[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie mit Hitler vor 1943 über diese Probleme gesprochen?
SEYSS-INQUART: Ich war lediglich dabei, wenn er davon gesprochen hat. Es lag immer auf der Linie, die Juden aus dem deutschen Volkskörper auszuscheiden und irgendwo ins Ausland zu bringen.
DR. HAENSEL: Aber es ist mit keinem Wort von Vernichtung gesprochen worden?
SEYSS-INQUART: Ausgeschlossen.
DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Zeuge! Hat Sauckel in den Niederlanden Razzien veranlaßt und Kirchen und Kinos umstellen lassen?
SEYSS-INQUART: Das hätte er gar nicht können, das hätte ich nicht zugelassen, und er hat es auch nicht verlangt.
DR. SERVATIUS: Hatte Sauckel etwas mit der Aktion des Heeres zu tun? 1944?
SEYSS-INQUART: Nein, davon hat er nichts gewußt. Als er davon Nachricht erhielt, kam einer seiner Männer, um allenfalls Fachkräfte bei der Gelegenheit zu werben. Dazu kam es aber nicht; denn die Wehrmacht hatte diese Männer sofort ins Reich geschickt.
DR. SERVATIUS: Die regulären Arbeitertransporte nach Deutschland, die im Zusammenhang mit der Arbeitererfassung durch Sauckel erfolgten, erfolgten die durch normale Transportbedingungen, oder waren dort grobe Mißstände festzustellen?
SEYSS-INQUART: In dem Arbeitseinsatz, ob freiwillig oder Pflichtarbeit, waren die Transportbedingungen immer normal, so wie alle Leute in den Niederlanden gefahren sind. Die Begleitung war nicht Polizei, sondern Beamte des Arbeitsamtes, mit Ausnahme der 2600, die die Polizei verhaftet hatte und ins Reich in ein Lager von Sauckel abgeliefert hatte.
DR. SERVATIUS: Hatte Sauckel mit dem Abtransport von Häftlingen oder von Juden etwas zu tun?
SEYSS-INQUART: Gar nichts.
DR. SERVATIUS: Wissen Sie, welche Arbeitsbedingungen den Arbeitern gegeben wurden, die aus Holland nach Deutschland kamen?
SEYSS-INQUART: Ich habe sie im Grundsätzlichen gekannt. Es waren dieselben Bedingungen wie für die Arbeiter im Reich, aber es gab Schwierigkeiten. Erstens haben die Betriebsführer im Reich behauptet, die Holländer hätten sich zum Teil unter unrichtigen Angaben anwerben lassen und erfüllten rächt die Bedingungen. Zweitens waren die Arbeitsverträge befristet, und die Betriebsführer wollten die Holländer noch länger im Reich behalten. Ich habe dann dafür gesorgt, daß in diese Arbeitsverträge nichts hineinkommt, das also nicht tatsächlich im Reich gehalten wird, ganz gleich welche Erfahrungen man dann im Reich macht.
DR. SERVATIUS: Ich habe dann keine Fragen mehr an den Zeugen.
DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Zeuge! Ich wollte eine Frage an Sie richten wegen der Überflutungen. Was haben Sie, Ihre Dienststellen oder der Oberbefehlshaber West unternommen, um das Absaufen der Pumpwerke und damit eine große Überflutung Hollands zu verhindern?
SEYSS-INQUART: Mir ist die Frage nicht ganz klar. Die Pumpwerke konnten ja nicht absaufen, sondern nur das Polder-Gebiet.
DR. LATERNSER: Ja.
