[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
[Der Zeuge Glaise-Horstenau betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.
ZEUGE EDMUND GLAISE-HORSTENAU: Edmund Glaise-Horstenau.
VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können Platz nehmen.
DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Welche Stellung hatten Sie in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie?
GLAISE-HORSTENAU: Geboren 1882 in Braunau in Oberösterreich, Offiziersfamilie französischer Abkunft. 1918 österreichischer Generalstabsmajor im österreichischen Hauptquartier, Referent für Politik und Presse.
DR. STEINBAUER: Welche Stellung hatten Sie dann in der österreichischen Republik?
GLAISE-HORSTENAU: Nach dem Umsturz im Jahre 1918 Zivildienst, Universitäts-Archivdirektor, Historiker und Schriftsteller, unter anderem Verfasser eines grundlegenden Werkes über den Zusammenbruch Alt-Österreichs, welche...
DR. STEINBAUER: Herr General! Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche. Wir wollen nur Ihre öffentlichen Stellungen kurz haben. Welche öffentlichen Stellungen haben Sie bekleidet in der Republik?
GLAISE-HORSTENAU: Archivdirektor, dann vom 11. Juli 1936 an Minister im Kabinett Schuschnigg, als Betreuer des Juli-Abkommens. In den Märztagen 1938 im Kabinett Seyß-Inquart.
November 1939 freiwillig in die deutsche Armee eingetreten. Zuerst das wenig rühmliche Geschäft eines Kriegsgräber-Inspekteurs, dann von 1941 an militärdiplomatische Verwendung in Zagreb, ohne Truppenkommando. September 1944 Sturz in Zagreb, weil ich als alter Österreicher, entgegen der offiziellen Politik, der grundsätzliche Widersacher des Ustascha- Terrors gewesen bin – und auch, weil ich angeblich das von uns gewählte und bestimmte Staatsoberhaupt Ante Pavelic mitunter undiplomatisch ein kriminelles Subjekt genannt hätte.
DR. STEINBAUER: Herr General! Ich werde einige kurze Fragen an Sie richten. Mir genügt, daß Sie diese schlagwortartig beantworten. Das Gericht will nicht viel vom Anschluß, aber alles wissen, wie der Anschluß gemacht wurde. Deshalb frage ich Sie ganz kurz:
Waren Sie nach dem Juli-Putsch 1934 irgendwie in Verbindung mit Kanzler Schuschnigg?
GLAISE-HORSTENAU: Ja.
DR. STEINBAUER: Wie war denn die damalige wirtschaftliche Lage?
GLAISE-HORSTENAU: Die damalige wirtschaftliche Lage kennzeichnet sich durch die Durchschnittsziffern der Arbeitslosen. Von sechs Millionen Einwohnern waren 400 000 arbeitslos, das heißt, mit Familien jedesmal über eine Million im Elend der Arbeitslosigkeit.
DR. STEINBAUER: Welche Möglichkeiten bestanden nun bezüglich Vergrößerung des Wirtschaftsgebietes?
GLAISE-HORSTENAU: Ich darf hier offen sofort sagen, daß allen diesen Möglichkeiten immer ein »Nein« entgegengesetzt wurde. Wenn Österreich den Anschluß wollte, hieß es: »Nein«. Wenn Österreich die Habsburger zurückrufen wollte, hieß es: »Nein«. Wenn Österreich in einer deutschen Zollunion eine Vergrößerung des Wirtschaftsgebietes haben wollte, hieß es »Nein«. Und wenn große Männer, wie Briand, wie Tardieu, von einer Donauföderation sprachen, bekamen wir von autarkiefrohen Nachbarn immer wieder kalte Schultern zu sehen. – Das ist die österreichische Tragödie.
DR. STEINBAUER: Nun hat sich eine Partei gebildet, die den Anschluß als Hauptprogramm aufgefaßt hat. Wie waren die Kampfmethoden dieser Partei?
