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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Angeklagte Jodl im Zeugenstand.]

MR. ROBERTS: Zeuge! Ich habe nur noch zwei weitere Fragen über den Ihnen vorgeworfenen Angriff auf die Niederlande. Wollen Sie sich Ihr Tagebuch ansehen, 1809-PS, vom 8. Mai 1940. Es ist Seite 141 im Dokumentenbuch Nummer 7, Seite 115 im deutschen Dokumentenbuch. Das eigentliche Zitat ist auf Seite 143 im Dokumentenbuch Nummer 7, oben auf der Seite.

»8. 5. Alarmierende Nachrichten aus Holland, Urlaubssperre, Evakuierung, Sperren, restliche Mobilmachungsmaßnahmen.«

Haben Sie tatsächlich befürchtet, daß die Holländer Schritte unternehmen würden, um sich gegen Ihre Invasion zu verteidigen?

JODL: Daß die Holländer sich verteidigen würden, habe ich sicher angenommen, gegen Deutschland.

MR. ROBERTS: Beunruhigte Sie der Gedanke, die Holländer könnten Verdacht hegen, daß Sie Ihre Versicherungen und Verträge brechen werden?

JODL: Ich habe die Frage nicht verstanden.

MR. ROBERTS: Ich werde fortfahren.

»Nach Abwehrmeldungen sollen Engländer um Erlaubnis zum Einrücken gebeten haben, die Holländer aber abgelehnt haben. Nach Meldungen richten sich Maßnahmen der Holländer teils gegen die Küste, teils gegen uns. Klares Bild ist nicht zu gewinnen, ob Holländer nicht mit Engländern unter einer Decke stecken oder ob sie wirklich ihre Neutralität gegen den ersten Angreifer verteidigen wollen.«

Daraus geht doch klar hervor, daß Sie überhaupt keine Informationen darüber hatten, daß holländische Neutralität verletzt werden sollte?

JODL: Das geht aus dem Eintrag nicht klar hervor, denn das Ganze ist nur eine kurze Argumentation über einen Pack Meldungen, die wir an diesem Tage oder am Tage vorher von Canaris bekommen haben. Und wenn man die genau verfolgen wollte, müßte man gerade diese letzten Nachrichten bei der Hand haben, denn auf diese letzten Nachrichten bezieht sich dieser Eintrag. Viele Tausende vorher sind dadurch nicht erfaßt.

MR. ROBERTS: Also am 10. Mai ist dann die gesamte bewaffnete Macht Deutschlands ohne irgendeine Kriegserklärung in diese drei kleinen Länder eingefallen, nicht wahr?

JODL: Am 10. Mai begann der Angriff auf der ganzen Front.

MR. ROBERTS: Was hatten diese Länder denn verbrochen, daß sie die Schrecken der Invasion und das Elend der deutschen Besetzung verdienten?

JODL: Das ist wieder – kann ich nur sagen – eine historische Frage. Ich habe schon ausgeführt, nach meiner Auffassung, nach meiner subjektiven, waren diese durch England und Frankreich in der Praxis gezwungen worden, ihre streng neutrale Haltung aufzugeben. Das war mein subjektiver Eindruck.

MR. ROBERTS: Ihr einziges Vergehen bestand darin, daß sie Ihnen hinsichtlich Ihrer Luft- und U- Bootstützpunkte im Wege standen, nicht wahr?

JODL: Sie waren nicht nur im Wege, sondern sie haben durch Duldung neutralitätswidriger Handlungen die Kriegführung Englands gegen uns gefördert. Das war mein subjektiver Eindruck.

MR. ROBERTS: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs würde ich gern eine Frage über Norwegen stellen, nur eine Frage. Wenn ich nochmals darauf zurückkommen darf, möchte ich Sie über Ihren Tagebucheintrag fragen, 1809-PS, Seite 143 im Dokumentenbuch Nummer 7. Ich weiß nicht, wo es im deutschen Buch steht, aber es muß ungefähr an der gleichen Stelle sein. Ich werde es langsam verlesen:

»13. 3. Führer gibt Befehl zur ›W‹ noch nicht. Er ist noch auf der Suche nach einer ›Begründung‹ oder einer ›Rechtfertigung‹, um Ihr Wort zu benützen.«

Und am nächsten Tag, am 14. März:

»Der Führer noch nicht entschlossen, wie Weserübung zu begründen.«

Wenn Sie einen guten Grund hatten, die norwegische Neutralität zu brechen, warum sollte dann der Führer nicht in der Lage sein, eine Begründung zu finden?

JODL: Weil der Führer für diese Operation es unbedingt für notwendig hielt, irgendeinen dokumentarischen Beweis zu haben. Bis jetzt waren es nur sehr starke Anhaltspunkte, die an einen Beweis herankamen; aber ein dokumentarischer Beweis war noch nicht in unserer Hand.

