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[Zum Zeugen gewandt:]

Ich habe Ihre Antwort nicht gehört.

JODL: Ich wußte von diesen Gründen des Massensterbens nichts. Sie sind auch vollkommen falsch, das weiß ich. Denn ich kann die Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen und ihr Verbleiben aus meiner Erinnerung ungefähr zahlenmäßig aufschlüsseln.

OBERST POKROWSKY: Gut. Wir wollen jetzt diese Frage von einem anderen Standpunkt aus behandeln. Ist Ihnen der Name von Graevenitz bekannt?

JODL: Graevenitz? Ja, der Name ist mir bekannt.

OBERST POKROWSKY: Hat er nicht im OKW gearbeitet?

JODL: Er war, wenn ich mich nicht täusche, im Allgemeinen Wehrmachtsamt und ein Untergebener von dem General Reinecke.

OBERST POKROWSKY: Diesmal sind Sie ganz genau, Sie haben recht. Kennen Sie den General Österreich?

JODL: Nein, diesen General kenne ich nicht.

OBERST POKROWSKY: Diesen Namen haben Sie auch niemals gehört?

JODL: Er ist mir nicht in Erinnerung.

OBERST POKROWSKY: Dieser General war Chef der Abteilung für Kriegsgefangene in einem Ihrer Wehrkreise. Vielleicht erinnern Sie sich an die Aussage dieses Generals bezüglich der Anweisung über die russischen Kriegsgefangenen, die er von Graevenitz im OKW erhalten hatte. Ihnen wird jetzt das Dokument USSR-151 vorgelegt.

Auf der fünften Seite des deutschen Textes finden Sie die Stelle, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte:

»Ende 1941 oder Anfang 1942 wurde ich wiederholt nach Berlin zur Besprechung der Kommandeure der Kriegsgefangenen der Wehrkreise befohlen.

Die Besprechung leitete der neue Kommandeur der Kriegsgefangenenabteilung beim Hauptquartier des OKW, Generalmajor von Graevenitz.

Während der Besprechung wurde die Frage der Behandlung der Kriegsgefangenen erörtert, die infolge der Verwundung, Ermattung und Krankheiten lebens- und arbeitsunfähig waren. Auf Vorschlag des Generals von Graevenitz äußerten sich zu dieser Frage mehrere anwesende Offiziere, darunter Ärzte, die erklärten, daß man solche Kriegsgefangene im Lager oder im Lazarett kon zentrieren und sie vergiften sollte. An Hand der Besprechungen erteilte General von Graevenitz den Befehl, die lebens- und arbeitsunfähigen Kriegsgefangenen zu töten und zu diesem Zweck den medizinischen Personalbestand zu verwenden.«

Wußten Sie etwas darüber?

JODL: Darüber wußte ich gar nichts. Ich kann zu dem Dokument keine Stellung nehmen, es hat mit mir nichts zu tun. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was hier gesagt worden ist, aber General von Graevenitz, der wird es doch ganz sicher wissen. Ich hatte mit den Kriegsgefangenen nichts zu tun. Das war ein anderes Amt, General Reinecke.

OBERST POKROWSKY: Von Graevenitz steht für seine Aussage ein. Er war ein Vollzugsorgan; er führte die Anweisung des OKW durch und gab auch die entsprechenden Richtlinien heraus. Sie sagen, daß Sie darüber nichts wußten?

JODL: Das habe ich nicht gesagt.

Der General von Graevenitz ist kein Untergebener von mir. Ich hatte mit ihm keinerlei Besprechungen. Ich habe ihn vielleicht zweimal in meinem Leben gesehen. Ich war für Kriegsgefangene nicht verantwortlich und nicht zuständig.

OBERST POKROWSKY: Gut, dann werden wir zur letzten Fragengruppe übergehen. Es sind nur noch einige wenige Fragen. Der Angeklagte Keitel hat im Kreuzverhör vor dem Gerichtshof und in der Voruntersuchung – diese Aussagen stammen, glaube ich, aus der Voruntersuchung – behauptet, daß Sie uns genauere Auskunft über Weisungen für die Vernichtung von Leningrad und Moskau geben würden. Sie haben hier vor dem Gerichtshof ausgesagt, daß diese Weisungen aus zwei Gründen gegeben wurden. Erstens, weil General von Leeb über das Durchsickern der Leningrader Bevölkerung durch die Frontlinien berichtete; zweitens wurden sie als Vergeltung für Kiew erlassen.

JODL: Nicht Repressalien, sondern die berechtigte Sorge, daß dasselbe, was uns in Kiew passierte, sich auch in Leningrad ereignen würde; und der dritte Grund war die Ankündigung des sowjetischen Rundfunks, daß sich das ereignen würde.

OBERST POKROWSKY: Gut! Für mich ist nur wichtig, festzustellen, daß Sie den Erlaß dieser Weisung mit dem Bericht von der Leningrad-Front und der Angelegenheit von Kiew verknüpften. Ist das richtig?

JODL: Ich habe es nicht damit verbunden, sondern die tatsächlichen Ereignisse haben zwangsläufig die Entscheidung des Führers in dieser Hinsicht beeinflußt; und das waren seine Begründungen, die er persönlich angegeben hat.

