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[Zum Zeugen gewandt:]

Zu welchem Zwecke haben Sie die Polizei in einem Polizeidirektorium zusammengefaßt?

SEYSS-INQUART: Ich wiederhole meine gestrigen Auslegungen. Die niederländische Polizei unterstand drei bis vier verschiedenen Instanzen, dem Innenministerium, dem Justizministerium, ich glaube dem Heeresministerium und so weiter. Ich habe es im Interesse einer übersichtlichen Polizeiverwaltung für notwendig gehalten, diese verschiedenen Polizeikörper in einen einzigen zusammenzulegen und dem Justizministerium zu unterstellen.

M. DEBENEST: Haben Sie nicht als Präsidenten dieser Polizei einen Nationalsozialisten berufen?

SEYSS-INQUART: Ja.

M. DEBENEST: Um es kurz zu machen, hatten Sie nicht letztlich im Sinn, die Niederlande in die Hände der NSDAP zu legen und auf diese Weise die innere Organisation Hollands an diejenige des Reiches anzupassen, mit anderen Worten, etwas Ähnliches zu tun wie das, was Sie in Österreich getan haben?

SEYSS-INQUART: Ich glaube nicht, daß man das sagen kann. Vor allem war die Politik der NSB nicht die der NSDAP. Die NSB hat sich in manchem unterschieden. Zweitens, wenn ich das hätte machen wollen, hätte ich ja Herrn Mussert zum Ministerpräsidenten machen können, das wäre einfacher gewesen. Die einfache Erklärung ist, daß ich vielleicht etwas schematisch das mir zur Verfügung stehende Beispiel des Reiches verwendet hatte, um in den Niederlanden eine Verwaltung, zum Teil wenigstens, einzuführen, die mir die obliegende Aufgabe der Sicherheit und Sicherung der Ordnung ermöglicht hat. Ich habe gestern nur behauptet, daß ich keinen Niederländer gezwungen habe, Nationalsozialist zu werden. Ich habe nicht bestritten, daß eine gewisse Gleichschaltung vorgenommen wurde, aus den von mir wiederholt erklärten Irrtümern.

M. DEBENEST: Aber Sie haben doch NSB-Mitglieder in sämtlichen Verwaltungsbehörden eingesetzt, an den höheren Stellen?

SEYSS-INQUART: Nicht ausschließlich, aber ich habe es getan, denn ich konnte mich letzten Endes nur auf diese verlassen; alle anderen haben meine Anordnungen sabotiert.

M. DEBENEST: Gestern sprachen Sie vor dem Gerichtshof von der Absetzung der Magistratsbeamten des Gerichtshofs in Leeuwarden.

Wollen Sie uns bitte die genauen Gründe dieser Absetzung angeben?

SEYSS-INQUART: Es waren nicht Magistrats- sondern Gerichtsvorsteher.

Das Landesgericht von Leeuwarden hatte in einem öffentlichen Urteil erklärt, diejenigen Niederländer, die durch die niederländischen Gerichte verurteilt werden und in niederländische Gefängnisse kommen, würden in deutsche Konzentrationslager überführt werden, dort mißhandelt und hingerichtet werden. Infolgedessen sehe sich das Gericht nicht mehr in der Lage, einen Niederländer zu verurteilen. Diese Feststellung des Gerichts war meines Erachtens falsch. Meines Erachtens sind Niederländer aus niederländischen Gefängnissen nicht in deutsche Konzentrationslager gekommen, um dort hingerichtet zu werden. Inzwischen habe ich den Sachverhalt auf Vorstellung der Amsterdamer Richter klargestellt und durch den Generalsekretär für Justiz das Gericht in Leeuwarden wieder auffordern lassen, wieder mit seiner Urteilsfällung fortzusetzen. Das hat das Gericht in Leeuwarden nicht getan, darauf habe ich den Gerichtshof entlassen.

M. DEBENEST: Nun, ich habe hier das Dokument zur Hand, das »Urteil des Appellationsgerichts in Leeuwarden«, und darin ist keineswegs davon die Rede, daß holländische Häftlinge in Konzentrationslager geschickt werden, um gemartert oder erschlagen zu werden. Es steht lediglich darin, daß die Richter dieses Gerichts es nicht wollen, daß die Häftlinge nach Abbüßung ihrer Strafe in Konzentrationslager verbracht werden. Ich lasse Ihnen das Original dieses Dokuments vorlegen. Sie können es nachprüfen.

