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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 16.45 Uhr vertagen und dann eine geschlossene Sitzung abhalten.

MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich habe bemerkt, daß der Verteidiger des Angeklagten Kaltenbrunner heute morgen anwesend ist. Er wollte doch Seyß-Inquart ins Kreuzverhör nehmen, und es würde vielleicht Zeit sparen, wenn er es vor unserer Vernehmung tun würde.

VORSITZENDER: Ja.

DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Herr Präsident! Ich bitte zu entschuldigen, daß ich gestern sozusagen den Unwillen des Gerichts erregt habe, weil ich nicht da war. Es hatte seinen besonderen Grund, denn die Verhältnisse sind manchmal stärker als der Wille. Ich habe in den letzten Jahren, wenn ich das bemerken darf, eine schwere Krankheit hinter mir und habe mich nicht wohl gefühlt, obwohl ich fest vorhatte, zur Sitzung gestern zu erscheinen und auch alles vorbereitet hatte. Ich bitte höflichst, das zu entschuldigen.

VORSITZENDER: Selbstverständlich, Dr. Kauffmann, wir nehmen Ihre Erklärung an.

DR. KAUFFMANN: Danke sehr.

Herr Zeuge! Seit wann kennen Sie den Angeklagten Kaltenbrunner?

SEYSS-INQUART: Ich habe Dr. Kaltenbrunner entweder im Jahre 1935 oder Anfang 1936 kennengelernt im Zusammenhang mit dem Hilfswerk »Langot«, das war eine von der Polizei geduldete Unterstützung für in Not geratene nationalsozialistische Familien.

DR. KAUFFMANN: Welche Rolle hat Kaltenbrunner vor dem Anschluß im März 1938 in Österreich gespielt? Gehörte er zu den radikalen Elementen oder zu den gemäßigten?

SEYSS-INQUART: Man sagte mir damals, daß Kaltenbrunner der SS nahesteht, der Führer der illegalen SS war er nicht, das war ein Ingenieur in der Steiermark.

DR. KAUFFMANN: War das der Ingenieur Leopold?

SEYSS-INQUART: Nein. Ich habe mit Zernatto über Kaltenbrunner wiederholt gesprochen. Wir haben ihn als die »Polizei des 11. Juli« in der Partei bezeichnet, das heißt, sein Einfluß ist dahin gegangen, die radikalen Elemente vor Exzessen, wie im Juli 1934, zurückzuhalten.

DR. KAUFFMANN: Kaltenbrunner wurde dann Unterstaatssekretär in Österreich?

SEYSS-INQUART: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Erfolgte nun der Vorschlag, ihn zum Unterstaatssekretär zu ernennen, von österreichischen Kreisen heraus oder durch Himmler und Hitler oder den Angeklagten Göring?

SEYSS-INQUART: Nach meiner Kenntnis nur von Österreich. Ich selbst habe ja Vorschläge vom Reich für mein Ministerium überhaupt nicht zur Kenntnis bekommen, und genommen. Die Partei in Österreich hat auf Kaltenbrunner verwiesen, weil wir ja in der Polizeiorganisation auch einem Mann drin haben wollten.

DR. KAUFFMANN: Und welches waren nun seine praktischen Obliegenheiten in seiner Stellung als Unterstaatssekretär?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, als Unterstaatssekretär hat er überhaupt noch nichts gemacht. Nach dem Rücktritt Skubls wurde er vom Bundespräsidenten zum Staatssekretär ernannt. Als solcher hatte er administrativ-ökonomische Funktionen. In die eigentliche Exekutive konnte er nicht eingreifen. Wenn ich zum Beispiel die Enthaftung eines Mannes haben wollte, mußte Kaltenbrunner den Befehlshaber beziehungsweise Kommandeur der Sicherheitspolizei fragen, und wenn der »Nein« gesagt hat, mußten wir Heydrich fragen.

DR. KAUFFMANN: Nun steht fest, daß Kaltenbrunner im Jahre 1943 zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes ernannt wurde, und er hat hier behauptet, daß er sich wiederholt gesträubt habe, diesen Posten anzunehmen. Können Sie darüber etwas sagen?

SEYSS-INQUART: Ich weiß nur, daß ich Ende November oder Anfang Dezember 1942 im Hauptquartier war. Bei der Gelegenheit hatte ich auch das Feldhauptquartier Himmlers besucht, und da hat mir einer der Adjutanten – ich glaube Wolff war es – gesagt, der Reichsführer wolle Kaltenbrunner für das Reichssicherheitshauptamt haben, Kaltenbrunner wehre sich. Man werde ihn jetzt auf vier Wochen ins Feldquartier bestellen und entsprechend behandeln, damit er es doch übernimmt.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß der eigentliche Zweck der Berufung Kaltenbrunners als Chef des Reichssicherheitshauptamtes der war, daß er den politischen und militärischen Nachrichtendienst organisiere und führe?

SEYSS-INQUART: Ich habe einige Indizien, daß er die eigentlichen Sicherheitspolizeisachen nicht so in der Hand hatte wie Heydrich, und ich hatte tatsächlich Anhalte für seine Nachrichtentätigkeit. Zur Zeit Heydrichs hat der Befehlshaber meiner Sicherheitspolizei immer nur von Heydrich gesprochen, wenn er eine Entscheidung aus Berlin haben wollte. Als Kaltenbrunner kam, erinnere ich mich nicht, daß er von Kaltenbrunner gesprochen hat, sondern vom Reichssicherheitshauptamt und manchmal von Müller. Ich selbst habe mit Kaltenbrunner, soweit ich mich erinnere, nur zweimal in sicherheitspolizeilichen Fragen gesprochen. Das eine war der Fall des Verbleibens Dr. Schuschniggs, über den Dr. Kaltenbrunner hier berichtet hat, und das zweite Mal sollte ein Verwandter von mir in ein Konzentrationslager kommen. Ich habe mich an Kaltenbrunner gewandt, weil der der einzige mir bekannte Mann im Reichssicherheitsamt war und ich auch vermutete, daß er dort etwas zu sagen habe. Ich wußte nichts von der Abgrenzung der Funktionen. Kaltenbrunner hat damals mit Müller telephoniert in einer solchen Weise, wie ein Vorgesetzter mit einem nachgeordneten Mitarbeiter nicht spricht. Positive Beweise für seine Tätigkeit habe ich, weil ich seit dem Jahre 1944 in dieser Beziehung mit Kaltenbrunner in engster Zusammenarbeit war. Ich habe ihm auch für seinen Auslandsnachrichtendienst ausländische Werte zur Verfügung gestellt beziehungsweise bei der zuständigen Stelle erwirkt, alles im Einvernehmen mit der zuständigen Reichsstelle.

DR. KAUFFMANN: Sie sprachen eben von Müller. Sie meinen damit den Gestapochef Müller?

SEYSS-INQUART: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Hatten Sie den Eindruck, daß dieser Mann die eigentliche Direktive in Händen hatte bezüglich der sicherheitspolizeilichen Funktionen?

SEYSS-INQUART: Ich kann nur sagen, ich weiß, daß Kaltenbrunner im Laufe des Telephongesprächs zu Müller gesagt hat: »Wie werden Sie den Fall entscheiden?«

DR. KAUFFMANN: Sie haben auch dann militärische und politische Berichte aus der Hand Kaltenbrunners bekommen. Stimmt das?

SEYSS-INQUART: Jawohl. Wiederholt. Das waren die ganz geheimen Berichte, die, glaube ich, nur in vier Ausfertigungen herausgingen.

DR. KAUFFMANN: War das vor Kaltenbrunners Ernennung schon so?

SEYSS-INQUART: Nein, diese Berichte hat Kaltenbrunner erst Ende 1943, Anfang 1944 meines Erinnerns, eingeführt.

DR. KAUFFMANN: Worin bestand der Unterschied dieser Berichte gegenüber den früher von Canaris verfaßten Berichten?

SEYSS-INQUART: Die Berichte von Canaris kenne ich nicht oder nur zum Teil. Ich kenne sie vom früheren Reichssicherheitshauptamt.

DR. KAUFFMANN: Ist es richtig, daß die von Kaltenbrunner hergestellten Berichte sich durch eine bis dahin unbekannte Schärfe und Offenheit in der Kritik an allen öffentlichen Maßnahmen auszeichneten?

