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[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie nicht immer geglaubt, daß Hitler ein guter Prophet war? Sie dachten, daß Hitler ein gutes Urteil hatte.

JODL: Sehr oft, ja, sehr oft.

MR. ROBERTS: Er hat sehr gut beurteilt, daß England und Frankreich ihr Versprechen halten, hingegen Deutschland das seinige brechen würde.

Nun, das war im August. Ich möchte...

JODL: Das kenne ich aber auch nicht.

MR. ROBERTS: Gut. Ich komme nun auf das Dokument, das Ihnen gestern vorgelegt wurde.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Zeuge! Was meinten Sie, als Sie sagten: »das kenne ich aber auch nicht«. Meinen Sie, daß Sie dieses Dokument nicht kannten? Sie sagten »das kenne ich auch nicht«.

JODL: Ich kenne nicht, was der Führer in dieser Besprechung am 22. August tatsächlich gesprochen hat. Ich wußte gar nicht, daß eine Besprechung war; denn ich war in Wien. Ich weiß nur, was angeblich darüber in Niederschriften hier vorgelegt worden ist.

MR. ROBERTS: Nun, ich möchte das ganze Dokument L-52 vorlegen. Herr Dr. Exner hat, rechtmäßigerweise natürlich, einige Auszüge verlesen. Ich möchte noch einige mehr verlesen.

Haben Sie Kopien für den Gerichtshof?

Das Dokument L-52 ist eine Denkschrift Hitlers vom 9. Oktober 1939. Darf ich betonen, daß der 9. Oktober 1939 drei Tage nach seiner erneuten Versicherung an die westlichen neutralen Staaten war?

Ich möchte auf gewisse Stellen verweisen. Sie haben einige gelesen. Ich möchte auf andere verweisen.

Herr Vorsitzender! Ich möchte mit der Titelseite beginnen, das ist die fünfte Seite. Es ist Seite 27 im Original; die Seitenzahl steht in der unteren rechten Ecke.

[Zum Zeugen gewandt:]

Ich lese den Absatz auf Seite 25 Ihres Originals, Herr Zeuge:

»Die militärischen Mittel Deutschlands bei einer längeren Kriegführung sind unserem Hauptgegner gegenüber die Luftwaffe und das U-Boot.

Das U-Boot kann auch heute bei rücksichtsloser An wendung zu einer außerordentlichen Bedrohung Englands führen. Die Schwächen der deutschen U-Bootkriegführung liegen in den weiten Anmarschwegen zu den Stationen ihrer Tätigkeit, in der außerordentlichen Gefährdung dieser Anmarschwege und in der dauernden Bedrohung ihrer Heimatbasen. Daß England augenblicklich noch nicht die im Weltkrieg errichtete große Minensperre zwischen Norwegen und den Shetland-Inseln aufgerichtet hat, hängt – wenn überhaupt der Wille zur Kriegführung vorhanden ist – wohl mit dem Fehlen des dafür notwendigen Sperrmaterials zusammen. Bei langer Dauer des Krieges ist aber mit Bestimmtheit mit der Erschwerung dieser dann allein verbleibenden Aus- und Einmarschmöglichkeiten unserer U-Boote zu rechnen. Jede Schaffung von U-Bootstützpunkten außerhalb dieser eingeengten Heimatbasis würde zu einer enormen Steigerung der Wirkungsmöglichkeit dieser Waffen führen.«

Ist das eine versteckte Anspielung auf die norwegischen Stützpunkte, die einen Zutritt zum Atlantik ermöglichen?

JODL: Das glaube ich nicht. Das ist eine allgemein richtige seestrategische Betrachtung und kann sich genau so gut auf den Stützpunkt Murmansk beziehen, den wir damals zum Beispiel schon hatten oder in Spanien oder irgendeinem damals neutralen Staat; aber es ist kein Hinweis auf Norwegen; denn ich habe unter Eid ausgesagt, daß der Führer zu dieser Zeit mit keinem Gedanken an Norwegen gedacht hat, bevor nicht die Nachricht von Quisling kam.

MR. ROBERTS: Ich habe Ihre Antwort gehört. Ich möchte nun weiter verlesen:

»Die Luftwaffe: Sie kann zu einem wirkungsvollen Einsatz gegen das industrielle Zentrum Englands und gegen die im Krieg an Bedeutung gewinnenden südlichen und südwestlichen Häfen erst dann gelangen, wenn sie nicht mehr gezwungen ist, von unserer derzeitigen kleinen Nordseeküste aus auf ungeheueren Umwegen und damit langen Anflügen anzugreifen. Sollte das holländisch-belgische Gebiet in englisch-französische Hände kommen, so werden die Luftstreitkräfte unserer Gegner, um in das industrielle Herz Deutschlands vorstoßen zu können, kaum den sechsten Teil des Weges zurücklegen müssen, den der deutsche Bomber benötigt, um wirklich wichtige Ziele zu fassen. Wenn wir Holland, Belgien oder gar das Pas de Calais als Ausgangsbasen deutscher Luftangriffe besitzen würden, so könnte damit ohne Zweifel auch unter Aufnahme stärkster Repressalien Großbritannien in das Herz getroffen werden.

