[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Wie heißen Sie?
ARTHUR SEYSS-INQUART: Arthur Seyß-Inquart.
VORSITZENDER: Sprechen Sie diesen Eid mir nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Setzen Sie sich.
DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Wann und wo sind Sie geboren?
SEYSS-INQUART: Ich bin im Jahre 1892 in der bisherigen deutschsprachigen Insel Iglau in Mähren geboren. Mähren war damals ein Kronland der österreichisch-ungarischen Monarchie. Hier und in der bisherigen deutschen Sprachinsel Olmütz, ebenfalls in Mähren, bin ich bis zum 16. Lebensjahr auf gewachsen. Dann übersiedelte ich mit meinen Eltern in die Nähe Wiens, absolvierte das Gymnasium und die juridische Fakultät der Wiener Hochschule. Im August 1914 bin ich zum Militär eingerückt.
DR. STEINBAUER: Waren Sie den ganzen Krieg beim Militär?
SEYSS-INQUART: Jawohl. Ich habe bei den Tiroler Kaiserjägern gedient habe den Krieg in Rußland, Rumänien und Italien mitgemacht. Während des Krieges, anläßlich einiger Urlaube, habe ich die letzten Prüfungen gemacht und bin im Jahre 1917 Doktor geworden. Ich bin einmal verwundet worden, mehrfach dekoriert, dreimal wegen Tapferkeit vor dem Feind.
DB. STEINBAUER: Welche Eindrücke haben Sie nun aus Ihrer Jugendzeit ins Leben mitgenommen?
SEYSS-INQUART: Für hier bemerkenswert vielleicht nur das Erleben des Nationalitätenkampfes in Mähren zwischen den Deutschen und Tschechen. Die Deutschen vertraten damals die gemeinsame österreichische Staatsidee; die Tschechen machten eine vorwiegend nationale Politik. Es ist aber, glaube ich, nicht ohne Bedeutung, daß in Mähren ein Sprachenausgleich zustande kam.
DR. STEINBAUER: Welche Eindrücke haben Sie dann aus dem Kriege mitgenommen?
SEYSS-INQUART: Abgesehen vom Erlebnis der Frontkameradschaft ist mir die Diskussion über die vierzehn Punkte des Präsidenten Wilson am Ende des Krieges in besonderer Erinnerung.
DR. STEINBAUER: Deren wesentlicher Inhalt das Selbstbestimmungsrecht war?
SEYSS-INQUART: Es war für uns klar, daß die Verwirklichung dieser vierzehn Punkte die Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie bedeutete. Wir Deutschen sahen einen Ausgleich darin, daß in Erfüllung dieses Selbstbestimmungsrechtes die deutschen Erblande wieder in den Reichsverband zurückkehren können, aus dem sie vor kaum 50 Jahren, 1866, überhaupt erst ausgeschieden waren. Das ist richtig. Diese Erbländer sind vom Reich aus geschaffen worden, und in den 1000 Jahren ihres Bestandes waren sie 950 Jahre Bestandteile des Deutschen Reiches.
DR. STEINBAUER: Was haben Sie nach dem Kriege dann gemacht, als Sie als Soldat zurückkamen?
SEYSS-INQUART: Ich habe mich dem Rechtsanwaltberuf gewidmet, wurde im Jahre 1921 selbständiger Rechtsanwalt und bekam mit der Zeit eine recht gutgehende Kanzlei.
DR. STEINBAUER: Wie waren Sie denn politisch eingestellt? Haben Sie irgendeiner politischen Partei angehört?
SEYSS-INQUART: Ich habe keiner politischen Partei angehört, weil ich mich parteipolitisch nicht blinden wollte. Ich hatte gute Bekannte in allen Parteien, auch bei den Christlich-Sozialen und den Sozialdemokraten; aber die Parteiprogramme waren mir etwas zu einseitig, zu sehr abgestellt auf einzelne Gruppen der Gemeinschaft.
DR. STEINBAUER: Haben Sie irgendwelchen politischen Vereinen angehört. zum Beispiel dem deutsch- österreichischen Volksbund?
