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[Pause von 10 Minuten.]

[Der Zeuge Dr. Rainer betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren vollen Namen angeben.

ZEUGE DR. FRIEDRICH RAINER: Dr. Friedrich Rainer.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. STEINBAUER: Herr Dr. Rainer! Welche Funktionen und wie lange haben Sie diese in der NSDAP bekleidet?

RAINER: Ich bin Mitglied der NSDAP seit 10. Oktober 1930. Ich habe bis zum Jahre 1934 keine Funktion gehabt. Ich wurde nachher vom Kärntner Gauleiter Klausner in die Gauleitung berufen. Ich habe, beginnend mit 1936, in der Landesleitung gearbeitet. Ich wurde vom Landesleiter Leopold im Herbst 1936 meiner Positionen enthoben, weil wir Meinungsverschiedenheiten hatten. Ich wurde im Februar 1938 von Klausner als sein politischer Berater und Mitarbeiter neuerdings in die Landesleitung berufen. Im Mai 1938 wurde ich vom Führer zum Gauleiter von Salzburg ernannt. Am 1. Dezember 1941 wurde ich nach Kärnten versetzt. Das sind meine politischen Funktionen.

DR. STEINBAUER: Sie sind also zuletzt Gauleiter von Kärnten gewesen?

RAINER: Jawohl.

DR. STEINBAUER: Und haben durch die langjährige Mitarbeit in der NSDAP dieselbe gut kennengelernt?

RAINER: Jawohl, ich kenne die Verhältnisse gut seit dem Anschluß.

DR. STEINBAUER: Nun, wann haben Sie Seyß-Inquart kennengelernt?

RAINER: Ich habe Seyß-Inquart zum erstenmal im August 1935 kennengelernt und mit ihm ein Gespräch in der Dauer von einigen Minuten geführt. Ich wurde einige Tage später verhaftet und war sechseinhalb Monate in österreichischer Polizeihaft. Nach meiner Enthaftung, etwa im April oder im Mai 1936, habe ich Seyß-Inquart in Wien neuerdings getroffen und stand seither mit ihm in Verbindung.

DR. STEINBAUER: War er Parteimitglied?

RAINER: Seyß-Inquart war während der Verbotszeit nicht Mitglied der NSDAP, hingegen Mitglied des »Steirischen Heimatschutzes«. Der »Steirische Heimatschutz« war-ich glaube im Jahre 1933 – durch ein Abkommen seiner Führung mit Habicht korporativ in die österreichische NSDAP übernommen worden. Nach dem Anschluß wurde diese Übernahme von Reichsschatzmeister Schwarz nicht anerkannt, und die Mitglieder des »Steirischen Heimatschutzes«, darunter auch – wie ich glaube – Dr. Seyß-Inquart, mußten sich neu anmelden.

DR. STEINBAUER: Also ist Ihre diesbezügliche Behauptung in dem berühmten »Rainer-Brief« unrichtig. – Ich werde ihn immer kurz Rainer-Brief nennen.

RAINER: Ich hatte damals noch nicht gewußt, daß die Übernahme vom Reichsschatzmeister in dieser Form nicht anerkannt worden war.

DR. STEINBAUER: Sie haben also Seyß-Inquart gekannt, öfters mit ihm gesprochen, und er wird Ihnen sicherlich auch seine Ideen in der Frage des Anschlusses mitgeteilt haben?

RAINER: Ja.

DR. STEINBAUER: Welches waren diese Ideen? Ganz kurz bitte!

RAINER: Der Anschluß war in diesem Zeitpunkt nicht Gegenstand unserer Erörterungen. Es war der Anschlußgedanke ein Programmpunkt aller österreichischen Parteien gewesen. Er blieb das Idealziel für Uns alle. Hier aber ging es darum, daß der österreichische Staat wieder auf einen deutschen Kurs ginge und daß die inneren Verhältnisse befriedet werden. Die Schwierigkeit hierbei bestand darin, daß der von Dollfuß und Schuschnigg unter Ausschaltung der demokratischen Verfassung begründete Staat nur ein Einparteiensystem zulassen wollte. Es war daher besonders schwer, die große Masse der Opposition des nationalen Flügels zur Mitverantwortung heranzuziehen und zu legalisieren. Diese Aufgabe sollte nach den Auffassungen, die Seyß-Inquart und ich vertraten, ohne neuerliches Blutvergießen auf einem ruhigen Wege erreicht werden. Bei beiderseitig gutem Willen und bei Weiterschiebung vom Radikalismus mußte dieser Weg gangbar erscheinen.