SEYSS-INQUART: Es hatte zwei Gefahren. Die eine war die Sprengung, da haben Pumpwerke auch nichts mehr genützt, und die wurde ja bekanntlich auch nicht durchgeführt, sondern verhindert. Die zweite war der Kohlenmangel, auch der Ölmangel. Wir haben uns bemüht, zu den Pumpwerken, solange es nur irgendwie geht, Kohle hinzubringen. Diese Kohle stand in der Dringlichkeitsstufe I. Sie war also jeder anderen Wehrmachtsforderung gleich. Als wir dann immer weniger Kohle bekamen, haben wir gewisse, sehr tief liegende Polder vollaufen lassen, damit andere nicht unter Wasser kommen. Es war eine vollkommen reibungslose Zusammenarbeit mit den niederländischen Dienststellen, und ein Vertreter der Niederländischen Regierung in England, mit dem ich später gesprochen habe, an den ich meinen Fachmann gewiesen habe, hat gesagt, daß vom fachmännischen Standpunkt aus unsere Überschwemmungsmaßnahmen nicht zu beanstanden waren.
DR. LATERNSER: Nun noch einen zweiten Punkt. Sie haben vorhin auf die Frage Ihres Herrn Verteidigers ausgesagt, daß Sie gegen die Zerstörungen im Hafen Rotterdam interveniert hätten. Bei wem haben Sie diese Intervention vorgebracht?
SEYSS-INQUART: Bei dem damaligen Oberbefehlshaber und Wehrmachtbefehlshaber General Christiansen, der auch sofort auf meine Seite getreten ist.
DR. LATERNSER: Sie sind also gleich auf Verständnis gestoßen? Sie sind also gleich wegen Ihrer Intervention bei dieser militärischen Stelle auf Verständnis gestoßen?
SEYSS-INQUART: Ja.
DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen.
DR. HANS FLÄCHSNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SPEER: Herr Zeuge! Sie erwähnten gestern die Sperrbetriebe. Können Sie mir sagen, wann wurden bei Ihnen in Holland die Sperrbetriebe eingerichtet, und welche Auswirkungen wurden dadurch auf den Arbeitseinsatz, ich meine also die Transportierung von Arbeitskräften von Holland nach Deutschland, erzielt?
SEYSS-INQUART: Ich glaube, die Sperrbetriebe wurden im Laufe des Jahres 1943, wenn ich mich recht erinnere in der zweiten Hälfte, eingerichtet. Die Arbeiter der Sperrbetriebe waren geschützt. Es wurde daher die Vermittlung und Überführung niederländischer Arbeitskräfte ins Reich dadurch zum Teil unterbunden, zum Teil gehemmt.
DR. FLÄCHSNER: Wurden, damit die Sperrbetriebe aktionsfähig wurden und man arbeiten konnte, für die Effektuierung der Aufträge Rohstoffe aus Deutschland nach Holland geliefert, insbesondere Kohle?
SEYSS-INQUART: Ich glaube, alle Rohstoffe mit Ausnahme der Kohle. Die Kohle wurde aus Limburg geholt.
DR. FLÄCHSNER: Sie erwähnten gestern die Organisation Todt. Ist Ihnen bekannt, wie weit sich die Organisation Todt in Holland für die Bauarbeitern, die sie dort ausführte am Atlantikwall, einheimische Baufirmen herangezogen hat und wie weit diese Bauten durch einheimische Baufirmen durchgeführt worden sind?
SEYSS-INQUART: Ich glaube, daß die überwiegende Zahl der Bauten in Holland, Nordfrankreich und Belgien an einheimische Baufirmen übergeben wurde. In Holland war das bestimmt der Fall, und es haben auch holländische Baufirmen Arbeiten in Belgien und Nordfrankreich übernommen. Diese Firmen haben ihre Arbeiter selbst mitgebracht. Infolgedessen sind etwa 35000 bis 40000 niederländische Arbeiter Mitte 1942 in Belgien und Nordfrankreich tätig gewesen, die nicht im Wege einer Arbeitsverpflichtung herübergebracht wurden.
DR. FLÄCHSNER: Können Sie mir sagen, welche Auswirkung dieses Verfahren generell auf die Anwerbung einheimischer Arbeitskräfte gehabt hat?
SEYSS-INQUART: Die einheimischen Arbeitskräfte sind natürlich verhältnismäßig lieber in die Sperrbetriebe und zu den OT-Firmen gegangen, weil sie dort vor einer Verschickung ins Reich zum mindesten sicherer waren; außerdem haben sie bei der OT noch Lebensmittelzubußen bekommen.