SEYSS-INQUART: Ja, ich war Vorstandsmitglied des Österreichisch-Deutschen Volksbundes, denn die einzige politische Idee, die ich seit dem Jahre 1918 verfolgt habe, war der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich. Ich habe den 12. November 1918 erlebt, als die provisorische Nationalversammlung in Erfüllung des Selbstbestimmungsrechtes den Beschluß faßte: Österreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik. Auch die konstituierende Nationalversammlung, sechs Monate später, wiederholte den Beschluß. Das Diktat von St. Germain verbot den Anschluß. Daraufhin versuchten die Länder Abstimmungen zu machen. Salzburg und Tirol haben mit 98 Prozent der Stimmberechtigten für den Anschluß gestemmt. Dr. Schuschnigg schildert dies in seinem Buch »Drei Mal Österreich«.
Die Antwort waren ernstliche Versuche, Österreich an seine nichtdeutschen Nachbarn aufzuteilen. Aber man konnte sich über die Beute nicht einigen.
DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Darf ich jetzt in diesem Zusammenhang einige Urkunden dem Gericht vorlegen, respektive auf diese Urkunden in meinem Dokumentenbuch kurz verweisen. Die erste Urkunde, der ich die Nummer SJ-1 geben möchte, ist auf Seite 2 des Dokumentenbuches und beinhaltet die Proklamation der deutsch-österreichischen Abgeordneten nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie am 21. Oktober 1918. Es heißt hier im zweiten Satz:
»Der deutsch-österreichische Staat beansprucht die Gebietsgewalt über das ganze deutsche Siedlungsgebiet, insbesondere auch in den Sudetenländern. Jeder Annektion von Gebieten, die von deutschen Bauern, Arbeitern und Bürgern bewohnt werden, durch andere Nationen, wird sich der deutsch-österreichische Staat widersetzen.«
Unter Exhibit Nummer 2 möchte ich dann vorlegen – es ist auf Seite 4 des Dokumentenbuches – den bereits vom Zeugen erwähnten Beschluß der provisorischen österreichischen Nationalversammlung vom 12. November 1918, wo es heißt:
»Deutsch-Österreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt. Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der deutschen Republik.«
Der Führer der damaligen größten Staatspartei, Dr. Karl Renner, hat zur Begründung dieses Gesetzes am 12. November das Wort ergriffen und hierzu folgendes gesagt. Es ist dies Exhibit Nummer 3 auf Seite 6:
»Unser großes Volk ist in Not und Unglück, das Volk, dessen Stolz es immer war, das Volk der Dichter und Denker zu heißen, unser deutsches Volk des Humanismus, unser deutsches Volk der Völkerliebe ist im Unglück tief gebeugt! Aber gerade in dieser Stunde, wo es so leicht und bequem und vielleicht auch so verführerisch wäre, seine Rechnung abgesondert zu stellen und vielleicht von der Liste der Feinde Vorteile zu erhaschen, in dieser Stunde will unser Volk in allen Gauen wissen: Wir sind ein Stamm und eine Schicksalsgemeinschaft!«
Unter Exhibit Nummer 4 lege ich auf Seite 18...
VORSITZENDER: Es ist Seite 8, nicht wahr?
DR. STEINBAUER: Page 18. Verzeihung! Seite 8.
Es ist die Abstimmung damals in Tirol erfolgt am 24. April 1921 mit 145302 Stimmen für und 1805 Stimmen gegen den Anschluß. Im Salzburger Land am 18. Mai 1921 mit 98 546 Stimmen für den Anschluß und 877 Stimmen gegen den Anschluß.
Ich habe schon, meine verehrten Herren Richter, anläßlich der Dokumentenvorlage gesagt, daß ich den Standpunkt vertrete, daß drei Komponenten zum Anschluß geführt haben:
1. die wirtschaftliche Notlage, die sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte bis jetzt hinzieht;
2. die daraus resultierende Uneinigkeit der demokratischen Parteien, und
3. das Verhalten der Umwelt, insbesondere der Großmächte unserem kleinen Lande gegenüber.
