[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
Dr. Jahrreiss! Wollen Sie den nächsten Zeugen rufen?
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, wenn es der Wunsch des Gerichts ist. Mit Erlaubnis des Gerichts rufe ich jetzt den Major Büchs. Major Büchs.
[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Wie heißen Sie bitte?
ZEUGE HERBERT BÜCHS: Herbert Büchs.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Bitte setzen Sie sich.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Welche Stellung hatten Sie in den letzten Kriegsjahren?
BÜCHS: Ich war vom 1. November 1943 als Generalstabsoffizier der Luftwaffe beim Chef des Wehrmachtführungsstabes und als solcher zweiter Adjutant des Generaloberst Jodl.
PROF. DR. JAHRREISS: Und sind Sie in dieser Stellung bis zum Schluß des Krieges gewesen?
BÜCHS: Ich bin in dieser Stellung bis zum Schluß, bis zu unserer Festnahme am 23. Mai 1945, geblieben.
VORSITZENDER: Herr Zeuge! Wollen Sie bitte auf das Licht achten? Wenn das gelbe Licht aufleuchtet, bedeutet das, daß Sie zu schnell sprechen. Versuchen Sie, nach jeder Frage eine Pause eintreten zu lassen.
BÜCHS: Jawohl.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Haben Sie in dieser Zeit, in der Sie im Führerhauptquartier waren, dieses Führerhauptquartier an mehreren Orten erlebt?
BÜCHS: Jawohl. Ich habe das Führerhauptquartier in Ostpreußen erlebt; ich bin außerdem in Berlin in dem Hauptquartier dabei gewesen und im Jahre 1944 auch in Berchtesgaden.
PROF. DR. JAHRREISS: Es ist davon die Rede gewesen, daß im Führerhauptquartier eine Partei-Clique gewesen sei. Wissen Sie etwas davon?
BÜCHS: Wenn ich damit verstehen soll einen Kreis von Personen, den ich benenne, möchte ich Fegelein, Bormann und Burgdorff nennen.
PROF. DR. JAHRREISS: Dann würden Sie sagen, das war eine Clique?
BÜCHS: Es sind diese drei Herren gewesen, die in sehr engem und persönlichem dienstlichem Verkehr gestanden haben und nach außenhin diesen Eindruck erweckt haben.
PROF. DR. JAHRREISS: Die untereinander oder mit Dritten im engen dienstlichen oder persönlichen Verkehr standen?
BÜCHS: Sie haben nicht nur untereinander in einem sehr engen Verhältnis gestanden, sondern ich habe dabei auch die Beobachtung gemacht, daß diese drei Herren auch einen sehr starken Einfluß auf Adolf Hitler selbst ausgeübt haben.
VORSITZENDER: Dr. Jahrreiss! Wollen Sie bitte die Namen der drei Herren genau feststellen. Sie sind nicht klar durchgekommen.
PROF. DR. JAHRREISS: Jawohl.
Herr Major! Wollen Sie bitte langsam sagen die Namen der drei Herren, die Sie eben nannten?
BÜCHS: Es handelt sich um Fegelein; der war der Verbindungsoffizier Himmlers zu Adolf Hitler; dann um Bormann, den Leiter der Parteikanzlei und Vertreter der Partei; und um General Burgdorff, der eine Doppelstellung hatte, als Chef des Heerespersonalamtes und gleichzeitig als Chefadjutant der Wehrmacht beim Führer.
PROF. DR. JAHRREISS: Hatte der Generaloberst Jodl mit jedem dieser drei Herren dienstlich zu tun?
BÜCHS: Wenn ich zuerst Fegelein nehmen darf: Fegelein war als Verbindungsoffizier Himmlers für den Führer sozusagen derjenige, an den er sich in allen Fragen der materiellen und personellen Ausrüstung der Waffen-SS-Divisionen wandte, wenn diese Fragen beim Einsatz dieser Divisionen während der militärischen Lage auftraten. In diesem Zusammenhang hat es natürlich während der Lagevorträge vor allem häufige Berührungspunkte mit dem Aufgabengebiet Fegeleins gegeben. Aber sonst war das dienstliche Verhältnis zwischen Generaloberst Jodl und Fegelein außerordentlich gering.