MR. ROBERTS: Gut. Ich lasse diesen Teil des Falles und wende mich jetzt der jugoslawischen Frage zu. Ich habe nur zwei oder drei Fragen über Jugoslawien.

Sehen Sie sich bitte Dokument 1746-PS an. Es ist Seite 127 im Dokumentenbuch Nummer 7, Seite 112 im deutschen Dokumentenbuch.

Bevor wir uns mit dem Dokument befassen, Herr Zeuge: Jugoslawien erhielt doch auch Zusicherungen von Hitler. Das stimmt doch, nicht wahr? Oder wissen Sie das nicht?

JODL: Ja, nicht nur Jugoslawien von Hitler, sondern auch wir von der Jugoslawischen Regierung, die mit uns am Tage vorher einen Staatsvertrag abgeschlossen hat.

MR. ROBERTS: Sie werden das Dokument finden, auf das ich Bezug nehme. Es ist eine Seite, die die deutsche Überschrift »Besprechung« trägt. Haben Sie das gefunden? Eine Seite mit dem Wort »Besprechung« als Überschrift.

JODL: »Besprechung über Lage Jugoslawien.« Jawohl.

MR. ROBERTS: Das stimmt.

JODL: Jawohl.

MR. ROBERTS: Das Datum ist der 27. März 1941.

JODL: Jawohl.

MR. ROBERTS: Schlagen Sie auf... ich glaube, es ist Seite 2.

»Führer ist entschlossen,« – im dritten Absatz – »ohne mögliche Loyalitätserklärungen der neuen Regierung abzuwarten, alle Vorbereitungen zu treffen, um Jugoslawien militärisch und als Staatsgebilde zu zerschlagen. Außenpolitisch werden keine Anfragen oder Ultimaten gestellt werden. Zusicherungen der Jugoslawischen Regierung, denen für die Zukunft doch nicht zu trauen ist, werden zur Kenntnis genommen. Angriff wird beginnen, sobald die hierfür geeigneten Mittel und Truppen bereitstehen.

Es kommt darauf an, daß so schnell wie möglich gehandelt wird.«

Ich schlage nun Seite 3 auf, Zeuge:

»Politisch ist es besonders wichtig, daß der Schlag gegen Jugoslawien mit unerbittlicher Härte geführt wird und die militärische Zerschlagung in einem Blitzunternehmen durchgeführt wird.«

Jetzt Seite 5, Zeuge:

»Der Luftwaffe kommt als Hauptaufgabe zu, so frühzeitig wie möglich beginnend, die jugoslawische Fliegerbodenorganisation zu zerschlagen und die Hauptstadt Belgrad in rollenden Angriffen zu zerstören.«

Der Führer hat der Zivilbevölkerung nicht einmal eine halbstündige Warnung gegeben, nicht wahr?

JODL: Ich weiß nicht, welche Warnungsvorbereitungen die Jugoslawische Regierung getroffen hatte; aber sie hat im Augenblick des Putsches sofort militärische Vorbereitungen getroffen und ist an unseren Grenzen aufmarschiert.

MR. ROBERTS: Darf ich Sie folgendes fragen: Billigen Sie als ehrenhafter Soldat, eine dicht bevölkerte Stadt anzugreifen ohne eine Kriegserklärung oder mindestens eine halbstündige Warnung vorangehen zu lassen?

JODL: Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich habe schon ausgeführt, daß sowohl ich persönlich und eine halbe oder eine Stunde später der Reichsaußenminister ein Ultimatum vorgeschlagen haben.

MR. ROBERTS: Als Sie die Luftüberlegenheit verloren hatten und man zurückschlug, haben die Deutschen dann doch sehr viel Aufhebens gemacht wegen der Terrorangriffe, nicht wahr?

JODL: Diese Stadt war aber gleichzeitig das Zentrum einer Putschregierung, die einen mit Deutschland geschlossenen Vertrag annulliert hat und die von diesem Augenblick auf der ganzen Front mit Kriegsvorbereitungen gegen Deutschland begonnen hat.

MR. ROBERTS: Ich werde diesen Zwischenfall lassen. Erinnern Sie sich, wie Sie darauf in den Aufzeichnungen für Ihren Vortrag Bezug nahmen? Es ist auf Seite 127, nein, Verzeihung Herr Präsident, Seite 292 im Dokumentenbuch und Seite 304 im deutschen Text. Sie weisen darauf hin als ein »Zwischenspiel«. Erinnern Sie sich? Das deutsche Wort ist »Zwischenspiel«. Ist das Ihre Vorstellung von einem Zwischenspiel?

JODL: Um juristisch genau zu sein: Sie meinen den ersten Entwurf zu meinem Vortrag, nicht meinen Vortrag, den kennen Sie nicht. Aber ich kann mich auch in diesem ersten Entwurf an die Stelle von einem »Zwischenspiel« nicht erinnern.

MR. ROBERTS: Wie viele Zivilisten, wieviel Tausende von Zivilisten, glauben Sie, wurden in der ersten Etappe dieses Zwischenspiels bei der warnungslosen Bombardierung Belgrads getötet?

