[Zum Zeugen gewandt:]
Kennen Sie den Kommandofall, an dem der Sohn des britischen Feldmarschalls Alexander beteiligt war?
JODL: Ja, den Fall kenne ich.
DR. LATERNSER: Bitte, schildern Sie diesen Fall.
JODL: Ich erfuhr diese Angelegenheit durch eine Meldung. Ich weiß nicht mehr, von wem sie kam. Ich habe mit dem Feldmarschall Keitel darüber gesprochen und habe meine Ansicht vertreten, daß man deswegen doch nicht ein Gerichtsverfahren gegen einen Leutnant zu machen brauche, weil er eine deutsche Feldmütze bei einem solchen Unternehmen getragen hat. Es war nämlich ein Gerichtsverfahren gegen ihn im Gange und daraufhin hat der Feldmarschall Keitel den Befehl gegeben, dieses Verfahren einzustellen.
DR. LATERNSER: Ist das Verfahren dann auch eingestellt worden?
JODL: Das Verfahren ist eingestellt worden.
DR. LATERNSER: Nun, bezüglich des Umfanges der Gruppe noch zwei Fragen: Welche Befugnisse hatte der stellvertretende Chef des Wehrmachtführungsstabes?
JODL: Der stellvertretende Chef des Wehrmachtführungsstabes, möchte ich sagen, dirigierte in der Praxis die Generalstabsarbeit meines ganzen Stabes, von dem ich ja räumlich abgesetzt war; denn ich war in dem sogenannten Sperrkreis 1 und mein Stab war in dem Sperrkreis 2, also außerhalb; und diese ganze Generalstabsarbeit innerhalb des engsten Stabes, die leitete er und im Bedarfsfall hat er mich natürlich vertreten.
DR. LATERNSER: Die Anklage hat behauptet, daß der stellvertretende Chef des Wehrmachtführungsstabes verantwortlich gewesen sei, für die strategische Planung. Ist das richtig?
JODL: Nein, das war in erster Linie ich.
DR. LATERNSER: Ist die Bedeutung der Stellung des stellvertretenden Chefs des Wehrmachtführungsstabes entsprechend der Bedeutung der übrigen Dienststellungen, die in der angeklagten Gruppe zusammengefaßt sind?
JODL: Nein, sie liegt mit großem Abstand darunter. Er hatte nicht die Stellung eines Armeeoberbefehlshabers und nicht die Stellung eines Generalstabschefs.
DR. LATERNSER: Danke sehr, ich habe keine weiteren Fragen.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen.
[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Hat noch ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?
DR. STAHMER: Waren Sie, Herr Generaloberst, zugegen, als Ende März 1944 Himmler in der Lagebesprechung Hitler meldete, daß etwa 80 englische Fliegeroffiziere aus dem Lager Stalag III, Sagan, geflohen seien?
JODL: Ich bin in dem Augenblick, als Himmler diese Tatsache gemeldet hat, nicht in der großen Halle des Berghofs gewesen, sondern ich war in einem Nebenraum, um zu telephonieren.
Als sich dann eine ungeheuer laute Diskussion entwickelte, bin ich vorübergehend an den Vorhang getreten, um zu hören, was hier los sei; und dabei hörte ich, daß es sich um den Ausbruch der englischen Flieger aus dem Lager Sagan handelte.
DR. STAHMER: War Reichsmarschall Göring bei dieser Lagebesprechung zugegen?
JODL: Der Reichsmarschall war bei dieser Lagebesprechung nicht zugegen. Das weiß ich mit absoluter Sicherheit.
DR. STAHMER: Haben Sie in späteren Gesprächen mit dem Reichsmarschall von dessen Einstellung zu der ausgeführten Erschießung eines Teils der geflohenen Offiziere Kenntnis erhalten?
JODL: Ich weiß aus den Gesprächen mit dem Generalstabschef der Luftwaffe, daß der Reichsmarschall über diese Erschießung empört war, wie ich überhaupt weiß, daß gerade in diesen Punkten immer der ehemalige Offizier bei ihm zum Durchbruch kam, der solche Unglaublichkeiten abgelehnt hat. Da muß man der Wahrheit die Ehre geben. Es kam aus diesem Grunde zu wiederholten Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem Führer, die ich persönlich miterlebt habe.
DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.
RECHTSANWALT GEORG BÖHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Mit Erlaubnis des Gerichts werde ich an den Zeugen einige Fragen stellen.
Herr Zeuge! Sie waren Chef des Wehrmachtführungsstabes, und es sind Ihnen die Einheiten, die Ihnen zur Verfügung gestanden sind, bekannt. Die Anklage behauptet nun, daß Sie von der SA erwartet haben, daß Sie sie als eine Kampftruppe an den ersten Tagen des Angriffskrieges finden würden, und zwar auf der Basis der sogenannten Kommandotruppe. Ich möchte Sie nun fragen: Ist Ihnen die Bezeichnung »Kommandotruppe« bekannt im Zusammenhang mit einer Verwendung der SA als solcher durch die Wehrmacht?
JODL: Nein, das ist mir nicht bekannt. Das Wort Kommandotruppe habe ich zum erstenmal gehört in der Verbindung mit den Unternehmungen der englischen Ranger-Bataillone. Bei uns ist dieser Begriff niemals angewendet worden.
RA. BÖHM: Es ist also völlig ausgeschlossen demnach, daß die SA als Kommandotruppe hinter den regulären Truppen bei dem Einmarsch in Österreich oder bei der Besetzung des Sudetenlandes verwendet worden ist?
JODL: Mir ist kein Fall bekannt, daß Formationen der SA bei der Besetzung eines anderen Landes mitgewirkt hätten, mit Ausnahme des Freikorps Henlein, das sich aber vorwiegend aus den sudetendeutschen Flüchtlingen zusammensetzte. Bei diesem Freikorps Henlein waren, glaube ich, einige Führer der SA, die früher Offiziere waren, tätig.
RA. BÖHM: Fand das Regiment »Feldherrnhalle« als SA-Einheit oder als Regiment der Wehrmacht im Kriege Verwendung?
JODL: Das Regiment »Feldherrnhalle« war ausschließlich ein Regiment der Wehrmacht, das lediglich, ich möchte sagen, die Tradition der SA verkörperte und vorwiegend sich aus der SA rekrutierte. Aber es hatte mit der Obersten SA-Führung gar nichts zu tun, und es war voll und ganz ein Regiment der Wehrmacht.
RA. BÖHM: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß in 25 Gruppenschulen und in drei Reichsführerschulen der SA jährlich etwa 22000 bis 25000 Führer und Unterführer ausgebildet worden sind für die Front und daß diese 22000 bis 25000 Führer und Unterführer als solche in der Wehrmacht Verwendung gefunden haben?