DR. FLÄCHSNER: Herr Zeuge! Als im August oder September 1944 durch die feindlichen Fliegerangriffe auf das Verteilungssystem in Holland die Produktion behindert wurde, beziehungsweise sogar zum Erliegen kam, welche Maßnahmen wurden damals ergriffen, um die beschäftigungslosen Arbeitskräfte der Sperrbetriebe zu schützen?
SEYSS-INQUART: Wir haben drei Möglichkeiten gehabt. Die erste war, die Arbeiter in das Reich zu bringen, die zweite war, die Arbeiter zu entlassen und ihnen Arbeitslosenunterstützung zu geben, die dritte war, die Arbeiter zu behalten und ihnen den Lohn ohne Arbeit oder mit geringer Arbeit weiterzuzahlen. Ich glaube, es war eine Anordnung des Reichsministers Speer, derzufolge die dritte Möglichkeit gewählt wurde. In diesen Betrieben wurden die Arbeiter weiterbezahlt. Ich habe dann Vorsorge getroffen, daß die Besitzer der Fabriken einen gewissen Ausgleich für die Lohnsummen bekommen.
DR. FLÄCHSNER: Herr Zeuge! Sie erwähnten vorhin eine Unterredung, die Sie am 1. April 1945 mit dem Angeklagten, Reichsminister Speer, gehabt haben. Können Sie uns angeben, welches der ursprüngliche Zweck dieser Unterredung gewesen ist?
SEYSS-INQUART: Von meiner Seite habe ich ihn ja erwähnt. Ich wollte mit Minister Speer über den Befehl »Verbrannte Erde« sprechen. Aber der Minister Speer hatte auch einen Zweck. Er wollte, daß wir aus den Nordniederlanden Kartoffelzüge in das Ruhrgebiet bringen und dafür Kohle aus dem Ruhrgebiet in die Niederlande bringen. Das wäre im Hinblick auf die Kartoffelsituation in den Nordniederlanden durchaus möglich gewesen, aber die Verkehrslage hat es unterbunden.
DR. FLÄCHSNER: Machte Ihnen Speer dabei Mitteilung über vorsorgliche Maßnahmen zur Ernährungssicherung für die Zeit nach der Besetzung?
SEYSS-INQUART: Minister Speer teilte mir mit, er habe hinter dem Ruhrgebiet Lebensmittelzüge gestaffelt und habe dabei das Transportmaterial der Rüstung entzogen, damit, wenn das Ruhrgebiet überrollt wird, die Lebensmittelzüge für das Ruhrgebiet zur Verfügung stehen.
DR. FLÄCHSNER: Danke schön.
VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung das Kreuzverhör zu beginnen?
Verzeihung, Dr. Kubuschok, wollten Sie etwas sagen?
DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG: Der Angeklagte Kaltenbrunner hat mich als nächstsitzenden Verteidiger gebeten, folgendes zu erklären: Er hat mit seinem Verteidiger eine größere Anzahl an den Zeugen Seyß- Inquart zu richtende Fragen besprochen. Ich habe eben versucht, den Verteidiger Kaltenbrunners, Dr. Kauffmann, zu erreichen. Er ist im Augenblick und wahrscheinlich heute nachmittag nicht zu erreichen. Der Angeklagte Kaltenbrunner bittet zu gestatten, daß diese Fragen morgen an den Zeugen, Seyß-Inquart, gerichtet werden.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof erwartet eine Erklärung von Dr. Kauffmann, warum er zum Kreuzverhör nicht hier ist; er muß doch gewußt haben, daß für ihn die Zeit für das Kreuzverhör herankam. Der Gerichtshof stimmt jedoch dem Vorschlag zu, daß diese Fragen später gestellt werden können. Vielleicht morgen, wenn es möglich ist.
Wünscht die Anklagevertretung das Kreuzverhör zu beginnen?