Diese Gedanken habe ich in meinem Urkundenbuch niedergelegt, und ich möchte nun bezüglich der damaligen wirtschaftlichen Notlage als nächste Exhibit-Nummer vortragen die Rede des Prälaten Hauser, des Präsidenten des österreichischen Abgeordnetenhauses, vom 6. September 1919, in meinem Dokumentenbuch Seite 14. Er schlägt als Präsident des Abgeordnetenhauses die Annahme des Friedensvertrags von Saint Germain vor mit folgender Begründung:
»Es bleibt der Nationalversammlung keine Wahl! Land und Volk brauchen den endlichen Frieden, der ihnen die Welt moralisch und wirtschaftlich wieder eröffnet und den Massen unseres Volkes daheim und in der Fremde wieder Arbeit schaffen kann;...«
Dann der zweite Absatz:
»Es bleibt ihr auch deshalb keine Wahl, weil unser Land in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Kohlen und industriellen Rohstoffen wie in der Wiederherstellung seines Kredites und seiner Währung von den Großmächten abhängt.«
In ähnlichem Sinne haben sich die beiden Staatsmänner Seipel und Schober geäußert. Es ist dies das Dokument Nummer 17. Seipel, der als der größte österreichische Staatsmann gilt, hat damals folgendes gesagt:
»Aber niemals werden wir glauben, daß die mitteleuropäische Frage gelost ist, wenn der große Staat, der das eigentliche Mitteleuropa ausfüllt, das Deutsche Reich, bei dieser Lösung nicht mit dabei ist.«
Ich möchte nun in der Einvernahme des Zeugen fortfahren und Sie nur fragen: Erinnern Sie sich noch an die Zeit und die Verhältnisse nach 1927?
SEYSS-INQUART: Durch die von Ihnen geschilderte wirtschaftliche Lage haben die Völkerbundmächte Österreich immer wieder gezwungen, sogenannte freiwillige Anschluß-Verzichterklärungen abzugeben. Dies hatte Rückwirkungen in der inneren Politik. Die Österreicher, die im Jahre 1918 durchaus entschlossen waren, eine parlamentarisch demokratische Politik zu treiben, wandten sich radikalen Ideen zu mit autoritärer Prägung.
DR. STEINBAUER: Es ist damals eine neue Partei aufgetreten. Welche war das?
SEYSS-INQUART: Es kam damals zum sogenannten Justizpalastbrand, eine Revolte der Marxisten, die zur Folge hatte, daß die Anti-Marxisten sich im Heimatschutz, einer militanten Formation, gesammelt hatten. Dadurch kam die Uniformierung in das österreichische politische Leben. Der Gegensatz zwischen Marxisten und Anti-Marxisten war immer stärker. Die einzige überparteiliche Organisation war damals der Österreichisch-Deutsche Volksbund und der Anschlußgedanke der einzige politische Gedanke, der alle Parteien noch zusammengehalten hat.
Um das Jahr 1930 herum tauchte, wenigstens bemerkbar, die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei auf.
DR. STEINBAUER: Welche Eindrücke machte diese Partei auf Sie, insbesondere im Verhältnis zur Machtergreifung im Reiche?
SEYSS-INQUART: Ich möchte es offen sagen, daß der Eindruck der Partei für österreichische Verhältnisse eher befremdend war. Wir. hatten wohl die Uniform durch den republikanischen Schutzbund der Marxisten und durch den Heimatschutz schon in der Politik, aber die NSDAP uniformierte auch die eigentlichen politischen Leiter und stellte sie in eine Marschordnung. Auch die Art der Politik in ihrer Intransigenz entsprach nicht unserem üblichen politischen Denken.
DR. STEINBAUER: Nun, was waren aber dann die Gründe?
SEYSS-INQUART: Ich möchte sagen, diese Partei hat keiner anderen etwas Gutes zuerkannt und sich nie bereit erklärt, mit einer anderen zusammenzuarbeiten.
DR. STEINBAUER: Welche positiven Erfolge sahen Sie dann nun in der Partei im Reiche?
SEYSS-INQUART: Ich glaube, in Österreich geht die unzweifelhaft mit der Zeit sehr große Wirkung der Partei auf ihren unbedingten Anschlußwillen zurück. Ich meine, die Radikalisierung geht zurück auf die Verhinderung zum Beispiel der Verwirklichung der Zollunion zugunsten der demokratischen Parteiführer, zuletzt durch den Haager Schiedsspruch.
DR. STEINBAUER: Waren nicht auch wirtschaftliche Gründe vorhanden, die Erfolge für die NSDAP brachten?
SEYSS-INQUART: Es war so, daß das, was im Reich gesprochen wurde und was man vom Reich gehört hat...
VORSITZENDER: Angeklagter! Ich nehme an, daß Sie den Worten Dr. Steinbauers zuhören. Sie geben aber Ihre Antworten, ohne eine Pause eintreten zu lassen, wodurch die Dolmetscher nicht mitkommen können.