JODL: Davon ist mir nichts bekannt, und ich halte es für ausgeschlossen, daß die Wehrmacht ihre Führer und Unterführer durch irgend jemand anders ausbilden ließ als durch ihr eigenes Personal.
RA. BÖHM: Ist es nicht vielmehr so, daß die sämtlichen SA-Angehörigen als gewöhnliche Soldaten zur Wehrmacht eingezogen und in der für Wehrmachtsangehörige üblichen Weise vom gemeinen Soldaten sich hochdienen mußten?
JODL: Die SA wurde wie jeder Deutsche in die Wehrmacht eingezogen, und ich kenne eine Menge Fälle, wo hohe SA-Führer in den alleruntersten Stellungen als Soldaten oder als Unteroffiziere mit ihrem Dienst in der Wehrmacht begonnen haben.
RA. BÖHM: Die Anklage behauptet dann weiter, daß nach 1934 nicht nur 22000 bis 25000 Führer und Unterführer von der SA ausgebildet worden seien, sondern daß auch 25000 Offiziere und Unteroffiziere von der SA für die Wehrmacht weiterhin ausgebildet worden seien. Ist Ihnen davon etwas bekannt?
JODL: Was ich vorhin schon über die Unterführer gesagt habe, gilt in noch viel höherem Maße für Offiziere. Die Offiziere wurden nur auf den Kriegsschulen des Heeres ausgebildet und sonst nirgends.
RA. BÖHM: Die Anklage behauptet weiter – und ich frage Sie, ob Ihnen dazu etwas bekannt ist –, daß im Zuge der Totalisierung des Kriegseinsatzes 86 Prozent des hauptberuflichen Führerkorps zur Verfügung gestellt worden seien?
JODL: Darauf kann ich eine bindende Antwort nicht geben, das ist mir nicht bekannt.
RA. BÖHM: Und weiter behauptet die Anklage, daß die SA als Ganzes von ihren nach Millionen zählenden Angehörigen 70 Prozent an die Wehrmacht abgegeben habe. Es mag möglich sein, daß 70 Prozent der SA-Angehörigen ihrer Wehrpflicht genügten.
Ich wollte Sie fragen: Wurden diese 70 Prozent aus der SA als Ganzes eingezogen oder wurden diese 70 Prozent nicht vielmehr im Rahmen der allgemeinen Einberufungen, wie sie der wehrfähigen männlichen Bevölkerung gegenüber stattfanden, eingezogen?
JODL: Die SA spielte im Rahmen unseres Ersatzwesens überhaupt gar keine Rolle. Der Mann wurde als wehrpflichtiger Deutscher eingezogen wie jeder andere. Ob er vorher in der SA war oder nicht, spielte gar keine Rolle.
RA. BÖHM: Wurden jemals von der Wehrmacht SA- Nachrichtenstürme oder Pionierstürme oder Reiter- und Sanitätsstürme verwendet, beziehungsweise zu Kampfhandlungen in- oder außerhalb eines Divisionsverbandes der Wehrmacht eingesetzt?
JODL: Mir persönlich ist kein Fall bekannt, daß irgendeine SA-Formation überhaupt im Kriege außerhalb der Heimat in Erscheinung getreten wäre.
RA. BÖHM: Stand dem Chef des Wehrmachtführungsstabes ein Verbindungsmann zur SA zur Verfügung?
JODL: Nein, sondern von Zeit zu Zeit kam gelegentlich ein Offizier der Obersten SA-Führung zu mir, und dabei erkundigte er sich meist nach dem Schicksal und nach dem Ergehen des aus der SA hervorgegangenen oder hauptsächlich aus SA-Angehörigen zusammengesetzten Regiments »Feldherrnhalle« und später auch eines Panzerverbandes, der ebenfalls die Tradition der »Feldherrnhalle« der SA weiterführte.
RA. BÖHM: Die Anklage hat eine Zeitung vorgelegt, aus der hervorgeht, daß gelegentlich der Musterung von SA-Angehörigen Feldmarschall Brauchitsch anwesend gewesen sei, und sie will damit den engen Zusammenhang zwischen der Ausbildung der SA und der Wehrmacht darstellen. Können Sie sich diese Aufnahme oder dieses Photo erklären?
JODL: Ich glaube, daß es sich darum handelt, daß der Feldmarschall von Brauchitsch einmal den Stabschef Lutze begleitet hat, als dieser eine Besichtigung einer normalen SA-Einheit vorgenommen hat und daß er dabei von dem Feldmarschall von Brauchitsch begleitet worden ist, weil wir tatsächlich, wie ich schon schilderte, nach dem Röhm-Putsch keinerlei Konfliktstoffe mit der SA mehr hatten, die bei Kriegsbeginn ihre gesamte Ausrüstung einschließlich aller Zeitplanen an die Wehrmacht abgegeben hat. Dessen erinnere ich mich besonders genau.
RA. BÖHM: Konnte es sich bei diesem Besuch des Feldmarschalls von Brauchitsch, bei dieser Musterung von SA-Angehörigen, um eine dienstliche Tätigkeit des Feldmarschalls drehen?
JODL: Nein, das war meiner Ansicht nach ein Akt der Courtoisie.
RA. BÖHM: Aus dem Gesichtspunkt der Verschwörung, wie hier behauptet wird im Zusammenhang mit der SA, ist Ihnen bekannt, daß es Aufgabe der SA zu allen Zeiten gewesen sein soll, insbesondere aber in den Jahren 1933 bis 1939, Deutschland und insbesondere die Jugend auf einen harten Eroberungskrieg vorzubereiten, indem sie – die SA – sowohl in Deutschland als auch insbesondere bei der Jugend Kriegsgeist geschaffen, vergrößert und erhalten habe. Ist Ihnen in dieser Richtung aus Ihren persönlichen Wahrnehmungen etwas bekannt?
JODL: Das ist mir nicht bekannt. Daß die SA als eine Gliederung der Partei sich ebenfalls bemühte, einen vaterländischen Geist innerhalb ihrer Reihen zu erhalten, die körperliche Ertüchtigung zu pflegen, das ist selbstverständlich. Vorbereitet auf Angriffskriege hat überhaupt niemand irgend jemanden.
RA. BÖHM: Das ist aber das, was hier in Bezug auf die SA behauptet wird; und da sind Sie der Auffassung, daß das nicht wahr ist?
JODL: Ich habe keinerlei Anhaltspunkte dafür.
RA. BÖHM: Danke schön, ich habe keine weiteren Fragen.
DR. MARTIN HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Herr Generaloberst! Als X-Tag für den Vormarsch gegen Polen war zunächst der 26. August 1939 bestimmt worden. Ist es richtig, daß am 25. August die Aufhebung dieses Vormarschbefehls auf dringende Vorstellung Ribbentrops erfolgte, weil nach der dem Auswärtigen Amt ergangenen Mitteilung England den am 6. April 1939 mit Polen geschlossenen Bündnisvertrag ratifiziert hatte und Ribbentrop dem Führer erklärte, daß dies im Falle eines Vormarsches der deutschen Truppen den Krieg mit England bedeutet?