SEYSS-INQUART: Ja, auch das. Vor allem waren die Berichte Kaltenbrunners wirklich objektiv und nicht präparierte Zweckberichte.

DR. KAUFFMANN: In welchem Umfang kamen diese Berichte an?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, daß so ein Bericht 40 bis 60 Seiten gehabt hat, manchmal auch mehr, und er dürfte alle drei bis vier Wochen erschienen sein, soweit ich davon weiß. Es dürften aber auch noch Spezialberichte ergangen sein.

DR. KAUFFMANN: Wissen Sie, ob diese Spezialberichte an die militärischen Stellen gerichtet waren, oder befand sich in den Berichten, von denen Sie eben sprechen, auch eine militärische Darstellung der Lage?

SEYSS-INQUART: Die Berichte, von denen ich spreche, waren vorwiegend politischer Natur und unmittelbar an den Führer gerichtet. In Bezug auf diese Berichte erinnere ich mich einer außerordentlich scharfen Stellungnahme gegen die Politik des Reiches hinsichtlich der Polen und hinsichtlich der katholischen Kirche und daß sie auf einem Briefbogen mit dem Kopf »Reichssicherheitshauptamt« geschrieben waren, was mir als ein unmöglicher Zustand erschienen ist.

DR. KAUFFMANN: Sie sprechen eben von diesen beiden Kritiken. Welchen Inhalt, wenn Sie mir das noch beantworten wollten, hatte nun diese Kritik, die sich auf die beiden eben genannten Gegenstände des öffentlichen Lebens bezog?

SEYSS-INQUART: Hinsichtlich der Polen war klipp und klar verlangt, daß man die Polen wieder in ein autonomes und eigenes Staatswesen einreihen beziehungsweise in Aussicht stellen solle. Hinsichtlich der katholischen Kirche die Zurücknahme sämtlicher Maßnahmen auf, verwaltungsmäßigem und sonstigem Gebiete und ein volles Unbehelligtseinlassen der katholischen und protestantischen Kirche.

DR. KAUFFMANN: Ich habe keine Fragen mehr, ich danke sehr.

MR. DODD: Sie haben dem Gerichtshof gestern gesagt, daß Sie im Jahre 1938 Parteimitglied wurden und daß Ihre Mitgliedsnummer irgendwo in den Millionen lag?

SEYSS-INQUART: Sieben Millionen. Die Zugehörigkeit war gültig vom 13. März 1938 als formelles Parteimitglied.

MR. DODD: Nun, wenn Sie »formell« sagen, wollen Sie, wenn ich recht verstehe, hervorheben und darauf hinweisen, daß Sie tatsächlich, wenn auch nicht formell, schon vorher Parteimitglied waren, Ihren Beitrag bezahlten und die Partei unterstützt haben. Stimmt das?

SEYSS-INQUART: Das erste beides nicht. Ich habe nur Unterstützungsbeiträge vom Herbst 1937 bis in das Jahr, pardon, vom Herbst 1932 bis in das Jahr 1933 gezahlt. Ich habe mich aber innerlich als Nationalsozialist gefühlt und ähnlich einem Parteimitglied, aber ohne eine ausdrückliche formelle Verpflichtungserklärung.

MR. DODD: Waren Sie ein Mitglied des Steierischen Heimatschutzes?

SEYSS-INQUART: Des Steierischen Heimatschutzes, jawohl, vom Herbst 1932 an.

MR. DODD: Und diese Organisation wurde doch praktisch vollkommen von den Nationalsozialisten übernommen zu einer Zeit, als Sie Mitglied waren, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Das ist beabsichtigt gewesen. Es wurde aber nicht durchgeführt. Es war die Vereinbarung, daß der Steierische Heimatschutz in die Partei aufgenommen wird, München hat das aber nicht getan, und es mußten die einzelnen Mitglieder des Steierischen Heimatschutzes einzeln in die Partei eintreten.

MR. DODD: Kennen Sie einen Mann namens Dr. Andreas Morsey?

SEYSS-INQUART: Andreas Moser? Ich glaube, das war ein Rechtsanwalt, aber persönlich habe ich ihn nicht gekannt.

MR. DODD: Wissen Sie, daß er auch ein Mitglied des Steierischen Heimatschutzes war?

SEYSS-INQUART: Nein.

MR. DODD: Erinnern Sie sich, daß Sie am 7. März 1938, einige Tage vor dem Anschluß, mit ihm eine Unterredung hatten?

SEYSS-INQUART: Das habe ich nicht mehr in Erinnerung.

MR. DODD: Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Erinnern Sie sich, daß Sie ihm erzählten, daß Sie im Jahre 1932 in den Steierischen Heimatschutz eintraten, kurz ehe diese Organisation verboten wurde?

[Der Dolmetscher übersetzte: »... ihm erzählten, daß Sie der Chef des Steierischen Heimatschutzes waren...«]

SEYSS-INQUART: Das ist vollkommen ausgeschlossen. Der Chef des Steierischen Heimatschutzes war Konstantin Kammerhofer. Das hat ganz Österreich gewußt.

MR. DODD: Erinnern Sie sich also nicht an eine Unterredung, in der Sie gesagt haben, was ich eben zitiert habe? Erklären Sie, das niemals gesagt zu haben oder daß Sie sich nicht an die Unterredung erinnern. Das versuche ich zu klären.

SEYSS-INQUART: An die Unterredung erinnere ich mich, aber ich erkläre, daß es vollkommen ausgeschlossen ist, daß ich gesagt habe, ich wäre der Chef des Steierischen Heimatschutzes gewesen, denn ganz Österreich hat gewußt, daß das Konstantin Kammerhofer ist. Ich habe ihm höchstens gesagt, daß ich mit Kammerhofer sehr befreundet war, und das war der Fall.

MR. DODD: Gut. Ich möchte Ihnen dann seine Erklärung in dem Verfahren gegen Dr. Guido Schmidt vorhalten. Es ist Dokument Nummer 3992-PS. Diese Aussage wurde vor dem Obersten Gerichtshof in Wien am 19. März 1946 vor Richter Sucher gemacht. Wir legen sie unter US-882 vor.

Ich bitte Sie, sich die zweite Seite anzusehen, und Sie werden einen Satz finden, der beginnt:

»Am 7. März 1938 hat mich Seyß-Inquart persönlich unterrichtet, daß er dieser Organisation im Jahre 1932 beigetreten ist, also knapp vor Toresschluß, bevor der Steierische Heimatschutz im Jahre 1933 verboten wurde.«

Dann fährt er fort und erwähnt den Mann Kammerhofer, den Sie soeben erwähnt haben. Und weiter unten im nächsten Satz sagt er:

»Er (Seyß-Inquart) ist dieser Organisation beigetreten, vom Landesleiter Ingenieur Pichler Franz aus Waitz aufgenommen worden und nie mehr ausgetreten.«

Deshalb kann Ihre Aussage, daß Sie kein Mitglied der NSDAP gewesen wären, als formell korrekt betrachtet werden, aber er sagt, daß Ihre Behauptung, daß Sie nicht illegal gearbeitet hätten, nicht der Wahrheit entspreche.

SEYSS-INQUART: Dr. Maser kann überhaupt nicht wissen, ob ich illegal gearbeitet habe. Er geht davon aus, daß der Heimatschutz tatsächlich mit der NSDAP fusioniert wurde, und das ist falsch. Das wird der Zeuge Uiberreither bestätigen können. Ich bleibe vollkommen bei meiner Aussage.

MR. DODD: Kennen Sie einen Mann namens Rainer?

SEYSS-INQUART: Ja, sehr gut. Dr. Friedrich Rainer.

MR. DODD: Ja. Sie haben ihn als Zeugen verlangt, und er kommt als Ihr Zeuge hierher, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ja.

MR. DODD: Aber was sagen Sie, wenn er behauptet, daß Sie Parteimitglied wurden, als dieser Steierische Heimatschutz von der NSDAP übernommen wurde?

SEYSS-INQUART: Ich möchte dazu folgendes sagen, für alle...

MR. DODD: Gut. Ich möchte Ihnen, bevor Sie antworten, etwas sagen, das Ihnen helfen mag. Dieses Dokument ist bereits unterbreitet worden, und so vermute ich, daß Sie es gesehen haben. Es ist 812-PS.

SEYSS-INQUART: Ja, es ist ein Brief, ein Bericht des Dr. Rainer.