M. DELPHIN DEBENEST, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Angeklagter! Sie haben Jura studiert und uns gesagt, daß Sie im Jahre 1917 an der Universität Wien sogar den Doktortitel erworben haben?
SEYSS-INQUART: Jawohl.
M. DEBENEST: Sie waren Rechtsanwalt von 1929 bis zum 12. Februar 1938? Zu jenem Zeitpunkt wurden Sie Minister des Innern?
SEYSS-INQUART: Von 1921 an.
M. DEBENEST: Gut. War nicht ein großer Teil Ihrer Klienten Juden?
SEYSS-INQUART: In großem Maße nicht, aber es waren solche auch darunter.
M. DEBENEST: Und trotzdem sagten Sie uns gestern, daß Sie seit dem ersten Weltkrieg Antisemit waren?
SEYSS-INQUART: Das haben meine Klienten gewußt, die Kanzlei war als solche bekannt.
M. DEBENEST: Ja, aber deswegen haben Sie das Geld der Juden nicht verachtet?
SEYSS-INQUART: Es hat die Juden auch nicht gestört, meine Hilfe in Anspruch zu nehmen.
M. DEBENEST: Gut. Sie waren Katholik?
SEYSS-INQUART: Wie meinen Sie das?
M. DEBENEST: Ich frage Sie, ob Sie katholischer Religion waren?
SEYSS-INQUART: Ich bin Mitglied beziehungsweise gehöre der katholischen Kirche an.
M. DEBENEST: Ja, waren Sie nicht auch Mitglied einer katholischen Studentenvereinigung während Ihrer Studentenzeit?
SEYSS-INQUART: Ich habe niemals einer Studentenvereinigung angehört, weder einer katholischen noch einer nationalen.
M. DEBENEST: Gut. Sie wurden durch eine Verordnung Hitlers vom 18. Mai 1940 zum Reichskommissar in Holland ernannt, nicht wahr?
SEYSS-INQUART: Jawohl.
M. DEBENEST: Bei Ihrer Ankunft in den Niederlanden waren Ihre Richtlinien, wie Sie uns gestern erklärten, die folgenden: Die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit der Niederlande und die Schaffung wirtschaftlicher Bande zwischen diesem Lande und Deutschland. Sie fügten hinzu, daß diese Richtlinien in der Folge niemals durch den Führer abgeändert wurden. Stimmt das?
SEYSS-INQUART: Ich habe ein Wort nicht verstanden, und zwar das, das sich auf die wirtschaftlichen Beziehungen bezogen hat.
M. DEBENEST: Ich sagte soeben, daß Sie mit folgenden Richtlinien in den Niederlanden eingetroffen waren: Einerseits die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit der Niederlande und andererseits die Schaffung wirtschaftlicher Bande zwischen diesem Land und Deutschland. Entspricht das den Tatsachen?
SEYSS-INQUART: Ich möchte es nicht genau so sagen, sondern ich sollte trachten, eine möglichst enge wirtschaftliche Verbindung zwischen Holland und Deutschland herbeizuführen. Auch die wirtschaftlichen Bedingungen, auf Dauer gesehen, abgesehen von den Kriegsnotwendigkeiten, waren nicht als ein Oktroyieren gedacht.
M. DEBENEST: Schließlich erklärten Sie noch, daß Sie nicht gekommen seien in der Absicht, dem holländischen Volke eine bestimmte politische Anschauung vorzuschreiben. Das ist doch richtig?
SEYSS-INQUART: Na ja, das möchte ich nicht sagen. Es war schon meine Absicht, in Holland womöglich eine nationalsozialistische Politik möglichst zu fördern, nicht vorzuschreiben, aber möglichst zu fördern.
M. DEBENEST: War es auch Ihre Absicht, diese politische Anschauung nicht einzuführen, sondern aufzuzwingen?
SEYSS-INQUART: Nein, denn eine politische Anschauung kann man ja nie aufzwingen.