PROF. DR. JAHRREISS: Und mit Bormann?
BÜCHS: Gegenüber Bormann, als dem Vertreter der Partei, hat Generaloberst Jodl sein militärisches Aufgabengebiet immer scharf abgegrenzt. Beschwerden oder zu Unrecht bestehende Vorwürfe gegen die Wehrmacht oder etwaige Angriffe hat er immer zurückgewiesen. Ich habe dies vor allem erlebt zu der Zeit, als der Krieg auf deutschem Boden geführt wurde und sich öfter Reibungen mit den als Reichsverteidigungskommissaren eingesetzten Gauleitern ergaben.
PROF. DR. JAHRREISS: Bitte etwas langsamer!
BÜCHS: Ich habe dabei zum Beispiel erlebt, daß Herr Generaloberst Jodl entsprechende Beschwerden oder Briefe Bormanns einfach, mit seinen sehr groben Randbemerkungen versehen, im Original an diesen zurückschickte, um seine Auffassung dadurch zum Ausdruck zu bringen. Wenn er damit keinen Erfolg hatte, scheute er sich auch nicht, seine Auffassung beim Führer in jeder Form zu vertreten und dessen Entscheidung in der betreffenden Streitfrage herbeizuführen.
PROF. DR. JAHRREISS: Und der dritte der genannten Herren, Burgdorff?
BÜCHS: Mit General Burgdorff hat nach meiner Erinnerung der Generaloberst Jodl sehr wenig dienstlich zu tun gehabt, obwohl gerade Burgdorff die wichtige Frage der Stellenbesetzung der Oberbefehlshaber und sonstigen hohen Offiziere mit dem Führer besprochen hat. Gerade hier habe ich gesehen, daß General Burgdorff diese Sachen in erster Linie mit dem Führer allein besprochen hat, so daß Generaloberst Jodl verhältnismäßig wenig Einfluß darauf gehabt hat.
PROF. DR. JAHRREISS: Nun wüßte ich gern von Ihnen, Herr Zeuge, wie das persönliche Verhältnis des Generaloberst Jodl zu jedem dieser drei Herren war?
BÜCHS: Fegelein lehnte der Generaloberst Jodl ab, und zwar weil er, ich glaube, dessen charakterliche Schwächen damals schon vollkommen erkannt hatte. Ich habe es damals erlebt, daß er verschiedentlich Fegelein persönlich zur Rede gestellt und zurechtgewiesen hat.
Zu Bormann, möchte ich sagen, hat Generaloberst Jodl überhaupt keine Verbindung gehabt, und ich habe auch keinerlei privaten oder außerdienstlichen Verkehr zwischen den beiden Herren erlebt.
Das gleiche, was ich von Fegelein gesagt habe, gilt auch für das Verhältnis zum General Burgdorff, den Generaloberst Jodl persönlich wohl auch abgelehnt hat.
PROF. DR. JAHRREISS: Ich komme jetzt zu einem anderen Punkt. Herr Zeuge, wissen Sie etwas davon, daß in der letzten Phase des Krieges erwogen worden ist, gewisse gegnerische Flieger, die man in die Hand bekommen hatte, der Volkswut preiszugeben? Haben Sie davon gehört?
BÜCHS: Jawohl. Ich kann mich erinnern, daß im Frühjahr 1944 in Berchtesgaden der Führer in sehr erregter Form die Forderung erhoben hat, daß notgelandeten alliierten Fliegern über Deutschland durch die Wehrmacht kein Schutz mehr gegeben werden solle vor der Volkswut. Diese Forderung war auf Grund von Meldungen entstanden, wonach ein Kreisleiter der Partei und ein Offizier der Luftwaffe einen alliierten Flieger geschützt hatten. Der Führer hat damals die Forderung in sehr erregter und scharfer Form gestellt und verlangt, daß durch entsprechende Befehle der Wehrmacht dieses ein für allemal aufhören müsse.