JODL: Ich weiß nicht ganz soviel, als Sie gefragt haben; aber ich weiß doch etwas davon. Als wir am 25. ganz überraschend den Befehl bekamen, »Der für den 26. vorgesehene Angriff findet nicht statt«, da habe ich den damaligen Major Schmundt angerufen – denn der Feldmarschall Keitel war nicht da – und frug ihn: Was ist denn da los? Da sagte er mir, daß vor kurzem der Reichsaußenminister dem Führer die Meldung überbracht hätte, daß England einen Pakt – einen Beistandspakt – mit Polen abgeschlossen hat und daß er deshalb mit einem Eingreifen Englands in den Polenkrieg rechnen würde. Und aus diesem Grunde hätte der Führer den Befehl zum Angriff zurückgezogen. Das habe ich damals erfahren.
DR. HORN: Im Frühjahr 1941 fand nach dem Simowitsch-Putsch eine Besprechung des Führers mit den Befehlshabern der Wehrmachtsteile statt, zu der später auch der Angeklagte von Ribbentrop hinzugezogen wurde. Ist es richtig, daß von Ribbentrop in dieser Besprechung die Auffassung vertrat, vor einer militärischen Aktion auf diplomatischem Wege zu versuchen, die Differenzen mit Jugoslawien auszugleichen? Wie reagierte Hitler auf diesen Vorschlag?
JODL: An diesen Vorfall erinnere ich mich, und zwar besonders gut, weil ich etwa eine Stunde vorher dieselbe Andeutung gegenüber dem Führer gemacht hatte, daß wir doch durch ein Ultimatum die Lage klären würden. Und eine Stunde später machte nun in Unkenntnis dessen der Reichsaußenminister dieselbe Bemerkung. Ihm erging es wesentlich schlechter als mir. Ihm sagte der Führer: »Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Die Jugoslawen, die lügen Ihnen das Blaue vom Himmel herunter; die sagen selbstverständlich, daß sie keinerlei kriegerische Absicht haben, und wenn wir dann in Griechenland einmarschiert sind, dann packen sie uns im Rücken an.«
Dieser Aussprache erinnere ich mich sehr genau.
DR. HORN: Herr Generaloberst! Ist es richtig, daß das Auswärtige Amt vom Ausbruch des russischen Krieges an aus Ostfragen völlig ausgeschaltet war und daß Ribbentrop sich dagegen persönlich und auch durch seinen Verbindungsmann, den Botschafter Ritter, hierüber beklagt hat, ohne Erfolg mit seinen Vorschlägen bei Hitler zu haben?
JODL: Mir ist bekannt, daß der Botschafter Ritter, der ja sehr häufig zu mir kam, wiederholt im privaten Gespräch darüber geklagt hat, daß man dem Auswärtigen Amt solche ungeheuren Stücke aus seinem Aufgabengebiet einfach herausgerissen hat, und ich muß annehmen, daß das nicht nur die Auffassung von Botschafter Ritter war, sondern die Auffassung wohl des ganzen Auswärtigen Amtes und auch des Außenministers.
DR. HORN: Sie haben in Ihrer Vernehmung bereits erwähnt, daß die Wehrmacht gegen Hitlers Absicht gewesen sei, aus der Genfer Konvention auszutreten. Ist Ihnen bekannt, daß Ribbentrop sich der Ansicht Hitlers ebenfalls energisch widersetzte und daß es – nach anfänglicher Ablehnung der Gegenvorstellungen der Wehrmacht – Ribbentrop gelang, Hitler zu veranlassen, von seiner Absicht Abstand zu nehmen?
JODL: In dieser Form kann ich es nicht voll bestätigen. Ich weiß nur das eine sicher, daß ich durch das Auswärtige Amt schriftlich eine ablehnende Stellungnahme zu diesem Vorschlag oder Gedanken des Führers bekommen habe. Das war für mich der Beweis, daß selbstverständlich der Reichsaußenminister diese Auffassung hatte, und diese ablehnende Stellungnahme des Auswärtigen Amtes habe ich zusammen mit den ablehnenden Stellungnahmen von Heer, Marine und Luftwaffe in einer kurzen Denkschrift zusammengestellt und dem Führer übergeben. Inwieweit der Reichsaußenminister beim Führer persönlich in der Angelegenheit vorstellig wurde, das kann ich mit Sicherheit nicht sagen.
DR. HORN: Ist es richtig, daß sich von Ribbentrop gegen die Fesselung englischer Kriegsgefangener als Repressalie für die Fesselung deutscher Kriegsgefangener aussprach und im Einvernehmen mit dem OKW bei Hitler die Aufhebung dieser Maßnahme herbeiführte?
JODL: Das ist richtig. Der Reichsaußenminister, das Auswärtige Amt, sind wiederholt beim Führer vorstellig geworden, diese Fesselung der kanadischen Gefangenen nunmehr doch endlich rückgängig zu machen, und es ist anzunehmen, daß diese vielen Vorstellungen, die auch vom OKW unterstützt wurden, dann endlich dazu geführt haben, daß der Befehl aufgehoben worden ist.
DR. HORN: Sie haben bereits in der Dienstagnachmittagssitzung die Frage der Terrorflieger behandelt und in diesem Zusammenhang dargelegt, daß Sie durch Rückfragen und Anmerkungen zu der in Aussicht genommenen Behandlung dieses Frage den Erlaß einer Entscheidung verhindern wollten. Es sind nun in dieser Sache zwei Dokumente von der Anklage vorgelegt worden. Das eine betrifft die Festhaltung eines angeblichen Gespräches zwischen Ribbentrop, Göring und Himmler in Kleßheim, das andere ein Gutachten des bereits erwähnten Botschafters Ritter. Mich interessiert, von Ihnen zu hören, ob Sie etwas über die Einstellung Ribbentrops zur Behandlung der Frage der Terrorflieger wissen, insbesondere darüber, ob Ribbentrop in dieser Frage für eine Behandlung im Rahmen der Genfer Konvention eingetreten ist und ob er ein solches Abgehen nur dann für möglich gehalten hat, wenn hierfür entscheidende militärische Notwendigkeiten gegeben seien und auch in diesem Falle nur unter dem ausdrücklichen Hinweis, daß ein Abgehen von der Genfer Konvention den Schutzmächten vorher notifiziert werde.
VORSITZENDER: Herr Dr. Horn! Können Sie diese Frage nicht kürzer stellen? Was weiß er darüber?
