[Zum Zeugen gewandt:]
Schuschnigg wurde in ein KZ gesteckt, nicht wahr?
JODL: Mir wurde erzählt, der Führer hätte entschieden: »Ich will unter keinen Umständen einen Märtyrer; aber ich kann ihn auch nicht freilassen; ich muß ihn in Ehrenhaft nehmen«; und in dieser Vorstellung lebte ich während des ganzen Krieges.
MR.(Rosana) ROBERTS: Ehrenhaft?
JODL: Ehrenhaft wurde es genannt.
MR. ROBERTS: War er ein Ehrenmitglied von Dachau?
JODL: Das weiß ich nicht. Das sind keine Fragen, die Sie an mich stellen können, weil ich Soldat war und nicht Inhaber eines Konzentrationslagers.
MR. ROBERTS: Das ist eine Ehre, auf die jeder gerne verzichten würde, nicht wahr?
JODL: Ich würde auf vieles gerne verzichten, was in diesen Jahren passiert ist.
PROF. DR. EXNER: Bitte, ich muß protestieren gegen derartige Fragen, rein politische, rein auf Rechtsfragen gerichtete Fragen und Dinge, die der Zeuge aus eigenem Wissen überhaupt nicht beantworten kann. Es ist keine Tatsache, ob sich der Herr Schuschnigg wohlgefühlt hat.
MR. ROBERTS: Herr Präsident! Ich gestatte mir, vorzubringen, daß diese Fragen zulässig sind. Es sind Fragen, wie sie immer wieder sowohl von der Verteidigung als auch von der Anklage vorgebracht werden.
VORSITZENDER: Herr Roberts! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das Kreuzverhör ordnungsgemäß geführt wird.
MR. ROBERTS: Ich danke Ihnen.
[Zum Zeugen gewandt:]
Ich verlasse nun diesen Punkt und stelle Ihnen noch eine einzige Frage zum Abschluß. Schuschnigg wurde mehrere Jahre im Gefängnis oder in Haft gehalten, ohne jede Anklage und ohne jegliches Verfahren. Stimmt das?
JODL: Das kann so sein, ich weiß es nicht.
MR. ROBERTS: Sie wußten doch, als Sie diese Befehle für den Einmarsch nach Österreich unterschrieben haben, daß Deutschland im Mai 1935 eine Zusicherung gegeben hatte, daß es die territoriale Unabhängigkeit des Bundesstaates Österreich respektieren werde und daß am 11. Juli 1936 zwischen Ihrer Regierung und der österreichischen Bundesregierung eine Vereinbarung abgeschlossen wurde, wonach sich Deutschland verpflichtete, die Souveränität des Bundesstaates Österreich voll anzuerkennen. Haben Sie von diesen Dingen gewußt?
JODL: Das wußte ich in diesem Augenblick nicht; das ging mich als Oberst im Generalstab auch gar nichts an. Wo käme man da hin?
MR. ROBERTS: Ich verlasse jetzt das Thema Österreich mit dieser letzten Frage: Enthält Ihr Tagebuch eine Eintragung – es ist ein Abschnitt in L-172, in den Unterlagen für Ihre Rede –, daß die Tschechoslowakei nach dem Anschluß einem Zangenangriff zum Opfer fallen mußte? Herr Präsident, das steht auf Seite 290 des Buches Nummer 7. Erinnern Sie sich daran?
JODL: In dem ersten Entwurf, den ich für meine Gauleiterrede machte, da steht genau drin, welche strategischen Verbesserungen durch die einzelnen politischen Aktionen des Führers eingetreten sind, rückblickend; aber nur diese strategischen Folgerungen.
MR. ROBERTS: Ja, aber... wiederum möchte ich Sie nicht unterbrechen. Aber sagten Sie nicht zumindest etwas in diesem Sinne? Ich gebe Ihnen das Dokument, wenn Sie wollen, daß die Tschechoslowakei einem Zangenangriff zum Opfer fallen mußte.
JODL: In dem ersten Entwurf habe ich niedergeschrieben, daß durch die Einnahme, durch den Anschluß Österreichs die strategische Lage der Tschechoslowakei so aussichtslos geworden war, daß sie jederzeit einem Zangenangriff zum Opfer fallen mußte; ein strategischer Rückblick über Tatsachen, unbestreitbare Tatsachen.
MR. ROBERTS: Ich nehme das an, Herr Zeuge! Und dann möchte ich mich ganz kurz mit dem Fall Tschechoslowakei beschäftigen. Ich mochte mich wirklich nur mit ein paar Dokumenten befassen, und zwar mit Ziffer 17, die der Gerichtshof auf Seite 29 des Buches 7 findet.
