[Zum Zeugen gewandt:]
Was wissen Sie über die Gründe des Massensterbens russischer Kriegsgefangener im Winter 1941?
JODL: Darüber bin ich unterrichtet, weil die Adjutanten des Führers, und zwar mehrere Adjutanten, persönlich dort hingeschickt waren und dem Führer in meiner Gegenwart darüber berichteten. Es drehte sich vor allem jetzt um das Massensterben nach der letzten großen Kesselschlacht von Wjasma. Der Grund für dieses Massensterben wurde von diesen Adjutanten des Führers folgendermaßen geschildert: Die eingeschlossenen russischen Armeen hatten einen fanatischen Widerstand geleistet, und zwar bereits die letzten acht bis zehn Tage ohne jede Verpflegung. Sie hatten buchstäblich von Baumrinden und Wurzeln gelebt, denn sie hatten sich in die ungangbarsten Waldgebiete zurückgezogen und fielen nun in einem Kräftezustand in unsere Hände, in dem sie kaum mehr bewegungsfähig waren. Es war unmöglich, sie fortzuschaffen. Es war in dieser angespannten Versorgungslage, in der wir uns mit dem zerstörten Bahnnetz befanden, unmöglich, sie alle zu fahren. Unterkünfte waren nicht in der Nähe. Der größte Teil wäre nur durch eine sofortige sorgfältige Lazarettbehandlung zu retten gewesen. Sehr bald setzte dann der Regen ein und später die Kälte; und das ist der Grund, warum ein so großer Teil dieser, gerade dieser Gefangenen von Wjasma, gestorben ist.
So lautete der Bericht der dorthin entsandten Adjutanten des Führers. Die gleichen Meldungen kamen vom Generalquartiermeister des Heeres.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie über die Beschießung von Leningrad durch die deutsche Artillerie? Sie werden sich erinnern, daß hier ein Zeuge über diesen Punkt vernommen worden ist?
JODL: Ich war bei zwei Besprechungen, die der Führer persönlich mit dem deutschen Artilleriekommandeur abgehalten hat, der die Artillerie vor Leningrad führte. Er brachte die genaue Zielkarte und es waren nach einem ganz sorgfältigen System nur die Schlüsselbetriebe in Leningrad als Ziele vorgesehen, die zu beschießen notwendig war, um die Widerstandskraft der Festung tatsächlich lahmzulegen. Vor allem waren es die Betriebe, die dort immer noch Munition erzeugten. Die Munition für diese schweren Geschütze, von denen ja nur ein geringer Teil bis in die Mitte Leningrads hineinreichte, war so knapp, daß man außerordentlich sparsam mit ihr umgehen mußte. Denn meistens waren es Beutegeschütze aus Frankreich und wir hatten nur so viel Munition, wie wir erbeutet hatten.
DR. LATERNSER: Sie wissen, daß der Zeuge behauptet hat, die Artillerie habe nach seiner Meinung absichtlich die Schlösser in Leningrad vernichtet. Sie haben die Artilleriezielkarte gesehen?
JODL: Ich habe die Artilleriezielkarte selbst viele Wochen in meiner Mappe gehabt. Es war ausschließlich die Rüstungsindustrie; denn nur Wahnsinnige würden auf etwas anderes schießen. Daß dabei durch die Streuung natürlich auch die Schüsse woanders hingingen, das weiß jeder Artillerist.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie über den Befehl Hitlers und des OKH, bei dem Rückzug im Winter 1941 Wohnhäuser und Kamine zu zerstören? Die Gründe für das Zustandekommen dieses Befehls?
JODL: Die Gründe sind die, daß die...
DR. LATERNSER: Ich beziehe mich auf den Befehl USSR-130. Ich habe leider nicht feststellen können, an welchem Tage dieser Befehl von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist. Ich werde es feststellen und noch angeben lassen.
JODL: In diesem furchtbaren Winterkampf bis zu 48 Grad Kälte haben die Führer von der Front dem Führer im Hauptquartier gemeldet, daß es sich bei diesem Kampf ausschließlich um den Kampf um Wärmestellen handle. Wer nicht im Besitz einer Feuerstelle ist, also einer Ortschaft mit noch brauchbaren Öfen, der könne sich nicht halten, der könne auch nicht kämpfen am nächsten Tage. Also hier war es wirklich nur ein Kampf um die Öfen, und wenn wir infolgedessen zum Rückzug gezwungen waren, befahl der Führer daraufhin, dann müssen diese Kamine zerstört werden; nicht nur die Häuser, sondern auch die Kamine müssen gesprengt werden; denn das allein verhindert in dieser kritischen Lage eine Verfolgung durch die Russen. Und da nach der Haager Landkriegsordnung jede Zerstörung erlaubt ist, die militärisch unbedingt notwendig ist, glaube ich, daß man für diese Art des Winterkrieges, und nur im Winter ist es geschehen, diesen Befehl auch rechtfertigen kann.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie über den Fall Katyn?
