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[Zum Zeugen gewandt:]

In dieser Rede sprachen Sie zu der Versammlung über den Tag, an dem Seyß-Inquart zu einer Besprechung kam und Ihnen sagte, daß er durch sein Ehrenwort gebunden sei, nicht über die Volksabstimmung zu sprechen. Sie wissen, was Sie Ihren Zuhörern damals sagten. Ich versichere Ihnen, daß es sich im Text befindet und wir sparen Zeit, wenn Sie mir glauben. Sie finden es auf Seite 13. Es ist Seite 13 des englischen Textes. Dort sagen Sie:

»Wir fragten Seyß: Ist es richtig? Seyß sagte: 'Ich bin durch ein Ehrenwort zur Verschwiegenheit verpflichtet, wir wollen aber so tun, als ob es wahr sei. (Diplomat, der er war.) Damit war der Fall für uns geklärt.«

Er ließ Sie wissen, nicht wahr, daß Schuschnigg ihm von der Volksabstimmung erzählt hatte. Er ließ Sie das wissen, nicht wahr? Bitte, können Sie meine Frage nicht beantworten, ohne... Sie werden die Antwort darauf auf jener Seite nicht finden.

RAINER: Die Darstellung hier stimmt mit meiner Erinnerung überein.

MR. DODD: Nur noch eine Sache, und dann habe ich keine weiteren Fragen an ihn.

[Zum Zeugen gewandt:]

Sie erzählten Ihren Hörern auch, daß in der Nacht von Donnerstag, den 10. März, auf Freitag, den 11. März, alle Gauleiter in Wien waren, um Informationen zu erwarten:

»... haben wir... am 10. März an die SA und SS, Lukesch und Kaltenbrunner, den Befehl gegeben, ab Freitag die halben Bestände der Formationen einzustellen... und daß die besten bewaffnet kaserniert in den Unterkünften zu bleiben haben, für den Fall des Bürgerkrieges.« Und so weiter.

Haben Sie das gesagt?

RAINER: Mit Waffen und in Baracken? Das kann nicht stimmen, sondern die Weisung lautete damals so, und ich werde es auch nicht anders erzählt haben, daß die halben Bestände gesammelt zu Hause bleiben sollen, das heißt in Versammlungsorten. Von Baracken kann überhaupt nicht die Rede sein, und Waffen hatten wir nahezu keine.

MR. DODD: Wissen Sie, daß beinahe alles, was Sie in dieser ganzen Rede gesagt haben, nur detaillierter, in Ihrem Bericht an Bürckel enthalten war? Wahr ist, daß Sie in beiden Fällen das sagten, was Ihrer Ansicht nach der Wahrheit entsprach, nicht wahr?

Das ist das Wahre an der Sache. Als Sie Ihren Bericht an Bürckel machten, und als Sie vor den Politischen Leitern und Blutordensträgern jene Rede hielten, berichteten Sie, was Sie sich als Tatsachen gedacht haben, von denen Sie natürlich auch heute noch wissen, daß sie Tatsachen sind.

RAINER: Ich kann diese Sache nicht als authentisch anerkennen.

MR. DODD: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Mylord.

VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis

13. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertvierundfünfzigster Tag.

Donnerstag, 13. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Rainer im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Frage erwogen, wieviel Zeit die Verteidigung für ihre Schlußplädoyers in Anspruch nehmen soll. Der Artikel 18 des Statuts weist den Gerichtshof an, den Prozeß strikt auf eine beschleunigte Verhandlung zu beschränken; das muß befolgt werden, und es ist klar, daß den Verteidigern nicht erlaubt werden kann, so lange zu sprechen, wie es ihnen beliebt. Die Umstände verlangen, daß irgendwo eine Grenze gesetzt werden muß oder dieser ohnehin schon lang andauernde Prozeß würde über alle Maßen in die Länge gezogen werden.

Dem Gerichtshof wurde mitgeteilt, daß die Anklagevertretung ihre Schlußreden aus eigenen Stücken, alles in allem, auf drei Tage beschränken wird; und die Verteidiger sollten sich auch freiwillig eine gewisse Beschränkung auferlegen. Die Beweisführung für die Angeklagten wurde bis in alle Einzelheiten angehört, und nunmehr brauchen wir nicht eine detaillierte Analyse des Beweismaterials, sondern lediglich einen klaren Rückblick auf die Kernpunkte.