GLAISE-HORSTENAU: Im Jahre 1918 war die Bannerträgerin des »Anschlusses« nicht zuletzt die Sozialdemokratische Partei, geführt von Otto Bauer, der bereits ein Jahr zuvor den Anschluß als das einzig Mögliche für das österreichische Proletariat erklärte. Später drängte sich dann stark in den Vordergrund die Nationalsozialistische Partei, allerdings erst Ende der zwanziger Jahre geeinigt, in dem sie sich bedingungslos der Führung Adolf Hitlers unterstellte.
DR. STEINBAUER: Wer war der damalige Führer der NSDAP in Österreich?
GLAISE-HORSTENAU: Die Führer selbst haben stark gewechselt. Hitler hatte jedoch in der Person des Preußen Doktor... Wie heißt er, der Preuße?... in der Person eines Preußen... nur fällt der Name momentan nicht ein,... hatte er einen Landesinspekteur geschickt, welcher dann im Jahre 1933 von Dollfuß landesverwiesen wurde. Habicht, Dr. Habicht heißt er.
DR. STEINBAUER: Nach ihm war, ist das richtig, Hauptmann Leopold?
GLAISE-HORSTENAU: Nach ihm trat Hauptmann Leopold an die Spitze der Partei.
DR. STEINBAUER: Und wie standen nun die österreichischen Nationalsozialisten zu Adolf Hitler?
GLAISE-HORSTENAU: Sie fühlten sich ihm unbedingt zu Gehorsam und Treue verpflichtet.
DR. STEINBAUER: Es ist nun das bekannte Übereinkommen vom 11. Juli 1936 geschlossen worden, und Sie haben nach diesem Übereinkommen Seyß-Inquart kennengelernt. Was hat er Ihnen über seine politischen Ziele mitgeteilt?
GLAISE-HORSTENAU: Ich habe Seyß-Inquart unmittelbar vor diesem Übereinkommen näher kennengelernt. Ich erinnere mich nicht genau, was er damals über seine politischen Ziele mir mitzuteilen hatte. Im allgemeinen stimmt es mit dem überein, was er später als politisches Ziel aufstellte.
DR. STEINBAUER: Nämlich? Bitte ganz kurz.
GLAISE-HORSTENAU: Die Partei nicht als Organisation, sondern nur in Form von Ideenträgern in das Totalitätsinstrument des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes, in die Vaterländische Front – dabei Bekenntnis dieser Ideenträger zu Staat und Verfassung in Österreich – Segen Adolf Hitlers hierzu.
DR. STEINBAUER: Haben Sie selbst mit dem Führer Adolf Hitler einmal verhandelt oder gesprochen?
GLAISE-HORSTENAU: Ich habe, abgesehen von den Märztagen des Jahres 1938, dreimal Gelegenheit gehabt, mit Adolf Hitler zu sprechen.
DR. STEINBAUER: Wann ist nun Seyß-Inquart in die Regierung eingetreten?
GLAISE-HORSTENAU: Seyß-Inquart ist in die Regierung nach dem 12. Februar 1938 eingetreten.
DR. STEINBAUER: Hat er Adolf Hitler besucht?
GLAISE-HORSTENAU: Er hat meiner Erinnerung nach am 17. Februar Adolf Hitler besucht.
DR. STEINBAUER: Hat er über seinen Besuch bei Hitler Schuschnigg und anderen Mitgliedern des Kabinetts Bericht erstattet?
GLAISE-HORSTENAU: Schuschnigg ganz bestimmt, mir auch.
DR. STEINBAUER: Hat er mitgewirkt bei der geplanten Volksabstimmung, die für den 13. März 1938 vorgesehen war?
GLAISE-HORSTENAU: Ich bin damals ohne Wissen von der Volksabstimmung am 6. bereits auf einen 14tägigen Urlaub gegangen, so daß ich darauf keine verläßliche Antwort zu geben vermag.
DR. STEINBAUER: Aber wissen Sie, ob diese Volksabstimmung im Ministerrat beschlossen wurde, mit Zustimmung Seyß-Inquarts, oder nicht? Hat er Ihnen nachträglich solche Mitteilungen gemacht?