JODL: Das kann ich nicht sagen, sicher nur ein zehnter Teil wie zum Beispiel in Dresden, als Sie den Krieg schon gewonnen hatten.

MR. ROBERTS: Ich wende mich jetzt dem Ihnen vorgeworfenen Angriff gegen die Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken zu. Hitler entschloß sich zum Angriff auf die Sowjetrepublik im Juli 1940, nicht wahr?

JODL: Im Juli 1940 hatte er diesen Entschluß noch nicht gefaßt.

MR. ROBERTS: Jedenfalls – ich will keine Zeit verschwenden – wissen wir, daß am 22. Juni 1941 die Deutschen in die Sowjetunion eingefallen sind trotz des Nichtangriffspaktes. Das ist eine historische Tatsache, nicht wahr?

JODL: Der überraschende Angriff vom 22. Juni 1941 ist eine historische Tatsache, begründet dadurch, daß die Politiker der Auffassung waren, daß die Sowjetunion sich nicht an diesen Pakt gehalten hätte.

MR. ROBERTS: Zeuge! Ich werde diesen Teil des Falles nun ganz lassen. Ich möchte aber noch eine letzte Frage an Sie richten: Meinen Sie nicht, daß diese lange Reihe gebrochener Versprechen Deutschlands Namen auf Jahrhunderte hin entehren wird?

JODL: Das könnte sein, wenn die historische Forschung nach genauer Prüfung der russischen Dokumente den einwandfreien Nachweis liefert, daß Rußland nicht die Absicht gehabt hat, uns politisch zu erpressen oder anzugreifen; dann ja, sonst nein.

MR. ROBERTS: Ich wende mich jetzt einem ganz anderen Teil des Falles zu, Abschnitt 3 und 4. Die Dokumente wurden Ihnen schon so oft vorgelegt, ich will sie Ihnen nicht wieder vorlegen.

Aber Sie erinnern sich doch des »Barbarossa«-Befehls, das ist C-50, Dokumentenbuch Nummer 7, Seite 187; Seite 146 im deutschen Dokumentenbuch. Das wurde doch von Ihrem Amt herausgegeben, nicht wahr? Vom Wehrmachtführungsstab L?

JODL: Es ist bearbeitet worden in der Quartiermeisterabteilung des Wehrmachtführungsstabes.

MR. ROBERTS: Geben Sie zu, daß es schändlich war, diesen Befehl auszugeben?

JODL: Ich stimme zu und habe es schon ausgeführt, daß es keinen Soldaten gegeben hat, der sich diesem Befehl nicht widersetzt hätte. Alle haben es getan.

MB. ROBERTS: Gut. Wir wissen, daß am 17. Juli – das ist Dokument C-51, Dokumentenbuch Nummer 7 auf Seite 190, Seite 150 im deutschen Text –, wir wissen, daß von demselben Amt, dem Wehrmachtführungsstab L, ein Befehl herausgegeben wurde, den vorhergehenden Befehl zu vernichten, daß er aber immer noch gültig wäre und bis herauf zum Korps zu vernichten sei. Was war der Zweck der Vernichtung dieses Befehls?

JODL: Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, denn dieser Befehl ist mir nicht gegenwärtig. Ich glaube auch nicht, daß ich ihn je gesehen habe, jedenfalls nicht vor dem Prozeß.

MR. ROBERTS: Vielleicht sehen Sie es sich einmal an, Zeuge, es ist C-51, Seite 190 im Buch Nummer 7; Seite 150 im deutschen Dokumentenbuch und stammt von WFSt – das bedeutet Wehrmachtführungsstab Abteilung L – und dann Q, für Quartiermeister, in Klammern. Das ist doch Ihr Amt?

JODL: Es ist ein Teil des Wehrmachtführungsstabes.

MR. ROBERTS: Es ist von Keitel unterschrieben.

JODL: Ja, aber ich kenne den Befehl nicht, und ich habe ihn außer hier in Nürnberg vorher nie gesehen. Ich weiß auch gar nicht, um was es sich handelt, welcher Befehl aufgehoben wird, denn ich habe schon erklärt, daß diese, Fragen der Kriegsgerichtsbarkeit ja der Feldmarschall Keitel bearbeitet hat und dazu meine Quartiermeisterabteilung als Arbeitsstab benützt hat, ohne daß ich arbeitsmäßig daran beteiligt war. Ich kenne ihn nicht.

MR. ROBERTS: Sie können uns keinen Grund angeben, warum es vernichtet werden mußte?

JODL: Nein. Ich kann Ihnen darüber keine Auskunft geben.

MR. ROBERTS: Gut. Ich komme zu C-52, das noch nicht vorgelegt worden ist. Meine Herren Richter! Sie werden es auf Seite 191 im Buch Nummer 7 finden. Ich lege es als GB-485 vor; im deutschen Buch ist es auf Seite 153.