M. DEBENEST: Gut. Ich lasse Ihnen jetzt Dokument 997-PS vorlegen. Dieses Dokument wurde gestern bereits sowohl durch die Anklagebehörde unter Nummer RF-122 als auch von der Verteidigung vorgelegt. Wollen Sie bitte Seite 7 und 8 des deutschen Textes aufschlagen. Es ist Seite 7 des französischen Textes, der Absatz »Maßnahmen«. Dieses Dokument ist, wie Sie wissen, ein Bericht, den Sie selbst aufgestellt haben.
SEYSS-INQUART: Jawohl.
M. DEBENEST: Sie schreiben:
»Angesichts dieser Sachlage mußte zuerst der Einfluß Winkelmanns beseitigt werden. Dies geschah dadurch, daß die Generalsekretäre ausdrücklich darauf verwiesen wurden, daß sie nur mehr vom Reichskommissar Aufträge entgegenzunehmen haben, was sie ausdrücklich akzeptierten. Die Einrichtung der Generalsekretäre und die Personen selbst wurden beibehalten, da es bei ihrem Rücktritt als unwahrscheinlich angesehen werden mußte, Niederländer zu finden – in den Rechtsparteien finden sich fast gar keine geeigneten Personen –, die die Verwaltung übernommen hätten. Es erschien aber politisch notwendig, daß eine Summe von Maßnahmen vor allem wirtschaftlicher, mittelbar aber auch polizeilicher Art mit der Unterschrift der niederländischen Generalsekretäre dem niederländischen Volke gegenüber ergriffen werden.«
Aus dem Wortlaut dieses Dokuments geht hervor, daß Sie lediglich deshalb einverstanden waren, die Generalsekretäre weiterhin beizubehalten, weil Sie diese benötigten, um den Holländern beistimmte Maßnahmen aufzuzwingen. Stimmt das?
SEYSS-INQUART: Ja, aber wo ist da von Politik die Rede? Das ist doch eine Verwaltungsangelegenheit.
M. DEBENEST: Das bezieht sich meines Wissens sowohl auf wirtschaftliche als auch auf politische Dinge.
SEYSS-INQUART: Nein, im deutschen Text heißt es: »Die polizeilichen Fragen«. Wirtschaftliche und polizeiliche Fragen, nicht politische, das ist ein Unterschied.
M. DEBENEST: Ich lese also den Satz nochmals vor, unter Berücksichtigung Ihrer Antwort: »Es erschien aber politisch notwendig...« Ist das nun politisch oder polizeilich?
SEYSS-INQUART: Moment. Das stimmt. Das ist aber nicht Politik im Sinne einer Parteipolitik, sondern Politik im Sinne der Behandlung der Niederländer an sich. Ob sie dabei Nationalsozialisten werden oder nicht, ist mir ganz gleichgültig.
M. DEBENEST: War das im Interesse der holländischen Politik oder der deutschen Politik?
SEYSS-INQUART: Ja, daß ich eine deutsche Politik verfolgt habe, gebe ich ohne weiteres zu, ohne weiteres. Das war auch ein Teil meiner Aufgabe.
M. DEBENEST: Aber war die damalige deutsche Politik nicht die der nationalsozialistischen Partei?
SEYSS-INQUART: Die deutsche Politik war damals die Politik des Erhaltungskampfes des deutschen Volkes, geführt von der nationalsozialistischen Partei; aber das materielle Wesen war nicht die Durchsetzung von 25 Punkten des Parteiprogramms, sondern die Durchfechtung dieses Existenzkampfes. Das verstehe ich da hier.
M. DEBENEST: Gut. Sie wurden jedoch in Ihrer Verwaltung in den Niederlanden von vier Generalkommissaren unterstützt, und zwar von Wimmer in der Verwaltung und im Rechtswesen, von Fischböck in der Wirtschaft und im Finanzwesen, von Rauter in der öffentlichen Sicherheit und von Schmidt in Sonderfragen. Der Generalkommissar für die öffentliche Sicherheit, Rauter, unterstand Ihnen doch unmittelbar?
SEYSS-INQUART: Die vier Generalkommissare waren mir direkt unterstellt. Rauter insofern, als er die niederländische Polizei als Generalkommissar für das Sicherheitswesen führte, nicht soweit er der Chef der Deutschen Polizei war.
