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[Zum Zeugen gewandt:]

Ich muß in diesem Zusammenhang aber noch eine Frage bezüglich der anderen Informationsquelle, Canaris, stellen. Canaris war ein ständiger und häufiger Gast im Führerhauptquartier und bei Ihnen. Wie war das Verhältnis des Feldmarschalls Keitel zu seinem ältesten Amtschef?

JODL: Das Verhältnis des Feldmarschalls Keitel zu Canaris war vom ersten bis zum letzten Tage ein ganz besonders freundschaftliches und gutes und ein leider viel zu vertrauensseliges.

DR. NELTE: Darf ich fragen, wie das Verhältnis nach dem 20. Juli war?

JODL: Ich weiß, daß der Feldmarschall Keitel auch nach dem 20. Juli an die erhobenen Anklagen gegen Canaris nicht geglaubt hat und daß er nach der Verhaftung von Canaris seine Familie mit Geld unterstützt hat.

DR. NELTE: Wie war das Verhältnis von Canaris zu Heydrich?

JODL: Davon habe ich schon einmal gesprochen. Canaris hat sich stets bemüht, mit Himmler und Heydrich ein besonders gutes Verhältnis zu haben, damit sie gegen ihn nicht mißtrauisch würden.

DR. NELTE: Was können Sie über die Stellungnahme des Feldmarschalls Keitel zu dem Plan Hitlers im Oktober 1939 sagen, im Westen anzugreifen?

JODL: Ich weiß, daß der Feldmarschall Keitel, offenbar stark beeindruckt durch die Einstellung des Oberbefehlshabers des Heeres und des Generalstabs des Heeres, ebenfalls seine warnende Stimme gegen diesen Angriff im Westen erhoben hat, und ich weiß – allerdings habe ich es nicht persönlich miterlebt, sondern Schmundt hat es mir nachträglich erzählt –, ich weiß, daß er auch in dieser Zeit eine Kontroverse mit dem Führer hatte, die damals schon zu einem ersten Abschiedsgesuch führte. So kann ich berichten nach dem, was mir Schmundt erzählt hat; miterlebt habe ich es nicht. Feldmarschall Keitel hat es nur persönlich auch damals nicht gesagt.

DR. NELTE: In dem Dokument 447-PS, das die Anklagebehörde vorgelegt hat – es handelt sich um die Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nummer 21 –, ist unter I 2 b der berühmt gewordene Absatz, wonach im Operationsgebiet des Heeres der Reichsführer-SS zur Vorbereitung der politischen Verwaltung Sonderaufgaben im Auftrage des Führers erhält, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme ergeben. Soweit das verkürzte Zitat. Ich will Ihnen das Dokument, das Ihnen sicherlich geläufig ist, nicht übergeben, sondern Sie zur Abkürzung lediglich bitten, dem Gerichtshof zu sagen, wie sich Feldmarschall Keitel zu der Entstehung dieser Bestimmung verhalten hat.

JODL: Die Forderung des Führers, mit Himmler und der Polizei in die Souveränität des Heeres in seinem Operationsgebiet einzubrechen, hat zu tagelangen erbitterten Auseinandersetzungen mit dem Führer geführt. Dieselben Auseinandersetzungen hat es schon bei der Einsetzung von Terboven in Norwegen gegeben, und man braucht darüber nur meine Einträge in meinem Tagebuch, 1780-PS, nachzulesen. Ich weiß natürlich heute, warum der Führer diesen seinen Standpunkt unter allen Umständen durchgesetzt hat und warum er diese seine Polizei unter Himmler in das Operationsgebiet hineingepreßt hat. Es widersprach all unseren Vorschriften; es widersprach allen früheren Abmachungen mit der Polizei und mit Himmler. Aber letzten Endes hat es gegen den Widerstand auf der ganzen Linie der Führer durchgesetzt.

