[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
Dann darf ich den nächsten Zeugen rufen, General Winter?
[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an!
ZEUGE AUGUST WINTER: August Winter.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Haben Sie den Beginn des Rußlandfeldzuges mitgemacht?
WINTER: Jawohl, ich habe ihn mitgemacht als erster Generalstabsoffizier der Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Rundstedt.
PROF. DR. JAHRREISS: Darf ich Sie, Herr Zeuge, darauf hinweisen, daß Sie bitte nach meiner Frage eine kleine Pause eintreten lassen und im ganzen etwas langsamer sprechen als soeben?
WINTER: Ja.
PROF. DR. JAHRREISS: Können Sie mir sagen, was Ihnen, da Sie doch eine sehr verantwortliche Stellung hatten, damals als Grund Hitlers zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion offiziell genannt worden ist?
WINTER: Es ist mir offiziell durch meinen Oberbefehlshaber und meinen Chef seinerzeit als Grund für den Feldzug angegeben worden, daß man mit einem Angriff seitens Rußlands in absehbarer Zeit zu rechnen habe, daß es sich also um eine Präventivmaßnahme handle.
PROF. DR. JAHRREISS: Sie haben dann die ersten Grenzschlachten dort mitgemacht?
WINTER: Jawohl, in diesem Stabe.
PROF. DR. JAHRREISS: Das war also nach Süden zu?
WINTER: Das war in der Ukraine, Heeresgruppe Süd.
PROF. DR. JAHRREISS: Sie haben da nach diesen ersten Schlachten doch schon gewisse Erfahrungen und Eindrücke von der Gegenseite gehabt?
WINTER: Ja.
PROF. DR. JAHRREISS: Waren die so, Herr General, daß sie sich vereinbaren ließen mit der offiziellen Version vom Präventivkrieg?
WINTER: Im Oberkommando der Heeresgruppe bestand damals als einheitlicher Eindruck des Oberbefehlshaber, des Chefs und der unter meiner Leitung stehenden Führungsabteilung, daß die Begründung des Feldzuges richtig war. Wir hatten damals den subjektiven Eindruck, in einen im Gang befindlichen Offensivaufmarsch hineinzustoßen.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, hatten Sie denn Tatsachen, auf die sich ein solcher Eindruck stützen konnte?
WINTER: Wir hatten eine Reihe von Tatsachen, die diesen Eindruck nach unserer Auffassung bestätigen. Ich darf sie kurz anführen: Einmal die Stärke der uns gegenüberstehenden Truppen an sich, die – ich kann keine Zahlen mehr nennen – größer war als die uns in der Aufmarschanweisung genannte; dann der sehr frontnahe und forcierte Truppenaufmarsch, der uns auffiel; die außergewöhnliche starke Ausstattung mit Panzerverbänden, die weit über das von uns erwartete Maß hinausging; der Aufmarsch einer relativ starken Gruppe gegenüber der ungarischen Grenze, den wir uns mit Defensivgedanken nicht erklären konnten; und ein Punkt, an den ich mich als besonders markant erinnere: wir fanden damals bei den gefangenen Stäben in den ersten acht Tagen eine Kartenausstattung, die weit in deutsches beziehungsweise ursprünglich österreichisches Gebiet hineinlangte, die wir auch mit reinen Defensivgedanken nicht in Übereinstimmung bringen konnten. Dazu kamen noch eine Reihe einzelner Beobachtungen weniger bedeutender Art.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Sie brachten jetzt eben als ein besonders markantes Symptom nach Ihrer Auffassung diese Auffindung von Karten, die Sie vorher beschrieben haben. Wieso ist es besonders markant, markanter als das andere, das Sie gesagt haben?
WINTER: Es ist besonders auffallend, daß die Kartenausstattung der Verbände an der russischen Front damals weit über die Aufklärungsgebiete einer normalen Aufklärung in der Defensive hinausging, auch wenn man zubilligt, daß nach Beginn eines Krieges diese Aufklärung unter Umständen die feindliche Grenze überschreitet.
PROF. DR. JAHRREISS: Es ist hier zur Sprache gekommen, daß unsere Truppen damals nach dem Einzug in einige größere Städte der Ukraine vor besondere, ausnahmsweise Umstände und Schwierigkeiten gestellt worden sind. Können Sie sich denken, woran ich denke?