PROF. DR. JAHRREISS: Hat auch der Generaloberst diese Forderung von Hitler gestellt bekommen?
BÜCHS: Diese Forderung ist in einer Lagebesprechung, bei der die Herren, auch Generaloberst Jodl, dabeigewesen sind, gestellt worden; aber Generaloberst Jodl hatte mit der Bearbeitung dieser ganzen Frage direkt, nach meiner Auffassung, nichts zu tun, da sie das militärische Arbeitsgebiet nicht unmittelbar berührte.
PROF. DR. JAHRREISS: Hat sich der Generaloberst Jodl also überhaupt nicht geäußert dazu?
BÜCHS: Der Generaloberst Jodl hat genau wie die anderen Herren diese Forderung abgelehnt und hat seinerseits alles getan, um zu versuchen, den Führer von dieser Forderung abzubringen. Er hat seinerzeit auch sofort mit einer kritischen Stellungnahme dazu begonnen, die sich nachher geäußert hat, zunächst in der Festlegung der Begriffe von vier Fällen eines Verstoßes gegen das Völkerrecht durch alliierte Flieger.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, und dazu brauche ich Sie nicht zu fragen; diese Dinge sind durch Urkunden hier belegt. War es denn möglich, wenn Hitler so, wie Sie eben schilderten, so wutentbrannt war und stürmisch einen Befehl forderte, eine Verzögerungsaktion einzuleiten?
BÜCHS: In so einem Falle, in dem der Führer in der höchsten Erregung solche Forderungen aufstellte, war es für die Herren, an die die Forderung gerichtet war, unmöglich, im gleichen Augenblick irgendwie zu widersprechen oder etwa gar die Ausführung des Befehls von vornherein zu verweigern. Es blieb nichts anderes übrig, und diese Taktik hat gerade Generaloberst Jodl häufig angewandt, als zu versuchen, durch Herbeischaffung von Unterlagen, Argumenten und Gegenargumenten, durch Einholen von Stellungnahmen und Gutachten all der Stellen, die betroffen wurden, dieses Material zu sammeln und dann in einer ruhigeren und günstigeren Stunde den Führer noch einmal auf diese Sache anzusprechen und ihn von seiner überspannten Forderung abzubringen. Das hat sich dann nach außenhin geäußert in einem langen Schriftwechsel, wo immer wieder die Akten zwischen den einzelnen betroffenen Abteilungen hin- und hergeschickt worden sind, alles mit der Tendenz, die Angelegenheit möglichst hinauszuzögern und, wenn möglich, überhaupt einschlafen zu lassen. Und mein Eindruck gerade in der Frage der Behandlung der Terrorflieger war der, daß das in diesem Falle absolut gelungen ist, obwohl der Führer immer wieder von Zeit zu Zeit durch neue Meldungen und Berichte auf diese Frage aufmerksam wurde und die Durchführung dieses Befehls verlangte.
PROF. DR. JAHRREISS: Ist dann kein solcher Befehl erlassen worden?
BÜCHS: Ich kenne keinen solchen Befehl.
PROF. DR. JAHRREISS: Können Sie mir ein Ereignis nennen, in dem deutlich geworden ist, daß kein solcher Befehl erlassen worden ist?
