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[Zum Zeugen gewandt:]

In der Urkunde RF-137, Herr Zeuge, wird Ihnen der Vorwurf gemacht, daß Sie den Abtransport von Möbeln und Kleidungen aus Arnhem begünstigt haben?

SEYSS-INQUART: Der Vorwurf ist richtig. Die Situation war folgende: Unmittelbar am Südrand von Arnhem ging die Front. In Arnhem selbst waren drei oder vier Widerstandslinien eingebaut. Die Stadt war völlig evakuiert. Sie wurde beschossen, und die Einrichtungsgegenstände in Arnhem gingen über Winter langsam zugrunde. Der Führer hatte damals angeordnet über Bormann, daß aus den Niederlanden vor allem Textilien für deutsche bombengeschädigte Familien geholt werden sollen. Das Schicksal der Möbel und Textilien in Arnhem war wahrscheinlich so, daß diese Dinge entweder geplündert worden wären oder durch die Witterung zugrunde gegangen wären oder bei einem Kampf um Arnhem verbrannt worden wären. Obwohl es nicht in meinem Gebiet sondern im Frontgebiet lag, die vollziehende Gewalt daher bei der Wehrmacht war, habe auch ich meine Zustimmung gegeben, daß Unter den gegebenen Umständen Gebrauchsmöbel und Textilien in das Ruhrgebiet gebracht werden. Ich habe zugleich angeordnet, daß die Bestände aufgenommen werden für Entschädigungsansprüche. Ich glaube, daß Dr. Wimmer als Zeuge das bestätigen kann.

DR. STEINBAUER: Ich glaube, wir können das abschließen.

SEYSS-INQUART: Es ist noch ein Vorwurf. Es wird mir vorgeworfen die Sprengung von Safes. Dagegen habe ich strengstens Stellung genommen, und als mir ein solcher Fall gemeldet wurde, durch meinen Generalstaatsanwalt die Anklage und einen Haftbefehl erlassen.

DR. STEINBAUER: Ich gehe zur nächsten Frage: Wie verhält es sich mit den Sprengungen und Zerstörungen von Hafen-, Dock-, Schleusen- und Bergwerksanlagen in den Niederlanden?

SEYSS-INQUART: Solche Sprengungen sind in dem Augenblick vorgekommen, in dem die Niederlande wieder Kriegsgebiet wurden. Für die Sprengungen der Hafen- und Dockanlagen beziehungsweise Werften war folgendes maßgebend: Der Hafen von Antwerpen ist fast unbeschädigt in die Hand der Feinde gefallen. Ich glaube, das war für die Fortführung der Offensive von entscheidender Bedeutung. Daraufhin haben die zuständigen militärischen Dienststellen in den Niederlanden mit einer vorsorglichen Sprengung begonnen. Ich wußte nur von der Tatsache, nicht aber von den Einzelheiten und habe es abgelehnt, mir dieselben anzuschauen, die Sprengungen anzusehen. Aber mein Beauftragter hat mit mir bei Wehrmachtsstellen interveniert, und ich glaube, daß in Rotterdam die Hälfte der Sprengungen unterblieben ist. Das ergibt sich auch aus den niederländischen Berichten. Mit der Sache selbst hatte ich gar nichts zu tun außer diesem Einschreiten. Als die Engländer Limburg erreichten, kam der Befehl zur Sprengung der Bergwerke als kriegswichtige Einrichtungen. Ich habe bei Reichsminister Speer anfragen lassen, und dieser hat den Befehl gegeben, nicht zu sprengen, sondern nur zu lähmen, das heißt, den Betrieb auf drei bis vier Monate zu stören. Die Befehle sind in diesem Sinne hinausgegangen. Ich hoffe, daß sie nicht überschritten wurden.

DR. STEINBAUER: Wir haben hier in dem Prozeß von dem Befehl »Verbrannte Erde« gehört. Hatte der auch in den Niederlanden gegolten?