DR. NELTE: Es ist hier von der Anklage behauptet worden, der Feldmarschall Keitel habe im Jahre 1940 den Befehl gegeben, den General Weygand, also den Generalstabschef der damaligen französischen Armee, zu töten. Diese Behauptung stützt sich im wesentlichen auf eine Aussage des Zeugen General Lahousen. Hierzu habe ich einige kurze Fragen an Sie. Hatte der Feldmarschall Keitel überhaupt eine Zuständigkeit, die Tötung eines Generals anzuordnen?

JODL: Nein, jedes Todesurteil überhaupt mußte ja vom Führer bestätigt werden.

DR. NELTE: Ja, Todesurteile meine ich natürlich nicht in diesem Zusammenhang...

JODL: Ja, zuständig für einen Mord ist überhaupt niemand.

DR. NELTE: Ich frage dies, weil es in der Aussage Lahousens so dargestellt wurde, als sei dieser Befehl von Feldmarschall Keitel an Admiral Canaris gegeben worden. Wenn wir einmal annehmen, ein solcher Befehl sei von Hitler erteilt worden, so wäre diese Aktion bei der Bedeutung des Generals Weygand doch ein hochpolitischer Akt gewesen.

JODL: Zweifellos.

DR. NELTE: Wäre es nicht auch gleichzeitig politisch ein widersinniger Akt gewesen?

JODL: Das wäre zunächst ein Verbrechen gewesen...

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Das ist alles nur Argumentation, und Ihre Fragestellung ist rein suggestiv. Mein Einwand ist, daß Ihre Fragestellung nur Argumente bringt. Setzen Sie fort!

DR. NELTE: Hätte Ihnen, wenn ein solcher Befehl gegeben worden wäre, dieser unbekannt bleiben können?

JODL: Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Feldmarschall Keitel, mit dem Auftrag zu einem Mord belastet, mir gegenüber darüber nicht gesprochen hätte.

DR. NELTE: Was haben Sie über den Fall Weygand überhaupt gehört?

JODL: Ich habe über den Fall Weygand niemals auch nur ein einziges Wort gehört, sondern ich habe nur das eine gehört, als Himmler in meiner Gegenwart dem Führer meldete, ich habe dem General Weygand eine sehr schöne Villa gegeben in Baden, und dort ist er so untergebracht, daß er vollkommen zufrieden sein kann. Das ist das einzige, was ich über diese Sache Weygand überhaupt gehört habe.

DR. NELTE: Der Zeuge Lahousen ist ebenso auch zum Falle des Generals Giraud gehört worden. Haben Sie von diesem Fall Giraud, der großes Aufsehen erregte, auch erfahren?

JODL: Von dem Fall Giraud habe ich etwas mehr gehört. Kurz nach der gelungenen Flucht von Giraud hat mir der Feldmarschall Keitel einmal gesprächsweise erzählt, daß er ihn durch Canaris überwachen ließe, damit er nicht, was der Führer immer befürchte, womöglich nach Nordafrika ginge und dort den militärischen Aufbau der Kolonialarmee gegen uns leite, oder für den Fall, daß er doch noch mal in das tatsächlich besetzte Gebiet zu seiner Familie käme, um ihn dann festnehmen zu lassen. Davon hat er mir erzählt. Und es war etliche Monate später, als er nur wieder sagte: Ich habe jetzt diesen Auftrag an Canaris zurückgezogen; denn der Führer hat Himmler damit beauftragt; und wenn diese beiden Stellen sich darum kümmern, dann gibt es bloß Schwierigkeiten und Differenzen. Und ein drittes Mal habe ich über den Fall Giraud gehört, als der Feldmarschall Keitel mir sagte: Es ist ein Beauftragter von Giraud – und zwar war es, glaube ich, Ende 1943 oder Frühjahr 1944 – es ist ein Beauftragter von Giraud an die Abwehr herangetreten, und Giraud, der sich mit dem General de Gaulle in Nordafrika nicht verträgt, hat anfragen lassen, ob er nicht eventuell nach Frankreich zurückkehren könne. Ich sagte damals zu Feldmarschall Keitel, darauf muß man unbedingt sofort eingehen, denn das ist ja politisch für uns außerordentlich günstig. Das ist das einzige, was ich jemals über den Fall Giraud gehört habe, sonst nichts.