Der Gerichtshof wünscht klarzumachen, daß er die Nichterwähnung einer bestimmten Sache während der Argumentation nicht als Geständnis ansehen wird. Mit Rücksicht darauf ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die Plädoyers der Verteidiger, einschließlich des Plädoyers über die Rechtslage, das im Interesse aller Angeklagten gehalten werden soll, innerhalb von insgesamt 14 Tagen zu Ende geführt werden sollten. Dadurch wird der Verteidigung doppelt soviel Zeit gewährt wie der Anklagevertretung, sowohl für die Eröffnungs- als auch für die Schlußreden. Diese 14 Tage könnten von den Verteidigern durch gegenseitiges Übereinkommen so eingeteilt werden, wie sie es für zweckmäßig halten; der Gerichtshof zieht es vor, daß die Verteidigung die Einteilung untereinander vornimmt und wünscht nicht, die Einteilung selber vorzunehmen.

Daher erwartet der Gerichtshof, daß die Verteidiger ihre Plädoyers in Übereinstimmung mit dem soeben Gesagten vorbereiten und dem Gerichtshof sobald wie möglich ihre Zeiteinteilung mitteilen. Sollten sie nicht imstande sein, über diese Einteilung zu einer Vereinbarung zu kommen, dann wird der Gerichtshof die Sache noch einmal zum Gegenstand einer Erörterung machen.

Ebenso wünscht der Gerichtshof sowohl die Anklagevertretung als auch die Verteidigung darauf aufmerksam zu machen, daß es dem Gerichtshof wesentlich helfen, wird, wenn ihm Übersetzungen der Plädoyers in dem Augenblick vorgelegt werden, in dem diese gehalten werden.

DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Der Beschluß, den Sie soeben verkündet haben, hat die Verteidigung überrascht, da sie vorher in dieser Frage nicht gehört worden ist. Es erscheint uns dies um so bedauerlicher, als sich der Beschluß taktisch gegen die elementarsten Rechte der Verteidigung wendet, denn er beeinträchtigt die Möglichkeit, das vorzutragen, was in diesem so überaus wichtigen Prozeß für die Angeklagten und für die Probleme, die damit zusammenhängen, vorzutragen sein wird. Wir sind zur Zeit noch nicht in der Lage, das gesamte Material überhaupt zu übersehen. Wenn ich, ohne den übrigen Herren Verteidigern vorgreifen zu wollen, den Fall des Angeklagten Keitel nur als Beispiel wähle, so werden Sie verstehen, daß ich durch das Material, das nach dem Kreuzverhör allein aufgetreten ist, in einer außerordentlich schwierigen Lage bin; und wie ich, so werden auch sicher eine ganze Reihe der übrigen Verteidiger der Meinung sein, daß sich die Dinge nicht zusammenfassend behandeln lassen, sondern meines Erachtens müssen sie bei allem Bestreben, die Dinge zusammenfassend und typisch zu sagen, doch auf das Individuum des einzelnen Angeklagten eingehen. 14 Tage ist eine Zeit, die sehr kurz ist, wie mir's scheint, praktisch ist es aber fast unmöglich zu erreichen, daß eine Aufteilung in einer gerechten, das heißt in einzelnen Fragen gerecht werdenden Weise erfolgt.

Ich möchte daher anregen, daß der von Ihnen verkündete Beschluß – ich weiß nicht, vielleicht war es nur eine Anregung – noch einmal der Nachprüfung, und zwar unter Zuziehung der Verteidigung unterzogen wird. Ohne im einzelnen der begründeten Stellungnahme vorgreifen zu wollen, die die gesamte Verteidigung beabsichtigt, möchte ich jetzt schon formal Einspruch gegen den Beschluß wegen der Beschränkung der Verteidigung in einer das mögliche Maß überschreitenden Weise einlegen.

VORSITZENDER: Wünschen die Verteidiger oder die Ankläger noch andere Bemerkungen zu dieser Frage zu machen?

MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich möchte gegen Dr. Neltes Argumentation, daß ein primitivstes Recht der Angeklagten verletzt worden sei, Einspruch erheben. In meinem Lande, und ich glaube, daß ich da recht habe, ist es allgemeine Gerichtsübung, den Verteidiger in seinem Schlußplädoyer einzuschränken, selbst in Schwurgerichtsfällen, wo eine Argumentation weitaus notwendiger ist, wie der Gerichtshof ja schon betont hat.

VORSITZENDER: Wünscht noch ein Anwalt eine Bemerkung zu machen?

