterstützung durch die eigene Luftwaffe ausgeblieben sei, habe er sich jetzt davon überzeugt, daß die Lage hoffnungslos wäre, und er könne ihm in der letzten Stunde seines Lebens nur noch den einen guten Rat geben, jetzt Frieden zu machen. Das war kurz gedrängt der Inhalt dieses Briefes.
DR. LATERNSER: Herr Generaloberst! Können Sie noch weitere Beispiele anführen für Bemühungen seitens der Oberbefehlshaber, den aussichtslos gewordenen Krieg zu beenden?
JODL: Es konnte kein Oberbefehlshaber die politische Frage anschneiden; denn die Beendigung des Krieges ist ja nicht eine militärische, sondern sie ist eine politische Entscheidung. Aber indirekt muß ich sagen, gab es keinen Offizier in verantwortlicher Stellung, der nicht dem Führer vollkommen nüchtern, ehrlich und offen die militärische Lage so dargestellt hat und auch so aussichtslos dargestellt hat, wie sie zum Schluß geworden ist. Auch ich persönlich habe diese meine Auffassung schriftlich in einer Denkschrift dem Führer übergeben.
DR. LATERNSER: Ich habe wenige Fragen zu den einzelnen Feldzügen. Wie war die Einstellung des OKH, insbesondere des Feldmarschalls von Brauchitsch, zum Österreichunternehmen?
JODL: Ich war etwa am Vorabend des Einmarsches nachts 2.00 Uhr beim Feldmarschall von Brauchitsch und ich traf ihn in einer vollkommen desolaten Stimmung an. Ich sah eigentlich keinen Grund dafür ein, aber er hatte offenbar die Überzeugung oder den Glauben, daß sich aus diesem Einmarsch unter Umständen doch ein militärischer Konflikt entweder mit Italien oder mit der Tschechoslowakei entwickeln könnte. Vielleicht war er aber auch überhaupt, politisch betrachtet, nicht sehr erfreut über diese bevorstehende Zunahme, starke Zunahme des süddeutschen Elements im Rahmen des Reiches. Ich weiß es nicht. Jedenfalls war er außerordentlich bedrückt.
DR. LATERNSER: Welches waren die Gründe für die Spannungen, die nach dem Polenfeldzug zwischen Hitler einerseits und den militärischen Führern andererseits bestanden?
JODL: Das war eine Zeit eines besonders schweren Konfliktes, und zwar deswegen, weil der Oberbefehlshaber des Heeres und sehr viele der höheren Generale eben diese Auffassung hatten, die ich heute früh schon bekundet habe, daß man im Westen ruhig bleiben müsse, um den Krieg zu beenden. Und weil das nun wieder ein politisches Argument war, das sie nicht sagen konnten, hat damals der Oberbefehlshaber des Heeres ein militärisches Argument dem Führer vorgebracht. Und dieses Argument lautete: In dem Zustand, in dem sich unser Heer zur Zeit befindet, ist es nicht in der Lage, eine Armee wie die französische, verstärkt durch die englische, in einem Angriffsfeldzug niederzuwerfen. Das erregte beim Führer eine ungeheure Erbitterung, die sich in allen Ansprachen an die Oberbefehlshaber immer wieder zeigte. Die ganze Rede vom 23. November, die ganze Denkschrift, die er am 10. Oktober geschrieben hat, sind alle nur aus diesem Konflikt heraus zu erklären und zu betrachten.
DR. LATERNSER: Die Anklage hat zur Begründung der Anklage gegen die Gruppe verschiedene eidesstattliche Erklärungen vorgelegt. Ich möchte Sie bitten, zu dem Affidavit Nummer 12, US-557, abgegeben von Walter Schellenberg, Stellung zu nehmen. Auf Seite 1 behauptet Schellenberg, daß in den Frontgebieten die SD-Einsatzgruppen den Armeen völlig unterstellt gewesen seien, also taktisch, fachlich und truppendienstlich, wie er es in seiner eidesstattlichen Erklärung angibt. Ist das richtig, Herr Generaloberst?