WINTER: Ja, das ist mir klar. Diese Schwierigkeiten sind in enormem Umfange aufgetreten, als wir uns dem Dnjepr näherten. Ich könnte mir denken, daß es sich um die Angelegenheit der Fernsprengung handelt oder der Spätsprengungen, die in unseren Gefechtsgebieten in dem Raum Kiew-Charkow-Poltawa in anscheinend sehr weitgehendem Umfange durchgeführt wurden, die uns große Sorge bereiteten und uns zu umfassenden Gegenmaßnahmen seinerzeit veranlaßten.
PROF. DR. JAHRREISS: Wissen Sie, ob das auch für Odessa zutrifft?
WINTER: Ich habe von Sprengungen in Odessa gehört, kann aber dazu Einzelheiten nicht angeben.
PROF. DR. JAHRREISS: Können Sie von Charkow Einzelheiten angeben?
WINTER: Von Charkow weiß ich es bestimmt; denn es ist dort ein Vorfall passiert, der uns besondere Sicherheitsmaßnahmen auslösen ließ. Bei den Kämpfen am Westrande von Charkow, die ziemlich schwer und anhaltend waren, ist ein Divisionsstab, an dessen Nummer ich mich nicht erinnern kann, durch eine derartige Spätsprengung mit allen wesentlichen Teilen zu Tode gegangen. Das hat zu Befehlen geführt für besondere Sicherungsdurchsuchung aller Gebäude, die von da an für die Unterbringung von Stäben und anderen Behörden in Anspruch genommen werden mußten.
PROF. DR. JAHRREISS: Haben Sie, Herr Zeuge, etwa eine russische Karte in der Hand gehabt oder gesehen, in der solche Sprengungen geplant eingezeichnet waren?
WINTER: Nein. An eine derartige Karte kann ich mich nicht erinnern.
PROF. DR. JAHRREISS: Nun etwas anderes; Sie sagten vorhin, Feldmarschall von Rundstedt war Ihr Oberbefehlshaber; und wer war Ihr Chef?
WINTER: General der Infanterie von Sodenstern.
PROF. DR. JAHRREISS: Wenn ich mich recht entsinne, ist damals Feldmarschall von Rundstedt zurückgetreten oder verabschiedet worden?
WINTER: Feldmarschall von Rundstedt hat bei Mißlingen des Vorstoßes nach Rostow im November 1941, nachdem ihm die Genehmigung zur Zurücknahme der Spitzengruppe seitens des OKH nicht erteilt worden war, eine Meldung an das Oberkommando des Heeres geschickt, dem wir ja unterstanden, in der er zum Ausdruck brachte, daß, wenn man seiner Führung das notwendige Vertrauen nicht entgegenbrachte, er bitten müsse, beim Führer die Besetzung der Heeresgruppe mit einem anderen Oberbefehlshaber zu erwirken. Ich entsinne mich dieses Vorganges deshalb peinlich genau, weil ich dieses Telegramm persönlich entworfen hatte und der Feldmarschall damals diesen Zusatz eigenhändig hinzugefügt hatte.
Auf dieses am Abend eines Tages abgegangene Fernschreiben ist noch in der Nacht seine Abberufung seitens Hitlers verfügt worden.
PROF. DR. JAHRREISS: Also ist dem Gesuch stattgegeben worden?
WINTER: Dem Gesuch ist stattgegeben worden; die Angelegenheit hat aber, das darf ich wohl vortragen, ein Nachspiel gehabt. Hitler kam wenige Tage nach diesem Vorfall persönlich nach Mariupol geflogen, um dort an Ort und Stelle sich über die tatsächliche Lage zu unterrichten. Auf dem Rückflug von dort war er in dem Hauptquartier des Feldmarschalls von Rundstedt in Poltawa, und es kam dort zu einer mündlichen Aussprache. Im Verlaufe dieser Aussprache hat Hitler – ich kann das nun nicht mit absoluter Sicherheit sagen, ob ich diese Szene selbst erlebt habe oder ob ich es vom Chefadjutanten, dem damaligen Oberst Schmundt, unmittelbar darauf gehört habe.