MR. DODD: Ich nehme an, daß Sie wissen, was er besagt. Sie haben das Dokument doch gesehen?

SEYSS-INQUART: Ja.

MR. DODD: Sie geben doch zu, daß er in diesem Dokument behauptet, daß Ihre Mitgliedschaft im Steierischen Heimatschutz Sie zum Mitglied der NSDAP machte, daß Sie also sozusagen der Partei beigetreten sind, als diese Organisation von ihr übernommen wurde?

SEYSS-INQUART: Ja, ich möchte Ihnen sagen, daß ich selbst bis zum Jahre 1938 dieser Meinung war oder noch gezweifelt habe, ob oder ob nicht. Aber im Jahre 1938 hat die Partei strikte erklärt, daß sie die Fusion nicht anerkennt, daß die Mitglieder des Steierischen Heimatschutzes nicht Mitglieder der Partei sind, sondern daß jeder einzeln in die Partei aufgenommen worden sein mußte, um Parteimitglied zu sein. Das wird Rainer bestätigen müssen.

MR. DODD: Nun sagen Sie mir, gleichviel ob Sie formell Mitglied waren oder nicht, haben Sie nicht während dieser ganzen Zeit die Führerschaft Klausners, des Führers der Nationalsozialistischen Partei in Osterreich, anerkannt, seine Wünsche und seine Weisungen befolgt?

SEYSS-INQUART: Die Führerschaft in Österreich oder in Deutschland?

MR. DODD: In Österreich. Ich spreche über Klausner, der in Österreich war.

SEYSS-INQUART: Ja, es war mir klar, und ich habe es anerkannt, daß Klausner die Führung der österreichischen Nationalsozialisten hat. Ich habe Klausner nicht anerkannt als meinen politischen Führer, das ergibt sich aus eben demselben Bericht, den Sie, Herr Ankläger, gerade zitiert haben. Rainer sagt darin:

Seyß-Inquart hat Klausner in an und für sich nicht verbindlichen politischen Dingen anerkannt.

MR. DODD: Nun, er sagt gerade das Gegenteil, wenn Sie es sich ansehen.

SEYSS-INQUART: Aber nein!

MR. DODD: Warten Sie einen Augenblick. Ich glaube, es ißt Seite 9 des deutschen Textes. Sieben Zeilen von unten. Im englischen Text ist es auf Seite 7.

»Im Verhältnis zu Seyß-Inquart war zwischen Seyß und Klausner folgende Festlegung erfolgt: Seyß anerkannte ohne Vorbehalte die Führung der Partei im gesamten Kampfe und sohin auch die Führung Klausners. Er unterstellte sich sohin ausdrücklich und wörtlich als Parteigenosse dem Befehl Klausners.«

Haben Sie das gefunden?

SEYSS-INQUART: Ich halbe nur ein Konzept vor mir, da heißt es aber weiter:

»Darüber hinaus erklärte er sich auf Grund der Abmachung zu Berchtesgaden und vor allem auf Grund der ihm vom Führer bei seinem Stabsbesuch in Berlin gemachten Erklärungen als dem Führer unmittelbar verpflichteter Treuhänder der illegalen NSDAP in Österreich, innerhalb seines staatlich politischen Aufgabenbereiches.«

Und es muß auch noch eine Stelle sein, wo ich sage, daß ich mich in politischen Dingen Klausner nicht unterstelle.

MR. DODD: Nun, in jedem Falle, um fortzufahren, es stimmt doch, daß Sie sich damals zur bedingungslosen Treue zu Hitler bekannten, und zwar schon sehr früh, lange vor dem Anschluß? Sie haben doch Ihre politische Gefolgschaft anerkannt, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Das kann man beinahe sagen. Ich war mir über das Ausmaß des »bedingungslosen« damals noch nicht im klaren, weil ich der Meinung war, daß auch Hitler einen revolutionären Weg wollte.

MR. DODD: Ja, gut. Hatten Sie nicht mit der Dollfuß-Angelegenheit noch in anderer Weise zu tun, als Sie bisher dem Gerichtshof gesagt haben? Sie wissen doch, daß Rainer dies im selben Dokument, 812-PS, aussagt.

SEYSS-INQUART: Ja.

MR. DODD: Und ich halte es für wichtig, daß Sie darauf irgendwie antworten. Sie haben es in Ihrem Verhör nicht getan. Aber das Dokument ist als Beweisstück vorgelegt, und darin sagt er, daß Sie unterstützten...

SEYSS-INQUART: Ich habe das deshalb nicht getan, Herr Ankläger, weil ja Rainer als Zeuge kommt; Rainer soll uns hier unter Eid sagen, auf welche Tatsachen er seine Behauptungen gründet. Ich kann nur sagen: Nein.

MR. DODD: Ich weiß das. Ich verstehe das, und das ist ja ein zusätzlicher Grund, warum ich Sie jetzt darüber frage. Sehen Sie, wenn er als Zeuge auftritt, sind Sie nicht mehr dran, und ich möchte gern wissen, was Sie jetzt zu dem, was Rainer in dem vorliegenden Dokument angibt, sagen, nämlich, daß Sie in den Dollfuß-Anschlag am 25. Juli 1934 verwickelt gewesen wären.

SEYSS-INQUART: Nein, das ist vollkommen falsch.

MR. DODD: Gut.

In diesem Zusammenhang ergibt sich noch eine andere Sache, die wir, wie ich glaube, wenn möglich jetzt aufklären wollen. Sie hatten doch nicht die Absicht, dem Gerichtshof glauben zu machen, daß die Zeremonien – wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf – zur Erinnerung an die Ermordung von Dollfuß damals, als sie abgehalten wurden, nichts mit Dollfuß zu tun gehabt hatten?

SEYSS-INQUART: Ich möchte durchaus diesen Eindruck erwecken, denn diese Feier war eine Feier für die sieben damals gehängten Nationalsozialisten, und man hat bei dieser Gelegenheit meines Erinnerns an den Tod des Dollfuß nicht gedacht, sondern an die Tatsache, daß Männer der Standarte, ich glaube 107 oder 108, den Versuch gemacht haben, ein nach Meinung der Nationalsozialisten deutsch- und reichsfeindliches System zu beseitigen, wobei sieben aufgehängt wurden. Daß bei dieser Gelegenheit Dollfuß erschossen wurde, wurde bei der Feier nicht erwähnt.

MR. DODD: Ich behaupte nicht, daß dies erwähnt wurde. Die Zeremonien aber fanden doch jedenfalls zur Feier des Anschlages auf Dollfuß statt, und ich halte es für eine Spitzfindigkeit zu sagen, daß es nichts damit zu tun hatte.

SEYSS-INQUART: Nein, wenn Dollfuß nicht erschossen worden wäre, so wäre die Feier genau so durchgeführt worden.

MR. DODD: Sind Sie dessen ganz sicher; glauben Sie, sie wären alle aufgehängt worden, auch wenn Dollfuß nicht erschossen worden wäre?

SEYSS-INQUART: Auf jeden Fall, daß sie aufgehängt worden wären.

MR. DODD: Sie wurden im Jahre 1937 zum Staatsrat ernannt, und wir werden wiederum während dieser kurzen Zeit ziemlich viel von Rainer und diesem Dokument sprechen. Sie wissen doch, daß Rainer auch sagt, daß Sie durch den Einfluß Kepplers sowie den anderer Nazis und einiger Beamter des Reiches ernannt worden seien. Stimmt das? Hatten diese Leute irgendeinen Einfluß auf Ihre Ernennung im Jahre 1937? Rainer hat wohl auch darin unrecht, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: In überhaupt keiner Weise. Keppler hat...

MR. DODD: Gut.

SEYSS-INQUART:... überhaupt keinen Einfluß genommen auf die Ernennung zum Staatsrat.

MR. DODD: Und Ihrer Meinung nach irrt sich Rainer, wenn er sagt, daß sie Einfluß hatten. Wie ich es verstehe, sind Sie mit dieser Erklärung nicht einverstanden? Ich möchte das klarstellen.

SEYSS-INQUART: Es ist dies absolut unrichtig.

MR. DODD: Gut.

SEYSS-INQUART: Ich wurde zum Staatsrat ernannt, weil Zernatto mit einem Freund von mir das besprochen und Schuschnigg vorgeschlagen hat. Ein Vorschlag von Keppler hätte Schuschnigg wahrscheinlich veranlaßt, mich nicht zu ernennen.

