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[Zum Zeugen gewandt:]

Sind Sie sich dessen bewußt, daß die deutschen Truppen die Ironie besser verstanden als wir und im wahrsten Sinne des Wortes die Leute vierteilten, verkehrt aufhängten und die sowjetischen Kriegsgefangenen am Spieß brieten. Wissen Sie das?

JODL: Das weiß ich nicht nur nicht, sondern ich glaube es auch nicht.

OBERST POKROWSKY: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich zu der letzten Gruppe der Fragen nach der Pause übergehen.

VORSITZENDER: Wie lange werden Sie noch brauchen, Oberst Pokrowsky?

OBERST POKROWSKY: Ich habe nur noch wenige Fragen zu stellen und glaube, nicht mehr sehr lange dazu zu brauchen.

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

OBERST POKROWSKY: [zum Zeugen Jodl gewandt] In der Gerichtsverhandlung haben Sie sehr wichtige Aussagen gemacht. Sie gaben zu, daß die Soldaten der Roten Armee im Jahre 1941 bei Wjasma den faschistischen Eindringlingen fanatischen Widerstand geleistet haben. Viele von ihnen gerieten nur deshalb in Kriegsgefangenschaft, weil sie zu erschöpft waren, um sich zu bewegen. Damit haben Sie die riesige Anzahl von Toten unter den russischen Kriegsgefangenen erklärt. Ist es so?

JODL: Das ist so bezüglich der Gefangenen, speziell aus dem Kessel von Wjasma.

OBERST POKROWSKY: Können Sie sich vielleicht auch an andere Gründe entsinnen, die Ihnen bekannt sind und die den Massentod russischer Kriegsgefangener herbeigeführt hatten?

JODL: Andere Gründe sind mir nicht bekanntgeworden.

OBERST POKROWSKY: Dann will ich Ihr Gedächtnis ein bißchen auffrischen und Ihre Aufmerksamkeit auf einen kurzen Auszug aus unserem Dokument USSR-353 lenken. Es ist ein Brief Rosenbergs an den Oberbefehlshaber der Wehrmacht; er war direkt an das OKW gesandt. Der Brief ist vom 28. Februar 1942. Ich will Ihre Aufmerksamkeit auf einzelne kurze Auszüge aus diesem Dokument lenken.

Auf der ersten Seite sind bei Ihnen, glaube ich, folgende Sätze unterstrichen:

»Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland ist im Gegenteil eine Tragödie größten Ausmaßes... Ein großer Teil von ihnen ist verhungert oder durch die Unbilden der Witterung umgekommen. Tausende sind auch dem Fleckfieber erlegen.«

Ich lasse einige Sätze aus und gehe zur nächsten Seite über:

»Einige einsichtige Lagerkommandanten haben diesen Weg auch mit Erfolg beschritten.«

Vorher handelte es sich darum, daß die Bevölkerung bereit war, die Kriegsgefangenen aus eigenem Antrieb mit Lebensmitteln zu versorgen.

»In der Mehrzahl der Fälle haben jedoch die Lagerkommandanten es der Zivilbevölkerung untersagt, den Kriegsgefangenen Lebensmittel zur Verfügung zu stellen und sie lieber dem Hungertode ausgeliefert... Ja, in vielen Fällen, in denen Kriegsgefangene auf dem Marsch vor Hunger und Erschöpfung nicht mehr mitkommen konnten, wurden sie vor den Augen der entsetzten Zivilbevölkerung erschossen und die Leichen liegen gelassen.«

Und weiter unten:

»Es sind Äußerungen vernommen worden wie: ›Je mehr von diesen Gefangenen sterben, desto besser für uns‹.«

Und noch etwas weiter auf Seite 3:

»Es wäre naiv anzunehmen, daß die Vorgänge in den Kriegsgefangenenlagern der Sowjetregierung hätten verborgen bleiben können. Wie aus der Zirkularnote Molotows ersichtlich, besitzen die Sowjets tatsächlich eine ausgezeichnete Kenntnis von den oben geschilderten Zuständen...«

Haben Sie die entsprechende Stelle gefunden?

JODL: Ja, habe ich gefunden.

OBERST POKROWSKY: Nun, wußten Sie wirklich nichts über diese Gründe des Massensterbens?

JODL: Nein, ich habe den Brief erst hier im Gericht gehört.

OBERST POKROWSKY: Ich frage Sie nicht über den Brief, Angeklagter Jodl. Ich frage Sie über die Gründe des Massensterbens der Sowjetkriegsgefangenen. Sie wußten also nicht, daß solche Gründe ein Massensterben verursachten?

VORSITZENDER: Ist dieses Dokument unterschrieben?

OBERST POKROWSKY: Das Dokument trägt keine Unterschrift. Es ist ein erobertes Dokument unter der Nummer 081-PS. Es gehört zu den von den USA eroberten Dokumenten und wurde uns von der Amerikanischen Anklagebehörde zwecks Vorlage vor dem Gerichtshof ausgehändigt.