JODL: Das ist in einem nur sehr eingeschränkten Maße richtig. Ich muß an den Anfang der Beantwortung den Satz stellen, daß mir der Begriff »Einsatzgruppen« und »Einsatzkommandos« überhaupt erst hier in Nürnberg geläufig geworden ist. Ich muß das ganz offen aussprechen auf die Gefahr hin, daß man mich einen »Parsival« nennt. Aber es ist Tatsache. Ich wußte nur von der Polizei. Nun war das Operationsgebiet des Heeres in drei Teile geteilt. Das vorderste hieß das Kampfgebiet, und das reichte so weit ungefähr, als die Artilleriewirkung des Gegners reichte. In diesem Gebiet war alles, was sich dort überhaupt aufhielt, dem Heere in jeder Hinsicht unterstellt. Aber in diesem Gebiet gab es auch keine Polizei, außer die Geheime Feldpolizei, die dem Heere ohnedies voll unterstand.
DR. LATERNSER: Die Geheime Feldpolizei war doch überhaupt eine divisionseigene Truppe?
JODL: Das war eine Divisionstruppe, die den Polizeidienst innerhalb der Truppe überhaupt durchführte. Dahinter kam das rückwärtige Armeegebiet, das den Armeeoberbefehlshabern unterstand, und dahinter schloß sich dann das rückwärtige Heeresgebiet an, in dem sich die gesamten Nachschubkolonnen und Einrichtungen des Generalquartiermeisters des Heeres befanden. Und in diesem Hauptgebiet, das weitaus der größte Teil war, das war 97 Prozent des ganzen Operationsgebietes, in diesem Gebiet unterstand die gesamte Polizei oder überhaupt alles, was nicht organisch zum Heere gehörte, auch dem Heere nicht taktisch, sondern das unterstand der Polizei, zum Beispiel dem Reichsführer-SS Himmler. Und nur in einer truppendienstlichen Hinsicht, das heißt bezüglich ihrer Versorgung, ihrer Bewegung beim Vormarsch oder Rückzug, da hatte das Heer selbstverständlich die Befugnis, diesen Truppen über ihre Bewegung und über ihre Unterbringung Befehle zu geben.
DR. LATERNSER: Schellenberg führt an, daß in den rückwärtigen Operationsgebieten und in den rückwärtigen Heeresgebieten diese Einsatzgruppen nur truppendienstlich dem Heere, aber befehlsmäßig und fachlich dem Reichssicherheitshauptamt unterstanden haben. Ist das richtig?
JODL: Das ist richtig. Diese gesamte Polizei hat Befehle, was sie zu tun hat, nur von Himmler bekommen.
DR. LATERNSER: Schellenberg behauptet dann weiter in diesem Affidavit Nummer 12, US-557, daß in dieser truppendienstlichen Unterstellung auch die disziplinäre Unterstellung enthalten gewesen sei. Ist das richtig?
JODL: Das ist falsch. Niemals konnte ein Offizier des Heeres einen Angehörigen der Polizei oder SS bestrafen.
DR. LATERNSER: Wie nun festgestellt worden ist, bestand die Hauptaufgabe dieser Einsatzgruppen in der Massenvernichtung von Juden und Kommunisten. Schellenberg behauptet nun in seinem Affidavit Nummer 12, daß nach seiner Überzeugung die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen von diesen Aufgaben auf dienstlichem Wege genau orientiert worden seien. Nachdem nun Schellenberg in diesem Affidavit seine Überzeugung angegeben hat, bitte ich Sie um die Ihre, da Sie ja, wie ich wohl richtig annehme, mit der bestorientierte Offizier der Wehrmacht gewesen sind.
JODL: Ich kann natürlich nicht genau beurteilen, was in der Praxis des Zusammenlebens an der Front die Oberbefehlshaber dort erfahren haben oder nicht; aber ich kann mit aller Bestimmtheit sagen, daß ich niemals einen Befehl gesehen habe, der etwas anderes enthalten hätte, als daß diese Polizeitruppen zu dem Zwecke in das Operationsgebiet geschickt seien, um dort für polizeiliche Ruhe und Ordnung, für die Aufdeckung von Aufständen und von Partisanentätigkeit zu sorgen. Ich habe niemals weder eine Meldung noch einen Befehl darüber gesehen, der etwas anderes enthalten hätte.
DR. LATERNSER: Herr Generaloberst! Glauben Sie, daß die Oberbefehlshaber der Armeen oder Heeresgruppen stillschweigend derartige Zustände hingenommen hätten?
JODL: Ich halte es für ausgeschlossen, weil sie in viel kleineren Vorfällen den heftigsten Protest erhoben haben. Hunderte von Dokumenten, die hier von der Anklage vorgelegt wurden, beweisen unaufhörlich Satz für Satz, wie an der Front und von der Truppe Einspruch erhoben wurde gegen Maßnahmen, die sie entweder für menschlich unzulässig oder für gefährlich hielten für die Buhe und Ordnung in den besetzten Gebieten. Ich erinnere nur an die Denkschrift von Blaskowitz. Das war eine der ersten.