SEYSS-INQUART: Von Österreich beobachtete man ab 1933 einerseits die Beseitigung der Diskriminationen des Diktatfriedens von Versailles und andererseits vor allem die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Auch in Österreich waren damals etwa zehn Prozent der Bevölkerung arbeitslos. Es hofften daher besonders die österreichischen Arbeiter, durch einen Anschluß aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen, und die österreichischen Bauern hatten großes Interesse für den Reichsnährstand und die deutsche Marktordnung.
DR. STEINBAUER: Also, wenn ich Sie richtig verstehe, war es der Anschlußgedanke, der auch Sie zur Partei geführt hat? Ich will über das Parteiprogramm, das schon furchtbar oft hier erörtert wurde, nicht sprechen, sondern Sie nur kurz fragen: Wann sind Sie der Partei beigetreten?
SEYSS-INQUART: Formell Parteimitglied wurde ich mit dem 13. Mai 1938 und habe eine Parteinummer über sieben Millionen bekommen.
DR. STEINBAUER: Hatten Sie Verbindung mit Dr. Dollfuß?
SEYSS-INQUART: Ich habe Dr. Dollfuß in der Nachkriegszeit kennengelernt. Ich wußte, daß er mich im Jahre 1933 in sein Ministerium nehmen wollte und hatte acht Tage vor dem 25. Juli 1934 auf seine Einladung mit ihm eine Aussprache.
DR. STEINBAUER: Waren Sie am 25. Juli 1934 an der Ermordung des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß in irgendeiner Weise beteiligt?
SEYSS-INQUART: Nein, in gar keiner Weise. Dr. Dollfuß hatte noch eine weitere Unterredung mit mir in Aussicht genommen. Er interessierte sich für meine Ansicht über die Beruhigung der damals sehr radikalen Lage. Ich sagte damals schon Dr. Dollfuß, in Österreich gibt es keine Nationalen mehr, sondern nur Nationalsozialisten; und die Nationalsozialisten machen nur das, was Hitler sagt.
DR. STEINBAUER: Ich muß Ihnen aber vorhalten, Herr Doktor, daß die Staatsanwaltschaft eine Photographie vorgelegt hat, wo der Dollfuß-Mord verherrlicht wird.
SEYSS-INQUART: Das ist die sogenannte Jahresfeier im Jahr 1938. Bei dieser Feier wurde überhaupt nicht an Dollfuß gedacht, sondern das war eine Parteifeier für die sieben SS-Männer, die bei diesem Putschversuch damals, oder im Zusammenhang damit, gehängt wurden. Keiner von uns hat diesen Tod als Mord bezeichnet.
DR. STEINBAUER: Nun ist nach Dollfuß Dr. Schuschnigg Bundeskanzler geworden, und ich will Sie fragen: Welche Schlußfolgerungen wurden seitens der NSDAP, soweit Sie sehen konnten, aus diesem Ereignis gezogen?
SEYSS-INQUART: Die NSDAP selbst war vollkommen zerschlagen und desorganisiert. Es hat sich damals ein kleinerer Kreis von Männern gebildet, zu dem ich auch gestoßen bin, die aus dem 25. Juli folgende Folgerung gezogen haben:
Erstens bedeutete daß eine außerordentliche Gefahr. Ich erinnere an die Staatsmännerzusammenkunft in Stresa mit den Beschlüssen gegen Deutschland. Und wenn wir auch niemals Sorge vor Italien gehabt haben, so mußte man sich sagen, daß in dieser sehr aufgeregten Atmosphäre irgend etwas leicht zum Krieg rühren kann. Und wir waren alle darüber einig, daß es die wesentlichste Aufgabe der deutschen Staatsführung sein muß, einem Krieg auszuweichen.
DR. STEINBAUER: Wir sind also zeitlich...
SEYSS-INQUART: Ich möchte noch sagen: Innenpolitisch bedeutete der 25. Juli die schwerste Kompromittierung des Anschlußgedankens. Wir haben darüber nachgedacht, was geschehen kann und kamen zur Folgerung: Die Reichspartei muß ihre Einmischung in die österreichische Nationalsozialistische Partei aufgeben, denn die österreichische Partei war ein vorweggenommener Anschluß. Dafür aber soll in Österreich den Nationalsozialisten wieder die Betätigung zugegeben werden, und insbesondere sollen Wahlen abgehalten werden, um das gegenseitige Kräfteverhältnis festzustellen.
