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[Das Gericht vertagt sich bis

12. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertdreiundfünfzigster Tag.

Mittwoch, 12. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte Seyß-Inquart im Zeugenstand.]

OBERST CHARLES W. MAYS, GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es wird berichtet, daß die Angeklagten Heß und Jodl abwesend sind.

M. DEBENEST: Angeklagter! Sie stimmen mir zu, daß außerordentlich große Vorräte nach Deutschland verbracht worden sind?

SEYSS-INQUART: Jawohl, das ist richtig.

M. DEBENEST: Im Hinblick auf ein anderes System, das zur Ausplünderung von Holland angewandt wurde, möchte ich Ihnen ein Dokument vorhalten, das deutlich zeigt, daß Sie nicht der einzige waren, der die Plünderungen vorgenommen hat, sondern daß auch Göring und das OKW dabei beteiligt waren. Es ist das Dokument F-868, das RF-1530 wird. Es handelt sich hier um ein Fernschreiben des OKW, das an Sie gerichtet wurde und das Reinecke gezeichnet ist. Dieses Fernschreiben ist vom 5. Dezember 1940 und beginnt mit:

»Sitzung bei dem Herrn Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches am 7.10.1940. Regelung für den Versand und die Mitnahme von Waren aus Holland für Angehörige der Wehrmacht und der eingesetzten Verbände.

Im Einvernehmen mit dein. Herrn Reichsmarschall und dem Herrn Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete werden die bisher geltenden Bestimmungen für den Versand und die Mitnahme von Waren aus Holland aufgehoben. Die Angehörigen der Wehrmacht und der eingesetzten Verbände, Organisationen und Gliederungen«

es folgen die Bezeichnungen,

»und die in Holland eingesetzten Angehörigen und Dienststellen der Behörden und Dienststellen dürfen aus Holland im Rahmen der ihnen zustehenden Mittel Feldpostpäckchen im Gewicht bis zu 1000 Gramm ohne Beschränkung der Zahl in die Heimat versenden. Soweit die Päckchen das Gewicht von 250 Gramm...«

Ich will das Folgende nicht verlesen, da es sich da nur um eine Frage der postalischen Freimachung handelt.

»... Die Mitnahme von Waren anläßlich eines Urlaubs oder bei einem sonstigen Übertritt der Grenze in das Reich unterliegen keinerlei Beschränkungen...«

Diese Vorschrift ist doch wohl mit Ihrem Einverständnis erlassen worden?

SEYSS-INQUART: »Einverständnis« ist in diesem Fall vielleicht etwas zuviel gesagt. Es handelt sich hier nicht um eine Beschlagnahmeermächtigung, sondern nur um eine Transportanweisung. Diese Dinge mußten irgendwie gekauft sein, sie durften nicht beschlagnahmt werden.

Der Herr Reichsmarschall hat das angeordnet, und ich habe das in Kraft gesetzt. Das war der sogenannte Schlepp-Erlaß, daß jeder Soldat, der aus den Niederlanden zurückkehrte, so viel mitnehmen kann, als er mittragen kann an irgendwelchen Dingen, die er sich eingekauft hat. Aber im Zivilbereich ist die Anordnung dann von mir entsprechend dieser Anweisung gegeben worden. Ich glaube, nach zwei Jahren wurde sie aufgehoben, da man immer wieder vorstellig wurde, weil sie den Schwarzhandel in einer besonderen Weise begünstigt hat.

M. DEBENEST: Ich habe ja nicht gesagt, daß es sich um Requirierungen handelte. Ich sagte Ihnen gestern, daß Massenrequirierungen stattfanden, und Sie antworteten, daß es stimme. Heute sage ich Ihnen, und zu diesem Zweck habe ich Ihnen das Dokument vorgelegt, daß in Holland auch noch andere Arten von Plünderungen vorgenommen wurden.

SEYSS-INQUART: Sie haben aber früher von Beschlagnahmen gesprochen; nur das wollte ich richtigstellen.