SEYSS-INQUART: Ich habe den Befehl »Verbrannte Erde« von Bormann bekommen, das heißt, ohne militärische Notwendigkeit sollen alle technischen Anlagen gesprengt werden. Das bedeutet praktisch die Vernichtung Hollands, also der Westniederlande. Wenn man in Holland an 14 oder 16 Stellen Sprengungen durchführt, versinkt das Land in drei bis vier Wochen unter Wasser. Ich habe den Befehl vorerst nicht durchgeführt, sondern mich mit Reichsminister Speer in Verbindung gesetzt. Ich hatte mit ihm eine persönliche Zusammenkunft am 1. April in Oldenburg. Speer teilte mir mit, daß derselbe Befehl im Reich gegeben worden sei, daß er ihn aber frustriere, daß er nunmehr die Vollmacht auf diesem Gebiet habe und daß er damit einverstanden sei, daß der Befehl in den Niederlanden nicht durchgeführt werde. Es kam auch nicht dazu.

DR. STEINBAUER: Nun zu einem anderen Kapitel. Es sind aber tatsächlich Überflutungen vorgenommen worden. Haben Sie damit etwas zu tun gehabt?

SEYSS-INQUART: Ich kenne das Kapitel und habe in gewisser Beziehung damit zu tun gehabt. Es handelte sich um vorbereitete Überflutungen seitens der Wehrmacht zu Verteidigungszwecken, und es handelte sich um Kampfüberflutungen, die während einer Gefechtslage plötzlich notwendig wurden. Die vorbereiteten Überflutungen geschahen in engster Fühlungnahme mit meiner Dienststelle und den niederländischen Dienststellen. Durch deren Eingreifen wurde etwa die Hälfte der geforderten Fläche erspart und gerettet. Es wurde insbesondere vorzüglich mit Süßwasser geflutet, das weniger Schaden anrichtet, und es wurden die Außendeiche geschont. Es gab in Holland zwei Kampfflutungen auf Befehl des Oberbefehlshabers von Holland, besonders der Wieringer Meerpolder wird erwähnt. Damals bestand die große Gefahr einer Luftlandung und Aufrollung der holländischen Verteidigungsfront. Von der Durchführung der Kampfflutungen bin ich aktuell nicht verständigt worden. Der Oberbefehlshaber entschloß sich über Nacht hierzu. Als ich am 30. April mit Generalleutnant Bedell-Smith, Generalstabschef des Generals Eisenhower, eine Besprechung hatte, sagte er uns: »Was Sie bisher geflutet haben, ist militärisch zu rechtfertigen, wenn Sie jetzt noch fluten, ist es militärisch nicht mehr zu rechtfertigen.« Nach dem 30. April wurde nichts mehr überschwemmt.

DR. STEINBAUER: Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Urkunde 86, Seite 221, verweisen, ohne sie weiter vorzulegen, aus der hervorgeht, daß diese Überschwemmungen rein militärischen Charakter gehabt haben.

Ein weiterer Vorwurf, der Ihnen gemacht wird, Herr Zeuge, ist die Frage der Versorgung mit Lebensmitteln der niederländischen Bevölkerung.

Welche Maßnahmen haben Sie zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Niederländer getroffen?

SEYSS-INQUART: Die Ernährungsfrage in den Niederlanden ist zweifellos die schwierigste Frage der ganzen Verwaltung, und ich glaube, aus den Besonderheiten des Falles, eine der schwierigsten, die es überhaupt in den besetzten Gebieten gibt. In den Niederlanden sind 270 Menschen auf den Quadratkilometer, in Holland speziell über 600 zu ernähren. Die Ernährungswirtschaft ist höchst kultiviert auf eine Veredelungswirtschaft, abhängig von der Einfuhr von Hunderttausenden von Tonnen Futtermittel. Das war mit der Besetzung und der Blockade alles weg. Es mußte die ganze Ernährungswirtschaft umgestellt werden, auch die Erzeugung von Lebensmitteln zum unmittelbaren menschlichen Genuß. Es ist sicherlich eine große Tat der holländischen Landwirtschaft und ihrer Führung, daß das gelungen ist, aber ich darf vielleicht sagen, daß meine Fachleute in einer sehr wirksamen Weise geholfen haben und wir vom Reich so manche Unterstützung bekommen haben. In den Niederlanden hat es auch eine sehr geregelte Lebensmittelverteilung gegeben wie kaum in einem anderen besetzten Gebiet. Das Wichtigste für mich war, diesen Ernährungsapparat zu erhalten, obwohl dessen Leiter, Generaldirektor Laures, und der ganze Apparat entschieden deutschfeindlich eingestellt war. Ich habe ihn dennoch erhalten gegen den Willen der Reichszentralstellen, weil ich sonst die Verantwortung für die Ernährung nicht hätte tragen können.

DR. STEINBAUER: Haben Sie auch Lebensmittel in das Reich geliefert?