DR. HORN: Ist es richtig, Herr Generaloberst, daß von Ribbentrop in der Frage der Terrorflieger genau so wie die Wehrmacht gegen ein Abgehen von der Genfer Konvention war und Ribbentrop Hitler gegenüber auch dafür eingetreten ist?
JODL: Ich kann darüber sagen, daß mir aus Gesprächen – auch wieder mit dem Botschafter Ritter – bekannt ist und bekannt war, daß der Reichsaußenminister ein offizielles Vorgehen befürwortete, das heißt eine offizielle Notifizierung, daß wir bestimmte Terrorakte nicht mehr als zu einer reglementären Kriegführung rechnen würden. Das war die ursprüngliche Auffassung des Auswärtigen Amtes. Und demgegenüber habe ich damals betont, daß der Führer davon wahrscheinlich nichts wissen will nach dem, was ich bisher aus seinen mündlichen Anordnungen entnommen habe. Es ist dann tatsächlich zu einem solchen Vorschlag, wie er dem Reichsaußenminister vorschwebte, nicht gekommen. Ich habe jedenfalls keinen gesehen.
DR. HORN: Ist Ihnen etwas von einem Friedensfühler englischer Offiziere im Auftrage des Generals Alexander, hinter dem die Englische Regierung stünde, im Jahre 1943 bekanntgeworden?
JODL: Ich weiß genau, daß um diese Zeit in Athen durch einen Mann, durch einen Engländer, ich glaube, es war ein englischer Hauptmann, Fühlung mit uns aufgenommen worden ist und daß dieser Hauptmann angab, aus dem englischen Hauptquartier im Südostraum zu kommen. Ich war dabei, wie der Reichsaußenminister dem Führer darüber gemeldet hat, und ich weiß, daß er vorschlug, diese Verbindung doch zunächst mal zu versuchen, ob sie irgend etwas bringt. Das ist auch geschehen; der Führer hat dem zugestimmt; aber weiter habe ich von der Angelegenheit nichts gehört. Scheinbar ist nichts mehr daraus geworden.
DR. HORN: Ist Ihnen sonst noch etwas über weitere Friedensversuche Ribbentrops, so insbesondere nach dem Polenfeldzug, nach Dünkirchen und 1943 bekanntgeworden?
JODL: Ich kenne nur die Versuche und Absichten nach dem Westfeldzug. Damals, wo der Führer ja sehr offen und aufgeschlossen mit allen gesprochen hat, da hörte ich, wie sowohl der Reichsaußenminister als auch der Führer darin übereinstimmten, daß man jederzeit mit England einen Frieden schließen würde, lediglich gegen Rückgabe eines Teiles unserer alten Kolonien.
DR. HORN: Ist es richtig, daß der Angeklagte von Ribbentrop Hitler vorgeschlagen hat, die ungarischen Juden, soweit diese es wollten, nach dem Auslande auswandern zu lassen?
JODL: Auch das erinnere ich mich. Es war auf dem Berghof, und zwar kurz nach der Besetzung Ungarns durch unsere Truppen, es war wohl im Mai 1944, anfangs Mai; da war eine Besprechung, wo Beschluß gefaßt werden sollte, wo der Führer die Auffassungen hören wollte, ob man die ungarische Armee auflösen solle oder ob man sie belassen solle. Und am Schluß dieser Besprechung, die einen rein militärischen Charakter hatte, sagte der Reichsaußenminister zum Führer: »Können wir nicht die ganzen ungarischen Juden per Schiff an irgendein neutrales Ausland abgeben?« Worauf der Führer sagte: »Wie stellen Sie sich das überhaupt vor? Glauben Sie, daß das möglich ist? Die nimmt doch kein Mensch. Außerdem ist es technisch gar nicht durchführbar.« Das ist meine Erinnerung, die ich an diese Besprechung habe.
DR. HORN: Sie haben gestern bereits von der Ausweisung der dänischen Juden gesprochen und erwähnt, daß diese Ausweisung auf Befehl Himmlers erfolgt sei. Es ist mir nun ein Affidavit eines Obersten Mildner vorgelegt worden, in dem behauptet ist, daß diese Ausweisung auf Befehl des Reichsaußenministers erfolgt sein soll. Stimmt diese Behauptung?
JODL: Ich habe vor dieser Besprechung Himmler – Führer, die den Anlaß gegeben hat zu meinem Fernschreiben an den Wehrmachtbefehlshaber in Dänemark, niemals ein Wort darüber gehört, daß Juden aus Dänemark deportiert werden sollen, und ich habe niemals gehört, daß das Auswärtige Amt dabei irgendwie beteiligt gewesen wäre.
DR. HORN: Haben Sie überhaupt einmal etwas über die grundsätzliche Einstellung des Angeklagten von Ribbentrop zur Judenfrage erfahren können?
JODL: Außer diesem Vorschlag wegen der ungarischen Juden habe ich keine Erinnerung an irgendein Gespräch des Reichsaußenministers, bei dem ich dabei war, in dem überhaupt von Juden die Rede gewesen wäre.
DR. HORN: Danke, ich habe keine weiteren Fragen.
PROF. DR. KRAUS: Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Generaloberst, daß Sie gestern aussagten, im Jahre 1935 sei beschlossen worden, 36 Divisionen aufzustellen?
JODL: Das ist richtig, ja.
PROF. DR. KRAUS: Mich interessiert nun, wie viele Divisionen am 1. April 1938 fertig waren, und zwar interessiert mich dieser Stichtag deshalb, weil an diesem Tage die Finanzhilfe der Reichsbank aufhörte. Können Sie mir also bekunden, wie viele Divisionen an diesem 1. April 1938 fertig waren?
JODL: Wirklich fertig, also personell und materiell fertig, waren zu diesem Zeitpunkt etwa 27 bis 28 Divisionen.
PROF. DR. KRAUS: Können Sie mir sagen, Herr Generaloberst, wie sie sich zusammensetzten?
JODL: Mit einer Sicherheit kann ich es nicht sagen...
PROF. DR. KRAUS: Ungefähr?
JODL:... Aber ich weiß jedenfalls das eine noch, daß damals erst eine Panzerdivision fertig war, eine Kavalleriedivision, eine Gebirgsdivision und das übrige waren wohl Infanteriedivisionen, während die weiteren Panzerdivisionen materiell noch gar nicht ausgestattet waren, sondern nur als Rahmenverbände bestanden.
PROF. DR. KRAUS: Nun interessiert mich, wie weit sich dieser Rüstungsstand bis zum Tage des Kriegsausbruches am 1. September 1939 vergrößert hat, also von 27 Divisionen an?