DR. STEINBAUER: Was mich interessiert, ist die Frage: Haben Sie mit Reichsstellen damals – das ist 1936 – irgendwelche Verbindungen, unterhalten?
SEYSS-INQUART: Ich habe mit Reichsstellen keine Verbindungen gehabt.
DR. STEINBAUER: Danke. Haben Sie...
SEYSS-INQUART: Erst, wie Herr Reichsmarschall Göring schon gesagt hat, als ich Staatsrat wurde, traf ich zum erstenmal einen deutschen führenden Politiker.
DR. STEINBAUER: Das war?
SEYSS-INQUART: Das war im Juni oder Juli 1937.
DR. STEINBAUER: Wie war Ihre Stellung damals als Staatsrat zur NSDAP Österreichs?
SEYSS-INQUART: Als das Übereinkommen vom 11. Juli 1936 ohne jedes Zutun meinerseits geschlossen wurde, hat mich Dr. Schuschnigg durch Minister Klees aufgefordert, politisch mitzuarbeiten. Ich hatte eine besonders enge Verbindung mit Zernatto, dem Generalsekretär der Vaterländischen Front. Auf Vorschlag Zernattos und seiner Freunde wurde ich österreichischer Staatsrat, und Dr. Schuschnigg gab mir schriftlich den Auftrag, die Voraussetzungen zu prüfen für die Heranziehung der nationalen Opposition zur politischen Mitarbeit. Um diesen Auftrag zu erfüllen, mußte ich mich selbstverständlich mit den Nationalsozialisten in Verbindung setzen, denn die nationale Opposition bestand ja nurmehr aus Nationalsozialisten.
DR. STEINBAUER: Wer war der Führer der NSDAP in Österreich?
SEYSS-INQUART: Die Partei in Österreich hatte sich illegal wieder gesammelt und der Führer war der Hauptmann Leopold.
DR. STEINBAUER: Waren Sie mit ihm gut?
SEYSS-INQUART: Ich habe mich mit Hauptmann Leopold nicht verständigen können. Er hat meine Politik nicht verstanden, sondern glaubte, daß Dr. Schuschnigg auf Grund des Vertrags vom 11. Juli die NSDAP in der früheren Form wieder erlauben müsse. Ich habe mit ihm nur zwei-, höchstens dreimal in der ganzen Zeit gesprochen. Er verlangte meine Unterstellung unter ihn, die habe ich abgelehnt.
DR. STEINBAUER: Darf ich in diesem Zusammenhang nun auf folgende Urkunden verweisen, ohne sie weiter zu verlesen? Da ist mein Dokumentenbuch Nummer 44; es ist ein Auszug aus der bereits dem Gericht vorliegenden Urkunde US-583, 3471-PS auf Seite 103. Dann die Urkunde Nummer 45, Seite 105; es ist dies 3473-PS, Exhibit US-581; und dann Nummer 97, Seite 109, wo Zernatto ausdrücklich erklärt, daß sich Seyß-Inquart von den Bestrebungen Leopolds distanzierte.
Meinem Klienten wird nun von der Staatsanwaltschaft der Vorwurf des Doppelspiels gemacht. Ich habe als Gegenbeweis die Vernehmung des früheren Gauleiters Siegfried Uiberreither beantragt; der wurde hier vernommen. Ich möchte aus dem Fragebogen – es ist dies Dokument Nummer 59 –, aus den Gegenfragen der Staatsanwaltschaft folgendes verlesen; das ist auf Seite 140:
»Frage: War der Angeklagte Seyß-Inquart nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem die Nazipartei legalisiert, bezw. als legal erklärt worden ist, im Februar 38, war er nicht in ständiger Verbindung gestanden mit der illegalen Nazipartei Österreichs?
Antwort: Nein; ich persönlich habe Seyß-Inquart nicht gekannt bis zu seinem Besuch in Graz.
In Nazikreisen hat er als Nicht-Parteigenosse gegolten. Ich glaube, ich weiß es nicht genau, daß er erst bei der Legalisierung der NSDAP ihr beigetreten ist. Er hatte aus diesem Grunde einen großen Widerstand in illegalen Nazikreisen, er persönlich.«
Auf Seite 6 der gleichen Urkunde heißt es:
»Frage: Hat der Angeklagte Seyß-Inquart nicht ein doppeltes Spiel gespielt, auf der einen Seite seine rechtliche Position in Schuschniggs Kabinett und auf der anderen Seite seine Mitarbeit mit der ehemaligen ungesetzlichen und illegalen Nazipartei, deren Tätigkeit in einem gewissen Grade dann legalisiert worden ist durch die Bemühungen des Angeklagten in Berchtesgaden im Februar 1938?