GLAISE-HORSTENAU: Meines Wissens hat die Volksabstimmung keinen Ministerrat beschäftigt.
DR. STEINBAUER: Waren die Nationalsozialisten mit der Volksabstimmung einverstanden?
GLAISE-HORSTENAU: Soviel ich nach meiner Rückkehr vom Urlaub ersehen konnte, absolut nicht.
DR. STEINBAUER: Nun ist bekanntgeworden, daß Schuschnigg eine Volksabstimmung vornehmen will. Wo waren Sie, was haben Sie damals erlebt?
GLAISE-HORSTENAU: Ich hatte am 6. Februar... März, wie ich schon sagte, einen Urlaub angetreten, hielt am 7. März einen seit langem in Aussicht genommenen Vortrag in Stuttgart. Thema: »Mitteleuropa im Jahre 1000 nach Christi.«
DR. STEINBAUER: Details interessieren uns nicht, nur Fakten.
GLAISE-HORSTENAU: Dann unternahm ich einen rein privaten Ausflug nach Landau in der Pfalz, um Verwandte aus der Franzosenzeit zu besuchen. Dort suchte mich Bürckel, dem ich nichts von meiner Ankunft gesagt hatte, auf und in der Wohnung Bürckels hörte ich im Radio die Ansprache Schuschniggs in Innsbruck. Mir war sofort klar, daß diese Plebiszitansage bei der Eigenart Hitlers bestimmt irgendeine schwere Gegenaktion herausrufen werde, und ich war entschlossen, sofort nach Wien zurückzufliegen. Bürckel, der das arrangieren sollte, telephonierte jedoch mit der Reichskanzlei, und Hitler sprach den Wunsch aus, ich möge nach Berlin kommen. – Ich habe vor dem amerikanischen Interrogator die Gründe, die mich bewogen, dieser Aufforderung nachzukommen, erörtert. Nachträglich, erst hier, erfuhr ich, warum mich Hitler nach Berlin gerufen hatte. Aus dem Munde eines absolut authentischen Zeugen ging hervor, daß er mich nicht nach Österreich zurückfahren lassen wollte; er wußte, daß ich ein Feind aller gewaltsamen Lösungen war. In der Nacht vom 9. auf den 10. März kam ich zu Hitler. Er kam nach zweieinhalbstündigem Gespräch, das keine konkreten Formen annahm, noch zu keinem Entschlusse, sondern sagte mir, er werde mich im Laufe des Tages, zuerst um 11.00 Uhr vormittags, rufen lassen. In der Tat rief er mich erst um 8.00 Uhr abends und drückte mir für Seyß-Inquart Entwürfe
a) für ein Demissionsangebot an Schuschnigg,
b) für eine Rede durch das Radio
in die Hand. – Ich erklärte, diese Entwürfe nicht selbst nach Österreich bringen zu können, es möge das der normale Kurier tun.
Später bekam ich noch vom damaligen Feldmarschall Göring einen dritten Entwurf in die Hand gedrückt, welcher ein Telegramm enthielt mit einer zweiten Bitte an Hitler um Einmarsch deutscher Truppen. Ich sage gleich vorweg, alle diese drei Entwürfe hatten keinerlei – wahrscheinlich meines Wissens auch der dritte – hatten keinerlei aktuelle Bedeutung erhalten. Das waren meine Erlebnisse am 11. in Berlin.
DR. STEINBAUER: Sie sind dann nach Wien geflogen und haben Seyß-Inquart getroffen. Was haben Sie mit ihm dann an dem kritischen 11. März vormittags gemacht?
GLAISE-HORSTENAU: Seyß-Inquart holte mich auf dem Flugplatz ab.