DR. NELTE: Sie haben vorgestern über die Besprechung im Führerzug September 1939 ausgesagt, bei der auch General Lahousen anwesend war, und Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt: Von meiner Seite ist gegen die Darstellung Lahousens nichts einzuwenden. Nur um Mißverständnisse auszuschließen, möchte ich Sie bitten, zu sagen, ob Sie damit sagen wollen... wollten, daß die ganze Aussage Lahousens glaubwürdig und richtig sei, die sich also auch auf Giraud und Weygand bezog, oder nur der Teil, der Ihre Anwesenheit im Führerzug betrifft.

JODL: Ich meinte dabei natürlich nur die Äußerungen Lahousens, die er über mich gemacht hat. Über die Äußerungen, die sonst hier vorgebracht wurden, habe ich meine eigene Meinung; die gehört aber vielleicht nicht hierher.

DR. NELTE: Sie haben gestern auch schon auf die Frage des Herrn Stahmer gesprochen über die Auseinandersetzung aus Anlaß der 80 geflohenen Royal-Air- Force-Flieger. Ich möchte in dieser, den Feldmarschall Keitel besonders bedrückenden Frage zur Klarstellung noch folgendes von Ihnen wissen:

Haben Sie gehört, daß Keitel sich heftigst dagegen wehrte, daß die wiederergriffenen Royal-Air-Force- Flieger Himmler, das heißt der Gestapo, ausgeliefert würden?

JODL: Als ich diese ein oder zwei Minuten am Vorhang stand, da hörte ich zunächst, wie der Führer sagte: »Das ist ja unerhört; das ist jetzt das zehnte Mal, daß mir Dutzende von gefangenen Offizieren ausbrechen. Diese Offiziere bedeuten eine Riesengefahr; das sehen Sie nicht ein, Sie,« – Keitel nämlich –; »bei den sechs Millionen fremdvölkischen Leuten, die wir an Gefangenen und Arbeitern in Deutschland haben, sind das die Führer, die mir einen Aufstand organisieren. Das kommt von dieser schlappen Haltung der Kommandanten. Diese ausgebrochenen Flieger sind sofort Himmler zu übergeben.« Und dann hörte ich noch, wie daraufhin der Feldmarschall Keitel sagte: »Mein Führer, es ist ein Teil bereits wieder in das Lager eingeliefert, die sind wieder Kriegsgefangene, die kann ich nicht abgeben.« Daraufhin sagte der Führer: »Gut, dann können die bleiben.« Das ist das, was ich mit eigenen Ohren in diesem Augenblick gehört habe, bis mein Telephongespräch mich wieder weggerufen hat.

DR. NELTE: Haben Sie nachher noch einmal mit Feldmarschall Keitel über diesen Vorfall gesprochen?

JODL: Wir fuhren zusammen vom Berghof wieder nach Berchtesgaden hinunter. Der Feldmarschall Keitel war außer sich, denn er hatte mir beim Herauffahren gesagt, er würde den Ausbruch dieser Flieger dem Führer nicht melden. Er hoffe, daß er am nächsten Tage alle wieder habe. Und er war wütend auf Himmler, der das sofort dem Führer gemeldet hat. Ich sagte zu ihm, wenn der Führer in dem Ausbruch gefangener Offiziere mit Rücksicht auf die Gesamtlage in Deutschland eine so große Gefahr sieht, dann muß man mal zuerst das in England notifizieren, damit der Befehl zurückgenommen wird; denn alle gefangenen Offiziere hatten einen Ausbruchsversuch zu machen. Nun muß ich offen sagen, daß in diesem Augenblick keiner von uns beiden überhaupt auch nur mit einem Gedanken damit beschäftigt war, diese wieder ergriffenen Offiziere könnten erschossen werden. Denn sie hatten ja nichts getan, als aus einem Lager auszubrechen, was deutsche Offiziere auch dutzendmal getan hatten; sondern ich stellte mir vor, er will sie der Disziplinarbestrafung des Heeres entziehen, die sicherlich nach seiner Auffassung viel zu weich wäre, und läßt sie durch Himmler eine Zeitlang in einem Konzentrationslager arbeiten als Strafe. Diese Vorstellung hatte ich.