Für Deutschland würde eine solche Verkürzung der Anflugwege um so wichtiger sein, als die Brennstoffversorgung bei uns schwieriger ist. Je 1000 kg Brennstoffersparnis kommen nicht nur der nationalen Wirtschaft zugute, sondern sie bedeute für das Flugzeug als Nutzlast 1000 kg mehr Sprengstoff, das heißt also statt 1000 kg Transportleistung, 1000 kg Wirkung. Ebenso führt dies zu einer Einsparung an Flugzeugen, zu einer Scho nung der Maschinen und vor allem zu einer Erhaltung kostbaren Soldatenblutes.«

Ich bitte Sie, sich nun Seite 41 zuzuwenden.

Herr Vorsitzender! Es findet sich zwei Seiten später, und Sie werden »41« fast oben auf der Seite mit einem Stern versehen finden, zusammen mit der Überschrift »Der deutsche Angriff«. Haben Sie es gefunden, Herr Vorsitzender?

VORSITZENDER: Jawohl.

MR. ROBERTS:

»Der deutsche Angriff. Der deutsche Angriff ist so anzusetzen, daß er grundsätzlich zur Vernichtung des französischen Heeres führen kann, auf alle Fälle aber die günstige Ausgangslage und damit Voraussetzung für eine erfolgreiche weitere Kriegführung schafft. Als Angriffsfront kommt unter diesen Umständen nur in Frage der Abschnitt zwischen Luxemburg südlich bis Nymwegen, nördlich unter Aussparung der Festung Lüttich. Aufgabe des Angriffs der sich daraus ergebenden beiden Angriffsgruppen ist es, zu versuchen, in kürzester Zeit den luxemburgisch-belgisch-holländischen Raum zu durchstoßen, die sich dem Angriff entgegentretenden belgisch-französisch-englischen Kräfte zu stellen und zu schlagen.«

Ich nehme an, ich kann Sie nicht um Ihre Meinung bitten, ob es ehrlich ist, diesen westlichen Neutralen am 6. Oktober eine Garantie zu geben und in dieser Denkschrift vom 9. zu sagen, daß dies das einzig mögliche Mittel zum Angriff sei. Ich nehme an, daß dies eine politische Frage ist, nicht wahr?

JODL: Das ist eine politische Frage. Aber die Erklärungen sind immer nur abgegeben worden unter der Voraussetzung strengster Neutralität dieser Länder. Die ist aber nicht gehalten worden; denn die britischen Flugzeuge sind täglich und nächtlich über dieses Gebiet geflogen.

MR. ROBERTS: Warum sollte das unglückliche niederländische und belgische Volk vernichtet und verstümmelt werden, weil britische Flieger über ihr Gebiet flogen – vom deutschen Heer vernichtet und verstümmelt? Worin liegt die Logik Ihrer Bemerkung?

Herr Vorsitzender! Ich möchte noch eine weitere Stelle aus diesem Dokument verlesen. Wenn der Herr Vorsitzende daran denkt, eine Pause zu machen, möchte ich mir gestatten, diese Stelle noch zu verlesen. Ich bin dann mit diesem Dokument fertig. Herr Vorsitzender, es findet sich auf der nächsten Seite, und zwar unten.

Es ist mit Seite 52 bezeichnet, und zwar direkt über »Zeitpunkt des Angriffes«.

Herr Zeuge! Es befindet sich auf Seite 52 oben oder besser, Seite 51 unten.

»Die gesamte Führung hat sich bei den bevorstehenden Operationen unentwegt vor Augen zu halten, daß die Vernichtung der französisch-englischen Armee das große Ziel ist, dessen Erreichung dann die Voraussetzung für einen späteren, und zwar erfolgreichen Einsatz der Luftwaffe auch gegen andere Ziele ermöglicht. Der brutale Einsatz der Luftwaffe gegen das Herz des britischen Widerstandswillens kann und wird zur gegebenen Zeit erfolgen.«

Bedeutet dies Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung?

JODL: Sie befragen mich dauernd über ein Dokument, das vom ersten bis zum letzten Wort der Führer geschrieben hat, wie ich Ihnen gesagt habe, und bringen hier eine ganz interessante Darstellung über die Person des Führers als Feldherrn und Strategen. Das ist für die Welt von größtem Interesse. Aber ich weiß nicht, was das mit mir zu tun hat. Es sind das die Gedanken, die der Führer als Feldherr niedergelegt hat; für die ganzen Soldaten der Welt von größtem Interesse. Aber was hat das denn mit mir zu tun? Das verstehe ich nicht.

MR. ROBERTS: Aber Herr Zeuge! Darf ich darauf aufmerksam machen, daß Ihr eigener Verteidiger das Dokument vorgelegt hat und daß Sie auf gewisse Teile des Dokuments Bezug genommen haben? Deshalb hat das mit Ihnen zu tun. Sie haben sich auf das Dokument gestützt.

JODL: Jawohl.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.