JODL: Vom Herbst 1938 an wurde das Bild ein wesentlich günstigeres, und zwar deswegen, weil sich nun die Vorbereitungen der Rüstungsindustrie auswirkten und reichlich Material schon für die Ausrüstung der Divisionen geliefert wurde und weil sich von diesem Zeitpunkt an auch schon der Anfall von ausgebildeten Jahrgängen bemerkbar machte, so daß wir in der Lage waren, im Spätherbst 1938 schon rund 55 Divisionen, einschließlich der Reservedivisionen, aufzustellen, wenn sie auch teilweise nur sehr schwach ausgerüstet waren. Und im Jahre 1939 waren es, wie ich schon gesagt habe, meiner Erinnerung nach zwischen 73 und 75 Divisionen.
PROF. DR. KRAUS: Dann würde sich also die Zahl der aufgestellten Divisionen seit April oder März 1938, seit dem Abgang des Präsidenten Schacht von der Reichsbank, in einem Jahre und fünf oder sechs Monaten um 200 Prozent vermehrt haben, während man zur Aufstellung von 27 Divisionen über drei Jahre gebraucht hat?
JODL: Das ist insofern mit der Einschränkung richtig, als natürlich diese 55 Divisionen, oder diese 75, auch in ihrer Ausstattung noch erhebliche Mängel hatten, genau so wie die geringe Zahl, die im Frühjahr 1938, im April 1938, genannt war. Aber daß von diesem Augenblick an dann die Aufrüstung sehr viel schneller ging, ergibt sich, wie gesagt, aus der Natur der Sache.
PROF. DR. KRAUS: Danke, ich habe keine weiteren Fragen mehr.
DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge! Sie haben gestern bekundet, daß der Nachrichtendienst während der Zeit Kaltenbrunners besser organisiert worden sei als vorher. Ich bitte Sie, mir zu sagen, welche Stellung hatte Kaltenbrunner während Ihrer Zeit im OKW?
JODL: Ich habe Kaltenbrunner kennengelernt, als er...
VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Dr. Kauffmann! Sie haben eine allgemeine Frage gestellt. Man hat uns alle Stellungen Kaltenbrunners schon mehr als einmal angegeben. Was wollen Sie also wissen?
DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Kaltenbrunner hat uns lediglich bekundet, daß sein Nachrichtendienst verbunden gewesen sei mit dem militärischen Nachrichtendienst, also ganz allgemein. Dieser Zeuge hier kann uns aber sagen, welche Bedeutung, insbesondere an Umfang und an Einfluß auf die gesamte Politik, diese Verbindung des militärischen Nachrichtendienstes mit dem übrigen Nachrichtendienst hatte.
VORSITZENDER: Ich habe Sie nicht dahin verstanden, daß Sie ihn über den Nachrichtendienst befragen. Sie haben ihm eine ganz allgemeine Frage gestellt über seine Beziehungen zum OKW während der Zeit, während der der Angeklagte mit dem OKW in Verbindung stand. Die Beantwortung dieser Frage könnte ungefähr eine Stunde brauchen.
DR. KAUFFMANN: Dann darf ich die Frage, die wahrscheinlich nicht ganz durchgekommen ist, nochmals präzisieren.
Herr Zeuge! Sie haben gestern bekundet, daß unter Kaltenbrunners Zeit der gesamte Nachrichtendienst besser organisiert gewesen sei als vor dieser Zeit, also unter Canaris. Nun frage ich Sie, welche Stellung hatte Kaltenbrunner innerhalb des Nachrichtendienstes?
JODL: Kaltenbrunner...
VORSITZENDER: Was wollen Sie eigentlich fragen? Der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie nicht so allgemeine Fragen stellen sollten. Wenn Sie etwas besonderes wissen wollen, dann können Sie danach fragen.
DR. KAUFFMANN: Welche Tätigkeit hat Kaltenbrunner während der Lagebesprechung, die täglich stattfand, entfaltet?
VORSITZENDER: Herr Dr. Kauffmann! Es ist kaum möglich, sich eine noch allgemeinere Frage vorzustellen als diese bezüglich Kaltenbrunner – was seine Tätigkeit während mehrerer Jahre war.
DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Während der Lage habe ich gefragt, das heißt, der täglichen militärischen Besprechungen. Wie verhielt sich Kaltenbrunner, was hat er getan, was hat er geredet, hat er Bericht erstattet, worin bestanden seine Berichte? Das ist meines Erachtens doch wohl eine konkrete Frage.
VORSITZENDER: Über welche Zeit fragen Sie?
DR. KAUFFMANN: Ich frage überhaupt nach der Zeit seiner Ernennung zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Das ist die Zeit also von 1943 an. Das ist die einzige Zeit, die überhaupt in Frage kommt.
VORSITZENDER: Sie können ihn über bestimmte Besprechungen fragen, gewiß. Warum fragen Sie ihn nicht über bestimmte Sitzungen, wenn Ihnen welche bekannt sind?
DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge! Haben Sie verstanden, worauf es ankommt? Dann bitte ich Sie, mir das zu sagen.
JODL: Meiner Erinnerung nach hat Kaltenbrunner bis zum Frühjahr 1945, als das Hauptquartier endgültig in die Reichskanzlei nach Berlin verlegt wurde, an Lagebesprechungen überhaupt nicht teilgenommen. Ich kann mich nicht erinnern, ihn je bei einer Lagebesprechung im Führerhauptquartier gesehen zu haben.
DR. KAUFFMANN: Verzeihung! Meinen Sie 1944 oder 1945?
JODL: 1945, erst vom Frühjahr 1945 an, also von Ende Januar an, da habe ich Kaltenbrunner des öfteren in der Reichskanzlei getroffen. Vor dieser Zeit war er zwar zeitweise im Führerhauptquartier und hat dort mit mir vor allem über die Übernahme des Nachrichtendienstes von Canaris verhandelt und gesprochen; aber er war nicht in der Lagebesprechung beim Führer.
DR. KAUFFMANN: Hat er Lageberichte schriftlich, militärische Lageberichte, erstattet?
JODL: Bevor er den Nachrichtendienst von Canaris übernahm – und übernommen hat er ihn am 1. Mai 1944 – bevor er den Nachrichtendienst übernahm, schickte er mir schon von Zeit zu Zeit sehr gute Berichte aus dem Südostraum; und durch diese Berichte wurde ich auf seine Erfahrung im Nachrichtendienst überhaupt erst aufmerksam. Als er dann den Nachrichtendienst übernommen hatte – zuerst gegen meinen Widerstand, aber nachdem ich mich mit ihm ausgesprochen hatte, wurde er von mir sogar unterstützt, denn ich hatte den Eindruck, der Mann versteht von dem Geschäft etwas –, da bekam ich natürlich laufend, genau so wie vorher von Canaris, nun die Berichte von Kaltenbrunner, und zwar nicht nur die täglichen Agentenmeldungen, sondern er schickte von Zeit zu Zeit einen, ich möchte fast sagen, politischen Überblick auf Grund seiner einzelnen Agentenmeldungen. Diese zusammenfassenden Lageberichte über die politische Lage im gesamten Ausland, die fielen mir besonders auf, weil sie mit einer bis dahin bei Canaris ganz unmöglichen Offenheit und Nüchternheit den Ernst unserer gesamten militärischen Lage enthielten.
DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge! Sie haben gestern noch bekundet, daß Hitler, nachdem die tägliche militärische Lagebesprechung beendet war, sich ausschließlich mit seinen Leuten, seinen Vertrauensleuten, seinen politischen Leuten, umgeben hat. Ich frage Sie nun, gehörte Kaltenbrunner zu dem Kreis dieser Vertrauensleute?
JODL: Ich habe Kaltenbrunner niemals in diesem privaten Kreis des Führers gesehen oder erlebt. Das, was ich gesehen habe, war ein durchaus rein dienstliches Verhalten.
DR. KAUFFMANN: Danke, ich habe weiter keine Fragen mehr.
FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Herr Generaloberst! Dem Großadmiral Dönitz wird vorgeworfen, daß er im Frühjahr 1945 die Marine aufgefordert hat weiterzukämpfen. Haben Sie selbst als verantwortlicher militärischer Ratgeber dem Führer damals geraten zu kapitulieren?
JODL: Damals geraten zu kapitulieren habe ich nicht. Das war vollkommen ausgeschlossen; das hätte kein Soldat getan; das hätte auch gar keinen Wert gehabt.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Auch nicht nach dem Scheitern der Ardennenoffensive im Februar 1945?
JODL: Auch nicht nach dem Scheitern der Ardennenoffensive; denn der Führer war sich über die Gesamtlage genau so klar wie wir, und er war sich wahrscheinlich sehr viel früher klar wie wir; also ihm brauchte in dieser Hinsicht nichts gesagt zu werden.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Welche Gründe sprachen denn dagegen?
JODL: Es sprachen im Winter 1945 viele Gründe dagegen, abgesehen davon, daß die Frage der Kapitulation oder der Aufgabe des Widerstandes überhaupt nur den Obersten Befehlshaber angeht. Es sprach vor allem dagegen, daß wir keinen Zweifel darüber hatten, daß es nur eine bedingungslose Kapitulation geben konnte; denn darüber hat uns das Ausland nicht im Zweifel gelassen. Und wenn wir noch einen Zweifel gehabt hätten, was uns bevorsteht, so ist er restlos beseitigt worden, dadurch, daß wir die englische »Eclipse« erbeuteten. Die englischen Herren der Kommission werden wissen, was das ist. Es war nämlich die genaue Anweisung über das, was die Besatzungsmacht nach der Kapitulation in Deutschland zu tun hatte. Nun erforderte die bedingungslose Kapitulation ein Stehenbleiben der Fronten an der Stelle, wo sie waren und damit die Gefangennahme durch den Gegner, der ihnen gegenüberstand. Es mußte dasselbe eintreten, was im Winter 1941 bei Wjasma eingetreten ist. Es mußten Millionen von Gefangenen plötzlich im Winter auf freiem Felde kampieren. Der Tod hätte eine ungeheure Ernte eingebracht und vor allem, es wäre alles... diese dreieinhalb Millionen ungefähr, die noch an der Ostfront standen, wären völlig dem Ostgegner in die Hände gefallen. Es war unser Bestreben, möglichst viele Menschen in den westlichen Raum zu retten. Das konnte man nur dann durchführen, wenn die beiden Fronten näher mit herangerückt waren. Das waren jedenfalls die rein militärischen Überlegungen, die wir im letzten Stadium des Krieges darüber angestellt haben. Ich glaube, daß in späteren Jahren einmal darüber noch mehr zu sagen sein wird, als ich heute sagen kann und sagen will.
DR. NELTE: Herr Generaloberst! Seit wann kennen Sie Generalfeldmarschall Keitel?
JODL: Ich glaube seit dem Jahre 1932, als er Chef der Organisationsabteilung des Heeres war.
DR. NELTE: Und Sie haben seit dieser Zeit, mit Ausnahme Ihrer Wiener Zeit, immer mit ihm zusammengearbeitet?
JODL: Es gab eine Zeit, wo der Feldmarschall Keitel nicht im Kriegsministerium war sondern an der Front. Das war, glaube ich, in den Jahren 1934-1935; da ist er mir auch aus dem Blickfeld entschwunden; aber sonst die ganze Zeit.
DR. NELTE: War diese Arbeit, Zusammenarbeit, nur eine dienstliche, oder ist Ihr Verhältnis ein persönliches geworden?
JODL: Dieses Verhältnis ist im Laufe der Jahre durch das viele gemeinsame Leid, das wir erfahren haben, ein sehr persönliches geworden.
DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat Feldmarschall Keitel als einen der mächtigsten Offiziere der Wehrmacht bezeichnet. Sie hat ihn beschuldigt, in dieser Stellung Hitler beeinflußt zu haben. Andere Kreise, die hier aufgetreten sind, haben Keitel als schwächlich bezeichnet und ihm vorgeworfen, daß er in seiner Stellung nicht in der Lage gewesen sei, sich durchzusetzen. Ich will keine Fragen stellen, die bisher schon irgendeinmal gestellt und beantwortet worden sind. Es gibt aber Fragen, die bisher, wie Sie gehört haben, verschiedenartig beantwortet worden sind, und für deren Beantwortung nur ein Mensch in Betracht kommt, wie Sie es sind, der seit über ein Jahrzehnt mit dem Feldmarschall zusammengearbeitet hat. Ich bitte Sie deshalb, mir kurz, in kurzen Sätzen, das dienstliche Verhältnis darzulegen, wie es zwischen Keitel und Hitler war.
JODL: Das Dienstverhältnis zwischen dem Führer und dem Feldmarschall Keitel war, auf einer etwas anderen Ebene, genau dasselbe wie zwischen dem Führer und mir. Es war ein rein dienstliches. Und es war, gerade in der ersten Zeit, gekennzeichnet, genau so wie bei allen anderen höheren Offizieren, durch dauernde Zusammenstöße zwischen einem Revolutionär und einem traditionsgebundenen preußischen Offizier.
DR. NELTE: Es war also so, daß die Zusammenstöße als Folge verschiedener Ansichten an der Tagesordnung waren?
JODL: Sie waren an der Tagesordnung und führten in der Praxis zu sehr, sehr unangenehmen Szenen, zu solchen Szenen, daß man sich schämen mußte, als älterer Offizier in Anwesenheit jüngerer Adjutanten etwas Derartiges anzuhören. Und der Eintrag in meinem Tagebuch beweist ja, daß am 19. April 1940 zum Beispiel der Feldmarschall Keitel seine Mappe auf den Tisch warf und den Saal verlassen hat; das ist eine Tatsache.