JODL: Über die Auffindung dieser Massengräber habe ich die erste Meldung bekommen durch meine Propagandaabteilung, die durch ihre Propagandakompanie bei der Heeresgruppe unterrichtet war. Ich habe erfahren, daß das Reichspolizeikriminalamt mit der Untersuchung dieser ganzen Angelegenheit betraut worden ist; und ich habe dann einen Offizier meiner Propagandaabteilung zu den Ausgrabungen und zu den Vorführungen vor den ausländischen Sachverständigen mitgeschickt; und von dem habe ich dann einen Bericht bekommen, der im großen dem entspricht, wie er im Weißbuch, ich glaube, des Auswärtigen Amtes, niedergelegt ist.
Irgendeinen Zweifel an dieser Tatsache, wie sie darin dargestellt ist, habe ich niemals, von keinem Menschen gehört.
DR. LATERNSER: Sie haben auch den Film gesehen, der hier von der Russischen Anklagebehörde vorgeführt worden ist und der Grausamkeiten behandelte, begangen im jugoslawischen Raum. Können Sie verschiedene Bilder, die Sie noch in Erinnerung haben, erklären?
JODL: Ich glaube, daß jedes Bild, das hier gezeigt worden ist, als Bild absolut richtig ist und richtig war; das waren erbeutete Photographien. Aber es ist ja nicht gesagt worden, was diese Photographien darstellten. Es ging ja aus dem Film nicht hervor, ob der Hund, der einen Menschen zerfleischt, nicht in einer Heereshundeschule aufgenommen...
VORSITZENDER: Das ist nur Argumentation.
DR. LATERNSER: Ich wollte bereits abstoppen.
VORSITZENDER: Jawohl.
DR. LATERNSER: Ich habe an bestimmte Aufnahmen gedacht, die Sie vielleicht aufklären können so, daß nichts...
Ich erinnere mich dieser einen Aufnahme, wo ein Polizeihund einen Menschen oder eine Puppe anspringt. Können Sie angeben...
VORSITZENDER: Sie haben ihn über diese Bilder gefragt, und er sagt, es seien seiner Meinung nach alles echte Aufnahmen. Er hat sie nicht aufgenommen und weiß nichts darüber, und alles, was er sagen kann, scheint uns nur Argumentation zu sein.
DR. LATERNSER: Ich ziehe die Frage zurück.
Herr Generaloberst! Ist Löwen so genommen worden, wie der Zeuge van der Essen ausgesagt hat? Der Zeuge van der Essen sagte, daß um Löwen gar nicht gekämpft worden sei.
JODL: Ich habe festgestellt, daß im Wehrmachtsbericht vom, ich glaube, vom 18. Mai, der Satz enthalten ist: »Löwen nach schwerem Kampf genommen«, und ich glaube nicht...
VORSITZENDER: Über welchen Ort haben Sie gefragt?
DR. LATERNSER: Ich fragte den Zeugen, auf welche Weise Löwen genommen worden ist, ob es vom Gegner nur geräumt und dann besetzt worden ist oder ob um diesen Ort gekämpft werden mußte. Der Zeuge hat nämlich angegeben, daß um Löwen nicht gekämpft worden sei und daß es daher ein besonders verwerfliches Stück sei.
VORSITZENDER: Was hatte das mit dem Generalstab zu tun?
DR. LATERNSER: Ja dann, Herr Präsident, weiß ich nicht, wem dieses Ereignis zur Last gelegt werden soll. Ich kann keine Verbindung zu irgendeinem der Angeklagten feststellen. Dann müßten wir das ganze Vorbringen streichen, wenn es niemand zugerechnet werden kann.
VORSITZENDER: Ist dies eines der Vorkommnisse, auf die sich die Anklageschrift bezieht?
DR. LATERNSER: Nein, in der Anklageschrift ist darüber nichts ausgeführt worden.
VORSITZENDER: Und in der Beweisaufnahme?
DR. LATERNSER: Da ist darüber nichts ausgeführt worden; aber es ist im Beweisverfahren ein Zeuge vorgeführt worden, der aussagte, daß durch die deutsche Artillerie die Universität Löwen mutwillig zerstört worden sei; es habe gar keine Veranlassung dazu bestanden, den Ort zu beschießen.