Ich orientierte ihn kurz über meine Berliner Erlebnisse und ließ ihn auch über die schweren Sorgen, die mich erfüllten, nicht im unklaren. Ich bin zusammen mit Seyß-Inquart um 11.00 Uhr vormittags, eigentlich knapp nach meiner Ankunft, zu Schuschnigg gegangen. Während vor Schuschnigg Seyß-Inquart innenpolitische Probleme, die angewachsen waren und die ich nicht kannte, da ich abwesend gewesen war, aufwarf, wies ich Schuschnigg, nahe einem Weinkrampfe, auf die großen Gefahren neuer Weltkomplikationen, eventuell eines neuen Weltkrieges, hin und beschwor ihn, nachzugeben und das Plebiszit für Sonntag zurückzunehmen.
DR. STEINBAUER: Haben Sie und Seyß-Inquart ihm Ihre Demission angeboten?
GLAISE-HORSTENAU: Mündlich kann ich mich nicht erinnern, ob es soweit gekommen ist. Die Unterredung war verhältnismäßig kurz, jedoch nachher um 1.00 Uhr haben wir die Demission angeboten.
Dabei war für mich weder ein Befehl Hitlers noch ein Befehl des nationalsozialistischen Führers Klausner notwendig.
Ich war bereits am Donnerstag abend in der Wohnung Bürckels entschlossen, im Zusammenhang mit dem Plebiszit auch von diesem gebräuchlichen Mittel einer Ministerdemission Gebrauch zu machen, um vielleicht doch noch das Ärgste zu verhüten.
DR. STEINBAUER: Wie hat sich Schuschnigg zu diesem Angebot gestellt, die Volksabstimmung zu verschieben?
GLAISE-HORSTENAU: Schuschnigg hat sich zu Anfang reserviert verhalten. Es hatten dann um etwa 2.00 Uhr nachmittags Guido Schmidt und Guido Zernatto, ich brauche hier nicht mehr zu sagen wer diese gewesen sind, sich bemüht, mit Seyß-Inquart noch einen Modus vivendi herzustellen. Ich hielt mich zurück, da ja meine Mission schon am 12. Februar völlig erledigt gewesen war.
DR. STEINBAUER: Was hat Seyß-Inquart nachmittags gemacht?
GLAISE-HORSTENAU: Kurz nach dieser Aussprache, die zu keinem Ergebnis führte, zögerte Schuschnigg noch immer, um jedoch dann doch zu erklären, daß er das Plebiszit für Sonntag wunschgemäß vertage. Ich glaubte das Ärgste vorüber. Kurze Zeit darauf wurde Seyß-Inquart zum Telephon gerufen und kam sichtlich erregt zurück, es sei ihm aus Berlin mitgeteilt worden, daß Hitler nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten... mit Schuschnigg zusammenarbeiten könne und daß Seyß-Inquart die Nachfolgeschaft im Kanzlerposten fordern möge.
Seyß-Inquart lud mich ein, mit ihm zu Schuschnigg zu gehen. Ich habe es aus Gründen der Delikatesse abgelehnt. Seyß-Inquart ging allein hinein, kam nach kurzer Zeit zurück und führte dann mit mir ein Gespräch, das mir hier doch wichtig zu sein scheint. Er rechnete damit, die Kanzlerschaft zu bekommen und sagte zu mir beinahe mit einem Unterton des Bedauerns: »Wir werden jetzt doch auch die Nazis hineinnehmen müssen und wollen zusammen mit den Katholiken und ähnlich Gesinnten eine Dachorganisation bilden, mit der ich regieren will.« Von Hitler verlangte er jedoch innenpolitisch ein fünfjähriges Stillhalteabkommen.
DR. STEINBAUER: Nun, auf das ist ja Hitler nicht eingegangen, sondern ist einmarschiert, und es ist Ihnen dann ein Gesetz vorgelegt worden. Sie waren Vizekanzler, haben Sie dieses Gesetz mit unterschrieben und warum?