DR. NELTE: Es ist jedenfalls in Ihrem Beisein und, soweit Sie mitgehört haben, nacht der Befehl Hitlers an Himmler erteilt worden, diese Offiziere zu erschießen?

JODL: Das weiß ich mit absoluter Sicherheit; denn ich weiß, in welchem Zustand ich mich befand, als ich dann plötzlich die Nachricht bekam, die seien erschossen worden.

DR. NELTE: Ich möchte nur noch einige kurze abschließende Fragen an Sie richten:

Das Tribunal hat Feldmarschall Keitel auf dem Zeugenstand gefragt, ob er schriftliche Rücktrittsgesuche eingereicht habe. Sie waren ja zugegen. Was können Sie dem Gerichtshof über die Rücktrittsgesuche beziehungsweise das Bemühen Keitels, von seiner Stellung wegzukommen, sagen?

JODL: Das erstere habe ich schon kurz vorhin erwähnt; das muß im Frühjahr 1940 gewesen sein wegen des Westfeldzuges; davon hat mir Schmundt erzählt; aber ich habe es nicht gesehen. Den zweiten Fall – den ich aber nun genau weiß –, der war im Jahre 1941, und zwar im November, als es eine ungeheuere Kontroverse zwischen dem Führer und Keitel gegeben hatte, wo der Führer den Ausdruck: »Ich habe es nur mit Strohköpfen zu tun« gewählt hat...

VORSITZENDER: Wir wollen die Einzelheiten nicht, wenn er uns nur sagen kann, wann Keitel zurücktreten wollte...

JODL: Also dieser zweite Fall war im Herbst 1941. Nach der Kontroverse schrieb der Feldmarschall Keitel sein Abschiedsgesuch, als ich zu ihm ins Zimmer trat, und vor ihm auf dem Schreibtisch lag seine Pistole, die ich persönlich weggenommen habe.

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Ich habe Ihnen gesagt, daß der Gerichtshof die Einzelheiten gar nicht hören will, und jetzt bekommen wir doch Einzelheiten über seinen Rücktritt erzählt.

DR. NELTE: Kann es nicht für das Gericht von Bedeutung sein zu wissen, wie ernst es dem Angeklagten Keitel war, daß er sogar zur Pistole greifen wollte? Aber...

VORSITZENDER: Er erzählt da irgendwelche Einzelheiten über den Schreibtisch, auf dem das Dokument lag, oder so etwas. Er versuchte schriftlich zurückzutreten. Das ist das Wichtige.

DR. NELTE: Also, Sie können von diesem Fall bekunden, daß der Feldmarschall Keitel sein Gesuch schriftlich eingereicht hat?

JODL: Ich habe selbst gesehen, wie er daran geschrieben hat, und ich habe die Einleitung gelesen.

DR. NELTE: Wenn nun die Dinge, wie Sie sie auch im Laufe Ihres Verhörs geschildert haben, häufig so weit kamen, wie Sie dies an Hand der Pistole sogar beweisen, wie kam es dann, daß Keitel immer wieder blieb?

JODL: Weil sich der Führer von ihm unter gar keinen Umständen trennen wollte. Er ließ ihn überhaupt nicht weg. Ich glaube, es sind mehrere Vorstöße in dieser Richtung unternommen worden, auch von anderer Seite, aber der Führer ließ Ihn nicht weg; und zweitens kam selbstverständlich in dieser Hinsicht unsere gleiche Einstellung zum Durchbruch, daß wir uns ja im Kriege befanden, in einem Krieg auf Sein oder Nichtsein, in dem ja ein Offizier letzten Endes nicht mehr zu Hause Strümpfe stricken konnte. Es war also doch immer wieder das Pflichtbewußtsein, was sich durchgesetzt hat und das uns veranlaßt hat, all das Schwere tatsächlich zu ertragen.