VORSITZENDER: Ich habe den Namen des Ortes nicht verstanden, aber setzen Sie nur fort.
JODL: Ich weiß, daß im Wehrmachtsbericht vom 18. Mai 1940 der Satz aufgenommen war: »Löwen nach schwerem Kampf genommen.« Und wenn der deutsche Wehrmachtsbericht auch vielleicht manches verschwiegen hat, wissentlich die Unwahrheit hat er nie gesagt, das kann ich hiermit feststellen, denn ich habe ihn redigiert.
DR. LATERNSER: Über den Fall Oradour haben Sie bereits gestern Ausführungen gemacht. Ich wollte Sie nur fragen: Was hat Feldmarschall von Rundstedt wegen dieses Falles unternommen, als er ihm gemeldet worden ist?
JODL: Ich habe viele Wochen später erfahren, daß durch den Feldmarschall von Rundstedt eine Untersuchung eingeleitet worden ist und daß über den Fall Oradour auch ein Schriftwechsel zwischen Feldmarschall Keitel, der Waffenstillstandskommission und dem Feldmarschall von Rundstedt im Gange war.
DR. LATERNSER: Ist durch den Oberbefehlshaber West ein kriegsgerichtliches Verfahren eingeleitet worden?
JODL: Das muß wohl der Fall gewesen sein; denn ich habe die Erklärung eines SS-Gerichts zu diesem Vorfall gelesen.
DR. LATERNSER: Wie dieses Verfahren ausgegangen ist?
JODL: Das kann ich nicht sagen.
DR. LATERNSER: Dann komme ich zu den letzten Punkten:
Wie viele Besprechungen haben vor der Ardennenoffensive stattgefunden, im Dezember 1944?
JODL: Über die Ardennenoffensive haben vier Besprechungen stattgefunden.
DR. LATERNSER: Haben Sie an allen diesen Besprechungen teilgenommen?
JODL: Ich habe an allen diesen Besprechungen teilgenommen.
DR. LATERNSER: Ist anläßlich einer dieser Besprechungen zu irgendeiner Zeit ein Befehl gefordert oder gegeben worden, während dieser Offensive Gefangene zu erschießen?
JODL: Nein, ich kann aber noch mehr sagen: Es ist bei keiner dieser Besprechungen überhaupt ein Wort gefallen, das außerhalb der rein operativen Überlegungen gelegen hätte. Es ist überhaupt nicht gesprochen worden über das Verhalten der Truppe.
DR. LATERNSER: Herr Generaloberst! Hätten Sie es erfahren, wenn ein derartiger Befehl von – wollen wir mal annehmen – Feldmarschall von Rundstedt gegeben worden wäre?
JODL: Ein solcher Befehl ist völlig ausgeschlossen. Er konnte niemals auf dem Wege der Soldaten gegeben worden sein. Er konnte höchstens auf dem Dienstweg über die Polizei, über Himmler oder die SS ergangen sein.
DR. LATERNSER: Aber dann doch nicht mit Verbindlichkeit für Wehrmachtsteile, also Heeresteile, die beteiligt gewesen waren?
JODL: Es ist völlig ausgeschlossen, daß ein Oberbefehlshaber des Heeres einen solchen Befehl überhaupt akzeptiert hätte; und ich kenne überhaupt keinen Befehl des Führers, der sich in dieser Hinsicht gegen normale Gefangene gerichtet hätte.
DR. LATERNSER: Ich habe diese Frage auch nur deshalb gestellt, weil ebenfalls der Zeuge van der Essen hier ausgesagt hat, daß er nach der Art der Gefangenenbehandlung auf einen entsprechenden Befehl von höherer Stelle schließen müsse, und aus diesem Grunde habe ich die Frage gestellt.
Kennen Sie den Fall, und zwar den Kommandofall...
VORSITZENDER: Dr. Laternser! Ich dachte, Sie hätten Ihre letzte Frage gestellt? Sie sagten doch, das sei Ihre letzte Frage.
DR. LATERNSER: Die letzten Fragen. Ich bin in fünf Minuten fertig, Herr Präsident. Ich bitte zu berücksichtigen, daß Herr Generaloberst Jodl zur angeklagten Gruppe gehört und er derjenige Offizier ist, der am besten orientiert ist, und daß dann zu einer Vernehmung eineinhalb Stunden wirklich nicht eine zu große Zeit sein dürfte.