DR. STEINBAUER: Es kam dann zum Übereinkommen vom 11. Juli 1936?

RAINER: Ja.

DR. STEINBAUER: Und Sie fuhren damals auch zu Adolf Hitler, um seine Stellung der Partei gegenüber zu klären. Was hat Ihnen Adolf Hitler damals gesagt?

RAINER: Ich bin einige Tage nach dem 11. Juli 1936 nach Berchtesgaden gerufen worden und war am 16. oder 17. Juli bei Adolf Hitler.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie können ruhig etwas schneller sprechen, Herr Zeuge.

RAINER: Der Führer hielt eine sehr ernste und eindringliche Besprechung ab und verlangte in sehr scharfen Worten, daß die österreichischen Nationalsozialisten das Abkommen vom 11. Juli unbedingt respektieren müßten. Er kritisierte die bisherigen Methoden und verwendete den Ausdruck, sie seien zwar heroisch, aber dumm. Er verwies darauf, daß eine Fortsetzung dieser Methoden zu dauernden außenpolitischen Schwierigkeiten führen würde.

Er verlangte, daß die Nationalsozialisten in Österreich sich der vorhandenen politischen Möglichkeiten zu bedienen hätten, und auf meine ausdrückliche Frage, ob auch der Vaterländischen Front, erklärte er »ja«. Er sicherte zu, daß eine Entlastung der allgemeinen Stimmung im Laufe der Zeit kommen werde durch eine Verbesserung der Beziehungen der beiden deutschen Staaten.

DR. STEINBAUER: Er hat also im wesentlichen die Politik Seyß-Inquarts gebilligt?

RAINER: Ich sah in den Ausführungen des Führers eine Bestätigung der Richtigkeit desjenigen Weges, den wir eingeschlagen hatten.

DR. STEINBAUER: Ist Seyß-Inquart auch der Führer der Partei gewesen?

RAINER: Nein, Seyß-Inquart war niemals der Führer der Partei.

DR. STEINBAUER: Hat er sich der Führung der Partei, nämlich der österreichischen NSDAP, unterworfen, wie Sie in Ihrem, Briefe schreiben?

RAINER: Seyß-Inquart war Angehöriger der nationalen Oppositionsgruppe und hat in dieser Eigenschaft die jeweilige Führung anerkannt.

Ich verweise in diesem Brief darauf, daß er Klausner anerkannt hat; denn Klausner war nach dem Berchtesgadener Abkommen an Stelle Leopolds vom Führer berufen worden, weil er einen ruhigen, klaren und offenen Kurs versprach. In der Zusammenarbeit mit ihm schien die Durchführung des Berchtesgadener Abkommens gesichert zu sein.

Seyß-Inquart hatte jedoch ausdrücklich erklärt, daß er in seiner Eigenschaft als Treuhänder des Berchtesgadener Abkommens und Minister der Regierung Schuschnigg von Klausner unabhängig sei.

DR. STEINBAUER: Sagen Sie, Herr Zeuge, nach dem Übereinkommen vom 12. Februar 1938 haben Sie auf einer Eisenbahnfahrt den vom Führer kommenden Seyß-Inquart getroffen?

RAINER: Ja.

DR. STEINBAUER: Was hat er Ihnen über seine Unterredung mit dem Führer mitgeteilt?

RAINER: Seyß-Inquart fuhr mit dem Schlafwagen zurück, und wir saßen noch zusammen in seinem Abteil. Er hatte einen Zettel, ich glaube es war ein Briefkuvert, und auf dem standen Notizen. Ich erinnere mich, daß er die Eingangsformalitäten so beschrieb, daß er erklärte, er komme als österreichischer Minister, vereidigt auf die Verfassung und verantwortlich gegenüber dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler. Er grüße in Adolf Hitler den Führer aller Deutschen. Er hat mir dann im einzelnen noch Besprechungspunkte erzählt, die ich nicht mehr alle in Erinnerung habe. Mein Gesamteindruck war der, daß das Gespräch gut verlaufen war, und ich sah auch, daß das Gespräch in voller Loyalität gegenüber dem Bundeskanzler Schuschnigg geführt worden war. Soweit ich mich erinnere, war der Anschluß als solcher überhaupt nicht behandelt worden.