M. DEBENEST: Sie hatten den Entschluß gefaßt, die Niederlande selbst zu führen und zu verwalten. Zu diesem Zweck haben Sie die beiden bestehenden Kammern aufgelöst und mit der gleichen Verordnung die Machtbefugnisse des Staatsrates auf das juristische Gebiet beschränkt.
SEYSS-INQUART: Ich habe die Verordnung nicht gegenwärtig, aber es dürfte so gewesen sein.
M. DEBENEST: Sie haben weiterhin die Kontrolle über die Finanzen sowie über das Schatzamt der Niederlande übernommen. Zu diesem Zwecke haben Sie am 24. August 1940 eine Verordnung erlassen, auf Grund welcher Sie den Präsidenten der Bank von Holland ernennen konnten?
SEYSS-INQUART: Ich weiß das Datum nicht genau; aber ich habe eine solche Verordnung erlassen.
M. DEBENEST: Bei Ihrer Ankunft in den Niederlanden war Herr Trip Präsident der Bank von Holland und Generalsekretär des Schatzamtes?
SEYSS-INQUART: Ja.
M. DEBENEST: Und aus welchem Grunde haben Sie ihn abgesetzt?
SEYSS-INQUART: Weil Herr Trip bei der Durchführung der Aufhebung der noch vorhandenen Devisen- und Clearingbeschränkungen nicht mittun wollte. Ich habe es ihm ja freigestellt, zurückzutreten, wenn er Maßnahmen von mir nicht mitmachen wollte.
M. DEBENEST: Und durch wen haben Sie ihn ersetzt?
SEYSS-INQUART: Durch Herrn Rost van Tonningen.
M. DEBENEST: Kannten Sie Herrn Rost van Tonningen schon lange?
SEYSS-INQUART: Ich glaube nicht, nur dem Namen nach. Er hatte offenbar die Fähigkeiten, für den Völkerbund in Wien ungefähr dasselbe Amt für Österreich auszuüben.
M. DEBENEST: Seit wann kannten Sie ihn dem Namen nach?
SEYSS-INQUART: Wahrscheinlich ungefähr von dem Zeitpunkt, in dem er sein Amt in Wien angetreten hat. Ich weiß nicht, wann das war.
M. DEBENEST: Sie standen nicht mit ihm in Verbindung, während er in Wien war?
SEYSS-INQUART: Ich glaube, ich habe ihn nicht einmal gesehen.
M. DEBENEST: War denn Herr Rost van Tonningen nicht Mitglied der holländischen Nationalsozialistischen Partei?
SEYSS-INQUART: Ja.
M. DEBENEST: War das der Grund, warum Sie ihn für diesen Posten ernannten?
SEYSS-INQUART: Das war mit ein Grund. Nicht so sehr, daß er ein Mitglied war, sondern daß er auf unseren Linien gestanden ist.
M. DEBENEST: Wollen Sie sich bitte wieder Dokument 997-PS zuwenden, das ich Ihnen soeben habe überreichen lassen, und zwar Seite 5 des deutschen und Seite 5 des französischen Textes. Sie haben über Herrn Rost van Tonningen folgendes gesagt:
»Rost van Tonningen: Ideologisch voll entsprechend, auf die germanische Idee und den Nationalsozialismus ausgerichtet, ein temperament- und wirkungsvoller Sprecher mit sehr viel Betätigungsdrang, findet seine Stärke nicht in sich, sondern trachtet Unterstützung und Halt von dritten Personen zu bekommen.«
Soweit ich hieraus entnehmen kann, ist in dem, was Sie hier über Rost van Tonningen schreiben, durchaus nicht die Rede davon, daß er in Finanzangelegenheiten besonders kompetent war.
SEYSS-INQUART: Ich habe auch bei den übrigen Herren nirgends die fachliche Qualität, sondern nur die politische Einstellung dargestellt. Ich habe nicht gesagt, daß Herr Mussert ein wirklich anerkannter Ingenieur in den Niederlanden war, und so weiter; – ich habe da nur die politische Einstellung beschrieben.