Ich wiederhole; es kam zu einer persönlichen Aussprache, in deren Verlauf Hitler dem Feldmarschall nochmals Vorwürfe machte, daß er diese Alternativfrage gestellt habe, und ihm sagte: »Ich bin nicht gesonnen, irgendwelche derartige Rücktrittsgesuche künftig anzunehmen. Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, so ist damit die Verantwortung auf mich übergegangen. Ich selbst bin auch nicht in der Lage, einem nächsthöheren Vorgesetzten, zum Beispiel dem lieben Gott, zu sagen: ›Ich tue nicht mehr mit, weil ich es nicht verantworte.‹«
Wir empfanden diese Szene damals als eine ganz grundlegende, und ich darf hinzufügen, daß, wie die späteren Befehle in dieser Frage lauteten, dieser Eindruck ja wohl auch zutraf.
PROF. DR. JAHRREISS: Ist Ihnen bekannt, Herr Zeuge, ob Hitler von dieser seiner Entscheidung, in Zukunft das nicht mehr mitmachen zu wollen, später abgegangen ist?
WINTER: Er ist bestimmt nicht abgegangen. Er ist bestimmt nicht abgegangen; denn es sind, wie ich weiß, zweimal, glaube ich, entsprechende Befehle ergangen, die ein Rücktrittsgesuch eines Oberbefehlshabers oder eines in maßgeblicher Stellung befindlichen Offiziers mit der Begründung, daß er eine Verantwortung nicht tragen könne, grundsätzlich und a priori ausgeschlossen haben.
PROF. DR. JAHRREISS: Ich komme zu einem anderen Punkt. Sie sind, wenn ich recht unterrichtet bin, später im Laufe des Krieges noch im Wehrmachtführungsstab gewesen?
WINTER: Ich bin am 15. November 1944 als Nachfolger des erkrankten Generals Warlimont dorthin berufen worden und habe am 15. November 1944 die Geschäfte übernommen. Meine Ernennung datiert vom 1. Dezember 1944.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Waren Sie regelmäßig bei den Lagebesprechungen beim Führer dabei?
WINTER: Jawohl; ich war etwa von sieben Tagen der Woche im Durchschnitt fünfmal anwesend.
PROF. DR. JAHRREISS: Von diesen Lagebesprechungen ist hier sehr viel die Rede gewesen, und es hat sich dabei sehr viel angespielt, was in diesem Prozeß wichtig ist. Es ist aber bis jetzt noch kein plastisches Bild entstanden von dem, was das heißt: Lagebesprechung. Können Sie uns einmal die Technik dieser Lagebesprechung nach Zeit und Zahl der Beteiligten entwerfen?
WINTER: Die Lagebesprechung war eine ständige Einrichtung des Nachmittags in größerem Kreise, während eine zweite hier nicht zur Erörterung stehende Lagebesprechung außerdem nachts um 2.00 Uhr stattfand; die letztere darf ich vorwegnehmen. In dieser trugen nur jüngere Generalstabsoffiziere des OKH für die Ostfront, und des OKW/Wehrmachtführungsstabes für die Westfront vor.
MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Ich habe wieder eine Bitte im Interesse der Zeitersparnis. Der Angeklagte Jodl hat ja über diese Besprechungen Aussagen gemacht, und niemand hat im Kreuzverhör auch nur ein Wort erwähnt, um damit anzudeuten, daß seine Aussage nicht akzeptiert würde. Ich möchte deshalb bemerken, daß das nur Wiederholung eines Punktes ist, der gar nicht bestritten wird.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht weder allgemeines noch Einzelheiten über diese Besprechungen zu hören, es sei denn, daß Sie etwas Besonderes in diesem Zusammenhang feststellen wollen.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, Herr Präsident! Darf ich bei dieser Angelegenheit zur Klarstellung fragen: bedeutet der Einwand des Herrn Anklagevertreters, daß hier die Beweisregel gut, daß etwas, was im Kreuzverhör nicht aufgegriffen worden ist, als bewiesen angesehen werden kann. Ich weiß nicht, ob ich mich klargemacht habe. Der Einwand des Anklagevertreters hat doch offenbar zur Voraussetzung den Satz, daß irgend etwas gehört worden ist...