M. DEBENEST: Ich habe gestern kurz davon gesprochen, ja. Gehen wir weiter. Wollen Sie mir sagen, was für Aufgaben der Beauftragte für den Vierjahresplan hatte?

SEYSS-INQUART: Ich habe die Verordnung im Wortlaut nicht in Erinnerung. Ich glaube, sie ist hier schon verlesen worden; jedenfalls die Organisierung der gesamten ökonomischen Mittel des deutschen Interessenbereiches zugunsten der von Deutschland geführten Politik, im Kriege natürlich zugunsten der Kriegswirtschaft.

M. DEBENEST: Wer hat die Liquidierung des Besitzes der Freimaurer angeordnet?

SEYSS-INQUART: Ich muß gestehen, daß ich das eigentlich nicht weiß. Ich bin auf den Fall aufmerksam gemacht worden, da war er schon beschlagnahmt. Ich vermute, daß es von Himmler und über Heydrich gekommen ist.

M. DEBENEST: Aber ich, ich werde Ihr Gedächtnis auffrischen. Ich lasse Ihnen das Dokument F-865, das RF-1531 wird, vorlegen. Es handelt sich um einen Brief, der von Ihnen unterzeichnet ist, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Jawohl.

M. DEBENEST: Der Brief ist vom 11. März 1944 und von Ihnen unterzeichnet, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Vollkommen richtig.

M. DEBENEST: Gut. In diesem Brief drücken Sie sich folgendermaßen aus:

»Sehr geehrter Herr Dr. Lammers!

Ich habe das Freimaurer-Vermögen in den Niederlanden liquidieren lassen. Da die Liquidation durch mich, also durch eine staatliche Dienststelle, erfolgte, ist im Gegensatz zu den Liquidationen in den übrigen Räumen die Zuständigkeit des Herrn Reichsfinanzministers für die weiteren Verwendungsentschließungen gegeben. Ich habe heute an den Herrn Reichsfinanzminister einen Brief geschrieben und erlaube mir, Ihnen in der Anlage eine Durchschrift vorzulegen. Ich bitte Sie, meinen Antrag zu unterstützen.«

Sie haben also von dieser Liquidierung nicht erst gehört, nachdem sie vollzogen war, da Sie sie ja selbst durchgeführt haben.

SEYSS-INQUART: Ich bleibe durchaus bei meiner ersten Feststellung. Die Frage ist dahin gegangen, wer sie angeordnet hat, und ich habe verstanden, wer vom Reich aus sie verlangt hat. Ich habe tatsächlich erst nach einigen Monaten diesen ganzen Komplex festgestellt, dann habe ich die Liquidation übernommen und durch meine diesbezüglichen Dienststellen zu Ende führen lassen und diesen Brief geschrieben. Also die Durchführung lag bei mir.

M. DEBENEST: Sie sagten doch vorhin – und ich habe die Übersetzung ganz genau verstanden –, daß Sie erst davon etwas gehört haben, als es bereits geschehen war. Ich habe bereits gestern mehrmals bemerkt, daß Sie sich widersprechen, wenn Ihnen die Dokumente vorgelegt werden.

SEYSS-INQUART: Ich habe nicht verstanden, ist das eine Frage an mich?

M. DEBENEST: Ich habe lediglich eine Feststellung getroffen. Ist diese Liquidierung des Freimaurerbesitzes eine größere Angelegenheit gewesen?

SEYSS-INQUART: Ganz bestimmt. Ich möchte nur sagen, sie wurde von einer anderen Stelle begonnen, das Vermögen beschlagnahmt, dann habe ich die Aktion übernommen und durch meine zuständigen Dienststellen durchführen lassen.

M. DEBENEST: Haben Sie im voraus Pläne für die Verwendung der Summen gemacht, die die Liquidation abgeworfen hat?

SEYSS-INQUART: Ich habe den Vorschlag gemacht, daß sie der Partei gegeben werden.

