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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Angeklagte Seyß-Inquart im Zeugenstand.]

M. DEBENEST: Angeklagter! Sie haben in den größeren Städten und in den Provinzen der Niederlande Agenten eingesetzt, die Ihnen direkt unterstellt waren und denen Sie Vollmacht gegeben haben. Waren diese Agenten nicht Mitglieder der NSDAP?

SEYSS-INQUART: Darf ich bitten, mir zu sagen, was Sie unter »Agenten« verstehen? Ich hatte in den Provinzen und in den größten Städten auch deutsche Vertreter. Meinen Sie die deutschen oder niederländischen?

M. DEBENEST: Nein, ich spreche von den Beauftragten.

SEYSS-INQUART: Das waren Deutsche, und ich nehme an, daß alle Mitglieder der NSDAP waren. Ich weiß es nicht bestimmt, aber es ist durchaus möglich; ich glaube sogar, es war der Fall.

M. DEBENEST: Gut. Um Ihr Gedächtnis etwas aufzufrischen, nehmen Sie bitte das Dokument 997-PS, das ich Ihnen heute morgen übergeben ließ. Es ist Seite 9 im deutschen und französischen Text.

[Zum Gerichtshof gewandt:]

Ich möchte dem Gerichtshof sagen, daß ich heute morgen eine unrichtige Angabe gemacht habe. Dieses Dokument wurde mit Nummer US-708 bezeichnet; es handelt sich in Wirklichkeit um RF-122.

[Zum Zeugen gewandt:]

Oben auf Seite 9 schreiben Sie:

»Für die Provinzen, die eine weitgehende Selbstverwaltung haben, wurden Beauftragte vorgesehen. Mit der Einrichtung dieser Stelle wurde gezögert, da erst die Verhältnisse geprüft werden mußten.

Nunmehr hat sich ergeben, daß es sich bei diesen Beauftragten nicht so sehr um Verwaltungsbeamte als um politisch erfahrene Männer handeln müsse. Es wurden daher über Reichsamtsleiter Schmidt beim Reichsleiter Bormann (Stab Heß) Männer angefordert, die, fast durchwegs aus der Partei kommend, nunmehr in Anreise sind und in wenigen Tagen in den Provinzen eingesetzt werden können.«

Das ist richtig, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Jawohl, und ich finde meine Festlegung bestätigt, daß sie nicht alle aus der Partei waren.

M. DEBENEST: Gut, aber ich stelle zu gleicher Zeit fest, daß sie besonders ausgewählt waren.

SEYSS-INQUART: Ja, es waren politisch erfahrene Männer, das heißt, ich wollte keine verwaltungsmäßigen Bürokraten haben, sondern Männer, die sich im öffentlichen politischen, nicht parteipolitischen Leben auskennen und bewegen können.

M. DEBENEST: Auf welcher Grundlage haben Sie Gemeinderäte und Provinzräte eingerichtet?

VORSITZENDER: Herr Debenest! Es scheint dem Gericht – ich weiß nicht, ob wir recht haben –, daß es besser wäre, wenn Sie anstatt nach jedem Wort, nach jedem Satz eine Pause eintreten lassen würden.

M. DEBENEST: Jawohl.

SEYSS-INQUART: Darf ich bitten, mir zu sagen, was Sie unter »Gemeinde- und Provinzräte« verstehen? Nach unseren Begriffen verstehe ich unter »Räten« eine Körperschaft; aber ich habe keine Körperschaften eingesetzt, sondern einzelne Männer zur Führung der Verwaltung.

M. DEBENEST: In den Gemeinden der Niederlande bestanden Gemeindevertretungen, Sie können sie, wenn Sie wollen, »Gemeinderäte« nennen und in den Provinzen Provinzvertretungen, die Sie auch wieder Provinzräte nennen können.

SEYSS-INQUART: Ja, danke schön, ich verstehe. Die Provinz- und Gemeindevertretungen, die von früher vorhanden waren, habe ich im Jahre 1941 aufgelöst. In der von mir erlassenen Gemeinde-Ordnung habe ich solche Räte vorgesehen. Ich habe aber niemals einen solchen Rat wirklich eingesetzt, weil die niederländische Bevölkerung nicht mitgearbeitet hat und infolgedessen diese Gemeinderäte nur aufoktroyiert gewesen wären. Diese Bestimmung meiner Gemeindeordnung ist nicht in Kraft getreten.

M. DEBENEST: Aber auf welcher Grundlage sah diese Verordnung diese Reorganisation vor?

SEYSS-INQUART: Darf ich um Wiederholung der Frage bitten?

M. DEBENEST: Auf welcher Grundlage sah diese Verordnung die Reorganisation vor?

SEYSS-INQUART: Ich kann mich an eine bestimmte Grundlage nicht erinnern; ich nehme an, daß sie im Gesetz festgehalten ist, wenn sie überhaupt vorgesehen ist.