DR. NELTE: Aber Sie werden verstehen, daß man dem General doch auch das Wort entgegenhalten muß: Treue um Treue, und daß der Gehorsam doch nur so weit gehen kann, als er nicht die Menschenwürde verletzt? Haben Sie darüber auch nachgedacht?

JODL: Darüber habe ich sehr viel nachgedacht.

VORSITZENDER: Das ist doch sicher keine Frage, die ein Verteidiger stellen kann. Das ist Argumentation, nicht Beweisführung. Das ist keine zulässige Frage.

DR. NELTE: Ich bin am Ende.

DR. THOMA: Herr Zeuge! Ist es richtig, daß Rosenberg Ihnen und General Zeitzler Mitte Januar 1943 den Entwurf einer Proklamation an die Völker Osteuropas vorgelegt hat?

JODL: Das ist richtig. Es war nach der Lagebesprechung. Rosenberg war im Hauptquartier anwesend. Er bat mich und Zeitzler einen Moment in ein Nebenzimmer und sagte, er wolle jetzt dem Führer vortragen eine Proklamation an die Ostvölker, und er möchte sie uns vorher vorlegen. Daran erinnere ich mich.

DR. THOMA: Können Sie sich noch an den Inhalt erinnern?

JODL: Es war ein sehr weitgehendes Entgegenkommen bezüglich der Souveränität dieser einzelnen Oststaaten in ihm enthalten. Es war ein ausgesprochener Versuch, durch eine ostentative Versöhnungspolitik diese ganze Unruhe und Ablehnung des deutschen Systems zu bekämpfen.

DR. THOMA: Haben Sie Herrn Rosenberg gegenüber Ihre Freude über diese Proklamation zum Ausdruck gebracht?

JODL: Wir haben damals gesagt, daß das schon immer unsere Auffassung war; aber wir haben Zweifel gehegt, ob es jetzt nicht schon zu spät ist.

DR. THOMA: Was war denn dann der Erfolg dieser Denkschrift?

JODL: Soviel mir Rosenberg nach dieser Besprechung gesagt hat, hat der Führer die Dinge, wie er es oft getan hat, auf die lange Bank geschoben, das heißt, er hat sie nicht abgelehnt, aber er hat gesagt: »Legen Sie das zurück.«

DR. THOMA: Hatten Sie den Eindruck, daß die Vorschläge Rosenbergs aus der Sorge vor den Gefahren entstanden sind, die durch die Kochschen Methoden hervorgerufen wurden?

JODL: Zweifellos. Es war ein Versuch, diesen anderen Methoden, wie sie durch Himmler und gerade durch Koch allmählich üblich geworden sind, entgegenzuwirken.

DR. THOMA: Ich danke schön, ich habe keine Fragen mehr.

DR. KARL HAENSEL, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER FÜR DIE SS: Hat der strategische Einsatz der Division der Waffen-SS Ihnen unterstanden?

JODL: Die Divisionen der Waffen-SS wurden bezüglich des Einsatzes allgemein genau so behandelt wie die Heeres-Divisionen.

DR. HAENSEL: Wieviel Waffen-SS-Divisionen hat es nach Ihrer Erinnerung gegeben? Bitte, nennen Sie auch die Zahl der Wehrmachts-Divisionen, damit man einen Vergleich hat.

JODL: Wir fingen bei Kriegsbeginn, ich glaube, mit 3 Divisionen an, 3 SS-Divisionen, und, die Zahl steigerte sich bis Ende des Krieges auf schätzungsweise 35 bis 37 Divisionen, gegenüber einer Zahl von Heeres-Divisionen, die schwankte, aber die man rund angeben kann, vielleicht mit 280, 290, 300.

DR. HAENSEL: Wie wurde bei der Aufstellung von neuen Divisionen verfahren? Wer entschied, ob eine solche neue Division eine Waffen-SS-Division wurde oder eine Wehrmachts-Division?