M. DEBENEST: Danke. Sie haben also in den Niederlanden eine Zivilregierung eingesetzt, eine deutsche Zivilregierung?
SEYSS-INQUART: Man konnte nicht meine vier Generalkommissare betrachten als jene Funktionsstelle, die normalerweise die Minister hatten. Aber gewisse Funktionen waren abgegeben an die Generalsekretäre. Die Generalsekretäre stellten aber nicht eine Regierung oder ein Ministerium dar. Ich habe das gestern ja selbst erwähnt, daß ich die Regierung übernommen hatte.
M. DEBENEST: Aber die Generalsekretäre haben die Niederländische Regierung vertreten, nicht wahr?
SEYSS-INQUART: Nein, die Generalsekretäre waren die obersten Chefs, Beamte einzelner Ministerien. Sie waren nicht das, was wir die Hoheitsträger im Staat nennen. Die Herren waren in England.
M. DEBENEST: Aber Sie haben doch gewußt, daß die Regierung sie in den Niederlanden belassen hatte, damit sie an ihrer Statt die Machtbefugnisse ausübten?
SEYSS-INQUART: Welche Absicht die nach England gegangene Regierung mit der Einsetzung hatte, weiß ich nicht. Ich habe angenommen, daß sie dort geblieben sind, um die Verwaltung technisch zu führen. Es liegt im Bereich einer Besatzungsmacht, bei einer vollständigen Besetzung des Landes festzustellen, wie sie die Regierung führt.
M. DEBENEST: Sind Sie der Ansicht, daß die Einsetzung einer deutschen Zivilregierung in einem besetzten Land in Einklang mit den internationalen Konventionen steht?
DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich widerspreche dieser Frage, weil sie nach meiner Ansicht eine Frage ist, die das Gericht zu lösen hat.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Frage gestellt werden kann. Der Angeklagte hat uns bereits im Hauptverhör seine Ansichten über das Völkerrecht dargelegt. Wir lassen die Frage au.
M. DEBENEST: Dann antworten Sie, bitte.
SEYSS-INQUART: Darf ich noch einmal um die Frage bitten?
M. DEBENEST: Glauben Sie, daß die Einsetzung einer deutschen Zivilregierung in einem besetzten Land mit den internationalen Konventionen in Einklang steht?
SEYSS-INQUART: In dem Sinne, wie das in Holland der Fall war, bestimmt.
M. DEBENEST: Und warum?
SEYSS-INQUART: Weil durch die Tatsache der vollständigen Besetzung Deutschland die Verantwortung für die Verwaltung dieses Landes übernommen hat und daher eine verantwortliche Führung in diesem Lande einzusetzen hatte.
M. DEBENEST: Sie haben aber selbst die Generalsekretariate geschaffen, insbesondere ein Sekretariat für das Nachrichtenwesen und die Schönen Künste?
SEYSS-INQUART: Wir nennen es das Propagandaministerium.
M. DEBENEST: Jawohl.
SEYSS-INQUART: Jawohl, das habe ich getan.
M. DEBENEST: Und wen haben Sie an die Spitze dieses Sekretariats gestellt?
SEYSS-INQUART: Ich glaube, der erste war der Professor Kudewagen, das war auch ein Mitglied der niederländischen Nationalsozialistischen Partei.
M. DEBENEST: Das ist richtig. Setzte sich denn der Stab des Generalsekretariats nicht in der Hauptsache aus Mitgliedern der NSB zusammen?
SEYSS-INQUART: Ich bin überzeugt davon. Ich habe sie einzeln nicht gekannt.
M. DEBENEST: Wissen Sie ferner, daß in einem der Ämter als Berater sogar ein SS-Mann saß?
SEYSS-INQUART: Der niederländischen SS?
M. DEBENEST: Nein, der deutschen SS.
SEYSS-INQUART: Das war dann ein Berater?