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß Sie da feste Regeln aufstellen sollten; vielmehr hat Generaloberst Jodl über diese Lagebesprechungen allgemeine Aussagen gemacht und ist darüber nicht ins Kreuzverhör genommen worden. Ich halte es deshalb für keineswegs notwendig, daß man noch andere Zeugen über das, was im allgemeinen auf diesen Besprechungen vor sich ging, befragt.
PROF. DR. JAHRREISS: Danke.
Herr Zeuge! Es kommt doch auch im Militärischen vor, daß ein Offizier einen Befehl erhält und anderer Meinung ist?
WINTER: Ja.
PROF. DR. JAHRREISS: Aber hat er dann die Möglichkeit, diese abweichende Meinung aktenkundig zu machen?
WINTER: Diese Möglichkeit war im deutschen Heere, wenn ich mich recht an die Geschichte erinnere, seit Moltke gegeben. Sie ist durch eine Verfügung Hitlers im Jahre 1938 – ich glaube, es war Winter 1938 auf 1939 – ausdrücklich aufgehoben worden. Es wurde damals ein Verbot erlassen, daß auch die Chefs der Generalstäbe und der Kommandobehörden ihre abweichenden Ansichten aktenkundig machten.
PROF. DR. JAHRREISS: Damit nicht für die Übersetzer eine Schwierigkeit entsteht, würden Sie das Wort »aktenkundig« umschreiben?
WINTER: Es war demnach nicht möglich, zu dem Kriegstagebuch oder zu den amtlichen Akten, die in einem Oberkommando über Ereignisse geführt wurden, eine Notiz aufzunehmen des Inhalts, daß der Chef mit dem Entschluß und Befehl seines Oberbefehlshabers nicht einverstanden war.
PROF. DR. JAHRREISS: Das ist aufgehoben worden?
WINTER: Diese Möglichkeiten waren früher gegeben und bestanden seit 1938 nicht mehr; da sind sie aufgehoben worden.
PROF. DR. JAHRREISS: Danke. Ich möchte Ihnen jetzt ein Dokument vorlegen, Herr General, D-606, ein Dokument, das auch vor drei Tagen von der Anklage im Kreuzverhör vorgelegt worden ist. Die Exhibit-Nummer weiß ich nicht. Vielleicht ist sie...
MR. ROBERTS: Es ist GB-492, Herr Vorsitzender, D-606. Ich habe es gesondert im Kreuzverhör vorgelegt. Es ist in Ihrem Buche.
VORSITZENDER: Bitte fahren Sie fort, Dr. Jahrreiss!
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Ist Ihnen dieses Dokument bekannt?
WINTER: Das Dokument ist mir bekannt. Es trägt meine Chiffre.
PROF. DR. JAHRREISS: Haben Sie es selbst verfaßt?
WINTER: Nein. Das Dokument ist von Generaloberst Jodl persönlich verfaßt. Ich sehe hier allerdings eine Lücke in Ziffer 11. Ich weiß nicht, ob es also ganz vollständig ist. Das Dokument besteht aus einem Vorentwurf, der hier nicht beiliegt, der aber, nachdem ich es ansehe, hier unter den Aktenexemplaren meiner Quartiermeisterabteilung behandelt ist. Die dritte Ausfertigung müßte an sich versiegelt bei denselben Akten gewesen sein. Dieser Vorentwurf war, nachdem Hitler den Gedanken eines Austritts aus dem Völkerbund – Verzeihung, aus der Genfer Konvention, unmittelbar nach dem Angriff auf Dresden in die Debatte geworfen hat, in meinem Stabe auf Verantwortung des Generalobersten Jodl bearbeitet worden, wobei die Anordnung lautete: Es sind alle Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die es verhindern, daß der Führer einen derartigen Entschluß, nämlich den Austritt aus der Konvention, trifft. Dieses Dokument ist völkerrechtlich bearbeitet worden und psychologisch, das heißt in seiner Wirkung sowohl auf die feindlichen Truppen wie auf die eigenen Truppen in der Heimat. Ich habe das damals selbst bearbeitet. Am nächsten Tage empfing mich mein Chef, General Jodl, mit diesem Dokument, dessen Inhalt ich jetzt noch nicht überprüft habe, und sagte mir, er sei mit der ablehnenden Bearbeitung vollkommen einverstanden, habe sich aber veranlaßt gesehen, die Ausarbeitung noch schärfer zusammenzufassen, abzustimmen mit den Unterlagen der Kriegsmarine und sie taktisch in eine Form zu bringen, die unter allen Umständen bei Hitler durchschlage. Denn das dürfe nicht passieren, daß dieser Gedanke etwa in die Tat umgesetzt werden würde.