DR. LATERNSER: Haben Sie diese Denkschrift gelesen?
JODL: Ich habe sie nicht gelesen, ich habe nur von ihr gehört.
DR. LATERNSER: Die Anklage hat weiter das Affidavit Nummer 13 des Rittmeisters Wilhelm Scheidt vorgelegt, US-558. In diesem Affidavit gibt Scheidt folgendes an:
Ich zitiere von Seite 2:
»Es war eine allgemein bekannte Tatsache, daß der Partisanenkrieg von beiden Seiten mit Grausamkeit geführt wurde.«
Ich lasse nun einen Satz aus. Er führt weiter aus:
»Es steht außer Frage, daß diese Tatsachen den führenden Offizieren im Wehrmachtführungsstab und im Generalstab des Heeres bekanntgewesen sein müssen. Es war weiterhin bekannt, daß Hitler der Ansicht war, daß im Kampf gegen die Partisanen nur die Anwendung von grausamen Abschreckungsstrafen erfolgreich sein könne.«
Ist diese Behauptung des Rittmeisters Scheidt richtig, nämlich daß die führenden Offiziere des Wehrmachtführungsstabes und Generalstabs des Heeres von diesem von beiden Seiten grausam geführten Partisanenkrieg gewußt haben?
JODL: Was wir über den Partisanenkrieg gewußt haben, und zwar zunächst wie er von der Gegenseite geführt wurde, das liegt dem Gericht bereits vor, nämlich in meiner von mir unterschriebenen Vorschrift über die Bandenbekämpfung in diesem Dokument F-665. Dort ist auch im Eingang eine längere Abhandlung, wie die Partisanen diesen Krieg führten. Das haben wir uns natürlich nicht aus den Fingern gesogen, sondern das war der Extrakt von Hunderten von Meldungen. Daß nun eine Truppe in diesem Kampfe, wenn sie persönlich unter dem Eindruck dieser Kampfweise der Gegner steht, auch ihrerseits nicht gerade sehr milde verfährt, das konnte man sich denken. Aber trotzdem enthielten die Vorschriften, die wir herausgaben, niemals ein Wort darüber, daß in diesem Partisanenkampf keine Gefangenen zu machen seien; sondern im Gegenteil, es war auch aus allen Meldungen ersichtlich, daß die Zahl der Gefangenen weitaus größer war, wie die der Toten. Daß der Führer selbst der Auffassung war, es dürfe der Truppe in der Führung dieses Gegenkampfes gegen die Partisanen keinerlei Einschränkung gemacht werden, das ist authentisch durch meine vielen Auseinandersetzungen und auch die des Generalstabs des Heeres mit dem Führer darüber bewiesen.
DR. LATERNSER: Wenn nun den Oberbefehlshabern Meldungen zugegangen sind über Grausamkeiten, begangen von den eigenen Soldaten?
JODL: Dann ist dagegen kriegsgerichtlich eingeschritten worden. Und auch das liegt dokumentarisch fest, denn ich erinnere an den Befehl, den der Führer herausgegeben hat und der mit dem Satz beginnt etwa: »Mir ist gemeldet worden, daß gegen einzelne Soldaten der Wehrmacht wegen ihres Verhaltens im Partisanenkampf kriegsgerichtlich eingeschritten worden ist.«
DR. LATERNSER: Und das ist dann das einzige, was der Oberbefehlshaber in solchen Fällen tun kann?
JODL: Eine andere Möglichkeit hatte er nicht und er hat auch nach diesen Befehlen immer noch nach seinen rechtlichen Auffassungen gehandelt. Wer konnte ihn denn daran hindern?
DR. LATERNSER: Die Anklage hat weiter das Affidavit Nummer 15 des Generals Röttiger, US-559, vorgelegt. In dieser Erklärung gibt Röttiger an, auf Seite 1 in der Mitte:
»Ich bin erst jetzt auf Grund der mir vorgelegten Dokumente zu der Erkenntnis gekommen, daß mit der Anordnung zur schärfsten Durchführung des Bandenkampfes von höchster Stelle möglicherweise im Endziel der Zweck verfolgt wurde, den militärischen Bandenkampf des Heeres auch dazu auszunützen, die rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente zu ermöglichen.«
Hat die höchste Wehrmachtführung einen derartigen Standpunkt eingenommen und ein derartiges Endziel beabsichtigt?