DR. OTTO FREIHERR VON LÜDINGHAUSEN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON NEURATH: Herr Präsident! Ich möchte zunächst eine Bemerkung zu der zeitlichen Beschränkung in rein temporärer Hinsicht machen. Wenn wir auf 14 Tage beschränkt sind, dann heißt das, ungefähr vier Stunden pro Angeklagter für unser Plädoyer. Nun sind aber diese vier Stunden in Wirklichkeit nicht volle vier Stunden, denn durch die technischen Vorkehrungen, die ja hier getroffen werden mußten, müssen wir langsamer sprechen als wir es in einem direkten Plädoyer in einer direkten freien Aussprache tun würden; das heißt, Sie müssen von den vier Stunden, die uns durchschnittlich bleiben, diejenige Zeit abstreichen, die durch das langsamere Sprechen verloren geht. Nach meiner Schätzung würde also eine Plädoyerzeit von vier Stunden in Wirklichkeit in sachlicher Hinsicht nur auf höchstens drei Stunden bemessen werden können. Meine Herren, ich glaube, daß Sie, wenn Sie hiervon ausgehen, uns recht geben werden, daß wir innerhalb dieser drei Stunden doch nicht das für jeden einzelnen Angeklagten vorliegende Material in einer derartigen Weise würdigen können, daß das Plädoyer tatsächlich den Zweck erfüllt, den es erfüllen soll. Denn gerade vor diesem Gericht, das einmalig bisher ist, ist ja doch die Hauptsache die Erforschung der Wahrheit. Zur Erforschung der Wahrheit aber gehört nicht nur die einzelne abrupt herausgegriffene Handlung, sondern es gehört dazu, in erster Linie zu zeigen, wieso es zu dieser einzelnen Handlung kommen mußte, und ich möchte nach dieser Richtung hin gerade in meiner Eigenschaft als Verteidiger des Angeklagten von Neurath, als des verantwortlichen Leiters der Außenpolitik des Reiches bis zum Jahre 1938, darauf hinweisen, daß die ganzen Handlungen, die meinem Klienten zum Vorwurf gemacht werden, logisch, zwangsläufig sich aus den sich entwickelnden Verhältnissen heraus ergeben haben. In dieser Entwicklung der historischen Dinge liegt die Erklärung für all das, was bis dorthin geschehen ist, bis zu dem Tage, als mein Klient seine Demission einreichte. Das kann ich aber nur klarmachen, wenn ich die einzelnen Entwicklungsstadien wenigstens in großen Zügen darstelle.

Meine Herren! Das ist, wenn Sie berücksichtigen, daß ich daneben noch einen Komplex bezüglich der Tätigkeit meines Klienten als Reichsprotektor zu behandeln habe, aus rechtlichen Gründen nicht so einfach, wie dies im ersten Moment erscheinen könnte; dann werden Sie mir zugeben, daß ich das unmöglich in einem tatsächlichen dreistündigen Plädoyer machen kann. Und ich darf gegenüber den Ausführungen des Herrn amerikanischen Anklagevertreters darauf hinweisen, daß wir ja hier nicht vor einem amerikanischen Gericht stehen. Mir ist, und ich habe versucht, mich darüber zu erkundigen, nichts bekannt darüber, daß in internationalen Gerichtshöfen, wie beispielsweise bei den Haager Gerichtshöfen oder bei den Gerichten in Ägypten, irgendwie seinerzeit eine Beschränkung der Rededauer der Verteidiger in ihrem Plädoyer vorgeschrieben worden ist, und deswegen bitte ich, doch zu berücksichtigen, daß wir hier nicht ein amerikanisches Gericht vor uns haben, sondern ein internationales Gericht, und daß dieses internationale Gericht, das ja doch weit über den Rahmen all dessen hinausgeht, was bisher auf diesem Gebiet geschehen ist, das aber auch über den Rahmen aller Militärgerichte, die bisher in Deutschland einzelne Teilchen des riesigen Komplexes behandelt haben, nirgends seitens der betreffenden Militärgerichte eine Beschränkung der Plädoyerdauer erfolgt ist. Und wenn Sie das berücksichtigen, meine Herren, dann bitte ich doch noch einmal, Ihre Entscheidung einer Nachprüfung zu unterziehen, um in uns nicht den Anschein zu erwecken, als ob wir nicht in einer uns pflichtgemäß scheinenden Weise die Rechte oder die Verteidigung unserer Klienten zu führen in der Lage sind.

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Meine Herren Richter! Ich möchte noch einiges dem, was mein Kollege, Herr Dodd, gesagt hat, hinzufügen. Das Strafrecht unseres Landes erkennt das Recht des Gerichtshofs an, durch besondere Verfügungen sowohl die Anklage als auch die Verteidigung in ihren Plädoyers einzuschränken. Ich glaube, daß die Ausführung der Verteidigung über die Begrenzung ihrer Rechte durch den Beschluß des Gerichtshofs ungerechtfertigt und unbegründet ist. In Wirklichkeit kann die Verteidigung jetzt schon, während sie das Beweismaterial für ihre Klienten vorlegt, jede Gelegenheit ergreifen, das gesamte Beweismaterial vorzulegen. Meine Herren Richter, ich glaube nicht, daß die Gerechtigkeit darin besteht, dieses Verfahren unendlich hinauszuziehen. Ich schließe mich daher der Meinung des Herrn Dodd völlig an und betrachte die Entscheidung des Gerichtshofs als gerechtfertigt.