PROF. DR. JAHRREISS: Ich danke bestens, ich habe keine weiteren Fragen.
VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger noch Fragen zu stellen?
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich bitte, fragen zu dürfen, ob sich das Verbot der Befragung auch auf diesen Zeugen bezieht, und ich möchte bemerken, daß dieser Zeuge Angehöriger der Angeklagtengruppe des Generalstabs und des OKW ist.
VORSITZENDER: Ich weiß nicht, ob er Mitglied ist oder nicht. Aber es spielt ja keine Rolle, ob er es ist oder nicht. Sie können ihn vor der Kommission befragen. Ich meine, Sie können ihn selbst vor die Kommission laden.
DR. LATERNSER: Ich wollte das nur mit dieser Frage klären.
VORSITZENDER: Dr. Laternser! Wenn ein Zeuge nicht in Nürnberg wohnt, können Sie, wenn Sie wünschen, daß er von der Kommission verhört wird, veranlassen, daß er hierbehalten wird.
MR. ROBERTS: Ich möchte nur eine Frage stellen: [zum Zeugen gewandt] Sie haben uns mitgeteilt, daß Deutschland die Sowjetunion unter Verletzung des Nichtangriffspaktes angegriffen hat, weil Deutschland einen Angriff seitens der Sowjetunion befürchtete.
WINTER: Ich darf noch einmal präzisieren, daß uns als Generalstabsoffiziere in dem Oberkommando einer Heeresgruppe, die in der Ukraine aufmarschierte, diese Begründung durch meinen Oberbefehlshaber gesagt wurde. Ob politisch...
MR. ROBERTS: Gut. Wir wissen jetzt aus dem Beweismaterial, daß Hitler sich im Juli 1940 entschloß, die Sowjetunion anzugreifen, daß am 18. 12. 1940 – 446-PS, Seite 53 des Buches 7 – Hitler erklärte, die Wehrmacht müsse bereit sein, die Sowjetunion in einem einzigen blitzartigen Angriff niederzuschlagen. Wir wissen heute, daß der Angriff erst am 22. Juni erfolgte. Es sieht also nicht so aus, als ob die Führer Deutschlands besonders gefürchtet hätten, daß Rußland, oder besser gesagt die Sowjetunion, den Nichtangriffspakt brechen könnte.
MR. BIDDLE: Zeuge! Sie mußten doch Vergeltungsmaßnahmen in der Ukraine treffen, nicht wahr?
WINTER: Wir haben seitens der Truppe in der Ukraine keine Repressalien ergriffen, wenigstens im Operationsgebiet, wenigstens sind mir derartige Fälle zur Zeit nicht gegenwärtig.
MR. BIDDLE: Was für Maßnahmen haben Sie gegen den Widerstand der Bevölkerung getroffen?
WINTER: Während des ganzen Feldzuges der Heeresgruppe Süd ist im Operationsgebiet ein Widerstand der Bevölkerung in der Ukraine nicht aufgetreten. Es kam lediglich im rückwärtigen Gebiet zu dieser Zeit zu Gefechten mit versprengten russischen Einzeltruppenteilen. Ein Widerstand von Bevölkerungsgruppen ist erst in späteren Zeiten zu meiner Kenntnis gekommen, als das Operationsgebiet bereits nach rückwärts abgegrenzt war gegen die politischen Reichskommissariate.
MR. BIDDLE: Sie waren doch damals nicht dort?
WINTER: Das Oberkommando, dem ich angehörte, ist Ende Januar oder in den ersten Februartagen 1943 aus der Front gezogen worden. Seine rückwärtige Begrenzung war damals auf dem Dnjepr.
VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.