GLAISE-HORSTENAU: Ich habe dieses Gesetz mit unterschrieben. Ich bin in die Regierung eingetreten nach dem Ersuchen Kepplers und habe dieses Gesetz mit unterschrieben unter dreifachem Eindrucke: Erstens unter dem Eindruck, daß Österreich für sich in der Welt völlig allein steht, daß sich kein Finger für uns rührte, zweitens – ich muß hier etwas sagen, was auch in der Presse Süddeutschlands wiederholt gesagt wurde – unter dem Eindruck unerhörter Demonstrationen auf der Straße, nennen Sie es Massenpsychose oder wie immer; die Massenpsychose war da, es war eine unerhörte Volkskundgebung, und drittens, als ich auf dem Ballhausplatz – ich habe an der Entstehung des Gesetzes selbst keinerlei Anteil-als ich auf dem Ballhausplatz das Gesetz in die Hand nahm, rollten unten die deutschen Panzer vorüber. Die Besetzung des Landes durch Adolf Hitler fand ihre Vollendung. Bei ihm hieß es jetzt biegen oder brechen. Wenn auch Österreich irgendeinen anderen Willen zur Geltung hätte bringen wollen, es wäre nicht möglich gewesen.
Man ist häufig gerne geneigt, meiner Heimat nachzusagen, sie hätte damals Selbstmord aus Furcht vor dem Tode machen sollen...
DR. STEINBAUER: Herr General, das genügt, danke.
Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen mehr an diesen Zeugen.
DR. KUBUSCHOK: Wurde das Juli-Abkommen auf Druck von Deutschland oder auf beiderseitigen Wunsch und im beiderseitigen Interesse abgeschlossen?
GLAISE-HORSTENAU: Es wurde auf beiderseitigen Wunsch und im beiderseitigen Interesse abgeschlossen.
DR. KUBUSCHOK: Haben Sie damals und später zu Bundeskanzler Schuschnigg in einem absoluten Vertrauensverhältnis gestanden?
GLAISE-HORSTENAU: Ich stand bis in den Winter 1937/1938 in einem absoluten Vertrauensverhältnis zu Schuschnigg.
DR. KUBUSCHOK: Ist Ihnen etwas von einer Absicht des Herrn von Papen bekannt, auf eine Entfernung des Bundeskanzlers Schuschnigg hinzuarbeiten?
GLAISE-HORSTENAU: Ich hatte nie eine geringste Andeutung dieser Art gehört.
DR. KUBUSCHOK: Was war der sogenannte Hilfsfonds »Langot«?
GLAISE-HORSTENAU: Der Hilfsfonds »Langot« war ein von der Regierung stillschweigend in echt österreichischer Art – das soll keine Kritik sein, da es eine echt österreichische Art ist – bewilligter Fonds zur Unterstützung von nationalsozialistischen... von Familienangehörigen verhafteter, eingesperrter Nationalsozialisten.
DR. KUBUSCHOK: Jedenfalls hatten Schuschnigg und die Regierung hiervon Kenntnis?
GLAISE-HORSTENAU: Sie hatten beide davon Kenntnis und wußten auch genau von »Langot«
DR. KUBUSCHOK: Wie stand die NSDAP und besonders Leopold zu Herrn von Papen?
GLAISE-HORSTENAU: Die NSDAP und Leopold waren Herrn von Papen absolut abgeneigt. Sie feindeten ihn an schon wegen seiner katholischen Gesinnung und mißtrauten ihm auch sonst nach allen möglichen Richtungen hin.
DR. KUBUSCHOK: Danke.
VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör?
MR. DODD: Kennen Sie einen General Muff?
GLAISE-HORSTENAU: O ja, sehr gut.
MR. DODD: Sie hatten die Angewohnheit, ihm alles zu erzählen, was sich im Ministerrat in Österreich ereignete, nicht wahr?
GLAISE-HORSTENAU: Nein.
MR. DODD: Kennen Sie Stephan Tauschitz, den Österreichischen Gesandten in Deutschland?
GLAISE-HORSTENAU: Auch nicht. Wir haben gesprochen mit ihm über einen Gegenstand, aber daß ich mich irgendwie als Spitzel hätte verwenden lassen, widersprach meiner Tradition als kaiserlicher Soldat.