JODL: Sobald der Führer eine neue Aufstellungswelle befohlen hatte, sagte er nach Rücksprache mit Himmler: Dabei sind aufzustellen soundso viele Divisionen, soundso viele Waffen-SS-Divisionen; die bestimmte er zahlenmäßig.

DR. HAENSEL: Bestand da ein gewisser Schlüssel, oder wurde das nach einer gewissen Willkür gemacht?

JODL: Ich hatte den Eindruck, daß der Führer bei der Aufstellung der SS-Divisionen so weit gehen wollte, als er überhaupt konnte.

DR. HAENSEL: Und worin sehen Sie... wenn Sie sagen »konnte«, worin sehen Sie die Begrenzung?

JODL: Die Begrenzung lag darin, daß die Soldaten dieser Waffen-SS-Division ja Freiwillige sein sollten, und es kam dann sehr bald der Moment, wo Himmler melden mußte: »Ich kriege den Ersatz nicht mehr für die Division«, und von diesem Augenblick trat der Zustand ein, daß nun einfach von den Wehrpflichtigen durch die SS oben der Rahm abgeschöpft wurde und diese Leute, auch wenn sie streng katholische Bauernsöhne waren, zu SS-Divisionen eingezogen wurden. Ich habe selbst darüber erbitterte Briefe von Bäuerinnen bekommen.

DR. HAENSEL: Wurde bei diesen Einziehungen zur Waffen-SS, wie Sie sie eben geschildert haben, von politischen Gesichtspunkten abgegangen? Hat man einen Rekruten erst politisch in irgendeiner Weise befragt, ehe man ihn zur Waffen-SS gab, oder wurde darauf keine Rücksicht genommen?

JODL: Nein, das Entscheidende war, daß der Bursche groß war und gut aussah und versprach, ein guter Soldat zu werden. Das war das Entscheidende.

DR. HAENSEL: Sie haben gestern gesagt, daß bei der Einziehung von Rekruten keine Rücksicht darauf genommen wurde, ob ein Mann etwa der SA angehörte oder nicht. Gilt das Entsprechende auch auf die Zugehörigkeit zur Allgemeinen SS? Ich meine in der Hinsicht: Wurde keine Rücksicht darauf genommen, ob der Rekrut der Allgemeinen SS angehörte, weder bei seiner Einziehung noch bei seiner Ausbildung noch dann bei seiner Beförderung?

JODL: Nicht in diesem ausgesprochenen Maße wie bei der SA. Ich glaube, daß der größere Teil der Leute, die in der Allgemeinen SS waren, zur Waffen- SS kamen und sich meldeten; aber ich weiß auch, daß sehr viele das nicht getan haben und normalerweise durch das Heer eingezogen wurden, so daß sie dann genau wie jeder andere Deutsche auch im Heere behandelt wurden.

DR. HAENSEL: Also es gibt, wenn ich Sie recht verstehe, viele Angehörige der Allgemeinen SS, die im Heere dienten, auf der einen Seite, und es gibt viele Männer, die weder der Partei angehörten noch der SS, aber in der Waffen-SS dienten?

JODL: Das ist richtig; das gilt nicht für die allererste Zeit des Krieges, aber absolut für die zweite Hälfte des Krieges.

DR. HAENSEL: Und diese zweite Hälfte des Krieges ist wohl diejenige, die nummerisch die größeren Zahlen enthält?

JODL: Unbedingt; zweite Hälfte nenne ich immer die nach Einsetzen der großen Verluste im ersten Rußlandfeldzug des Jahres 1941.

DR. HAENSEL: Wie stark war die gesamte Waffen- SS am Kriegsende, so etwa?

JODL: Rund 480000 Mann.

DR. HAENSEL: Und zu dieser Zahl würden die Abgänge, also die Gefallenen und die durch Gefangenschaft Verlorenen, hinzukommen?

JODL: Die kommen noch dazu.

DR. HAENSEL: Und haben Sie darüber irgendeine ziffernmäßige Vorstellung?

JODL: Das kann ich schwer schätzen bezüglich der SS.