OBERST POKROWSKY: Nun gut, vielleicht werden Sie sich daran erinnern, wann das Oberkommando diese Mitteilung von Leeb erhalten hat. In welchem Monat war es?

JODL: Das war in den ersten Tagen – meiner Erinnerung nach in den ersten Tagen des September.

OBERST POKROWSKY: Sehr gut. Vielleicht erinnern Sie sich auch daran, wann die deutschen Truppen Kiew besetzt hatten. War das nicht vielleicht Ende September 1941?

JODL: Meiner Erinnerung nach ist Kiew Ende August besetzt worden, ich glaube am 25. August – um diese Tage herum. Aber ich kann es nicht...

OBERST POKROWSKY: Nicht am 22. September, Angeklagter?

JODL: Das ist ganz ausgeschlossen, denn wir haben ja ein Dokument hier, einen Bericht über die Vorkommnisse aus Kiew, dessen Datum ich auswendig nicht weiß. Es ist das Dokument 053-PS. Aus dem muß ja das Datum hervorgehen.

OBERST POKROWSKY: Eben in diesem Dokument handelt es sich um den 23. und 24. September. Aber nehmen wir mal an, es war im August. Würden Sie sich vielleicht daran erinnern, wann Hitler zum erstenmal geäußert hatte, man solle Leningrad dem Erdboden gleichmachen?

JODL: Verzeihung, ich habe mich die ganze Zeit im Datum geirrt. Das Dokument ist ja das Dokument C-123. Der Befehl des Führers ist ja vom 7. Oktober, also kann Ihre Angabe richtig sein. Ich war um einen Monat falsch gelegen. Die Einnahme von Kiew war tatsächlich Ende September. Die Nachrichten, die wir von Leeb bekamen, sind in den ersten Oktobertagen gekommen. Ich habe mich getäuscht, tut mir leid.

OBERST POKROWSKY: Bitte, das spielt keine Rolle. Ich möchte nur, daß Sie sich daran erinnern, wann Hitler zum erstenmal kategorisch erklärte, daß er Leningrad dem Erdboden gleichmachen würde. Das ist mir wichtig.

JODL: Ja, Sie beziehen sich dabei auf das Dokument der Kriegsmarine, der Seekriegsleitung, nehme ich an?

OBERST POKROWSKY: Ihnen wird gleich das Dokument L-221 vorgelegt und die Stelle gezeigt werden, wo bei einer Besprechung im Führerhauptquartier am 16. Juli 1941 folgendes gesagt wurde:

»Das Gebiet um Leningrad wird von den Finnen beansprucht; der Führer will Leningrad dem Erdboden gleichmachen lassen, um es dann den Finnen zu geben.«

Haben Sie die Stelle gefunden?

JODL: Ja, die Stelle habe ich gefunden.

OBERST POKROWSKY: Das war am 16. Juli 1941, nicht wahr?

JODL: Das Dokument ist niedergeschrieben am 16. Juli 1941, ja.

OBERST POKROWSKY: Es war doch lange vor dem Tag, an dem Sie die Mitteilung aus dem Raume Leningrad erhielten.

JODL: Das war drei Monate früher, ja.

OBERST POKROWSKY: Es war auch lange vor dem Tag, an dem irgendwelche Explosionen oder Brände in Kiew stattfanden. Ist das richtig?

JODL: Vollkommen richtig.

OBERST POKROWSKY: Deshalb ist es sicher auch nicht zufällig, daß Sie in dem von Ihnen verfaßten Dokument und bei Ihren Aussagen erklärten, daß der Führer erneut entschieden habe, Leningrad dem Erdboden gleichzumachen. Das war nicht sein erster Beschluß.

JODL: Nein, diesen Beschluß – wenn es ein Beschluß war –, die Äußerungen in dieser Besprechung, habe ich erst hier im Gericht gehört. Ich habe an dieser Besprechung nicht teilgenommen. Ich weiß auch nicht, ob die Worte so gefallen sind. Meine Bemerkung, daß der Führer erneut entschieden hat, das bezieht sich auf seinen mündlichen Befehl, den er kurz vorher – vielleicht einen oder zwei Tage vorher – an den Oberbefehlshaber des Heeres gegeben hatte; und daß darüber schon die Rede war, das geht daraus hervor, daß ich mich in diesem Befehl auf ein Schreiben des Oberkommandos des Heeres vom 18. 9. beziehe. In diesem Zusammenhang ist das Wort »erneut« zu verstehen. Die Tatsache war mir unbekannt. Ich habe das erst hier im Gericht gehört. Daß diese Besprechung überhaupt erst stattgefunden hat, habe ich erst im Gericht vernommen.

OBERST POKROWSKY: Sehr gut! Der Gerichtshof wird wahrscheinlich die Frage, wann Hitler diese Erklärung zum erstenmal gemacht hat, genau beurteilen können.

Sie behaupteten, daß Ihnen über die Vergeltung gegen die Juden nichts bekannt war?

JODL: Nein.

OBERST POKROWSKY: Trotzdem haben Sie sich eben auf das Dokument 053-PS bezogen.