Dieses Dokument wurde dem Gerichtshof als RF-931 vorgelegt.

SEYSS-INQUART: Ich habe keine deutsche Übersetzung bekommen beziehungsweise nicht das deutsche Original.

M. DEBENEST: Ich werde Ihnen die Übersetzung des Urteils verlesen, Sie können es vergleichen.

»In Anbetracht dessen, daß der Gerichtshof der Tatsache Rechnung tragen will, daß seit einiger Zeit verschiedene Gefängnisstrafen, welche von den holländischen Richtern Leuten auferlegt wurden, mit der Ab sicht des Gesetzgebers nicht in Einklang stehen und daß diese richterlichen Strafen in einer derartig erschwerenden Weise vollzogen wurden, daß es beim Verhängen der Strafe dem Richter selbst unmöglich war, diese Tatsache vorauszusehen oder sich sogar nur annähernd ein Bild davon zu machen,...«

VORSITZENDER: Warum geben Sie dem Zeugen nicht eine Zusammenfassung des Dokuments? Sie können doch das Ergebnis des Urteils wiedergeben.

M. DEBENEST: Ja, gewiß, Herr Vorsitzender, gerne. Dieses Urteil zeigt deutlich, daß die Richter nur noch eine Strafe verhängen wollten, die keine Schutzhaft nach sich ziehen würde.

VORSITZENDER: Haben Sie jetzt die Frage gehört?

SEYSS-INQUART: Ja, Herr Präsident, aber warum wollen sie nicht urteilen? Ich habe die deutsche Übersetzung hier in meinen Händen gehabt, und meine Begründung hatte ich aus dieser Übersetzung genommen, denn ich hatte dieses Urteil nicht mehr in meiner Erinnerung. Ich habe es hier gelesen, und ich erinnere mich, daß dort ausgeführt ist, daß diese niederländischen Gefangenen in deutsche Konzentrationslager kommen, gequält und hingerichtet werden.

VORSITZENDER: Dieser Urteilsspruch scheint sich nicht damit zu befassen; in diesem Urteilsspruch steht nichts davon, nicht wahr?

M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Gerade der Angeklagte behauptet, daß die Richter keine solchen Urteile mehr aussprechen wollten, damit die Leute nicht in Konzentrationslager kommen, wo sie gemartert oder hingerichtet worden wären. Davon steht überhaupt nichts in diesem Urteil. Es steht lediglich darin, daß das Gericht keine Strafen aussprechen will, die zur Folge hätten, daß die Verurteilten in Konzentrationslager gebracht würden, und ich kann in diesem Urteil keine persönliche Beleidigung gegen den Angeklagten entdecken.

SEYSS-INQUART: Ich habe nunmehr den deutschen Text. Da heißt es:

»Der Gerichtshof wünscht der Tatsache Rechnung zu tragen, daß seit einiger Zeit verschiedene Gefängnisstrafen von Richtern auferlegt wurden, und daß niederländische Verbrecher männlichen Geschlechts entgegen den gesetzlichen Vorschriften und entgegen der Absicht des Gesetzgebers und des Richters hingerichtet worden sind, und in den Lagern auf eine Art und Weise hingerichtet werden, die die Strafe...«

und so weiter.

Das sind die Konzentrationslager, die das Gericht gemeint hat. Das ist der Umstand, daß Häftlinge aus niederländischen Gefängnissen in deutsche Lager gebracht wurden.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Herr Debenest.

M. DEBENEST: Haben Sie nicht auch im Unterrichtswesen tiefgehende Änderungen vorgenommen?

SEYSS-INQUART: Ich habe eine Überwachung des Lehrplanes der Schulen eingeführt und einen Einfluß auf die Ernennung der Lehrer ausgeübt, besonders bei den sehr zahlreichen privaten Schulanstalten, die in den Niederlanden waren; zwei Drittel der niederländischen Schulanstalten waren privat. Ich sah mich dazu veranlaßt, weil in diesen Schulen eine ausgesprochen antideutsche Tendenz den Schülern beigebracht wurde. Die Aufsicht hatte das niederländische Unterrichtsministerium gehabt.

M. DEBENEST: Sie haben auf diese Weise verhindert, daß sich zahlreiche Geistliche innerhalb des öffentlichen Erziehungswesens betätigen konnten.