MR. DODD: Es war also ein Zufall, und Schuschnigg ernannte Sie, weil irgend jemand ihm das vorschlug, und die Nationalsozialisten, denen Sie zu dieser Zeit nahe standen, hatten nichts damit zu tun, nacht wahr?

SEYSS-INQUART: Das will ich nicht sagen. Über die Möglichkeit einer Ernennung zum Staatsrat habe ich mit Rainer gesprochen, denn mein gemeinsamer Bekannter hat mit Zernatto vorher schon die Frage erwogen. Ich habe sie dann mit Rainer erwogen. Aber er nahm keinen Einfluß auf die Ernennung.

MR. DODD: Sie haben das Dokument gesehen, das als Hoßbach-Dokument, US-25, 386-PS bekannt ist und das dem Gerichtshof schon vor vielen Monaten unterbreitet wurde. Erinnern Sie sieh noch, daß Hitler im Laufe dieser Ansprache, wie Hoßbach berichtete, einige seiner Pläne darlegte, die er sowohl für Österreich als auch für die Tschechoslowakei hatte? Erinnern Sie sich daran? Es steht in dem Dokument, das kann ich Ihnen versichern.

SEYSS-INQUART: Jawohl.

MR. DODD: Das war am 11. November 1937, nein, Verzeihung, am 5. November 1937. Wann haben Sie zum erstenmal etwas über diese Zusammenkunft gehört? Wann zum erstenmal in Ihrem Leben?

SEYSS-INQUART: Hier, in diesem Saal.

MR. DODD: Nun, erinnern Sie sich an den Brief, den Sie am 11. November an Dr. Jury geschrieben haben?

SEYSS-INQUART: Jawohl.

MR. DODD: Erinnern Sie sich sehr gut daran, oder möchten Sie eine Abschrift davon sehen? Ich werde sie Ihnen zeigen, wir haben eine Abschrift hier. Sie haben es noch nicht gesehen, es ist ein neues Dokument.

SEYSS-INQUART: Ich habe auch eine Abschrift.

MR. DODD: Es ist 3396-PS.

SEYSS-INQUART: Jawohl.

MR. DODD: Was meinten Sie, als Sie am 11. November 1937 an Jury schrieben:

»... ich selbst glaube, daß erst das Frühjahr sichtbare Dinge bringt. Inzwischen habe ich eine authentische Nachricht aus Linz bekommen...«

Und dann sprechen Sie über einen Zeitungsartikel.

Was ich wissen wollte war: Was meinten Sie mit den Vorgängen im Frühjahr 1938?

SEYSS-INQUART: In der damaligen Situation in Österreich war es klar, daß der Zustand innenpolitisch sich nicht lange hält. Die optimistischen Nationalsozialisten meinten, daß in den nächsten Wochen Schuschnigg entweder zurücktrete oder sonst etwas sein würde. Ich habe die politische Situation richtiger betrachtet und war der Meinung, daß die innenpolitische österreichische Entwicklung erst im Frühjahr eintreten wird, nämlich in der Richtung eines weiteren Betätigungszulasses für die Nationalsozialisten. Der Zeitungsartikel ist ganz was anderes.

MR. DODD: Das interessiert mich wirklich nicht, außer, wenn Sie meinen, daß es für Ihre Antwort von Bedeutung ist. Ich wollte noch ein bißchen zurückgehen. Sie sehen, Sie beginnen den Brief mit einer Bemerkung über die Unterredung mit Herrn Keppler. Dieser Mann war Hitlers Beauftragter am 11. und 12. März, als Österreich den Nazis ausgeliefert wurde. Stimmt das?

SEYSS-INQUART: Ja, ja.

MR. DODD: Und Sie sagen:

»Heute in aller Ruhe geführte Gespräche mit Herrn Keppler waren noch aufschlußreich. Ich glaube zwar nicht, daß die Dinge schon so spruchreif sind, wie es auf der nationalen Seite und im Reich zu sein scheint.« Und dann fahren Sie fort: »Ich wäre angenehm überrascht, wenn hier der Beginn der Lösung noch im Laufe dieses Jahres erfolgen würde.«

Wovon Sie tatsächlich sprechen, war doch die Übergabe von Österreich an die, Nazis. Daran dachten Sie doch, als Sie diesen Brief schrieben, das ist doch der »Beginn der Lösung«?

SEYSS-INQUART: Nein. Erstens steht da nicht, daß meine Gespräche mit Keppler geheim waren, sondern sie waren nur aufschlußreich.

MR. DODD: Hier steht »in aller Ruhe«. Ich weiß nicht, ob das geheim war. Ich weiß nicht, was das bedeutet.

SEYSS-INQUART: Das heißt, wir haben uns sehr realistisch unterhalten. Das Reich hat sehr gedrängt. Vielleicht wurde davon gesprochen, daß irgendein diplomatischer Druck mit eingesetzt wird, aber das Ziel war, die Betätigung der Nationalsozialisten in Österreich, allerdings mit der Absicht, den weiteren verfolgten Anschluß zu erreichen.

Von dem Gespräch des Hoßbach-Dokuments, ich meine von dem Inhalt, da war also nicht das geringste die Rede. Ich bin auch überzeugt, daß Keppler keine Ahnung davon gehabt hat. Keppler hat gar nicht so eine starke Position bei Hitler gehabt.

MR. DODD: Jawohl. Sie erinnern sich, daß Sie etwas später, im Januar 1938, an Keppler einen Brief schrieben. Erinnern Sie sich daran?

SEYSS-INQUART: Ja.

MR. DODD: Daß Sie Ihr Mandat oder Ihre Vertrauensstellung oder Ihre Verantwortung oder welches auch immer der richtige Ausdruck dafür ist, aufgeben wollten?

SEYSS-INQUART: Ja.

MR. DODD: Was für ein Mandat von Keppler oder von Göring hatten Sie, auf das sich Keppler in seinem Brief bezieht?

SEYSS-INQUART: Nein, das Mandat war der österreichische Staatsrat. Das wollte ich zurücklegen und den Auftrag, die Verständigung zu überprüfen über die Heranziehung der nationalen Opposition zur Mitarbeit. Von Keppler hatte ich überhaupt kein Mandat bekommen und hätte auch kaum eines annehmen können.

MR. DODD: Kennen Sie das Dokument, das als 3397-PS, US-702, vorliegt, in dem Keppler sagte, daß er Göring über die Situation informiert hätte und daß Göring ihm gesagt habe, er habe Sie weiterhin bei Ihrer Aufgabe zu belassen. Zum mindesten ist das der Sinn. Meine Frage ist: Warum sollte Göring an diesem Mandat interessiert sein, wenn es sich nur um Ihre Stellung als Staatsrat in Österreich handelte? Er war kein Mitglied der Österreichischen Regierung, aber Sie waren es?

SEYSS-INQUART: Könnte ich in diesem Fall das Dokument haben?

MR. DODD: Ja sicher. Sie werden hier auch einen Hinweis auf Dr. Jury finden, denselben Mann, über den wir vor einigen Minuten gesprochen haben und an den Sie den Brief am 11. November geschrieben haben.

SEYSS-INQUART: Welche Stelle meinen Sie, Herr Ankläger?

MR. DODD: Verzeihung, ich habe Sie nicht verstanden.

SEYSS-INQUART: Welche Stelle meinen Sie, Herr Ankläger, in diesem Brief?

MR. DODD: Meine diesbezügliche Frage lautet: Ich möchte gern wissen, warum Keppler mit Ihrem Wunsch, von Ihrem Amt zurückzutreten – gleichgültig, ob es sich nun um Ihre Stellung gegenüber den Nationalsozialisten oder wie Sie es darstellen, um Ihre Stellung als Staatsrat handelte – ich möchte gern wissen, warum Keppler damit gerade zu Göring gegangen ist. Diese Frage ist für uns, gerade im Hinblick auf Ihre Erklärung, noch problematischer. Was hatte Göring damit zu tun?