M. DEBENEST: Hatten Sie darüber vorher verhandelt?

SEYSS-INQUART: Ich habe auch einen Brief geschrieben, ich glaube, die hier erwähnte Anlage meines Briefes an den Finanzminister enthält den Vorschlag, dieses Vermögen der Partei zu geben.

M. DEBENEST: Haben Sie nicht angedroht, das holländische Volk wegen des Eisenbahnerstreiks im September 1944 hungern zu lassen?

SEYSS-INQUART: Man kann es auch als Drohung auffassen. Ich habe es aber jedenfalls als sehr wahrscheinlich bezeichnet.

M. DEBENEST: Sie verlangten von dem Generalsekretär die Beendigung dieses Streiks?

VORSITZENDER: Herr Debenest! Der Gerichtshof wünscht eine weitere Untersuchung der Frage, wer die Beschlagnahme des Vermögens der Freimaurer anordnete.

Angeklagter! Wissen Sie, wer die Beschlagnahme anordnete?

SEYSS-INQUART: Jawohl. Die Beschlagnahme wurde angeordnet von Heydrich und wurde von der Polizei in die Wege geleitet; dann hat ein Beauftragter der Partei mit der Liquidierung begonnen, und in diesem Stadium habe ich sie übernommen und meinen Dienststellen übergeben.

M. DEBENEST: Wann war das? Wann wurde die Beschlagnahme angeordnet?

SEYSS-INQUART: In den ersten Monaten, das ist sehr schnell gegangen, das hat sich nur um Wochen gehandelt.

VORSITZENDER: Ist dafür irgendein Grund angegeben worden?

SEYSS-INQUART: Die Freimaurer wurden als reichsfeindlich bezeichnet nach der Verordnung über die Einziehung des Vermögens von Reichsfeinden.

VORSITZENDER: War Heydrichs Befehl schriftlich?

SEYSS-INQUART: Das kann ich nicht sagen. Er ist an die Sicherheitspolizei gegangen, und der Befehlshaber der Sicherheitspolizei hat ihn durchgeführt.

Ich nehme an, es wird ein Fernschreiben gewesen sein, wenn nicht überhaupt diese ganze Aktion schon vorher geplant war.

VORSITZENDER: Gut. Wollen Sie damit sagen, daß Sie ihn durchgeführt haben, ohne irgendeinen schriftlichen Befehl erhalten zu haben?

SEYSS-INQUART: Ich habe die Meldung der Sicherheitspolizei bekommen. Es mag sein, daß sie schriftlich war, vielleicht war sie mündlich, daß vom RSHA die Beschlagnahme durchgeführt wurde, und auf das hin habe ich die Sache weiter durchgeführt.

VORSITZENDER: Um welchen Betrag handelte es sich bei diesen Beschlagnahmen?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, die Endsumme in der Liquidation hat über acht oder neun Millionen Gulden betragen.

VORSITZENDER: Sie sagten, glaube ich, daß Sie vorschlugen, das Geld der Partei auszuhändigen?

SEYSS-INQUART: Ich habe den Antrag gestellt, daß diese neun Millionen Gulden der Partei gegeben werden.

VORSITZENDER: Und ist das auch tatsächlich geschehen?

SEYSS-INQUART: Nein, ich habe keine Entscheidung bekommen. Das Vermögen muß in irgendwelchen Werten in den Niederlanden geblieben sein, wahrscheinlich in Schatzanweisungen.

VORSITZENDER: Sie waren doch der Reichskommissar für die Niederlande, nicht wahr? Was ist mit dem Geld geschehen?

SEYSS-INQUART: Das Geld wurde auf ein Bankkonto hinterlegt, vielleicht wurden niederländische Kassenscheine angekauft. Es wurde als ein eigener Fonds behandelt, und es wurde nicht verwendet.

VORSITZENDER: Das war doch alles im Jahre 1940, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Die Liquidation dürfte bis zum Jahre 1942 gegangen sein, und von da an ist das Geld auf einem Konto liegengeblieben.

VORSITZENDER: Bei welcher Bank war es?