JODL: Nein. Also natürlich nach der Kirche ist man klüger wie vorher. Auch ich habe heute viele Erkenntnisse gewonnen, die ich vorher nicht hatte; aber diese Erkenntnis geht völlig irre; denn unter den Partisanen befanden sich so gut wie keine Juden. Diese Partisanen waren im wesentlichen fanatische, stahlharte russische Kämpfer, und zwar Weißrussen in der vorwiegenden Anzahl. Und das mußte auch der Zeuge Bach- Zelewski auf Anfrage meines Verteidigers schon zugeben, daß sich unter diesen Partisanen so gut wie keine Juden befanden. Und was die Ausrottung des Slawentums betrifft, so kann ich nur feststellen, die Slawen, die im Partisanenkampf getötet worden sind, waren ja allerhöchstens ein Zwanzigstel oder ein Dreißigstel von dem, was in den normalen großen Schlachten mit den sowjetrussischen Armeen die Russen an Toten und Verwundeten verloren haben. Das fiel zahlenmäßig dabei überhaupt gar nicht ins Gewicht. Das geht also völlig irre.
DR. LATERNSER: Von dem gleichen General Röttiger hat die Anklage ein weiteres Affidavit Nummer 16, und zwar US-560, vorgelegt. General Röttiger führt im letzten Satz folgendes an – ich zitiere:
»Obwohl man allgemein über die Sonderaufgaben der SD-Einheiten Bescheid wußte und dies ja auch anscheinend mit Wissen der obersten Wehrmachtführung geschah, traten wir deren Methoden weitmöglichst entgegen, da die... Gefährdung der eigenen Truppe bestand.«
General Röttiger behauptet also in dieser eidesstattlichen Erklärung, daß die Sonderaufgaben der SD-Einheiten, anscheinend allerdings nur mit Wissen der obersten Wehrmachtführung erledigt worden seien. Wenn das richtig wäre, dann müßten Sie, Herr Generaloberst, ja über die Aufgaben Bescheid wissen und diese Fragen haben Sie ja vorhin schon...
JODL: Das habe ich schon beantwortet. Ich habe nie einen Offizier gesprochen, nie, der von diesen Dingen Kenntnis hatte und das mir gegenüber zum Ausdruck brachte.
DR. LATERNSER: Ebenfalls in der Anklage gegen Generalstab und Oberkommando hat die Anklage das Affidavit Nummer 17, und zwar als US-562 vorgelegt. Diese eidesstattliche Erklärung stammt von einem SS-Führer Rode. Rode gibt an, und zwar auf Seite 2 oben:
»Als Beweis kann man ja den Befehl des OKW und OKH anführen, der bestimmte, daß alle gefangenen Bandenangehörigen, wie zum Beispiel Juden, Agenten und politische Kommissare von der Truppe unverzüglich dem SD zwecks Sonderbehandlung zu übergeben sind. Außerdem enthielt dieser Befehl damals die Anordnung, daß im Bandenkampf keinerlei Gefangene außer den Obengenannten zu machen sind.«
Herr Generaloberst! Bestand ein derartiger Befehl, daß im Bandenkampf keine Gefangenen zu machen seien?
JODL: Ein derartiger Befehl hat niemals bestanden. Ich habe niemals einen solchen Befehl gesehen; in den Vorschriften über die Bandenbekämpfung stand er nicht. Im übrigen ist von dieser Aussage hier so ziemlich jedes Wort falsch. Einen Befehl OKW/OKH gab es nie, also einen Befehl, der von beiden Stellen stammte. Juden in den Banden habe ich schon erwähnt; Agenten unter den Banden, Agenten, das ist eine Sache für sich; politische Kommissare ist ein ganz anderer Punkt; und dem SD sind sie überhaupt nie übergeben worden zur Sonderbehandlung, wenn es geschehen ist. Denn der SD hatte eine ganz andere Aufgabe, höchstens der Sicherheitspolizei. Es ist also jedes Wort falsch.
DR. LATERNSER: Von dem gleichen SS-Führer Rode liegt ein Affidavit Nummer 18 vor, das von der Anklage als US-563 vorgelegt worden ist. In diesem Affidavit führt Rode folgendes aus:
»Soweit mir bekannt ist, waren die SD-Einsatzgruppen bei den einzelnen Heeresgruppen diesen voll unterstellt, taktisch sowohl auch in jeder anderen Weise. Den Oberbefehlshabern waren deshalb die Aufgaben und Arbeitsmethoden dieser Einheiten völlig bekannt. Sie haben die Aufgaben und Arbeitsmethoden gebilligt, da sie ja einschneidend niemals dagegen Front gemacht haben.«
Kennen Sie den SS-Führer Rode?