DR. KUBUSCHOK: Ist mir gestattet, Herr Vorsitzender, noch eine kurze Bemerkung zu machen? Jedes Gerichtsverfahren ist zeitlich nicht voraussehbar, in keinem Prozeßstadium. Man kann bei Beginn des Prozesses zeitlich nicht voraussehen und deswegen auch nicht zeitlich begrenzen den Umfang der Beweisaufnahme. Man kann zeitlich aber auch das weitere Prozeßstadium, den Umfang der Darlegungen der Verteidigung, nicht voraussehen und begrenzen. Der Wert der Verteidigung, und deswegen wird ja die Verteidigung in das Verfahren eingeschaltet, ist doch der, daß ein Mann, der diese berufliche Aufgabe hat und über die entsprechenden Qualitäten verfügt, alles dasjenige dem Gericht vor Augen führt, was er in langer Arbeit in intimen Gesprächen mit seinem Mandanten als erörterungsfähig ansieht. Das muß durch eine derartige Mittelsperson dem Gericht vorgebracht werden. Wie weit er dies vorzubringen hat, muß er als Sachkenner entscheiden. Es kann kein an dem Verfahren Beteiligter, weder das Gericht noch ein Mitverteidiger, auch nur annähernd voraussehen, was in diesem Zusammenhang notwendig und erforderlich ist.

Deswegen glaube ich, daß weder bei der Erhebung der Anklage noch bei der Beweisaufnahme noch bei der Verteidigung irgendwelche Zeitpunkte festgelegt werden können. Wir haben in den anderen Stadien des Prozeßverfahrens ja mit den gleichen Schwierigkeiten zu rechnen gehabt. Ausschlaggebend für eine Begrenzung kann doch eigentlich immer nur der Gesichtspunkt sein, was gehört zur Sache, und was ist sachdienlich. Infolgedessen haben wir ja auch hier während des Beweisverfahrens und bei der Anklage immer wieder erlebt, daß die dirigierenden Klopfzeichen des Herrn Präsidenten, der mit geschickter und gütiger Hand die Verhandlung insoweit gesteuert hat, immer wieder die Verhandlung auf das notwendige Maß beschränkten. Ich sehe nicht ein, warum dieses Verfahren nicht auch bei den Plädoyers angewandt werden kann, und ich glaube, daß bei der selbstverständlichen Disziplin, die jeder sachkennende Vortragende sich selbst gegenüber anwenden wird, daß dann auch tatsächlich eine angemessene Beschränkung der Dauer eintreten wird. Jetzt aber glaube ich, daß wirklich keiner, außer den Selbstbeteiligten – und diese auch nur wahrscheinlich am Ende des gesamten Beweisverfahrens – es überblicken kann, wie lange Zeit in Anspruch genommen werden muß, und infolgedessen verbietet es sich meines Erachtens von selbst, jetzt irgendeine feste zeitliche Regel aufzustellen. Wenn die Bekanntmachung des Gerichts als eine Anregung anzusehen ist, die Plädoyers zu beschränken, und insbesondere nehmen wir sicherlich dankbar den Hinweis auf, in welcher Weise auch die Beleuchtung des Beweismaterials zweckmäßig gehandhabt wird, so werden wir sicherlich zu einem Ergebnis kommen, ohne eine feste Beschränkung – auf Grund der Anregung des Gerichts, uns auf eine Weise zu beschränken, die allen Teilen gerecht wird.

VORSITZENDER: Ich habe nicht die Absicht, im ganzen oder überhaupt auf die Erörterungen einzugehen, die den Gerichtshof zu der Anordnung veranlaßten, die ich heute vormittag bekanntmachte. Ich halte es aber für wünschenswert, daß die Verteidiger, bevor sie formell Einspruch erheben, die Erklärung genauer studieren. Ich möchte jedoch im Namen des Gerichtshofs sagen, daß diese Bekanntmachung nicht zustande kam, ohne daß wir sowohl mit der Verteidigung als auch mit der Anklagevertretung darüber Rücksprache genommen hätten. Das geschah in geschlossener Sitzung. Wir haben sowohl den Anklagevertreter als auch den Anwalt, der – wie wir es verstanden – alle Verteidiger vertrat, angehört. Diese machten den Vorschlag, der ihnen damals richtig schien, und wir haben ihn genau erwogen. Wir legten ihnen nahe, ihre Kollegen darauf aufmerksam zu machen, was in dieser geschlossenen Sitzung vor sich ging. Es ist daher vollkommen unrichtig, wenn Dr. Nelte sagte, daß diese Bekanntgabe erfolgte, ohne daß die Verteidigung gehört wurde.