DR. STEINBAUER: Erinnern Sie sich, daß er Ihnen gesagt hatte, er hätte Hitler erklärt, daß er der lebendige Garant Schuschniggs sein wolle und kein trojanisches Pferd?

RAINER: Ich möchte nicht gerade diesen Wortlaut bestätigen. Der Ausdruck, den Dr. Seyß wiederholt verwendete, war der, er sei kein trojanischer Pferdeführer. Ich erinnere mich auch, daß er mehrmals den Ausdruck verwendet hat, er sei ein lebendiger Garant für die beiderseitige Einhaltung der Vereinbarungen von Berchtesgaden.

DR. STEINBAUER: Hat er auch erklärt, daß er einen Kulturkampf ablehne?

RAINER: Ich glaube, mich nicht daran erinnern zu können. Jedenfalls stand er auf diesem Standpunkt, und ich rechne bestimmt damit, daß er mit dem Führer darüber gesprochen hat.

DR. STEINBAUER: War der Führer mit diesen Vorschlägen einverstanden?

RAINER: Ich hatte den Eindruck, daß Adolf Hitler mit den Vorschlägen des Dr. Seyß-Inquart voll einverstanden gewesen ist.

DR. STEINBAUER: Hat Seyß-Inquart dies Schuschnigg mitgeteilt?

RAINER: Das muß ich annehmen. Jedenfalls hat er diese Absicht geäußert.

DR. STEINBAUER: Hat er das gleiche auch den österreichischen Nationalsozialisten mitgeteilt?

RAINER: Ja, denn dies war besonders nötig. Seyß sprach bei einer Führerbesprechung, die anfangs März stattfand und verwies darauf, daß der evolutionäre Kurs und die zum Teil für die radikalen Anhänger unerfreulichen Maßnahmen, die Auflösung der illegalen Organisation, ausdrücklich von Adolf Hitler gewünscht würden.

Ich glaube, mich auch zu erinnern, daß er bei den großen Kundgebungen in Linz und anläßlich der Kundgebungen in Graz sich ausdrücklich darauf bezogen hat; denn der Besuch in Berlin bei Adolf Hitler gab ihm erst die richtige Legitimation in den Augen der Nationalsozialisten.

DR. STEINBAUER: Sie haben in Ihrem Rainer-Brief geschrieben, daß Seyß-Inquart von der Vorbereitung revolutionärer Schritte verständigt wurde.

RAINER: Ich darf fragen, Herr Doktor, welche revolutionären Schritte Sie meinen.

DR. STEINBAUER: Vom 10. März.

RAINER: Ich bitte, dazu etwas ausholen zu dürfen: Der Ausdruck »revolutionäre Schritte« ist zu weitgehend. Die Maßnahmen, die getroffen wurden, waren im großen folgende: Nach der Rede des Bundeskanzlers Schuschnigg in Innsbruck war Major Klausner der Überzeugung, daß damit jede Basis der innenpolitischen Verständigung zerstört sei und daß diese Rede wie ein Funke im Pulverfaß wirken würde; während wir vorher noch beraten hatten, unter welchen Umständen eventuell auch mit »Ja« gestimmt werden könnte, war dies im Hinblick auf die Stimmung der breiten Massen unmöglich geworden.

Es mußte eine klare Stellungnahme der nationalsozialistischen Führung erfolgen. Es wurde noch in der Nacht an die neuen Gauleiter die erste Information hinausgegeben, wonach die Partei mit der beabsichtigten Abstimmung nicht einverstanden sei und zunächst die Parole der Stimmenthaltung ausgebe. Es wurde schärfste Disziplin verlangt, denn wir befürchteten, daß die Wogen sehr bald hochgehen würden. Am 10. März setzte die von Zernatto schon lange vorbereitete Propaganda ein, und es ereigneten sich Zusammenstöße. Wir bekamen auch Meldungen, daß große Gruppen des im Februar 1934 verbotenen Schutzbundes bewaffnet würden. Es wurde daher strengste Bereitschaft der Formationen angeordnet und den Formationen aufgetragen, für den Schutz der Nationalen zu sorgen.