MR. DODD: Wozu denn, dachten Sie, wurden Sie von Bürckel von Stuttgart nach Berlin gebracht?
GLAISE-HORSTENAU: Ich verstehe nicht, bitte schön.
MR. DODD: Was dachten Sie, war der Zweck Ihrer Reise, als Sie im März 1938 von Stuttgart nach Berlin gebracht wurden, als Hitler Sie zu sehen wünschte?
GLAISE-HORSTENAU: Ich bin nicht von Stuttgart, sondern aus der Pfalz nach Berlin gefahren. Hitler hat mir sagen lassen, ich möge kommen, unbedingt, und ich habe es mir überlegt. Ich habe aber dann zugestimmt: a) weil ich wissen wollte wie es in Berlin...
MR. DODD: Ich wollte wissen, was Sie dachten, daß der Zweck Ihrer Fahrt wäre, als Sie die Reise nach Berlin antraten, ganz gleich von wo aus. Das ist alles. Was dachten Sie, wäre der Zweck?
GLAISE-HORSTENAU: Meine Absicht war, der Einladung, der Aufforderung Hitlers zu folgen, um zu erfahren, wie es in Berlin aussah.
MR. DODD: Gut. Sie haben dem Gerichtshof erzählt, daß Sie nur an einer friedlichen Lösung der Frage interessiert waren. Als Sie dieses falsche Telegramm und den Entwurf der Rundfunkansprache für Seyß-Inquart erhielten, dachten Sie doch sicherlich nicht, daß Sie, was Österreich betraf, in einer friedlichen und loyalen Weise vorgingen, nicht wahr?
GLAISE-HORSTENAU: Ich hatte aus allen diesen drei Stücken den absoluten Eindruck gewonnen, daß, wenn Schuschnigg das Plebiszit am Sonntag zurücknimmt, dann noch eine friedliche Lösung möglich sein würde.
MR. DODD: Und was dachten Sie mit diesem Telegramm zu tun, mit diesem Telegramm, in dem Hitler wegen Unruhen um Hilfe gebeten wurde? Das geschah Tage, bevor es tatsächlich so weit war. Sie wußten, daß dies ein vollständiger, offensichtlicher Betrug war. Warum gaben Sie Ihre Einwilligung, auch das nach Österreich mitzunehmen?
GLAISE-HORSTENAU: Ich habe es nicht mitgenommen. Es ist sogar zu einem scharfen Meinungsaustausch zwischen mir und dem damaligen Feldmarschall Göring gekommen. Ich habe es nicht mitgenommen. Es ist einem Kurier mitgegeben worden.
MR. DODD: Sie haben uns das doch erklärt. Wir haben Ihre Aufzeichnungen hier, in denen Sie sagten, daß Sie Schriftstücke mitgenommen haben.
GLAISE-HORSTENAU: Nein, ich habe niemals gesagt, das war entgegen aller Wirklichkeit, ich habe nie notiert und gesagt, daß ich selber irgendeines der drei Stücke mitgenommen habe, sondern ausdrücklich Wert darauf gelegt zu erklären, daß es der Kurier tat. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß nach dem Abkommen vom 12. Februar Seyß-Inquart das Recht hatte, mit den Reichs- und Parteistellen im Reich zu verkehren.
MR. DODD: Ja, auf jeden Fall wußten Sie, daß dieses Telegramm ein Schwindel war, nicht wahr, ganz gleich, ob nun Sie oder Globocznik es mitgenommen haben. Es war falsch, es entsprach nicht der Wahrheit, nicht wahr?
GLAISE-HORSTENAU: Bitte, ich habe mit dem Telegramm in der Folge gar nichts mehr zu tun gehabt, habe den Seyß Monate später gefragt, ob überhaupt das Telegramm jemals abgegangen sei, worauf er erklärte, nein, es sei nicht abgegangen. Ich sagte schon, daß alle drei Dokumente eben unbenützt geblieben sind.