Es ist angezeichnet, wenn Sie es zur Hand nehmen; ich habe ein Zeichen für Sie hineingelegt, Herr Zeuge, Ziffer 17.
JODL: Ja.
MR. ROBERTS: Sie kennen das doch, nicht wahr?
JODL: Das kenne ich, jawohl.
MR. ROBERTS:... und ich habe nicht die Absicht, es nochmals vorzulesen, denn es ist erst vor kurzem verlesen worden. Aber Sie stimmen doch darin überein, daß Sie gestern sagten: Das Problem war folgendes: Zuerst müßten Sie einen Überraschungsangriff führen; wenn Sie überhaupt angreifen, müßte ein Überraschungsangriff durchgeführt werden.
JODL: Auf Grund der Forderungen, die der Führer gestellt hat, ja.
MR. ROBERTS: Sie müßten erst einen Überraschungsangriff durchführen. Ihre Truppen brauchten vier Tage, um ihre Kampfstellungen zu beziehen?
JODL: Jawohl.
MR. ROBERTS: Und deshalb müßten Sie den Zeitpunkt wissen, den Zwischenfall, der der Anlaß zu dem Angriff sein würde; Sie müßten wissen, wann sich dieser Zwischenfall ereignen sollte?
JODL: Ja, ich sagte, man muß entweder den Zeitpunkt voraus bestimmen oder man muß ihn vorher wissen; sonst sind die Forderungen nicht erfüllbar.
MR. ROBERTS: Jawohl. Und deshalb müßten Sie diesen Zwischenfall selbst hervorrufen?
JODL: Ich habe darüber gestern eingehende Ausführungen gemacht, entweder mußte man einen der vielen ausnützen oder man mußte vielleicht etwas nachhelfen; aber, wie gesagt, das sind ja alles Generalstabsüberlegungen, die Sie, wenn wir sie bei den Franzosen erbeuten, als völlig unerheblich bezeichnen.
MR. ROBERTS: Am Ende des Dokuments auf Seite 30 heißt es, daß entweder die Wehrmacht oder das Amt Abwehr die Aufgabe haben würde, diesen Zwischenfall hervorzurufen – im letzten Absatz.
JODL: Ja. Ich schrieb daher
»sofern nicht ohnehin die Abwehr-Abteilung mit der Organisation des Zwischenfalles beauftragt wird«.
»Sofern«. Das sind alles theoretische Generalstabsüberlegungen in einer Situation, die ich gestern ganz genau geschildert habe, wo es jeden Tag solche Zwischenfälle bereits gab.
MR. ROBERTS: Ich verstehe. Und wenn sich dies ereignet hätte, würde der Welt mitgeteilt worden sein, daß eben dieser Zwischenfall Deutschland dazu zwang, in den Krieg zu ziehen?
JODL: Ich glaube nicht, daß das der Welt mitgeteilt worden wäre, sondern es wäre ihr der wahre Grund mitgeteilt worden, der im übrigen unaufhörlich durch die Presse mitgeteilt worden ist, daß man nicht dreieinhalb Millionen Deutsche einem anderen Volke versklaven kann auf die Dauer; darum handelte es sich.
MR. ROBERTS: Wenn der Welt die Wahrheit mitgeteilt wird, warum muß dann ein Zwischenfall fabriziert werden?
JODL: Das habe ich gestern schon... Ich kann nur dasselbe wiederholen, was ich gestern eingehend sagte. Ich war ein zu guter Kenner der Kriegsgeschichte, um nicht zu wissen, daß das in jedem Krieg so passiert bei der Frage um den ersten Schuß; und erste Schüsse hatte die Tschechei um diese Zeit schon Tausende abgegeben, die auf deutsches Gebiet gefallen sind.
MR. ROBERTS: Ich behaupte, Zeuge, unbeschadet einer Berichtigung, daß Sie auf meine Frage überhaupt nicht geantwortet haben; meine Frage ist sehr kurz, und Sie halten da einen langen Vortrag über etwas ganz anderes. Die Frage ist: wenn die Wahrheit genügte, um eine Kriegserklärung zu rechtfertigen, warum mußten Sie einen Zwischenfall hervorrufen? Wenn Sie das nicht beantworten können, dann sagen Sie es.
JODL: Ja, es ist ja gar nicht feststehend, daß ich einen solchen Zwischenfall hervorrufen wollte, ich habe geschrieben »Sofern nicht«. Es ist nie einer vorbereitet worden, das ist doch das Wesentliche.
MR. ROBERTS: Ich möchte nicht weiter mit Ihnen darüber diskutieren. Ich habe meinen Standpunkt klargemacht und verlasse diese Frage.