Das waren im wesentlichen die am 10. angeordneten Schritte. Über die Stimmung in den Provinzen, glaube ich, Dr. Seyß am Nachmittag im allgemeinen informiert zu haben; über einzelne organisatorische Maßnahmen wahrscheinlich nicht.

DR. STEINBAUER: Hat er nun diese Stimmung gefördert?

RAINER: Nein.

DR. STEINBAUER: Hat er zu Demonstrationen aufgefordert, oder hat er solche verhindert?

RAINER: Er hat sie weder gefördert noch dazu aufgefordert. Eine Verhinderung war in diesem Stadium nicht möglich.

DR. STEINBAUER: Was ist nun am 11. vormittags gewesen?

RAINER: Am 11. März vormittags habe ich im Büro des Staatsrats Jury in der Seitzer Gasse 1 gearbeitet. Ich weiß im einzelnen nicht mehr, was. Wir trafen uns mit Dr. Seyß, Glaise-Horstenau und einigen anderen ungefähr mittags im Büro des Dr. Fischböck, und Dr. Seyß-Inquart erzählte von dem Ergebnis der Besprechungen mit Dr. Schuschnigg.

Das Ergebnis unserer Beratung war der Brief der Minister und Staatsräte an Dr. Schuschnigg, mit dem, befristet mit 2.00 Uhr nachmittags, die Absetzung dieser verfassungswidrigen Volksabstimmung und die Anberaumung einer neuen Volksabstimmung nach einigen Wochen nach den Bestimmungen der Verfassung bei sonstiger Demission verlangt wurde.

DR. STEINBAUER: Was war dann weiter? Schuschnigg hat dann die Wahl verschoben; wie haben Sie davon erfahren?

RAINER: Ja, Schuschnigg hat die Wahl verschoben, hat sich jedoch geweigert, eine neue Volksabstimmung anzuberaumen und hat den Sicherheitsminister Dr. Seyß mit scharfen Maßnahmen beauftragt. Diese Lösung wurde am Nachmittag in die Reichskanzlei nach Berlin telephoniert und löste die Erklärung des Reiches aus, daß diese Lösung als eine halbe Lösung nicht mehr akzeptiert werden könne. Damit begann meines Wissens die Intervention des Deutschen Reiches.

DR. STEINBAUER: Kam die Intervention nicht dadurch schon, daß Glaise-Horstenau, wie behauptet wird, oder ein Kurier einen Brief Adolf Hitlers nach Wien gebracht haben?

RAINER: Ich war der Meinung, daß gewisse Vorlagen, die nur Globocznik mittags zeigte und die für die Landesleitung bestimmt waren, von Glaise-Horstenau mitgebracht worden waren, der in der Frühe aus Berlin kam. Wie ich erst später erfuhr, soll dies ein Kurier besorgt haben. Eine Intervention des Reiches war nach meiner Auffassung dies nicht.

DR. STEINBAUER: Bestand zwischen der Partei und dem Reich einerseits und Seyß-Inquart andererseits ein Zusammenspiel?

RAINER: Wenn Sie, Herr Doktor, unter »Zusammenspiel« eine »Verschwörung« meinen, so muß ich dies absolut verneinen. Es wurde jedoch die im Berchtesgadener Abkommen vorgesehene Zusammenarbeit durchgeführt.

DR. STEINBAUER: Hat Klausner den Befehl gegeben, daß die Partei handlungsfrei sei und die Macht ergreifen solle?

RAINER: Die Partei war durch ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers darauf verpflichtet worden, keine revolutionären Schritte zu unternehmen. Dieser Befehl war in den ersten Märztagen neuerdings durch Keppler überbracht worden, und Außenminister Ribbentrop hat damals Keppler, der schon im Flugzeug war, noch einmal zurückgeholt, um ihm einzuschärfen...

VORSITZENDER: Dr. Steinbauer! Die Frage war doch, was Klausner tat, und der Zeuge erzählt uns jetzt, was eine Menge anderer Personen getan haben.

DR. STEINBAUER: Ja.