BÜCHS: Ich bin persönlich einmal vom Führer sehr scharf zur Rechenschaft gezogen worden im August 1944, als nach einem Luftangriff auf München Fegelein dem Führer in sehr drastischer Form Tieffliegerangriffe schilderte und ihm meldete, daß bei einem Flakabschuß auch zwei alliierte Flieger mit dem Fallschirm notgelandet seien, die anschließend von einem Wachtmeister der Flakartillerie gefangengenommen und abtransportiert worden sind; er hätte diesen Wachtmeister zur Rede gestellt, warum er diese beiden Flieger nicht erschieße; darauf hätte dieser gesagt: »Weil ich keinen Befehl dazu habe.« Ich habe in diesem Augenblick von mir aus eingeworfen, daß es einen solchen Befehl auch nicht gäbe, worauf der Führer mir gegenüber wieder die schärfsten Vorwürfe erhoben hat, daß eben von den führenden Männern der Wehrmacht ein solcher Befehl nicht herausgegeben wäre, und er verlangte neuerlich wieder die Durchführung.
PROF. DR. JAHRREISS: Und ist es dann geschehen?
BÜCHS: Nein, es war ja das die Zeit nach dem 20. Juli und die Zeit des Westfeldzuges, wo wesentlich brennendere Fragen immer im Vordergrund standen, und über diesen ganzen Fragen ist die der Behandlung der Terrorflieger dann wieder zum Einschlafen gekommen.
PROF. DR. JAHRREISS: Wissen Sie, Herr Zeuge, von einem Vorfall, der in Berlin, ich glaube im März 1945, gespielt haben soll in der Reichskanzlei; da soll sich der Führer erneut darüber beklagt haben, daß trotz seiner Forderung ein solcher Befehl nicht ergangen sei?
BÜCHS: Ich erinnere mich, daß im März 1945 der Führer gegenüber General Koller, dem damaligen Chef des Generalstabs der Luftwaffe, in außerordentlich erregter Form noch einmal über diese Frage gesprochen hat. Ich war selbst am Anfang zunächst, als diese Diskussion entstand, nicht dabei, wurde dann hinzugeholt und hörte, wie der Führer etwa sagte, daß es ihm auf Grund der Einstellung der Wehrmacht und insbesondere der Luftwaffe nicht möglich gewesen sei, den Terror der alliierten Flieger über Deutschland durch entsprechenden Gegenterror zu brechen...
PROF. DR. JAHRREISS: Einen Moment, Herr Zeuge! Sie sagten, Sie sind nicht ganz bei dieser Besprechung dabeigewesen.
Herr Präsident! Wir haben einen Fragebogen, welchen wir dem Gericht vorlegen wollen, in unserem Dokumentenbuch, Band 2, Seite 178. Das ist die Aussage des eben vom Zeugen genannten Generals der Flieger Koller. Diese Aussage bringt unter Ziffer 5, das ist Seite 180 des Urkundenbuches, ausführlich alle wünschenswerten Details dieser außerordentlich wichtigen Auseinandersetzung in Berlin. Diese Auseinandersetzung hat nun nur zum Teil in der Führerlage stattgefunden, zu einem Teil in Nebenräumen, so mit Kaltenbrunner, aber die Auseinandersetzung mit Göring am Telephon. Ich würde nun das Gericht gern um die Erlaubnis bitten, um Zeit zu sparen, damit wir die Sache nicht auseinanderreißen müssen, mir zu gestatten, daß ich dies jetzt im ganzen vortragen darf, obwohl der Zeuge nur einen Teil mit angehört hat. Jodl betreffend sagt der letzte Satz im ganzen... Ich glaube, wir sparen Zeit damit, Herr Präsident, wenn ich es jetzt vortragen würde.