SEYSS-INQUART: Ich habe gestern erklärt, daß ich von Dr. Schuschnigg den Auftrag hatte, die Bedingungen der Heranziehung der nationalen Opposition zu prüfen, und ich habe Schuschnigg immer gesagt, die österreichischen Nationalsozialisten lassen sich ohne Zustimmung Hitlers nicht zu irgend etwas bringen. Ich habe mit Wissen von Zernatto und Dr. Schuschnigg Göring und Heß besucht. Es war beiden Herren bekannt, daß ich nicht nur mit den österreichischen Nationalsozialisten, sondern auch mit den Herren im Reich über Keppler in Verbindung stehe. Das war auch den Herren im Reich bekannt, und sie waren interessiert. Wenn ich jetzt auf einmal sage: »Ich mache Schluß, ich tue nicht mehr mit, so fühle ich mich verpflichtet, auch die Herren im Reich davon zu verständigen, daß sie mit meiner Arbeit nicht mehr rechnen können.« Das ist, glaube ich, ganz selbstverständlich. Das hätte man immer tun müssen.

MR. DODD: Jawohl, und der Brief, den Sie am 11. November an Jury schrieben, wurde nach der Besprechung mit Heß und Göring geschrieben, nicht wahr? Natürlich, Sie waren doch im Juli 1937 bei Heß und Göring.

SEYSS-INQUART: Ja, darüber hat ja der Herr Reichsmarschall hier ausgesagt.

MR. DODD: Gut. Ich möchte Sie etwas über die Zusammenkunft mit von Papen in Garmisch fragen. Sie sagen, sie ist zufällig zustande gekommen und war nicht geplant. Sie sprachen über die Möglichkeit, die Stellung eines Sicherheitsministers einem Mitglied der Nazi-Partei zu geben. Ich möchte gern wissen, ob Sie auch über die mögliche Reise Schuschniggs nach Berchtesgaden gesprochen haben, die gar nicht so lange nach dieser Konferenz erfolgte, nicht wahr? Wurde sie erwähnt?

SEYSS-INQUART: Nein, wir haben nicht davon gesprochen über den technischen Modus, ob jetzt eine Zusammenkunft zwischen Schuschnigg und Hitler erfolgen soll und so weiter, haben wir nicht gesprochen, oder ob das auf diplomatischem Wege gehen sollte?

MR. DODD: Wurde es überhaupt nicht besprochen? Gerade das möchte ich wissen. Wurde das überhaupt nicht erörtert?

SEYSS-INQUART: Über eine Zusammenkunft dieser beiden Staatsführer wurde nicht gesprochen, sondern nur über den materiellen Inhalt unseres Planes.

MR. DODD: Wann haben Sie zum erstenmal über die vorgeschlagene Zusammenkunft zwischen Schuschnigg und Hitler gehört und durch wen?

SEYSS-INQUART: Ich habe, glaube ich, zwei Tage, das müßte also der 10. Februar gewesen sein, eine Nachricht bekommen, die von Rainer oder Globocznik gewesen sein wird, wo man mir mitgeteilt hat, daß diese Zusammenkunft bevorsteht; ungefähr gleichzeitig wurde ich von Zernatto aufgefordert, nach Wien zu kommen, der mir aber noch nicht gesagt hat, worum es sich handelt.

MR. DODD: Haben Sie in Wahrheit nicht Notizen für Hitler vorbereitet, die dann die Grundlage seiner Diskussionen mit Schuschnigg in Berchtesgaden bildeten?

SEYSS-INQUART: Ich habe nicht ganz gehört; was soll ich vorbereitet haben?

MR. DODD: Meine Frage war: Stimmt es, daß Sie Notizen oder, wenn Sie wollen, für Hitler ein Memorandum vorbereitet haben, das er als die Grundlage für seine Diskussionen mit Schuschnigg in Berchtesgaden benutzte?

SEYSS-INQUART: Ich habe einen schriftlichen Vorschlag für die Bereinigung der Angelegenheit gemacht; den habe ich einerseits Zernatto gegeben und andererseits Dr. Rainer. Es ist durchaus möglich, daß ihn Rainer weiter in das Reich gegeben hat, ich hätte auch daran gar nichts gesehen.

MR. DODD: Sie wissen doch ganz genau, daß Sie und Ihre Mitarbeiter in jener Nacht Mühlmann nach Berchtesgaden schickten und daß er dort mit diesem Memorandum vor Schuschnigg und von Papen eintraf? Ist das nicht richtig?

SEYSS-INQUART: Der Dr. Mühlmann ist da...

MR. DODD: Ja, derselbe Herr, von dem Sie erzählten, daß er mit Ihnen in Holland und in Berchtesgaden war.

SEYSS-INQUART: Dr. Mühlmann ist damals nach Berchtesgaden gefahren und war orientiert über das letzte Gespräch, das ich mit Dr. Schuschnigg geführt habe. Er wird sich wahrscheinlich das notiert haben.

MR. DODD: Wissen Sie denn nicht, daß er das tat und daß Schuschnigg nichts davon wußte, und die wichtige Frage ist nun: Was hat Mühlmann dort vor ihm mit den Notizen oder den Bedingungen gemacht, die Sie Schuschnigg am Abend vorher überreicht hatten?

Schuschnigg wußte davon nichts, als er wie ein unschuldiges Lamm nach Berchtesgaden ging.

SEYSS-INQUART: Ich bin überzeugt, daß Dr. Schuschnigg nicht gewußt hat, daß Mühlmann in Berchtesgaden ist und wahrscheinlich also Keppler informiert hat und Keppler den Führer informiert hat. Das hat Dr. Schuschnigg bestimmt nicht gewußt. Als ich mit Dr. Schuschnigg gesprochen habe, habe ich auch noch nicht gewußt, daß Mühlmann mit hinausfahren würde.

MR. DODD: Wann haben Sie erfahren, daß Mühlmann fahren würde?

SEYSS-INQUART: Ich bin nach der Besprechung mit Dr. Schuschnigg in meine Kanzlei gekommen, da war der Dr. Rainer dort, vielleicht noch jemand anders, und ich habe Dr. Rainer über die Besprechung orientiert. Vielleicht war Mühlmann auch dabei, und daraufhin haben wir uns – ich will mich nicht ausschließen – entschlossen, Keppler über den Inhalt dieser Besprechung zu informieren. In der Zwischenzeit ist Dr. Schuschnigg wahrscheinlich schon auf die Bahn gefahren. Ich hätte eigentlich auch keine Veranlassung gesehen, ihn unmittelbar jetzt zu informieren.

MR. DODD: Und so wollten Sie also, falls ich Sie richtig verstanden habe, Hitler über die Art Ihres Gesprächs mit Schuschnigg informieren?

SEYSS-INQUART: Ich habe damals keine Gelegenheit oder Veranlassung gesehen, Dr. Schuschnigg zu informieren, daß Mühlmann hinausfahren würde.

MR. DODD: Ich weiß, vielleicht haben Sie keine Veranlassung gesehen, aber was ich klarstellen will ist, daß Sie wünschten, Hitler über diese Besprechung mit Schuschnigg zu informieren und ebenso darüber, was Sie Schuschnigg dabei gesagt hatten.

SEYSS-INQUART: Jawohl.

MR. DODD: Nun, warum in aller Welt wollten Sie dem Oberhaupt eines anderen Staates über Ihr Gespräch mit dem Oberhaupt Ihres eigenen Staates, dem Sie ja die Treue geschworen haben, Bericht erstatten?

SEYSS-INQUART: Ich sehe da gar keinen Treubruch drin. Das war die Orientierung der Führer der beiden Vertragsparteien, zwischen denen ich verhandelt habe.

MR. DODD: Wollen Sie sagen, daß Sie zwischen Ihrem Land und Deutschland damals Verhandlungen führen konnten, ohne Ihren eigenen Bundeskanzler au informieren? Schuschnigg wußte nicht, daß Sie diese Note an Hitler geschickt hatten, um einmal aufrichtig zu sein, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ja, Dr. Schuschnigg hat das bestimmt nicht gewußt. Aber Herr Dr. Schuschnigg hat ganz genau gewußt, daß ich in einer ständigen Verbindung mit dem Reich bin, und zwar über Keppler, und daß ich das jeweilige Ergebnis unserer Besprechungen auch dem Reich weitergebe, denn das Reich mußte ja auch Stellung nehmen. Ich habe ja immer gesagt, es gibt keine innerpolitische Verständigung, wenn Hitler damit nicht einverstanden ist. Das ist eine Tatsache, da kann man nichts machen, ob das moralisch richtig ist oder nicht, das ist so gewesen. Dann hätte man gar keine Verständigungspolitik machen dürfen.