JODL: Ich kenne ihn nicht, aber ich glaube, es ist nicht notwendig, viel dazu zu sagen; denn hier in diesem Zeugenstand hat der General der Polizei Schellenberg, der ja selbst eine solche Einsatzgruppe geführt hat, also es wirklich wissen muß, ganz klar zum Ausdruck gebracht, wie sein Unterstellungsverhältnis war und von wem er seine Aufträge bekommen hat.
DR. LATERNSER: Das war nicht der Zeuge Schellenberg, sondern das war der Zeuge Ohlendorf.
JODL: Ohlendorf? Ja.
DR. LATERNSER: Ich habe noch einige Fragen zum Kommissarbefehl. Waren Sie bei der Besprechung zugegen als Hitler den Oberbefehlshabern den Kommissarbefehl mündlich eröffnet hat?
JODL: Er hat über den Kommissarbefehl schon gleich zu Beginn nur mit dem Oberbefehlshaber des Heeres, meiner Erinnerung nach, oder dem Generalstabschef und ein paar Offizieren des OKW gesprochen. Er kam dann in seiner Ansprache an die Oberbefehlshaber in einer späteren Zeit, meiner Erinnerung nach, auf diese seine Anordnung ebenfalls zu sprechen. Und ich glaube, es war damals bei dieser zweiten Besprechung, wo er die Worte geprägt hat: »Ich kann nicht verlangen, daß meine Generale meine Befehle verstehen, aber ich muß verlangen, daß sie sie befolgen.«
DR. LATERNSER: Kennen Sie Oberbefehlshaber, die gegen diesen Befehl Widerstand geleistet haben?
JODL: Mir ist später einmal erzählt worden, ich weiß nicht, ob es richtig ist, daß Feldmarschall Rommel diesen Befehl verbrannt hätte.
DR. LATERNSER: Bezieht sich diese Erinnerung, Herr Generaloberst, nicht auf den Kommandobefehl? Generalfeldmarschall Rommel war...
JODL: Ja, das war der Kommandobefehl. Sie sprachen doch über den Kommissarbefehl nicht wahr?
DR. LATERNSER: Richtig.
JODL: Ich erinnere mich, daß von seiten des Oberkommandos des Heeres, das ja diesen Befehl leider ausführen sollte, eigentlich unaufhörlich Vorstellungen erhoben worden sind, über eine längere Zeit hindurch. Unter der Hand sagten mir auch Offiziere des Generalstabs, er würde größtenteils gar nicht durchgeführt. Aber ich kenne da einen offiziellen Antrag beim Führer, diesen Befehl nun auch wirklich offiziell aufzuheben. Und das ist auch geschehen. Ich weiß nicht mehr, wann das war.
DR. LATERNSER: Von wem ist dieser Antrag gestellt worden?
JODL: Vom Oberkommando des Heeres, ob vom Generalstabschef oder vom Oberbefehlshaber, das kann ich nicht sagen.
DR. LATERNSER: Wann ist dieser Antrag gestellt worden?
JODL: Ich glaube, daß es im Frühjahr 1942 war.
DR. LATERNSER: Im Frühjahr 1942? Und auf diesen Antrag hin...
JODL: Der Befehl ist, das weiß ich genau, aufgehoben worden.
DR. LATERNSER: Haben Sie irgendeinen Oberbefehlshaber gesprochen, der diesem Befehl zugestimmt hat?
JODL: Nein, alle Offiziere, die ich gesprochen habe, hielten den Befehl erstens für menschlich abzulehnen und zweitens für praktisch falsch.
DR. LATERNSER: Bei der mündlichen Begründung, die Hitler zu diesem Befehl gegeben hat und die Sie hier schon teilweise angegeben haben, soll Hitler noch weitere Gründe für diesen Befehl angegeben haben, die ich Sie bitten möchte – damit dieser Komplex ganz klar ist – noch anzugeben.
JODL: Er hat längere Ausführungen darüber gemacht, wie immer, wenn er die Notwendigkeit empfunden hat, jemand zu überzeugen.
DR. LATERNSER: Hat er angegeben...
VORSITZENDER: Sind die Gründe dafür nicht schon angegeben worden?
DR. LATERNSER: Nach meiner Orientierung sind sie noch nicht vollständig angegeben worden.