Ich muß zunächst die erste Frage an den General Koller verlesen, Seite 179. Da ist der Zeuge gefragt worden, erstens:
»Seit wann sind Sie Chef des Generalstabs der Luftwaffe?« Antwort, auf der nächsten Seite:
»Vom 1. September 1943 bis 3. September 1944 war ich Chef des Luftwaffenführungsstabes, ab 23. November 1944 Chef des Generalstabs der Luftwaffe.«
Frage 5, die uns hier angeht, Seite 179:
»Erinnern Sie sich, daß etwa im März 1945 im Bunker der Reichskanzlei der Führer Ihnen und der Luftwaffe Vorwürfe machte, daß ein solcher Befehl nicht gegeben wurde?«
Die Antwort, Seite 180:
»Ja, ich erinnere mich ganz genau.
a) Etwa Anfang bis Mitte März 1945 wurde bei der ›Lage‹ dem Führer durch Bormann eine Notiz aus dem alliierten Presse-Reporterbericht vorgelegt. Sie enthielt in Kürze dem Sinne nach:
›Eine kurz vorher über Deutschland abgeschossene amerikanische Kampffliegerbesatzung war von vorrückenden amerikanischen Truppen wieder aufgenommen worden. Sie hatte ausgesagt, daß sie von empörten Personen der Bevölkerung mißhandelt worden sei, mit dem Tode bedroht und wahrscheinlich getötet worden wäre, wenn nicht deutsche Soldaten sie befreit und in Schutz genommen hätten.‹
Bormann wies mit einigen Worten Hitler noch darauf hin, daß damit bestätigt sei, daß die Soldaten in solchen Fällen gegen die Bevölkerung einschreiten.
b) Hitler, ziemlich aufgebracht, wendete sich zu mir und sagte erregt: ›Ich habe schon einmal befohlen, daß die abspringenden Bombermannschaften nicht gegen die Bevölkerung in Schutz genommen werden dürfen. Diese Leute morden nur deutsche Frauen und Kinder. Es ist unerhört von deutschen Soldaten zum Schutz dieser Mörder gegen die in berechtigtem Haß handelnde eigene Bevölkerung vorzugehen. Warum werden meine Befehle nicht ausgeführt?‹
Überrascht von diesem Angriff antwortete ich etwa: ›Ich kenne keinen solchen Befehl, außerdem ist das praktisch unmöglich‹, Hitler äußerte sich zu mir gewendet sehr laut und scharf: ›Der Grund, daß meine Befehle nicht ausgeführt werden, ist nur die Feigheit der Luftwaffe, weil die Herren der Luftwaffe feige sind und Angst haben, es könnte ihnen auch einmal etwas passieren. Das Ganze ist nichts als ein Feigheitsabkommen zwischen der Luftwaffe und den englischen und amerikanischen Fliegern.‹
Hitler wendete sich dann auch an den zufällig im Hintergrund anwesenden Kaltenbrunner, diesen ansprechend und teilweise nicht ansehend und fuhr fort:
›Ich befehle hiermit, sämtliche in den letzten Monaten angefallenen Bomberbesatzungen und alle künftig noch anfallenden Besatzungen sind von der Luftwaffe sofort an den SD zu übergeben und durch den SD zu liquidieren. Jeder, der meine Befehle nicht ausführt oder gegen die Bevölkerung vorgeht, wird mit dem Tode bestraft und ist selbst zu erschießen.‹
Hitler äußerte dann noch weiter, allgemein sprechend, seine Empörung und seine Auffassung. Die versammelten Offiziere machten allgemein einen überraschten, ablehnenden Eindruck.
c) Nach Weitergang der Führerlage habe ich Kaltenbrunner zu einer Unterredung im Seitengang gebeten.