SEYSS-INQUART: Das glaube ich nicht; ich habe angeordnet beziehungsweise war damit einverstanden, daß angeordnet wurde, daß Geistliche nicht Schulleiter sind. Was die geistlichen Lehrer betrifft, war ich einverstanden, daß ihre Bezüge um ein Drittel gekürzt werden; sie haben daher mit zwei Drittel der Bezüge weiter unterrichten können, und von dem ersparten Geld habe ich 4000 stellenlose Junglehrer neu angestellt.

M. DEBENEST: Was die Lehrer anbetrifft, haben Sie nicht eine besondere Lehrerbildungsanstalt geschaffen?

SEYSS-INQUART: Nein, ich glaube, Sie meinen Kurse, die im diejenigen, die sich freiwillig gemeldet haben, in Avigor durchgeführt wurden.

M. DEBENEST: Nein, ich denke dabei an die Lehrer, die gezwungen waren, einen mehrmonatigen Lehrgang in Deutschland mitzumachen, bevor sie zum Lehrer ernannt wurden.

SEYSS-INQUART: Der Fall ist mir nicht erinnerlich. Das kann sich vielleicht um Lehrer handeln, die den deutschen Unterricht in den niederländischen Schulen geben sollten. Da ist es möglich, daß ich verlangt habe, daß sie zuerst eine gewisse Zeit in Deutschland sind, um angestellt zu werden.

M. DEBENEST: Haben Sie übrigens das Studium der deutschen Sprache in gewissen Klassen zur Pflicht gemacht?

SEYSS-INQUART: In der siebenten und der von mir neu eingeführten achten Klasse. Ich habe aber gleichzeitig den Unterricht in der niederländischen Sprache ebenso verstärken lassen, um eben damit zu dokumentieren, daß ich die Niederländer nicht verdeutschen will, sondern ihnen nur die Möglichkeit des deutschen Sprachunterrichts geben will.

M. DEBENEST: Aber diese Möglichkeit hatten sie doch schon; sie hatten doch gleichzeitig deutschen, englischen und französischen Unterricht. Die deutsche Sprache haben Sie auf Kosten der beiden anderen Fremdsprachen aufgezwungen.

SEYSS-INQUART: Ich habe gesprochen von den Elementarschulen, in denen der deutsche Unterricht noch nicht eingeführt war. Es ist denkbar, daß in den Mittelschulen der deutsche Unterricht verstärkt wurde auf Kosten des englischen und französischen Sprachunterrichts.

M. DEBENEST: Haben Sie nicht die Schließung mehrerer Universitäten angeordnet? Weshalb?

SEYSS-INQUART: Ich erinnere mich nur an die Schließung der Universität Leyden. Als auf Grund meiner Verfügung jüdische Professoren dieses Lehrkörpers entlassen wurden, haben die Hochschüler der Universität Leyden längere Zeit gestreikt, und ich habe daraufhin den Unterricht geschlossen. Ich kann mich nicht erinnern, eine andere Universität geschlossen zu haben. Die katholische Universität in Nijmegen und die kalvinistische Universität in Amsterdam haben meiner Erinnerung nach den Betrieb selbst eingestellt.

M. DEBENEST: Und wie ist es mit der Polytechnischen Hochschule in Delft? Haben Sie nicht auch deren Schließung angeordnet?

SEYSS-INQUART: Jawohl, das war vorübergehend. Sie wurde wieder eröffnet, soweit ich mich erinnere.

M. DEBENEST: Nun, und wie ist es mit der katholischen Handelshochschule in Tilburg?

SEYSS-INQUART: Die habe ich nicht in Erinnerung.

M. DEBENEST: Das war im Jahre 1943.

SEYSS-INQUART: Ich erinnere mich nicht, aber es ist durchaus denkbar, daß sie aus irgendeinem Grunde gesperrt wurde, der sicherlich darin gelegen ist, daß ihr Betrieb mir eine Gefährdung der Interessen der Besatzungsmacht erschien.

VORSITZENDER: Es ist doch nicht notwendig, diese Einzelheiten zu bringen, nicht wahr? Wenn der Angeklagte sagt, daß er eine Schule geschlossen hat, ohne genügende Gründe dafür anzugeben, so genügt das doch für Ihre Beweisführung, nicht wahr?

M. DEBENEST: Gewiß, Herr Vorsitzender.