Antwort: Ich weiß nicht, inwieweit er vor dem 12. Februar mit den illegalen Nazikreisen Fühlung hatte. Das ist mir nicht bekannt, weil ich nicht in Wien war. Aber seit dem 18. Februar war es kein Doppelspiel, wenn er Fühlung hatte, sondern seine Pflicht. Schuschnigg selbst hatte mit dem damaligen Führer der Nazis – vor Klausner war es Leopold – selbst mit Leopold Unterredungen.«
Wir kommen also nun in das Jahr 1938. Wie fanden Sie anfangs des Jahres als Staatsrat der österreichischen Regierung die politische Situation?
SEYSS-INQUART: Ich hatte in vielen Gesprächen mit Dr. Schuschnigg, vor allem aber in andauernden Gesprächen mit Zernatto, den Plan entwickelt, der meinen Folgerungen aus dem 25. Juli 1934 entsprach: man soll das Reich und vor allem Hitler veranlassen, auf jede Einmischung in die Politik Österreichs im Wege der österreichischen Nationalsozialistischen Partei zu verzichten. Hierfür sollen aber die österreichischen Nationalsozialisten die Betätigungserlaubnis bekommen. Ich hatte hiermit keineswegs auf den Anschluß verzichtet, aber ich war vollkommen überzeugt, daß eine legale und in Österreich verantwortliche Politik der österreichischen Nationalsozialisten mit der Zeit in deren Reihen, die überwiegende Mehrheit des österreichischen Volkes sammeln werde – ich meine der Deutschen in Österreich – und daß einer solchen Bekundung des überwiegenden Mehrheitswillens die Völkerbundmächte keinen Widerstand mehr entgegensetzen werden. Der Versuch mußte gemacht werden, Adolf Hitler zu einer solchen Politik dadurch zu bewegen, daß dieses selbständige und unabhängige Österreich die Politik des Führers und die Gleichberechtigung des deutschen Volkes unterstützt. Diesem Zwecke dienten meine Gespräche bei Feldmarschall Göring und Herrn Heß. Ich habe über das Ergebnis Dr. Schuschnigg und Zernatto berichtet und eine Koalitionsregierung durch Aufnahme nationalsozialistischer Minister ins Kabinett empfohlen unter der Voraussetzung, daß Adolf Hitler die entsprechenden Garantien gibt. Ich bin mit meinen Vorschlägen auf beiden Seiten nicht weitergekommen, ohne direkte Ablehnungen zu erfahren. Inzwischen betätigten sich die österreichischen Nationalsozialisten weiter illegal. Die Polizei schritt ein, es kam zu Verhaftungen, wir hatten in Österreich drei Konzentrationslager, kurz, es war eine Art Vorläufer der Entnazifizierung wie heute.
DR. STEINBAUER: Waren Sie auf dem Obersalzberg am 12. Februar 1938?
SEYSS-INQUART: Nein. Ich möchte aber doch sagen, wie es dazu gekommen ist. Einerseits kam wieder eine Radikalisierung in die Partei. Anfang 1938 wurden die legitimistischen Tendenzen in Österreich gefördert, es kamen in den Staatsrat die Gesetze über Rückgabe des Vermögens an die Habsburger. Meine Lage war dadurch augenblicklich unhaltbar, ich zog mich zurück, teilte dies Zernatto mit und Staatssekretär Keppler, der im Reich offiziell bestellt war, die Geschäfte der Politik mit Österreich zu führen. Auf Grund meines Auftrages fühlte ich mich verpflichtet, auch Keppler zu verständigen. Ich selbst folgte einer Einladung des Reichssportführers Tschammer-Osten nach Garmisch-Partenkirchen. Hier traf ich Herrn von Papen ohne Verabredung. Wir klagten uns gegenseitig unser Leid und kamen zu der Meinung, daß man beide Teile, also sowohl Hitler als auch die österreichische Regierung – das ist Dr. Schuschnigg –, aufmerksam machen müsse, daß eine klare Entscheidung im Sinne meiner Vorschläge notwendig sei. Damals ist bestimmt von einer Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten gesprochen worden. Vielleicht ist auch das Innenministerium erörtert worden, mein Name ist bestimmt nicht genannt worden, aber er war der nächstliegende. Ich habe dann keine Verständigung bekommen über die Aussprachen des Herrn von Papen mit Hitler. Ich selbst habe Zernatto den Inhalt des Gespräches mitgeteilt. Zernatto kam mir damals in einigen Fragen entgegen, insbesondere im Ausbau den volkspolitischen Referate, die sich mit dem Nationalsozialisten zu befassen hatten; er stellte mir hierfür auch Mittel zur Verfügung. Ich glaube, es war am 10. Feber, als ich durch die Gruppe meiner Mitarbeiter die Nachricht erhielt, daß Hitler Dr. Schuschnigg nach Berchtesgaden eingeladen habe. Zu meinem Kreis gehörte Dr. Reiner, Dr. Jury, Dr. Kaltenbrunner, Langhot und einige andere.