SEYSS-INQUART: Herr Präsident! Das kann ich nicht sagen, aber es ist gar kein Zweifel, daß die Niederländer das festgestellt haben.

VORSITZENDER: Und als Sie sagten, daß die Beschlagnahme in den ersten Monaten geschah, meinten Sie doch das Jahr 1940, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ja, sofort nach dem Einmarsch.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Herr Debenest.

M. DEBENEST: Wurden die Summen aus dieser Liquidierung genau so verwendet wie die, die durch Liquidierung des jüdischen Besitzes entstanden waren?

SEYSS-INQUART: Im wesentlichen wurde der Erlös der Liquidierung des jüdischen Vermögens in der Vermögensverwaltungs- und Rentenanstalt zusammengefaßt. Es wurde dieser Erlös nicht eingezogen, aber es wurden gewisse Auslagen aus diesen Erlösen bestritten, zum Beispiel die Errichtung des Lagers Vught wurde aus diesen Vermögen bestritten. Nominell war der Erlös aus der Liquidation des jüdischen Vermögens 400 Millionen Gulden oder etwas mehr. Es ist aber nicht eingezogen worden.

M. DEBENEST: Wie wurden die Fonds im einzelnen verwendet? Wurden sie für die Zwecke der deutschen Verwaltung oder für andere Zwecke verwendet?

SEYSS-INQUART: Das jüdische Vermögen wurde zuerst beschlagnahmt; dann wurde es, soweit es möglich war, liquidiert. Wir nannten das »arisieren«. Die Erlöse der Arisierung wurden zusammengefaßt in der Vermögensverwaltungs- und Rentenanstalt, wurden aber im großen und ganzen nicht...

M. DEBENEST: Bitte antworten Sie etwas direkter auf meine Frage. Sie brauchen uns über den Werdegang der Liquidierung nicht zu berichten. Ich frage Sie über die Verwendung dieses Fonds.

SEYSS-INQUART: Der Erlös wurde gar nicht verwendet im großen, sondern in der Vermögensverwaltungs- und Rentenanstalt der Niederlande müssen 400 Millionen Gulden liegen, teils in niederländischen Schatzscheinen, teils in den Originalwerten, und die müssen drüben sein. Es wurden nur verhältnismäßig kleine Teile für bestimmte Zwecke verwendet. Ich glaube, am größten ist der Betrag von 14 Millionen Gulden für die Errichtung des Lagers Vught. Ich machte den Reichsfinanzminister darauf aufmerksam, daß...

M. DEBENEST: Entschuldigen Sie, ich habe an Sie die Frage gerichtet: Wurden die Beschlagnahmen für das Reich verwendet? Ja oder nein?

SEYSS-INQUART: Nein, wenn man nicht vielleicht die Errichtung des Lagers Vught als eine Verwendung für das Reich ansieht; aber die Verwendung geschah deshalb, weil damals das Lager Vught ein jüdisches Sammellager werden sollte.

M. DEBENEST: Sie meinen also, daß die Errichtung des Lagers Vught im Interesse der Holländer geschah?

SEYSS-INQUART: Das kann ich bestimmt sagen. Die Kosten des Lagers Vught, soweit sie mir bekanntgegeben wurden, wurden aus diesen Vermögen bestritten – ich glaube, es waren 14 Millionen Gulden – und zwar deshalb, weil das Lager ein jüdisches Sammellager sein sollte. Erst später hat Himmler ein KZ daraus gemacht.

M. DEBENEST: Das ist Ansichtssache, der Gerichtshof wird darüber entscheiden. Aber wofür wurden die Beträge verwendet, die aus dem liquidierten Eigentum der Freimaurer stammten? Wurden diese für das Reich verwendet oder auch für die Errichtung von Konzentrationslagern für Holländer?

SEYSS-INQUART: Weder das eine noch das andere.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Er hat doch schon gesagt, und ich glaube, deutlich genug erklärt, daß es auf einer unbekannten Bank deponiert war und daß da auch ungefähr 400 Millionen waren, die von den Juden stammten.