MR. DODD: Das war nicht das einzige Mal, daß Sie mit Schuschnigg nicht fair waren. Erinnern Sie sich daran, daß Sie ihm Ihr Ehrenwort gaben, daß Sie seine Pläne für die Bekanntgabe der Volksabstimmung nicht weitergeben würden? Erinnern Sie sich daran, als er Ihnen erstmals davon erzählte, und Sie auf Ihr Wort bat, nicht darüber zu sprechen, und Sie ihm das auch versprachen?

SEYSS-INQUART: Ja.

MR. DODD: Von dieser Zusammenkunft begaben Sie sich unmittelbar in das Hotel Regina, und erinnern Sie sich, was Ihre Kameraden Sie fragten und was Sie antworteten?

SEYSS-INQUART: Herr Ankläger! Ich kann nicht helfen, ich glaube, Sie verwechseln etwas. Ins Hotel Regina bin ich nicht damals gegangen, sondern am 10. März abends. Das war eine ganz andere Sache. Vor allem war es von Dr. Schuschnigg unrichtig, daß er mir das Ehrenwort abgenommen hat, denn er hat mich selbst im Vertrage vom 12. Februar zum Verbindungsmann bestellt. Wenn ich das vorher gewußt hätte, was er von mir verlangte, hätte ich das abgelehnt, denn ich hatte auf Grund des Vertrags vom 12. Februar die Verpflichtung, das Reich von dieser Sache sofort zu verständigen. Ich habe mein Wort gehalten.

Noch am selben Abend kam Jury zu mir, der von einer anderen Seite das erfahren hat, und ich habe dies Jury mit keinem Wort zugegeben, daß ich das weiß. Am nächsten Morgen, im Laufe des Vormittags kam Rainer. Ich habe erst gegen Mittag mich an diesen Verhandlungen beteiligt. Rainer sagt, es war schon Vormittag, aber es war erst gegen Mittag.

MR. DODD: Gut, ich nehme diese Verbesserung bezüglich der Zeit entgegen, aber ich glaube nicht, daß sie sehr wichtig ist. Die Frage ist...

SEYSS-INQUART: Das ist sehr wichtig in meinen Augen.

MR. DODD: Gut, wenn Sie glauben, dann wollen wir es dabei belassen. Ich möchte, daß Sie nun hören, was Rainer über dieses Worthalten sagt:

»Seyß-Inquart erklärt, daß er erst seit ein paar Stunden davon gewußt hat, aber daß er darüber nicht sprechen konnte, da er sein Wort gegeben hat, über diesen Gegenstand Schweigen zu bewahren. Aber während des Gespräches gab er zu verstehen, daß diese illegale Mitteilung, die wir erhielten, wahrheitsgetreu wäre und daß er angesichts der neuen Lage mit den Landesleitern vom ersten Augenblick an zusammengearbeitet hat.«

Das ist doch kein Geheimhalten oder Worthalten, wie Sie und Schuschnigg es verstanden haben, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Das ist durchaus in diesem Falle nicht anders zu machen, das war ungefähr gegen Mittag des Tages, an dem meine Schweigepflicht abgelaufen ist. Die Herren sind vor mir gesessen und haben alle Einzelheiten mir erzählt. Ich kann doch jetzt nicht auf einmal sagen, das ist alles Lug und Trug, denn zu einer Lüge habe ich mich Schuschnigg gegenüber auch nicht verpflichtet, sondern ich habe geschwiegen dazu, und daraus haben die anderen entnommen, daß das wahrscheinlich so sein wird.

MR. DODD: Sie wußten, wann man zu schweigen und wann man zu reden hatte, damit Ihre Bekannten darüber unterrichtet wurden, was Schuschnigg Sie gebeten hatte, geheimzuhalten.

Wann haben Sie den wirklichen Sachverhalt dieser Vorkommnisse in Berchtesgaden erfahren, nämlich die Drohungen und die fürchterliche Behandlung, die Schuschnigg dort widerfuhr?

SEYSS-INQUART: Das habe ich von Zernatto gehört. Ich glaube, das war schon der 13. Februar. Dann hörte ich es von Außenminister Schmidt, und zum Teil hat mir Dr. Schuschnigg dasselbe erzählt. Es dürfte also am 13. oder 14. Februar gewesen sein.

MR. DODD: Sie hatten ein ziemlich genaues Bild über die Art, wie Schuschnigg bedroht wurde, und ich glaube, Sie wissen auch, daß Keitel hereingerufen wurde, um ihn mit diesen Androhungen eines Einmarsches bis Sonnenuntergang einzuschüchtern. Sie wußten doch ganz gut über diese Vorkommnisse Bescheid, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: An die Sache mit Keitel erinnere ich mich nicht. Aber Schuschnigg hat mir gesagt, daß oben die Generale waren und offenbar ein militärischer Druck ausgeübt werden sollte.

MR. DODD: Sie wußten doch auch, daß Hitler Ihren Eintritt in die Regierung als Sicherheitsminister verlangt hatte. Schuschnigg hat Ihnen doch das gesagt?

SEYSS-INQUART: Ja, ich glaube, Hitler hat verlangt, daß den Nationalsozialisten der Innen- und Sicherheitsminister zur Verfügung gestellt werde. Schuschnigg hat zugestimmt, und auf die Frage Hitlers, wen Schuschnigg vorschlage, soll Schuschnigg meinen Namen genannt haben. Aber das ist alles nur Gerücht und Erzählung; Details weiß ich nicht. Das geschah allerdings im Zuge dieser sehr dramatischen Unterhaltungen.

MR. DODD: Ich glaube, das ist ziemlich wichtig, denn Sie haben einen Zeugen hierher bestellt, Dr. Schmidt, der an dieser Besprechung teilnahm. Wollen Sie dem Gerichtshof jetzt einreden, daß es Schuschnigg war, der da Ihren Namen vorschlug, und nicht Hitler, der Ihre Ernennung verlangte?

SEYSS-INQUART: Ich möchte dem Gericht überhaupt nichts einreden, sondern nur meinen Beitrag leisten zu einer Aufklärung der Hintergründe der Ereignisse, soweit die Charta das erlaubt.

Ich sage ausdrücklich, ich habe gehört, daß es so war. Wenn Dr. Schmidt dabei war und sagt, das war anders, werde ich das unbedingt glauben.

MR. DODD: Können Sie uns sagen, wer Ihnen das gesagt hat? Wir haben hier nämlich die beeidigte Aussage des Präsidenten Miklas, der erklärt, daß Hitler es gefordert habe. Wir wissen, daß Schuschnigg erklärt, Hitler habe es verlangt, und Dr. Guido Schmidt wird auch sagen, daß Hitler es gefordert habe. Also, wer hat Ihnen gesagt, daß es Schuschnigg war?

SEYSS-INQUART: Mir hat das Dr. Mühlmann gesagt. Aber ich möchte bemerken, daß in der Sache es so stimmt, wie Sie es sagen, Herr Ankläger, denn das ist ja nur ein taktisches Detail. Wenn der Führer Schuschnigg zwingt, den Innenminister zu geben, und dann dieses Wortspiel kommt, und meinen Namen zuerst nennt, dann möchte ich daraus nicht das geringste für meine Verteidigung ziehen.

MR. DODD: Gut, ich glaube, das ist sehr tapfer. Tatsache ist, daß dort alles vorbereitet war; Sie wußten es und auch Hitler, daß Sie mit in die Regierung hineinkommen sollten und daß es ganz unwichtig ist, wer Ihren Namen wirklich zuerst genannt hat.

SEYSS-INQUART: Das ist richtig. Aber ich habe nicht sicher gewußt, daß an diesem Tage Hitler den Innenminister verlangte und mich ernennen würde, denn ich habe von Herrn von Papen keine Verständigung über das Ergebnis seiner Unterredungen mit Hitler bekommen. Ich habe nur vermutet, daß die Sache so gehen könne. Ich war gar nicht so Persona grata in Berlin, daß Berlin gerade mich vielleicht genommen hätte.

MR. DODD: Wenige Tage nachdem diese sogenannte Vereinbarung in Berchtesgaden zustande kam, wurde sie von Hitler gebrochen, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ja, am 17. Februar.