Ich möchte nun einen ganz anderen Punkt berühren. Ich verweise Sie auf den letzten Absatz auf Seite 29 im gleichen Dokument:
»Auch eine Warnung der diplomatischen Vertretungen in Prag ist unmöglich vor dem ersten Luftangriff durchführbar, obwohl die Folgen, falls sie dem Luftangriff zum Opfer fallen, sehr schwere sein können.«
Vielleicht lesen Sie diesen Absatz, der dem Gerichtshof schon bekannt ist:
»Zum Beispiel der Tod von Vertretern befreundeter oder sicher neutraler Mächte...«
Das bedeutet einen Luftangriff, bevor eine Kriegserklärung erfolgte oder irgendeine Warnung der Zivilbevölkerung erfolgte. Stimmt das nicht?
JODL: Das bedeutet, daß ich den Führer durch dieses Schreiben darauf aufmerksam mache, daß auf Grund seines Befehls solche Folgen eintreten können oder eintreten werden.
MR. ROBERTS: Würden Sie das einen Terrorangriff nennen? Einen Terrorangriff?
JODL: Man kann nicht sagen, unter welchen Voraussetzungen sich eine solche Aktion überhaupt würde auslösen lassen. Das sind ja alles theoretische Arbeiten für unseren Generalstab. Wie das und ob das in die Praxis umgesetzt würde, das weiß ja kein Mensch, ob mit Recht oder Unrecht, das unterlag der politischen Entscheidung.
MR. ROBERTS: Ich werde Ihnen später zeigen, wie diese Gedanken im Falle von anderen Ländern dann in die Wirklichkeit umgesetzt wurden. Wir wollen dieses Dokument jetzt ganz verlassen und damit auch den Fall Tschechoslowakei.
Sie wurden also am 23. August 1939 in das OKW zurückberufen von Ihrem Artilleriekommando. Wir wissen das ja.
JODL: Jawohl.
MR. ROBERTS: Das war doch ein großes Kompliment, dank der guten Meinung, die der Führer von Ihnen hatte?
JODL: Der Führer hat die Rückberufung nicht gemacht. Ich weiß gar nicht, ob er sie überhaupt gewußt hat; ich glaube es nicht.
MR. ROBERTS: Sehr wohl. Eine Kleinigkeit, Zeuge – Sie haben dem Gerichtshof gestern oder vorgestern gesagt, daß Sie vor September 1939 nie eine Unterredung mit dem Führer hatten. Aber in Ihrem Tagebuch am 10. August 1938, Seite 136 des Buches 7, sagen Sie, daß Sie einer Besprechung auf dem Berghof mit den Befehlshabern des Heeres und der Luftwaffe beiwohnten. Haben Sie den Führer da nicht getroffen?
JODL: Das, was Sie behauptet haben in Ihrem ersten Satz, das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe gesagt wörtlich: »Ich wurde am 3. September dem Führer von dem Feldmarschall Keitel vorgestellt. Jedenfalls habe ich bei dieser Gelegenheit das erste Wort mit ihm gesprochen.« So habe ich gestern wörtlich ausgesagt. Gesehen habe ich den Führer vorher dutzend Male und gehört in großen Reden auch, nachdem er Reichskanzler und Oberbefehlshaber war.
MR. ROBERTS: Sehr gut. Ich nehme diese Antwort an. Ich kann mich irren.
Nun, verstehe ich Sie richtig, bezüglich des polnischen Feldzuges sagten Sie, daß Warschau erst nach Abwurf von Flugblättern bombardiert wurde?
JODL: Das trifft für den Zeitpunkt der Belagerung Warschaus zu. Also der Terrorangriff, möchte ich sagen, der die gesamte Stadt treffen mußte durch die Artilleriebeschießung, der fand erst nach dieser zweimaligen Vorwarnung statt.
MR. ROBERTS: Ist es nicht eine historische Tatsache, daß Warschau gleichzeitig mit vielen anderen polnischen Städten am Morgen des 1. September 1939 ohne jedwede Kriegserklärung bombardiert wurde? Ist das nicht eine historische Tatsache?
JODL: Über diese historische Tatsache hat sich eingehend der Feldmarschall Kesselring hier, der es sehr genau weiß, geäußert. Er hat gesagt – und der Reichsmarschall Göring –, daß an diesem Tag die militärisch wichtigen Objekte ganz Polens angegriffen wurden, aber nicht die Bevölkerung von Warschau.
MR. ROBERTS: Sie haben ganz recht, nun hat Kesselring...
Falls der Gerichtshof die diesbezüglichen Angaben wünscht – die Aussage Kesselrings über das Bombardement von Warschau ist in der Nachmittagssitzung des 12. März 1946 (Band IX, Seite 199/200) erfolgt.