DR. STEINBAUER: Wurden Sie von dem Ausgang der Obersalzberger Unterredungen verständigt?
SEYSS-INQUART: Von dem Ausgang wurde ich erst durch Zernatto verständigt. Ich hatte am 11., abends, bevor Dr. Schuschnigg nach Berchtesgaden fuhr, mit Schuschnigg und Zernatto eine eingehende Aussprache. Wir einigten uns weitgehend über die Heranziehung von Nationalsozialisten, zum Beispiel Jury, Reinthaler und Fischböck, für gewisse öffentliche Funktionen, aber nicht für Ministerposten. Die Frage einer Ministerschaft habe ich nicht angeschnitten, weil ich keine Verständigung hatte, wie sich Adolf Hitler zu meinen Vorschlägen an Herrn von Papen verhalten hat. Am 13. Feber hat mich Zernatto zu sich gerufen und hat mir das ihm bekannte Ergebnis und den Inhalt der Besprechung von Berchtesgaden mitgeteilt.
DR. STEINBAUER: Ich möchte hier auf die Urkunde Nummer 48, Seite 111, verweisen, in der Zernatto sagt:
»Ich hatte den sicheren Eindruck, daß er« – Seyß-Inquart – »vom Ausgang der Aussprache und dem Inhalt des Abkommens« – vom 12. Februar – »noch keine Kenntnis hatte.«
Herr Zeuge! Sie sind auf Grund dieses Übereinkommens dann Innen- und Polizeiminister geworden?
SEYSS-INQUART: Am 17. Feber.
DR. STEINBAUER: Am 17. Februar 1938 mit dem Auftrage, die Verbindung zwischen Österreich und dem Reiche herzustellen, respektive zu verbessern. Haben Sie auch mit Hitler selbst eine Aussprache gehabt?
SEYSS-INQUART: Ja. In der Vereinbarung vom 12. Feber in Berchtesgaden war die ausdrückliche Bestimmung aufgenommen, daß ich der Verbindungsmann sein soll einerseits zwischen der österreichischen Regierung, andererseits zwischen den österreichischen Nationalsozialisten und dem Deutschen Reich. Der Inhalt des mitgeteilten Protokolls schien mir sowohl unbefriedigend als auch riskant. Es ist gar kein Zweifel, daß meine Ernennung zum Innen- und Sicherheitsminister für die österreichischen Nationalsozialisten das Aviso, wenn nicht Signal war, mit einer Realisierung ihrer politischen Wünsche in naher Zeit rechnen zu können. Dazu hatten sie die Erlaubnis erhalten, ihre Gesinnung zu bekennen. Das heißt, sie durften das Hakenkreuz tragen und mit erhobener Hand grüßen. Was aber nicht erlaubt war, war die Organisation, das heißt, meine nationalsozialistischen Freunde in Österreich hatten keine Möglichkeit, auf legale Weise an die Nationalsozialisten heranzukommen. Durch dieses Übereinkommen sind die Schleusen geöffnet worden, ohne daß für einen geregelten Ablauf Sorge getragen war. Ich habe daher den Entschluß gefaßt, selbst zu Adolf Hitler zu fahren, um mich zu vergewissern, ob mein Plan seine Genehmigung findet. Ich bin im Einvernehmen mit Dr. Schuschnigg gefahren, mit dem österreichischen Diplomatenpaß.
DR. STEINBAUER: Wann haben Sie nun mit Hitler gesprochen?