SEYSS-INQUART: Ja. Die Truppe hatte vor allem, ich glaube, den Anspruch, sich aus dem Lande zu verpflegen, aber das Brotgetreide in der Höhe von 36000 Tonnen wurde aus dem Reich nachgeschoben. Dafür wurde Gemüse verlangt. Das Reich hat darüber hinaus weiteres Gemüse verlangt, überdies die Lieferung von Zuchtvieh, Fleischkonserven, Hülsenfrüchten und einigen anderen Dingen. Gemüse und Fleisch wäre noch nicht so empfindlich gewesen, Hülsenfrüchte waren unangenehm. Ich bin überzeugt, daß der niederländische Ernährungsapparat sein möglichstes getan hat, um die Auslieferung zu verhindern.

DR. STEINBAUER: Ich glaube, daß das genug ist zu diesem Thema, und ich möchte Sie fragen, wie war im Herbst 1944 die Gesamtlage in der Ernährung?

SEYSS-INQUART: Wir hatten während des größten Teils der Besatzungszeit einen Kalorienwert anfangs von 3000 und dann etwa 2500 Kalorien und im Jahre 1944 von 1800 Kalorien. Die heutigen Erfahrungen werden sagen, was das bedeutet.

Im September 1944 wurden die Niederlande wieder Kriegsgebiet. Ungefähr zur gleichen Zeit mit der Landung der ersten englischen Luftlandedivision bei Arnhem wurde auf Befehl der Niederländischen Regierung in England mit einem Generalstreik der niederländischen Eisenbahnen begonnen. Derselbe wurde fast lückenlos durchgeführt. Zur gleichen Zeit verschwanden die Schiffe auf den Binnengewässern. Es war formell kein Streik, praktisch aber dasselbe. Durch diese Situation war die Verteidigungsmöglichkeit für die deutsche Wehrmacht auf das schwerste gefährdet. Die deutsche Wehrmacht hat nunmehr angefangen, Schiffe zu beschlagnahmen und hat damit praktisch jeden Verkehr unterbrochen. Ich habe mich mit ihr in Verbindung gesetzt, sie meinte, wenn der Eisenbahnerstreik aufhört, brauche sie nicht so rigoros vorgehen. Ich habe dies Generalsekretär Hirschfeld und Generaldirektor Laures mitteilen lassen. Es war kein Ergebnis zu erzielen, und nunmehr mußte ich nachdenken, wie ich den unterbundenen Schiffsverkehr wieder in Ordnung bringe. Ich habe mit der Wehrmacht gesprochen, daß ich ihr eine gewisse Zeit, drei bis vier Wochen Zeit gebe, in der sie ihren Schiffsraum sichert. Sie bedurfte von etwa zwei Millionen vorhandenen Tonnen 450000 Tonnen. Während dieser Zeit würde ich jeden Schiffsverkehr unterbinden, weil die Wehrmacht mir sowieso jedes Schiff beschlagnahme. Den Schiffsverkehr mit kleineren Schiffen in Holland habe ich zugelassen.

VORSITZENDER: Was hat das alles mit der Anklage zu tun, die gegen den Angeklagten erhoben ist?

DR. STEINBAUER: In dem niederländischen Regierungsbericht, den auch die Anklagebehörde erwähnt hat, ist sehr ausführlich ausgeführt, daß der Angeklagte als Reichskommissar für die Hungersnot, die im September 1944 begonnen hat und sich in das Frühjahr 1945 hinausgezogen hat, und für die außerordentliche Sterblichkeit, insbesondere von Kindern, – ganze Bände sind vorgelegt worden – verantwortlich gemacht wird, und zwar deshalb, weil er die Zufuhr der Lebensmittel anläßlich dieses Schiffer- und Eisenbahnerstreiks unterbunden hätte. Das ist einer der größten und schwersten Anklagepunkte, die erhoben werden.

Ich habe diesbezüglich auch Zeugen angeführt und werde vielleicht dieses Thema abkürzen, damit die Zeugen das dann sagen können.

SEYSS-INQUART: Ich möchte bitten, doch hierzu Stellung nehmen zu dürfen. Das ist der Vorwurf, der mir selbst am schwersten fällt.

DR. STEINBAUER: Vielleicht könnten wir eine kleine Pause machen, wenn der Herr Präsident damit einverstanden ist.

VORSITZENDER: Sehr gut.