DR. NELTE: Darf ich fragen, aus welchem Anlaß das war?
VORSITZENDER: Nein, Herr Dr. Nelte! Wenn Sie wollen, daß er die Aussagen bestätigen soll, die der Angeklagte Keitel gemacht hat, warum fragen Sie ihn denn nicht, ob er sie bestätigt?
DR. NELTE: Es handelt sich um Fragen, Herr Präsident, die ich dem Feldmarschall Keitel noch nicht vorgelegt habe. Überhaupt ist meine Befragung notwendig geworden, weil zwischen der Vernehmung des Angeklagten...
VORSITZENDER: Die Frage, die Sie ihm gestellt haben, war, wie sein Verhältnis zum Führer war. Sie hätten dies nicht allgemeiner fragen können. Sie haben das sicherlich bei dem Angeklagten Keitel behandelt.
DR. NELTE: Ich habe sie mit Keitel behandelt.
VORSITZENDER: Sie haben die Frage Keitel vorgelegt, und Keitel hat dieselbe sehr ausführlich beantwortet.
DR. NELTE: Herr Präsident! Nachdem Keitel vernommen wurde, ist hier ein Zeuge aufgetreten, der den Feldmarschall Keitel unglaubwürdig machen will, wenn es wahr ist, was er gesagt hat. Ich bedarf also, um klarzustellen...
VORSITZENDER: Gerade aus diesem Grunde habe ich Sie gefragt, ob Sie durch diesen Zeugen bestätigen lassen wollten, was der Angeklagte Keitel gesagt hat; und wenn Sie das wollten, warum haben Sie ihn dann nicht gefragt, ob er die Aussagen Keitels bestätigt?
DR. NELTE: Herr Generaloberst! Sie haben gehört, daß wir die Vernehmung auf diesem Gebiet vereinfachen können. Ich halte Ihnen vor, was der Zeuge Gisevius hier in diesem Saal über den Feldmarschall Keitel gesagt hat. Es stand dies im Widerspruch, zum wesentlichen Teil, zu dem, was der Feldmarschall Keitel und was die übrigen hier über Keitel vernommenen Zeugen gesagt haben. Ich weise darauf hin, daß Gisevius nicht aus eigener Wissenschaft eine Bekundung gemacht hat, sondern daß ihm Informationen aus dem OKW gegeben wurden. Wenn Sie dieses berücksichtigen wollen, bitte ich Sie jetzt um die Beantwortung der Frage:
Ist nach Ihrer Kenntnis der Dinge das richtig, was Feldmarschall Keitel unter seinem Eid ausgesagt hat und was auch andere bestätigt haben – mit Ausnahme von Gisevius – oder ist das richtig, was Gisevius gesagt hat?
JODL: Es ist ausschließlich das richtig, was der Feldmarschall Keitel gesagt hat, und ich habe es an Tausenden von Tagen erlebt. Und was in dieser Hinsicht der Zeuge Gisevius gesagt hat, das sind allgemeine Redensarten. Es gab neben Hitler überhaupt keinen mächtigen Mann, und es hat keinen einflußreichen Mann neben ihm gegeben und es konnte keinen geben.
DR. NELTE: Es ist nun aber von dem Zeugen Gisevius ein Beispiel hier erwähnt worden, und zwar zum Beleg dafür, daß Keitel gewisse Berichte unterschlagen beziehungsweise verhindert hat, daß sie Hitler vorgetragen worden sind. Da Sie bei diesem Dokument beteiligt waren, möchte ich Ihnen dieses eine Dokument vorliegen lassen und Sie bitten, sich dazu zu äußern. Es ist das Dokument 790-PS. Dieses Dokument ist nicht ein Protokoll sondern eine Aktennotiz, wie Sie sehen. Es handelt sich um das Weißbuch, das über die angeblichen Neutralitätsverletzungen Belgiens und Hollands vorbereitet war; und diesbezüglich hat der Zeuge Gisevius gesagt:
»Ich glaube, daß ich noch zwei Beispiele erwähnen soll, die mir von besonderer Kennzeichnung sind. Erstens wurde mit allen Mitteln versucht, den Feldmarschall Keitel zu bewegen, Hitler vor dem Einmarsch in Holland und Belgien zu warnen und ihm – das heißt Hit ler – mitzuteilen, daß die von Keitel vorgelegten Informationen über die angeblichen Neutralitätsverletzungen der Holländer und Belgier falsch seien. Die Abwehr« – also Canaris – »sollte diese die Holländer und Belgier inkriminierenden Berichte anfertigen. Der Admiral Canaris weigerte sich damals, diese Berichte zu unterschreiben, er hat Keitel wiederholt gesagt, daß dieser, angeblich vom OKW angefertigte Bericht, falsch sei.
Das ist das eine Beispiel, wo Herr Keitel nicht weitergegeben hat an Hitler, was er weitergeben sollte.«
Herr Generaloberst! Ich bitte Sie, nachdem Sie dieses Dokument zur Kenntnis genommen haben, zu bestätigen, daß sich aus dieser Notiz ergibt, daß man dem Feldmarschall Keitel und Ihnen zumutete, eine Falschnachricht zu decken und daß es das OKW auf Grund des Vortrags von Canaris, der zum Teil enthalten ist, abgelehnt hat, dieses Weißbuch zu decken. Ist das so?
VORSITZENDER: Wenn Sie die Frage verstanden haben, wollen Sie sie beantworten?
JODL: Ich verstehe die Frage, und ich möchte ganz kurz die Tatsache hier feststellen, wie es wirklich war, soweit mich nicht der Ekel im Halse würgt. Ich war dabei, als Canaris mit dieser Vortragsnotiz in die Reichskanzlei kam zum Feldmarschall Keitel und ihm den Entwurf des Weißbuches des Auswärtigen Amtes vorgelegt hat. Feldmarschall Keitel hat dann dieses Buch durchgesehen, vor allem die wesentlichen Bemerkungen angehört, die Canaris auf Wunsch des Auswärtigen Amtes gemacht hat, nämlich daß die Nachrichten vielleicht noch etwas verbesserungsbedürftig seien, daß er bestätigen sollte, daß eine militärische Aktion unbedingt gegen Holland und Belgien notwendig sei und daß noch, wie es hier ausgedrückt ist, eine letzte, wirkliche eklatante Verletzung der Neutralität fehle. Bevor Canaris ein Wort gesagt hat, hat der Feldmarschall Keitel das Buch auf den Tisch geworfen und gesagt: »Das verbitte ich mir. Wie komme ich überhaupt dazu, hier eine Verantwortung zu übernehmen für einen politischen Entschluß? In diesem Weißbuch stehen Wort für Wort, wahr und richtig, diejenigen Meldungen, die Sie selbst, Canaris, mir gebracht haben.« Daraufhin hat Canaris gesagt: »Ich bin genau derselben Auffassung. Es ist auch meiner Ansicht nach vollkommen überflüssig, dieses Dokument von Seiten der Wehrmacht unterschreiben zu lassen, und die Meldungen, die wir hier haben in ihrer Gesamtheit, die sind vollkommen ausreichend, um die Neutralitätsvergehen, die in Holland und Belgien stattgefunden haben, zu begründen.« Und er hat dem Feldmarschall Keitel abgeraten, es überhaupt zu unterschreiben. So hat sich das abgespielt. Der Feldmarschall hat das Buch dann mitgenommen, und ich weiß nicht, wie der weitere Verlauf war.