M. DEBENEST: Ja. Er war Berater für nationale Erziehung und nationale Entwicklung.
SEYSS-INQUART: Ich habe das nicht ganz verstanden. Es war ein Berater für?
M. DEBENEST: Für die nationale Erziehung.
SEYSS-INQUART: Ja, ich habe ihn nicht gekannt, ich halte das für möglich. Ich glaube aber nicht, daß er als SS-Mann im besonderen dort war, sondern aus irgendwelchen Gründen.
M. DEBENEST: Sie haben die Auflösung der Stadt- und Provinzräte angeordnet. Zu welchem Zweck?
SEYSS-INQUART: Ich kann nicht sagen, die Auflösung der Verwaltung. Ich habe nur die gewählten Gemeinde- und Provinzvertretungen entweder aufgelöst oder ausgeschaltet. Die Verwaltung an sich habe ich nicht nur behalten, sondern in ihrer Funktion noch verstärkt.
M. DEBENEST: Sie haben sogar alle Bürgermeister der bedeutendsten Gemeinden abgesetzt?
SEYSS-INQUART: Ganz bestimmt, und ich bin überzeugt, mit vollem Recht der Besatzungsmacht. Der Bürgermeister von Amsterdam hat den Generalstreik nicht verhindert, sondern eher gefördert.
M. DEBENEST: Haben Sie aus dem gleichen Grunde alle Bürgermeister oder zumindest eine gewisse Anzahl von Bürgermeistern abgesetzt?
SEYSS-INQUART: Ich habe die Bürgermeister ausschließlich dann entfernt, wenn sie durch ein aktives gegnerisches Verhalten für mich untragbar waren. Ihre sonstige politische Einstellung war mir vollkommen gleichgültig. Ich habe den Bruder des Herrn Boraine bis zum Jahre 1945 als Bürgermeister in einer holländischen Stadt gehalten, ein erbitterter Gegner des Nationalsozialismus und von uns Deutschen.
M. DEBENEST: Gut. Durch wen haben Sie alle diese abgesetzten Bürgermeister ersetzt?
SEYSS-INQUART: Ich glaube, mindestens bis ins Jahr 1943 erfolgten die Besetzungen im Einvernehmen mit dem Generalsekretär des Innern, Herrn Fredericks, der mir von der Niederländischen Regierung als Verwalter der inneren Behörde zurückgelassen war. Es waren Nationalsozialisten, es waren Nichtnationalsozialisten. Es war zum Beispiel der Sohn des Provinzkommissars von Holland ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus und auch Deutschlands, der zum Bürgermeister einer der größten holländischen Städte, nämlich Zwolle, von mir ernannt wurde.
M. DEBENEST: Sie beantworten meine Frage nicht genau. Ich frage, durch wen Sie die abgesetzten Bürgermeister ersetzt haben. Waren es Mitglieder der NSB?
SEYSS-INQUART: Es waren zum Teil Mitglieder der NSB. Es waren zum Teil unpolitische Menschen, es waren zum Teil Mitglieder der politischen Anschauungen, die absolut gegen Deutschland und gegen den Nationalsozialismus waren. Mit der Zeit wurden es mehr NSBer, weil sich die Nicht-NSBer nicht mehr zur Verfügung gestellt haben. Das war der größte Erfolg der holländischen Widerstandsbewegung, daß sie uns einen so absoluten politischen Widerstand geleistet hat. Das ist die Bedeutung, die Holland geleistet hat in diesem Kriege.
M. DEBENEST: Sie behaupten also, daß die holländische Widerstandsbewegung Sie veranlaßt hat, eine große Zahl von NSB-Leuten in öffentlichen Ämtern unterzubringen?
SEYSS-INQUART: Nein, der Gedanke wäre mir zu kühn. Die holländische Widerstandsbewegung hat die Holländer nur veranlaßt, die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht zu unterlassen, so daß sich außer NSBern niemand mehr gefunden hat, der mit uns zusammenarbeiten wollte.
VORSITZENDER: Wäre das nicht ein passender Augenblick für die Pause?