M. DEBENEST: Gut. Ich werde Ihnen die Frage anders stellen; vielleicht können Sie dann antworten. Haben Sie durch Ihre Anordnungen das Führerprinzip eingeführt?

SEYSS-INQUART: Jawohl. Ich habe es die »Einmann-Verantwortung« genannt, und ich bin der Meinung, daß in Krisenzeiten immer eine »Einmann-Verantwortung« das richtige ist.

M. DEBENEST: Also handelt es sich um das in Deutschland angewandte System?

SEYSS-INQUART: Das ist richtig. Es wird vielleicht nicht genau so gewesen sein, aber ich habe das unter den gegebenen Umständen für richtig angesehen.

Ich wiederhole meine gestrige Feststellung: Hier haben wir einen Irrtum begangen; wir haben den Irrtum der Besatzungsmacht begangen, ihre Ordnung für besser zu halten als die, die man im besetzten Gebiet vorgefunden hat.

M. DEBENEST: Also die Einführung dieses Prinzips hatte eine ganz besondere Bedeutung, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ich habe nur bestimmt etwas gedacht; vor allem mußte ich in diesen territorialen Bezirken einen Mann haben, der mir für die Verwaltung verantwortlich ist und nicht eine anonyme Mehrheit eines Vertretungskörpers.

M. DEBENEST: Ich übergebe Ihnen das Dokument F-861, das ich als RF-1524 vorlege. Aus dem letzten Absatz geht die Bedeutung hervor, die man dem Prinzip im Reiche beilegte. Es ist ein Schreiben des Reichsinnenministers vom 6. September 1941. Dort heißt es folgendermaßen:

»Eine besondere Bedeutung kommt der Durchführungsverordnung zu, weil sie die näheren Bestimmungen über die Einführung des Führerprinzips in der niederländischen Gemeindeverwaltung enthält.«

SEYSS-INQUART: Ja, der Innenminister hat sich dafür interessiert. Ich möchte nur der Ordnung halber bemerken, daß der Reichsinnenminister gar keinen Einfluß genommen hat und zweitens, daß diese größeren Vollmachten im Jahre 1941 damals zumindest 80 Prozent Bürgermeistern zugekommen sind, die aus den demokratischen Parteien stammten und daher meine Gegner waren, meine politischen.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Haben Sie nicht schon durch die Fragen, die Sie diesem Angeklagten vorgelegt haben, festgestellt, daß er die Regierungsform in den Niederlanden beträchtlich abgeändert und dort eine andere Regierungsform eingeführt hat? Genügt das nicht für die Argumente, die Sie hier vorbringen wollen? Einzelheiten scheinen ziemlich überflüssig zu sein, glauben Sie nicht?

M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich wollte nur einfach zeigen, daß der Angeklagte im Gegensatz zu seinen Aussagen versucht hat, dem niederländischen Volk das nationalsozialistische System aufzuzwingen.

VORSITZENDER: Ja, aber das hat er meiner Ansicht nach in erheblichem Maße zugegeben. Er hat eben erklärt, daß er die sogenannte »Einmann-Verantwortung« eingeführt, was nur ein anderer Ausdruck für das Führerprinzip ist, und daß er verschiedene Organisationen der niederländischen Verwaltung aufgelöst habe. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß es, nachdem Sie diese allgemeinen Zugeständnisse erhalten haben, nicht nötig ist, auf nähere Einzelheiten darüber einzugehen, in welchem Umfang die niederländische Verwaltung betroffen wurde oder auf welche Art sie ersetzt wurde. Ist das nicht alles bereits in dem Dokument enthalten, das der Angeklagte selbst aufgesetzt hat, nämlich in dem Dokument 997-PS, das Sie vorlegten?

M. DEBENEST: Mehr oder weniger, Herr Vorsitzender, aber nicht vollständig.

VORSITZENDER: Die einzige Frage ist, ob die Einzelheiten für den Gerichtshof wirklich sehr wichtig sind.

M. DEBENEST: Ich glaubte, daß diesen Einzelheiten eine gewisse Bedeutung zukomme, weil die leitenden Persönlichkeiten des Reiches selbst großen Wert darauf gelegt haben und daß alles in Wirklichkeit Teil eines festgesetzten Planes war.

VORSITZENDER: Das Gericht ist geneigt anzunehmen, daß Sie alles, was für das von Ihnen angedeutete Argument notwendig ist, bereits erhalten haben. Wenn Sie aber glauben, daß irgendwelche Einzelheiten für den Gerichtshof von Belang sind, dann können Sie solche natürlich noch vorbringen.

M. DEBENEST: Ja, Herr Vorsitzender.