MR. DODD: Natürlich wurden sie Ihnen von Hitler nicht übergeben, damit Sie sie fortwerfen; und als Sie einwilligten, sie mitzunehmen, wußten Sie nicht, daß sie Verwendung finden würden, nicht wahr?
GLAISE-HORSTENAU: Das Weitere war Aufgabe Seyß-Inquarts, der nach dem Berchtesgadener Abkommen den Verkehr mit den Reichs- und Parteistellen...
VORSITZENDER: Zeuge, wollen Sie versuchen, die Frage zu beantworten, anstatt etwas anderes zu beantworten?
GLAISE-HORSTENAU: Bitte!
MR. DODD: Gut, ich will auf diesem Punkt nicht weiter bestehen. Anscheinend glauben Sie, andere Gründe gehabt zu haben, aber ich will nicht weiter darauf bestehen.
GLAISE-HORSTENAU: Nein, ich wäre sehr dankbar, wenn ich folgen könnte, aber ich verstehe diese Frage nicht.
MR. DODD: Gut, wenn Sie sie nicht verstehen, dann glaube ich nicht, daß es einen Zweck hat, sie weiter zu verfolgen.
GLAISE-HORSTENAU: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie nochmals gestellt würde.
MR. DODD: Was ich mit meiner Frage aufwarf, war, daß Sie zumindest von diesem falschen Telegramm wußten, dessen Entwurf, so sagten Sie doch, Ihnen entweder von Hitler oder Göring ausgehändigt wurde. Sie waren damals Minister ohne Geschäftsbereich in der Österreichischen Regierung. Sie wußten doch sicher, daß es ein vollkommener Schwindel war. Und dennoch waren Sie bereit, nach Österreich zurückzukehren und mit Seyß-Inquart zu verhandeln in der Kenntnis, daß ein derartiges Telegramm arrangiert und durch einen Kurier gesandt worden war.
GLAISE-HORSTENAU: Das Telegramm hatte dadurch jede Bedeutung verloren, daß Schuschnigg das Plebiszit zurücknahm. Ich habe Schuschnigg ausdrücklich erklärt, wobei ich es Seyß-Inquart überließ, der neben mir saß, Näheres zu sagen: »Du, wenn wir nicht mit dem Plebiszit aufhören, dann marschiert der Hitler ein.«
Das war der Wortlaut, den ich zu Schuschnigg sagte.
MR. DODD: Darüber spreche ich zwar nicht; ich will es jedoch nicht weiter erörtern.
Erinnern Sie sich daran, uns erklärt zu haben, daß, als Göring mit Seyß-Inquart ein Telephongespräch führte, Sie herausbekommen hatten, daß der Angeklagte von Papen und Fritz Wiedemann neben Göring in Berlin saßen?
GLAISE-HORSTENAU: Es tut mir leid, das habe ich erst nach dem Zusammenbruch 1945 erfahren, und zwar von Wiedemann.
MR. DODD: Ich möchte wissen, wie Sie das herausbekommen haben.
GLAISE-HORSTENAU: Ich habe es von Hauptmann Wiedemann gehört, mit dem ich zufällig zusammentraf.
MR. DODD: Gut. Nun wissen Sie doch, daß der Angeklagte von Papen einmal einen Brief an Hitler geschrieben hat, in dem er erklärte, daß Sie ein williger Mitarbeiter von ihm wären, was die Möglichkeit einer Vereinigung mit oder eines Anschlusses an Deutschland betraf. Das war bereits 1936. Wissen Sie davon? Es ist als Beweismittel für diesen Fall vorgelegt, US- 67, Dokument 2246-PS. Waren Sie ein williger Mitarbeiter von Papens?
GLAISE-HORSTENAU: Ich war ein williger Mitarbeiter für die Normalisierung der zwischenstaatlichen Verhältnisse; ich kenne übrigens das Dokument nicht.
MR. DODD: Ich habe sonst keine Fragen.
VORSITZENDER: Wollen Sie rückverhören, Dr. Steinbauer?
DR. STEINBAUER: Nein.
VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.
Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.