Wesentlicher Verlauf:
Koller: ›Diese Befehle auszuführen ist unmöglich. Die Luftwaffe macht da nicht mehr mit. Ich auf keinen Fall, und ich kann dasselbe vom Reichsmarschall sagen. Es ist völlig ausgeschlossen, daß die Luftwaffe dazu in irgendeiner Form die Hand gibt.‹
Kaltenbrunner: ›Der Führer hat ganz falsche Vorstellungen. Auch die Aufgaben des SD werden dauernd falsch verstanden. Derartige Dinge sind keine Angelegenheiten des SD. Im übrigen tut das kein deut scher Soldat, was der Führer verlangt. Das liegt dem deutschen Soldaten nicht. Der bringt keine Gefangenen um; wenn es einzelne fanatische Parteigänger des Herrn Bormann versuchen, dann schreitet der deutsche Soldat dagegen ein. Der Führer macht sich ein ganz falsches Bild von der Einstellung unserer Soldaten. Außerdem werde ich in der Sache selbst auch nichts tun. Fällt mir gar nicht ein. Wir müssen nur sehen, wie wir da wieder herauskommen, sonst läßt er ein paar von uns als erste umlegen. Wir müssen Zeit gewinnen. Ich gehe sowieso gleich wieder für längere Zeit aus Berlin weg.‹
Koller: ›Dann sind wir uns im Hauptpunkt einig. Daß Sie weggehen, ist günstig. Wir müssen aber dem Führer gegenüber einen weiteren Ausweg haben, weil es möglich ist, daß er schon morgen auf seinen Befehl zurückkommt. Für später, wenn es dann doch hart auf hart gehen sollte, müssen wir sehen, wie wir die Sache verhindern oder was uns passiert.‹
Auf meinen Vorschlag wurde beschlossen: Es werden von der Luftwaffe und dem SD keine Anordnungen in der vom Führer befohlenen Richtung gegeben. Abgaben an den SD – keine. Falls der Führer auf seinen Befehl zurückkommen sollte, dann zunächst durch Darstellung folgender Art Weiterungen zu verhindern:
Alle früher angefallenen Gefangenen der fliegenden Besatzungen nicht in der Hand der Luftwaffe, sondern in Betreuung des BDE überall verstreut. Gefangennahmezeiten nicht zentral bekannt. Daher Feststellen der in den letzten Monaten angefallenen Gefangenen nur schwer möglich und zeitraubend. Auch Herauslösen ohne Aufsehen müßte eingehend vorbereitet werden. Die neu anfallenden Besatzungen gehen automatisch zu Vernehmungsstellen. Diese sind auf Grund der Operationen in Verlegung. Verbindung ist schlecht. Darum eingehende Absprachen und Vereinbarungen mit dem SD notwendig. Um den Schein von Absprachen zu wahren, sollte der Ic des OKL zu einem Beauftragten von Kaltenbrunner kommen, der aber erst bestimmt werden mußte.
d) Nach der Führerlage sprach ich Feldmarschall Keitel im Zugang zum Bunker an und sagte:
›Der Führerbefehl ist irrsinnig.‹ (Keitel machte Zwischenbemerkung: ›Das kann man wohl sagen.‹) ›Die Luftwaffe wird ihr Waffenschild sauberhalten. Den Befehl kann man nicht ausführen. Ich bin überzeugt, daß der Reichsmarschall ganz meiner Ansicht ist. Einen solchen Befehl und noch dazu mit solchen Strafdrohungen noch mündlich hinzuwerfen. Unter einen derartigen Befehl muß er seinen eigenen Namen schreiben. Ob er dann durchgeführt werden wird, steht offen, von der Luftwaffe jedenfalls nicht. Vom SD auch nicht, mit Kaltenbrunner habe ich schon gesprochen.‹
Feldmarschall Keitel: ›Solche Befehle will er dann nicht unterschreiben, und alles soll immer am OKW hängenbleiben. Aber ich werde den Teufel tun, einen solchen Befehl herauszugeben.‹
Koller: ›Die Luftwaffe kann auf keinen Fall mittun. Eine solche Verantwortung werden wir uns nicht aufladen.‹
Feldmarschall Keitel: ›Da haben Sie recht, ich auch nicht. Ich muß mir überlegen, wie und was ich da machen kann.‹
Gespräch wurde abgebrochen, weil Keitel an ein Telephon gerufen wurde. Keitel war sehr unwillig und verdrossen über den Führerbefehl.