MR. DODD: Er hat sie schon vor dem 17. Februar gebrochen, nicht wahr? Erinnern Sie sich, daß er Klausner zum Chef der Partei ernannte, ungeachtet der Tatsache, daß er mit Schuschnigg vereinbart hatte, er würde dies nicht tun, und daß es keine solche politische Organisation geben würde? Sie wußten davon, als das erfolgte, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Bitte, vielleicht habe ich die erste Frage nicht verstanden. Ich habe verstanden...

MR. DODD: Vielleicht ist es etwas verzwickt. Worauf es ankommt ist, daß mehrere Tage nach der Zusammenkunft in Berchtesgaden Hitler Klausner zum Chef der illegalen Nazi-Partei in Österreich ernannt hatte, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, das war aber erst nach dem 17. Februar, denn ich selber habe Hitler nahegelegt, seine Zustimmung zu geben, daß Klausner die Nazis in Österreich leitet, denn es war mir ganz klar, daß kein Nationalsozialist in Österreich irgend jemandem folgt, wenn Hitler nicht einverstanden ist.

MR. DODD: Würden Sie die Geschichte von Guido Zernatto anerkennen, dessen Buch Sie selbst dem Gerichtshof vorgelegt haben? Würden Sie seinen Bericht darüber, wann es sich ereignete, anerkennen?

SEYSS-INQUART: Ja, ich würde das.

MR. DODD: Er sagte, es war nur einige Tage nach der Berchtesgadener Zusammenkunft. Es könnte vielleicht am 17. gewesen sein, aber es ist nicht wahrscheinlich. War es nicht vor Ihrer Reise nach Berlin?

SEYSS-INQUART: Wer hat das gesagt? Ich?

MR. DODD: Zernatto.

SEYSS-INQUART: Nein, ich habe Hitler erst zum erstenmal in meinem Leben am 17. Februar gesehen, und damals war, glaube ich, Klausner noch nicht ernannt, denn ich selber habe Hitler darauf angesprochen, daß er einverstanden sein solle, daß Klausner die österreichischen Nationalsozialisten führt.

MR. DODD: Ich sehe, Sie erkennen das jetzt an. Das ist ein sehr kritischer Punkt in Ihren ganzen Verhandlungen zwischen Österreich und Deutschland, denn wenn, wie Zernatto angibt, dieser Vertrag nach einigen Tagen gebrochen wurde, dann wußten Sie, als Sie nach Berlin gingen, um über das trojanische Pferd zu sprechen, daß Hitler schon seine illegale Tätigkeit in Österreich aufgenommen hatte, wenn das tatsächlich vor Ihrer Reise dorthin der Fall war.

SEYSS-INQUART: Ich möchte sagen, daß die illegale Tätigkeit nicht gerade von Hitler, aber sonst von einigen, überhaupt nie aufgehört hat, und daß es meine Absicht war, diese illegale Tätigkeit in Formen zu bringen, die wir von Österreich kontrollieren können. Das habe ich ja immer auch Schuschnigg gesagt: Die österreichischen Nazis machen nichts ohne Hitler.

MR. DODD: Darum geht es hier nicht. Ich will mich damit nicht länger befassen. Ich möchte Sie noch eines über Ihre Zusammenkunft mit Hitler fragen. Sie wußten doch gewiß am 17. Februar, wie schlecht Schuschnigg und Guido Schmidt in Berchtesgaden behandelt worden waren. Haben Sie das Hitler gegenüber im Laufe Ihrer zweieinhalbstündigen Unterredung erwähnt?

SEYSS-INQUART: Nein, denn ich bin ja auch für die Politik der Vaterländischen Front von 1934 gegen die Nationalsozialisten nicht verantwortlich. Das war ja nur die Reaktion auf die Unterdrückung der Nationalsozialisten in Österreich.

MR. DODD: Gut. Nun kommen wir zum 8. März, dem Tage, an dem Ihnen Schuschnigg von der Volksabstimmung erzählte, die er in einigen Tagen abhalten wollte.

SEYSS-INQUART: Ja.

MR. DODD: Am 9. März sandten Sie einen Brief an Schuschnigg und eine Abschrift davon an Hitler, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Jawohl.

MR. DODD: Haben Sie Schuschnigg mitgeteilt, daß Sie durch einen Kurier eine Abschrift an Hitler schickten?

SEYSS-INQUART: Ich weiß es nicht, aber ich hatte mich nicht im geringsten bedacht, denn nach dem 12. Februar 1938 mußte ich das Reich verständigen.

MR. DODD: Sicherlich mußten Sie aber auch Schuschnigg als sein Staatsrat darüber unterrichten, daß Sie eine Abschrift dieses sehr wichtigen Briefes an Hitler sandten? Sie haben Schuschnigg darüber nichts gesagt? Das ist doch richtig?

SEYSS-INQUART: Das ist möglich, aber ich glaube, daß ich es vielleicht dem Zernatto gesagt habe. Ich habe bestimmt Zernatto verständigt, daß ich das Reich orientiere; da ist gar kein Zweifel.

MR. DODD: Das werden wir noch sehen. Am nächsten Abend hatten Sie eine Zusammenkunft mit Schuschnigg, Schmidt und Skubl. Ich nehme an, in der Kanzlei. Sie haben dort niemandem gegenüber die Tatsache erwähnt, daß Sie bereits Hitler durch einen Sonderkurier verständigt hätten. Erinnern Sie sich an diese Zusammenkunft?

SEYSS-INQUART: Ich habe eigentlich keine Vorstellung. Ich erinnere mich nur an die Zusammenkunft am 10. März abends. Aber es wird schon so sein, ich glaube schon, daß es so...

MR. DODD: Das ist der Abend, an dem Sie tatsächlich ins Hotel Regina gegangen sind und dort Klausner getroffen haben. Gleich nach der Zusammenkunft gingen Sie hinunter auf die Straße zu Ihren Kameraden. Haben Sie denen gesagt, was Schuschnigg mitgeteilt hat und was Sie Schuschnigg am Anfang der Unterredung gesagt haben?

SEYSS-INQUART: Am 10. März?

MR. DODD: Ja, am 10.

SEYSS-INQUART: Ja, ich habe aber eine geradezu bemerkenswerte Teilnahmslosigkeit angetroffen.

MR. DODD: Aber Ihr Kurier war doch schon von Berlin zurück? Globocznik war doch aus Berlin zurückgekehrt, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ja. Globocznik kam zurück und teilte mit, daß Berlin diese Abstimmung ablehne und daß ich morgen einen Brief bekommen werde... am nächsten Tag einen Brief bekommen werde mit der Stellungnahme Hitlers.

MR. DODD: Bei derselben Zusammenkunft im Hotel Regina haben Sie gehört, wie Rainer Anweisungen gab, die Partei in Österreich zu mobilisieren und sie bereitzuhalten, um Demonstrationen durchzuführen oder am nächsten Tag die Macht zu ergreifen. Sie waren doch dort, als er diese Pläne unterbreitete. Erinnern Sie sich dessen?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, daß das eine sehr reichliche Übertreibung Rainers ist. Ich erinnere mich nur, daß Klausner gesagt hat »also morgen sollen alle mit ihm in Verbindung bleiben«. Daß es natürlich zu Demonstrationen kommen kann, das war so selbstverständlich, daß das allen klar war; wenn diese Angelegenheit jetzt nicht bereinigt wird, dann kommt es zu schweren Demonstrationen, aber auch der Regierung war das klar.

MR. DODD: Ich glaube, wir können das ziemlich schnell erledigen, wenn Sie mit mir darin übereinstimmen, daß diese Demonstrationen überhaupt nicht spontan waren, wie ich glaubte, daß Sie es dem Gericht darstellen wollten, sondern daß sie von Ihren Mitarbeitern wohl vorbereitet waren.

SEYSS-INQUART: Daß die Aktionen nicht spontan waren? Nein, die waren bestimmt nicht spontan.

MR. DODD: Sie waren es nicht?

SEYSS-INQUART: Die ganze Situation ist ja seit 8. März immer mehr in die Hitze geraten.

MR. DODD: Gut. Nun, als dann Glaise-Horstenau am nächsten Morgen, am 11. März, von Berlin zurückkam, hat er Ihnen doch von den Plänen oder den Berliner Gesprächen über militärische Ereignisse erzählt? Nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Horstenau?

MR. DODD: Ja.

SEYSS-INQUART: Jawohl, und wir haben dasselbe Dr. Schuschnigg mitgeteilt.