SEYSS-INQUART: Ich habe früher ein falsches Datum angegeben; ich bin am 16. Feber Minister geworden und am 17. Feber nach Berlin gefahren. Ich hatte mit Adolf Hitler eine über zweistündige Unterredung unter vier Augen.
Die Anklage hat darauf verwiesen, daß ich Adolf Hitler mit erhobener Hand gegrüßt habe. Das war nach dem Abkommen erlaubt. Ich bitte aber die Anklage, zuzugeben, daß ich bei jeder meiner Vernehmungen sofort erklärt habe, daß ich Adolf Hitler gegenüber sofort betont habe, ich sei österreichischer Minister und als solcher in Österreich verantwortlich. Ich habe mir über diese Unterredung auf der Rückseite eines Briefes in Kurzschrift Notizen gemacht. Ich habe diese Notizen einige Wochen später meiner Sekretärin in die Maschine diktiert und möchte an Hand derselben den Inhalt meines Gespräches mit Hitler wiedergeben. Meine Ausführungen...
DR. STEINBAUER: Herr Zeuge, bitte möglichst kurz, vielleicht Schlagworte.
SEYSS-INQUART: Das ist aber das Wichtigste der ganzen Verantwortung. »Voraussetzung für Bundeskanzler Dr. Schuschnigg ist, daß ich auf dem Boden des selbständigen und unabhängigen Österreichs stehe, das heißt Verfassung, weitere Entwicklung einschließlich Reich als Ziel – von da aus. Willensbildung in Österreich unabhängig nach heutigen Verfassungsmöglichkeiten. Ich muß für Dr. Schuschnigg der lebendige Garant des revolutionären Weges sein im Sinne dieser Erklärungen (jawohl), kein trojanischer Pferdeführer. Die Partei und Bewegung darf keine kulturkämpferische Haltung einnehmen (ja). Keine Totalität der Partei und Bewegung, das heißt, das nationalsozialistische Gedankengut unter Anerkennung und Berücksichtigung der Gegebenheiten Österreichs verwirklichen, nicht mit Gewalt den anderen auf zwingen. Partei wird nicht ohne weiteres verschwinden, Personenverband, keine verbotene Betätigung, keine staatsfeindlichen Bestrebungen, alles Handeln im legalen Raum; wer dies verletzt, ist einzusperren.«
Adolf Hitler stimmte im wesentlichen zu und sagte mir. »Es kommt nicht auf die 25 Punkte an, man kann kein Dogma verkünden, man muß vom gesamtdeutschen und Volksdeutschen zum nationalsozialistischen Gedankeninhalt kommen.«
Das war der Inhalt meiner Besprechung mit Adolf Hitler am 17. Feber von 12.00 bis 2.10 Uhr.
DR. STEINBAUER: Haben Sie...
MR. DODD: Herr Vorsitzender! Soweit ich den Zeugen verstehe, sagt er, daß er sich Notizen über eine Unterredung mit Hitler machte, die er später seiner Sekretärin diktiert hat. Es ist mir unklar, ob er aus diesen Notizen verlesen hat. Überdies haben wir derartige Notizen nie gesehen, und ich bin der Ansicht, daß es im Protokoll klar zum Ausdruck gebracht werden sollte.
VORSITZENDER: Dr. Steinbauer! Hat der Angeklagte diese Notizen?
DR. STEINBAUER: Das Original wurde ihm anläßlich seiner Verhaftung abgenommen.
VORSITZENDER: Angeklagter! Sie haben meine Frage gehört. Sind diese Notizen in Ihrem Besitz?
SEYSS-INQUART: Das Original dieser Notiz befand sich unter meinen Akten in Wien. Ich habe den Antrag gestellt, unter den von mir aufgefundenen Akten nachzusehen, ob sich die Notiz darunter befindet. Eine in meiner Hand befindliche Abschrift der Notiz habe ich bei einer meiner ersten Vernehmungen durch die Anklage der Anklagebehörde überreicht; sie befindet sich in den Akten der Anklage. Ich habe aber nur Abschriften hier, ich habe kein Original hier.
VORSITZENDER: Eine Abschrift würde für diesen Zweck genügen.
SEYSS-INQUART: Ich habe der Verteidigung eine Abschrift zur Verfügung gestellt.
DR. STEINBAUER: Ich habe Ihnen die Abschrift zurückgestellt.
SEYSS-INQUART: Sie können diese doch vorlegen.
DR. STEINBAUER: Vielleicht legen Sie sie vor.