e) Nach einer Erfrischung in einem Seitenteil des Bunkers mußte ich zu meiner Garderobe und dem Ausgang noch einmal durch den Vorraum vor dem Lagezimmer. Hitler kam zufällig aus dem Zimmer, gab einer Ordonnanz einen Auftrag und rief mich, als ich vorüberging. Die Tür zum Lageraum stand offen, am Tisch saß Ley. Hitler sagte zu mir: ›Ich muß noch einmal auf meinen Befehl zurückkommen. Ihr müßt mir alle helfen, so geht es nicht mehr weiter. Die Luftwaffe oder doch die Reichsverteidigung hat versagt. Was soll ich gegen den furchtbaren Bombenterror tun, der nur deutsche Frauen und Kinder mordet?‹
Koller: ›Die Luftverteidigung und unsere Besatzungen tun, was sie können und was menschenmöglich ist. Die bei uns versäumte Luftrüstung, die augenblicklich technische und zahlenmäßige feindliche Überlegenheit lassen sich aber nicht von heute auf morgen beseitigen oder ändern. Wenn die Strahlenverbände endlich stärker herauskommen, wird die Luftlage über Deutschland für uns wieder besser wer den.‹
Hitler: ›Darauf kann ich nicht warten. Ich kann das Fortbestehen dieser Luftlage vor dem deutschen Volk nicht mehr verantworten. Wenn diese Flieger merken, daß sie als Terroristen liquidiert werden, dann werden sie es sich überlegen, noch hereinzufliegen.‹
Koller: ›Das werde die Luftlage bestimmt nicht bessern, sondern im Gegenteil noch verschärfen.‹
Hitler: ›Nein, so wie die Japaner es gemacht haben, das ist das Richtige.‹
Hitler war entgegen seiner Haltung in der Lage nunmehr ruhig. Er zeigte eine zugängliche Miene. Erfahrungsgemäß konnte man mit ihm allein eher reden als im Beisein vieler Personen. Ich hielt es daher für einen günstigen Augenblick, das Gesamtproblem anzuschneiden und führte aus: ›Wenn ich meine Auffassung vortragen darf, so ist es die, daß es so nicht gehen wird. Solche Maßnahmen stehen in so krassem Widerspruch zu Erziehung, Fühlen und Denken aller Soldaten, daß sie nicht durchführbar sind. Man kann Soldaten nicht Kriegsartikel und anständige Haltung eintrichtern und dann Handlungen befehlen, die jedem gegen den Strich gehen. Sie dürfen nicht vergessen, mein Führer, daß die feindlichen Flieger genau so Befehle ausführen und ihre Pflicht tun, wie die unseren. Wenn sie abgeschossen sind oder notlanden, sind sie wehrlose und waffenlose Gefangene. Wie stünden wir vor der Welt da? Und die ersten Maßnahmen der Gegner würden sein, daß sie unsere fliegenden Besatzungen genau so behandeln. Das kann man unseren Männern und ihren Angehörigen ebensowenig gegenüber verantworten. Die ganze Einsatzfreude und Disziplin würde schlagartig zugrunde gehen!‹
Bis dahin hatte der Führer mich nicht unterbrochen. Nachdem er mich zuerst angesehen hat, sah er nachher beiseite und machte einen abwesenden Eindruck. Er hatte aber doch zugehört und unterbrach mich jetzt und sagte ruhig und mit ernster Miene:
›Also die Luftwaffe hat doch Angst. Das ist ja alles sehr recht, aber ich bin verantwortlich für den Schutz des deutschen Volkes und habe sonst keine Mittel.‹
Hitler wandte sich ab und ging in das Lagezimmer zurück.
f) Nach Ankunft im Hauptquartier OKL (Kurfürst) habe ich Oberst von Brauchitsch unterrichtet über die Vorgänge und ihn beauftragt, dem Reichsmarschall sobald als möglich darüber zu melden. Ich selbst konnte im Augenblick den Reichsmarschall nicht erreichen. Bei dem Gespräch brachte auch Brauchitsch seine ablehnende Haltung gegenüber dem Befehl des Führers zum Ausdruck.