MR. DODD: Sie gingen zu Schuschnigg, und am selben Vormittag schrieben Sie ihm noch einen anderen Brief.

SEYSS-INQUART: Vorher war aber eine fast zweistündige Unterredung, in der ich ihm alle Einzelheiten gesagt habe. Der Brief war nur eine Bestätigung.

MR. DODD: Nun, dieser Brief war ein Ultimatum an Schuschnigg, und Sie haben ihn auf Anweisung Ihres politischen Vorgesetzten, Klausner, geschrieben?

SEYSS-INQUART: Nein, das hat der Rainer behauptet, das ist auch wieder eine der Behauptungen des Rainer. Denn wenn von einem Ultimatum geredet werden kann, dann habe ich das schon vorher mündlich gestellt. Denn ich habe beim Weggehen Dr. Schuschnigg gebeten, mir bis 2.00 Uhr nachmittags Antwort zu geben, und für den Fall der Ablehnung mußten Glaise-Horstenau und ich zurücktreten. Da hatte ich mit Klausner noch gar nicht geredet gehabt.

MR. DODD: Nun, wie ich verstehe, wird alles, was Rainer in seinem Bericht sagt, nämlich im Dokument 812-PS; von Ihnen als unwahr hingestellt. Er sagt noch...

SEYSS-INQUART: Unwahr nicht, aber leicht übertrieben.

MR. DODD: Nun gut, ich wollte nur Ihre Ansicht hören, da Sie ja, wenn er Zeuge ist, nicht mehr verfügbar sein werden. Sie wissen, daß er auch erklärt hat, Sie hätten mit ihm über die Machtergreifung gesprochen, falls Schuschnigg Ihr Ultimatum nicht annehmen sollte. Sagen Sie, daß das stimmt oder daß das nicht stimmt?

SEYSS-INQUART: Ich erinnere mich nicht, ich glaube nicht.

MR. DODD: Was sagen Sie zu seiner Erklärung, daß Sie drei bestimmte Möglichkeiten erwähnt haben, um Österreich in die Hand zu bekommen und es dann Deutschland zu übergeben? Ist das wahr oder nicht?

SEYSS-INQUART: Ich glaube, das ist eine nachträgliche Konstruktion des Rainer.

MR. DODD: Nun, ich muß Sie über diese Dinge befragen, denn wir wollen doch Ihre Stellungnahme dazu hören.

SEYSS-INQUART: Ich bitte darum.

MR. DODD: Rainer sagt auch, daß das jetzt so bekanntgewordene Telegramm an Hitler, in dem erklärt wird, daß die Lage in Österreich schwierig sei, daß dieses Telegramm in Wirklichkeit auch von Glaise- Horstenau aus Berlin mitgebracht wurde. Er erklärt das in dem gleichen Dokument. Was sagen Sie dazu?

SEYSS-INQUART: Das stimmt nicht ganz. Ich habe den Brief Hitlers...

MR. DODD: Wie kann es stimmen, wenn es nicht ganz stimmt. Sie deuten doch an, daß etwas Wahres daran ist?

SEYSS-INQUART: Ich habe den Brief Hitlers durch einen Kurier bekommen und nicht durch Glaise-Horstenau. Und in diesem Brief drinnen war auch der Entwurf eines Telegramms.

MR. DODD: Das ist dasselbe Telegramm, auf das sich Göring bezog, als er mit Ihnen telephonierte, und dasselbe, auf das sich Keppler bezog, als er mit Dietrich telephonierte, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Nein, dieses Telegramm war mindestens doppelt so lang, und dieses Telegramm hatte ich ganz dezidiert abgelehnt.

MR. DODD: Nun, dann möchte ich an Sie schließlich noch die folgende Frage über diesen Tag stellen: Diese Rundfunkansprache, die Sie damals hielten, hielten Sie doch in Wirklichkeit auf Anweisung Görings? Er sagte Ihnen doch...

SEYSS-INQUART: Nein.

MR. DODD:... Sie sollten eine Erklärung abgeben, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Nicht daran zu denken. Das wäre mir vollkommen gleichgültig gewesen.

MR. DODD: Sehen Sie sich doch einmal die Notiz über Ihr Telephongespräch mit ihm an. Es fand um 19.57 Uhr an jenem Abend statt, als er Ihnen sagte, Sie sollten zum Volk sprechen. Drei Minuten später sprachen Sie dann über das Radio. Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, Göring habe es nicht angeordnet?

SEYSS-INQUART: Ja, aber Göring hat mich zu etwas ganz anderem aufgefordert; Göring hat mich aufgefordert, mich als provisorische Regierung zu erklären und die Macht zu übernehmen. Wenigstens glaube ich das. Ich hatte mich ihnen als Innen- und Sicherheitsminister vorgestellt und sie aufgefordert, die Ruhe zu halten und den einrückenden deutschen Truppen keinen Widerstand zu leisten, genau dasselbe, was Schuschnigg eine halbe Stunde vor mir gesagt hatte.

MR. DODD: Aber es dauerte ungefähr zwei bis drei Minuten nach Ihrem Gespräch mit Göring, bis Sie ans Mikrophon gingen?

SEYSS-INQUART: Ich habe mit Feldmarschall Göring so viel gesprochen, ich möchte weder ihn noch mich mit allem belasten, was wir an dem Tage getan haben auf Grund der Telephongespräche. Ich glaube, daß ich fast nichts davon gemacht habe.

MR. DODD: Sie wollen doch nicht andeuten, daß Göring an Ihrem Verkauf Österreichs an Deutschland nicht interessiert war? Er hatte doch bestimmt ein großes Interesse an den Ereignissen dieser Tage? Nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Ja, aber den Ausdruck »verkaufen« finde ich hier nicht am Platze.. Göring hatte ja das sichtbarste Interesse, diese Angelegenheit auf eine vielleicht etwas drastische Weise zu finalieren.

MR. DODD: Sie haben gestern dem Gerichtshof gesagt, daß ungefähr 40 SS-Männer in dem Gebäude waren und daß Sie dachten, diese wären dort, weil Miklas und Schuschnigg nichts unternahmen, um sie zu entfernen. Die Wahrheit in dieser Sache ist doch, daß Sie Sicherheitsminister waren und daß es Ihre Aufgabe war, sie zu entfernen, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Nein, ich war nicht der Hausherr im Bundeskanzleramt. Und außerdem war das Dr. Skubl hier, es hätte ein Wort von Herrn Miklas oder Dr. Schuschnigg genügt, und es wären 300 Mann vom Gardebataillon dagewesen und hätten Ordnung gemacht. Von mir konnte man in dem Augenblick nicht verlangen, daß ich gegen Nationalsozialisten vorgehe.

MR. DODD: Gut, wenn von diesen ein Wort genügt hätte, dann hätte doch wohl von Ihnen ein Fingerzeig genügt, nicht wahr, um sie zu entfernen? Es waren doch Ihre nationalsozialistischen SS-Männer, abgesehen von der Tatsache, daß Sie der Chef der Polizei waren?

SEYSS-INQUART: Ob sie mir gefolgt hätten, weiß ich nicht, und über das Gardebataillon habe ich nicht verfügt, weil das Wehrmacht ist. Aber bitte, zweifellos hätte ich einen Einfluß nehmen können, und das wäre vielleicht von Erfolg gewesen. Aber diese 40 Männer, die da waren, haben mir in meinen Augen überhaupt nichts bedeutet.

MR. DODD: Sie hatten den Platz umzingelt, nicht wahr? Sie waren nicht nur im Gebäude, sie waren auch außerhalb auf den Dächern der Nachbargebäude? Erinnern Sie sich an all das?

SEYSS-INQUART: Es waren damals ein paar tausend Nationalsozialisten vor dem Bundeskanzleramt.

MR. DODD: Gut, wir wollen noch einmal auf Ihren Freund Rainer zurückkommen, der in Ihrer Angelegenheit hierher kommt, und wir wollen sehen, was er darüber sagt. Haben Sie seinen Artikel – ich glaube, daß man es einen Artikel nennen kann – gesehen, den er über jene historische Nacht geschrieben hat. Kennen Sie ihn?

SEYSS-INQUART: Ja, ja, man kann das sogar noch mehr als einen Artikel nennen.

MR. DODD: Ja, er nannte es »Die Stunden der historischen Entscheidung«.

Herr Vorsitzender! Es ist 4004-PS, US-883.