Aber das steht fest, daß die Phantasiemeldung von diesem Herrn Gisevius ja alles auf den Kopf stellt. Diese ganzen Meldungen über die Neutralitätsverletzungen, die stammten ja von diesen Leuten, die nun behaupten, wir hätten sie falsch unterschrieben. Es ist dies eine der größten Gemeinheiten, die die Weltgeschichte kennt.
DR. NELTE: Generaloberst! Es spielte der Admiral Canaris in diesem Fall ja eine Rolle. Gisevius hat gesagt:
»Es war nicht möglich, daß der Admiral Canaris einen dringenden Bericht von sich aus Hitler vorlegen konnte.«
Er behauptet, daß Canaris Berichte an Feldmarschall Keitel gegeben hat, der sie nicht vorgelegt hat. Ich frage Sie, ist das wahr?
JODL: Ich bin natürlich nicht hinter jedem Schriftstück hergelaufen, das zum Feldmarschall Keitel kam. Aber der Feldmarschall Keitel hat alles vorgelegt, von dem man sagen mußte, das muß der Führer wissen, und ich habe schon ausgeführt, wenn Canaris in dieser Hinsicht nicht befriedigt gewesen wäre, dann konnte er es ja dem Führer direkt geben. Da brauchte er ja nur in die Nebenbaracke gehen und es dem Chefadjutanten des Führers geben, oder er brauchte es nur mir geben.
VORSITZENDER: Wenn Sie es nicht wissen, warum sagen Sie es nicht? Wenn Sie nicht wissen, ob er es dem Führer gab oder nicht, sagen Sie es doch.
DR. NELTE: Ich hatte auch nur gefragt, ob die Aussage wahr ist, daß Admiral Canaris nicht zu Hitler kommen konnte, und diese Frage wollte ich von Ihnen beantwortet wissen.
JODL: Er ist ja in der Tat viele Dutzend Male beim Führer gewesen.
DR. NELTE: Also er hatte, wenn er wollte, jederzeit Zutritt?
JODL: Absolut jederzeit Zutritt.
VORSITZENDER: Wollen Sie mir bitte sagen, an welcher Stelle des Protokolls sich diese Aussage von Gisevius befindet?
DR. NELTE: Die Aussage von Gisevius ist, soweit sie Keitel betrifft, in der Vormittagssitzung vom 26. April erfolgt. (Band XII, Seite 289-295.)
VORSITZENDER: Sehr gut.
DR. NELTE: Ich will Ihnen zunächst zwei Affidavits vorhalten, die Sie zusammen mit dem Generalfeldmarschall Keitel unterschrieben haben und die dem Gericht auch vorgelegt worden sind. Es handelt sich hierbei, Herr Präsident, um das Affidavit Keitel Nummer 9, Oberkommando der Wehrmacht und Generalstab, und das Affidavit Keitel Nummer 13, Entwicklung der Verhältnisse in Frankreich 1940-1945 und die militärischen Zuständigkeiten.
Sie sind sich noch bewußt, daß Sie diese Affidavits unterschrieben haben?
JODL: Ich weiß das, ja.
DR. NELTE: Falls Sie es wissen, kennen Sie den Inhalt?
JODL: Ja.
DR. NELTE: Und Sie bestätigen hier die Richtigkeit Ihrer eidesstattlichen Erklärung?
JODL: Ich bestätige diese Erklärung.
DR. NELTE: Ich sehe von einer Verlesung dieser Affidavits oder Teilen daraus ab. Nun zur Frage der Wiederaufrüstung beziehungsweise des Generals Thomas. der auch hier als Informationsquelle angegeben worden ist, möchte ich Ihnen noch einige Fragen vorlegen.
Sie wissen, daß die Anklagebehörde hier ein umfangreiches Buch vorgelegt hat, 2353-PS, welches die Wiederaufrüstung aus der Feder des Generals Thomas wiedergibt. Da General Thomas auch vom Zeugen Gisevius hier als Informationsquelle angegeben worden ist, muß ich Sie etwas über Thomas fragen. Dieser hat nämlich in seiner eidesstattlichen Versicherung, die auf der Urkunde 2353-PS vorgeheftet ist, gesagt, er sei am 1. Februar 1943 aus dem OKW entlassen worden. Wissen Sie darüber Bescheid, ob das richtig ist oder nicht?
JODL: Nach meiner Erinnerung ist er zu den Offizieren zur besonderen Verwendung des Oberkommandos der Wehrmacht gestellt worden.
Er war also zur Verfügung des Chefs, des Feldmarschalls Keitel.
DR. NELTE: Ja. Hatte er nicht eine Sonderaufgabe, als er z. b. V. gestellt wurde?
JODL: Ich glaube, er hat mehrere Aufgaben hernach noch mit übernommen.
DR. NELTE: Ich wollte damit lediglich feststellen, daß der General Thomas auch nach dem 1. Februar 1943 noch mit Aufgaben des OKW betraut war, insbesondere mit der Niederschrift dieses Werkes, das hier vorliegt. Ist das richtig?
JODL: Es ist richtig, daß er beschäftigt war – ich möchte sagen – mit der Geschichtsschreibung der Aufrüstung.
DR. NELTE: Wie war sein Verhältnis zu Feldmarschall Keitel?
JODL: Ich kenne es aus den Zeiten, die die beiden zusammen erlebt haben – das war nur vor dem Kriege und in den ersten Anfängen des Krieges – ich kenne es nur als ein gutes.
DR. NELTE: Sind Ihnen die Berichte des Generals Thomas bekannt über die Wiederaufrüstung?
JODL: Ich kann mich mit Sicherheit an keine Berichte über unsere eigene Wiederaufrüstung erinnern; ich kann mich nur an Berichte erinnern über das Kriegspotential unserer Gegner. Die sind mir in Erinnerung.
VORSITZENDER: Dr. Nelte! Werden Sie noch längere Zeit in Anspruch nehmen? Es ist schon zehn Minuten nach 5.00 Uhr. Wenn Sie heute abend nicht fertig werden, wollen wir uns lieber vertagen.
DR. NELTE: Ich brauche noch eine Viertelstunde.
VORSITZENDER: Dann werden wir uns jetzt vertagen.