g) Etwa 1-2 Stunden später rief mich der Reichsmarschall an und begann sein Gespräch mit den folgenden Worten: ›Sagen Sie einmal, ist er denn jetzt ganz wahnsinnig geworden?‹ Es war ganz klar, wer gemeint war. Ich meldete dem Reichsmarschall noch einmal persönlich die wesentlichen Vorgänge und die Aussprache mit Kaltenbrunner und fügte hinzu: ›Ich werde diesen Befehl oder Arbeiten dazu nicht aus führen. Ich werde bemüht sein, taktisch so zu handeln, daß jedenfalls zunächst Zeit gewonnen wird und möglichst keiner von uns unter die Räder kommt. Vielleicht kommt der Führer nach der letzten Aussprache nicht mehr auf seinen Befehl zurück. Wenn aber, dann kann es sehr hart werden und müssen Sie selbst zum Führer. Was der Führer befohlen hat, darf jedenfalls nicht passieren.‹
Der Reichsmarschall äußerte sich sehr ablehnend gegen diese Haltung Hitlers, stimmte mir in allen Punkten zu. Er befahl mir, so zu handeln, wie vorgeschlagen, ihn gegebenenfalls sofort zu unterrichten und beendete das Gespräch mit den Worten: ›Das ist alles wahnsinnig und kann nicht durchgeführt werden.‹
h) Maßnahmen gegen alliierte Flieger auf Grund des genannten Führerbefehls sind weder von der Luftwaffe noch vom SD getroffen worden. Dem BDE oder dessen Dienststellen ist der Befehl, nach meiner Ansicht, gar nicht bekannt geworden, da der BDE in der Führerlage gar nicht anwesend war und der Befehl vom OKW nicht weitergegeben worden ist.
Hitler kam später weder dem Reichsmarschall noch mir, noch meinem Stellvertreter gegenüber auf seinen Befehl zurück. Ich glaube, auch Kaltenbrunner gegenüber nicht. Allerdings habe ich mit diesen nie mehr über diesen Vorfall gesprochen.
Ob Hitler das bewußt unterlassen hat oder ob er im Drange der Ereignisse darauf vergessen hat, vermag ich nicht zu beurteilen.
i) Vielleicht 14 Tage bis 3 Wochen später erging meines Wissens eine Weisung (ich glaube Fernschreiben) des OKW, in der nach meiner Erinnerung der Reporterbericht, der den Anlaß gegeben hatte, erwähnt war. Dabei war zum Ausdruck gebracht, daß der Führer sein Mißfallen darüber ausgesprochen habe, daß deutsche Soldaten gegen die eigene Bevölkerung vorgehen.
Von den Hauptpunkten des Befehls, den Hitler gegeben hat, war keine Rede. Wenn ich mich recht entsinne, war die Weisung von Keitel unterschrieben und nicht anders aufzufassen, wie eine gewisse Deckung gegenüber dem Führer.
Generaloberst Jodl hatte nach meiner Meinung mit dem ganzen Vorgang nichts zu tun.«
Herr Zeuge! Soweit Sie gegenwärtig waren bei diesen Gesprächen, ist die Darstellung von General Koller richtig?
BÜCHS: Ich erinnere mich persönlich etwa noch folgender Formulierung durch den Führer: »Das kommt davon, weil bei der Luftwaffe der Krieg auf gegenseitige Lebensversicherung aufgebaut ist: ›Tu mir nichts, ich tu Dir nichts‹.«
Das war die Formulierung, die sich bei mir am stärksten eingeprägt hat, die das Gesagte noch unterstreichen...
PROF. DR. JAHRREISS: Danke, dann brauche ich weiter nichts zu diesen Punkten fragen.
VORSITZENDER: Dr. Jahrreiss! Wir werden jetzt eine Pause einschalten.