SEYSS-INQUART: Herr Präsident! Die Bank ist mir bekannt. Das Judenvermögen ist in der Vermögensverwaltungs- und Rentenanstalt hinterlegt.

M. DEBENEST: Gut. Jetzt lasse ich Ihnen ein Dokument überreichen. Es ist ein Brief, und zwar das Dokument F-864, das Beweisstück RF-1532 werden wird. Aus diesem Dokument geht ganz genau die Bestimmung der Summen hervor, die bei der Liquidation zusammenkamen. Erstens, geben Sie am Anfang dieses Briefes an, daß die Summe aus der Liquidierung, die bis dahin nach Ihren Angaben einen Betrag von 6.134.662 Gulden erreicht hatte, sich bei der Reichsstiftung der Niederlande befindet. Soviel ich weiß, handelt es sich hierbei um eine deutsche und keineswegs um eine holländische Anstalt. Weiter geben Sie an, wie die verschiedenen Summen verteilt werden sollten.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie brauchen sich um die Einzelheiten nicht zu bemühen. Er sagt, daß die Summe dort in der Bank sei.

M. DEBENEST: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Ich möchte nur einige Zeilen am Schluß des Dokuments vorlesen, mit denen der Endzweck der Verteilung der verschiedenen Summen genau erklärt wird:

»Ich glaube, Ihren Intentionen zu entsprechen, wenn ich bezüglich dieses liquidierten Freimaurervermögens annehme, daß auch dieses, so wie wir es bezüglich des Judenvermögens besprochen haben, bestimmten Zwecken in den Niederlanden zugeführt werden soll, über die zwischen uns beiden ein Einvernehmen erzielt wird.«

Also war Ihre Absicht, diese Gelder in derselben Weise zu verwenden wie das jüdische Vermögen, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Es ist gar nicht gesagt.

M. DEBENEST: Wir haben es schriftlich. Das ist um so besser.

SEYSS-INQUART: Der Verwendungszweck ist vollkommen offen. Der Reichsfinanzminister wollte damals über das Judenvermögen verfügen. Ich habe ihn aufmerksam gemacht, daß es noch nicht eingezogen ist, und ich habe ihm nahegelegt, vom Reich aus die Einziehung noch nicht zu verfügen, sondern zu warten, wie die Dinge weiter verlaufen.

M. DEBENEST: Sie haben ihm doch vorgeschlagen, es für dieselben Zwecke zu verwenden?

SEYSS-INQUART: Ich habe ihm vorgeschlagen, es zu bestimmten Zwecken in den Niederlanden zu verwenden, das heißt, dieses Vermögen nicht ins Reich zu bringen, sondern in den Niederlanden zu lassen, aber die Verwendung selber ist ganz offen. Er wollte sie ja ins Reich bringen.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Ich glaube, Sie können jetzt weitergehen.

M. DEBENEST: Ich dachte gerade daran, die Beurteilung dem Gerichtshof zu überlassen.

Wir wollen noch einmal auf den Eisenbahnerstreik zurückkommen. Haben Sie nicht von den Generalsekretären verlangt, den Streik zu beenden?

SEYSS-INQUART: Jawohl.

M. DEBENEST: Haben Sie nacht ein Embargo auf die Transportmittel und die auf der Fracht befindlichen Lebensmittel gelegt?

SEYSS-INQUART: Jawohl.

M. DEBENEST: Das sind Sie doch gewesen, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Jawohl, das habe ich gestern erklärt.

M. DEBENEST: Demnach kannten Sie damals die Lebensmittelsituation in Holland sehr gut und waren sich der schwerwiegenden Folgen bewußt, die sich notgedrungen aus einer solchen Entscheidung ergeben mußten, einer sehr ernsten Entscheidung.

SEYSS-INQUART: In Wirklichkeit nicht, denn in Wirklichkeit war der Verkehr bereits unterbrochen durch die Beschlagnahme der Wehrmacht, und es hat sich nur darum gehandelt, einen Modus vivendi zu finden, um nach mir vordringlich erscheinenden Sicherungen der Wehrmachtsbedürfnisse einen gesicherten Lebensmittelverkehr wieder nach Holland in die Wege leiten zu können. Wäre der Eisenbahnerstreik nicht gewesen, so hätte ich bei der Wehrmacht zweifellos erreicht, daß sie ihre Beschlagnahme nicht durchführt und daher der Schiffsverkehr in Ordnung geblieben wäre.

M. DEBENEST: Es handelt sich ja gar nicht um die Wehrmacht. Sie wissen ganz genau, daß zu der Zeit, als Sie die Schiffahrt mit dem Embargo belegten, Sie ganz genau wußten, daß zu dieser Zeit die Schiffe Lebensmittel für den Winter nach Holland aus dem Westen transportierten?

SEYSS-INQUART: Ja, aber in dem Augenblick, in dem ich das Embargo verhängt habe, gab es tatsächlich keinen Verkehr mehr, und die wenigen Lebensmittelschiffe wurden von der Wehrmacht beschlagnahmt samt den Lebensmitteln.

M. DEBENEST: Dann war Ihre Entscheidung völlig nutzlos?

SEYSS-INQUART: Nein, denn durch meinen Entschluß habe ich bei der Wehrmacht durchgesetzt, daß sie sich auf eine kürzere Frist beschränkt und mir dafür die Zusage gibt, daß sie nachher die von mir bescheinigten Schiffe vollkommen ungestört läßt.

M. DEBENEST: Wie lange hat denn dieses Embargo gedauert?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, daß ich zwischen 15. und 20. Oktober dem Leiter meiner Verkehrsabteilung den Auftrag gegeben habe, das Embargo aufzuheben. Praktisch hat es noch Wochen gedauert, weil die niederländische Verkehrsorganisation versagt hat.

M. DEBENEST: Bis wann ungefähr?

SEYSS-INQUART: Es kann bis Mitte November gedauert haben.

M. DEBENEST: Fanden nicht zu jener Zeit die größten Transporte statt?

SEYSS-INQUART: Das ist richtig. Wir können im November und Dezember so viel Lebensmittel nach Holland bringen, daß diese sechs Wochen Frost als äußerstes Maß überbrückt werden können. Und im September war ich der festen Meinung, daß ich im November und Dezember diese Verschiffungsmöglichkeiten zur Verfügung haben werde.

M. DEBENEST: Und haben Sie diese wirklich gehabt?

SEYSS-INQUART: Leider nicht, denn durch das Versagen der niederländischen Verkehrsbehörden in Zusammenhang mit anderen kriegsbedingten Umständen stand diese Möglichkeit nicht zur Verfügung.

M. DEBENEST: Sie waren sich jedoch voll bewußt, daß die von Ihnen getroffene Entscheidung schwere Folgen haben mußte?

SEYSS-INQUART: Im September war der Entschluß noch nicht so schwer, als die Tatsache, daß die Deutsche Wehrmacht unbedingt mit Rücksicht auf den Eisenbahnerstreik den Verkehr und die Verkehrsmittel brauchte; und in Wahrung der Reichsinteressen würde es für mich keinen größeren Vorwurf geben, als wenn das deutsche Volk sagen würde, ich hätte nicht alles Menschenmögliche und Durchführbare für die Durchstehung dieses Kampfes getan.

M. DEBENEST: Der Gerichtshof wird sich Ihre Erklärung merken.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Sie haben sich mit diesem Thema schon gestern befaßt, nicht wahr?

M. DEBENEST: Ich glaube nicht, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Das Schiffahrtsembargo wurde ganz sicher gestern besprochen.

M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich glaube, daß ich gestern nur von den Beschlagnahmungen gesprochen habe. Ich habe nur eine oder zwei Fragen wirtschaftlicher Natur gestellt und glaube, dieses Gebiet noch nicht berührt zu haben. Wenn ich es getan habe, dann bitte ich den Gerichtshof um Entschuldigung. Im übrigen bin ich damit fertig.