Ich möchte nur noch hinzufügen, daß unter den vorliegenden Umständen der Gerichtshof sich weiter mit der Frage beschäftigen wird. Der in der Ankündigung gemachte Vorschlag war, daß die 14 Tage, die nach Ansicht des Gerichtshofs für die Schlußplädoyers der Verteidiger genügen sollten, von den Verteidigern freiwillig untereinander aufgeteilt werden sollten. Diese 14 Tage sind volle Tage und werden nicht zu Erörterungen über die Organisationen benützt werden. Bevor die Verteidiger sich nicht bemüht haben, diese Verteilung vorzunehmen, ist es ihnen doch offensichtlich unmöglich zu wissen, ob sie imstande sein werden, ihre Plädoyers zu halten. Diese Plädoyers sollen nicht notwendigerweise detaillierte Prüfungen des Beweismaterials sein, sondern Argumentationen, die den Gerichtshof auf die Hauptpunkte hinweisen, auf die die Verteidigung den Gerichtshof hinzuweisen wünscht. Es wird ihnen nicht möglich sein zu wissen, ob sie ihre Reden innerhalb von 14 Tagen in zufriedenstellender Weise halten können. Aus diesem Grunde wollten sich die Verteidiger erst einmal zusammentun – der Gerichtshof nahm an, daß das schon geschehen sei – und überlegen, ob sie innerhalb jener Zeitspanne ihre Reden in zufriedenstellender Weise vortragen können.

Alle Argumente, die heute vormittag vorgebracht wurden, sind von den Verteidigern, von denen einer übrigens heute früh hier gesprochen hat, bereits in der geschlossenen Sitzung vorgebracht worden.

Und nun wird der Gerichtshof mit der Beweisaufnahme fortfahren.

DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Sie haben gestern auf die letzte Frage des Herrn amerikanischen Anklägers erklärt, daß Ihr Brief eine gewisse Tendenz beabsichtigt habe. Ich frage Sie nun, was war diese Tendenz?

RAINER: Einige Zeit nach dem Anschluß entstanden Hetzereien und Quertreibereien gegen Dr. Seyß-Inquart und einige andere Personen. Sie gingen aus von unzufriedenen und radikalen Elementen in Österreich und auch im Reiche. Sie benützten die zögernde Haltung von Dr. Seyß-Inquart am 11. März, sein Festhalten an der evolutionären Linie und an den Prinzipien der beiden Staatsverträge, um den Vorwurf des Separatismus oder auch noch mehr zu erheben...

DR. STEINBAUER: Vielleicht können Sie das kürzer fassen?

RAINER: Die schienen doch gefährlich zu sein, weil Bürckel und, ich glaube, auch Heydrich dahinter standen. Ich hielt diese Angriffe für unsachlich und bemühte mich daher in meinem Bericht, so zu argumentieren und zu betonen und sie so zu beleuchten, daß die Adressaten die Argumente verstanden und zur Ruhe gebracht wurden.

DR. STEINBAUER: Also, Sie haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mit diesem Schreiben die Verdienste der Partei einerseits, unter gleichzeitiger Schonung der Person des Dr. Seyß-Inquart hervorheben wollen?

RAINER: Ja, das kann man auch so ausdrücken.

DR. STEINBAUER: Eine zweite Frage: Sie haben in diesem Brief erwähnt, daß Seyß-Inquart ein Ultimatumschreiben an Schuschnigg mitgebracht hat. Ist Ihnen erinnerlich, daß er dieses Schreiben selbst in seiner Kanzlei diktiert und schreiben hat lassen?

RAINER: Meinen Sie, Herr Doktor, das Schreiben, das am 11. März mittags abgefaßt wurde?

DR. STEINBAUER: Jawohl, jawohl.

RAINER: Ich glaube, daß dieses Schreiben in seiner Kanzlei verfaßt wurde, ich glaube auch, daß ich daran beteiligt war.

DR. STEINBAUER: Dann sagen Sie weiter in diesem Brief, den Ihnen der Herr Ankläger vorgehalten hat: Seyß-Inquart wurde durch die Zusammenarbeit Jurys und Leopolds Staatsrat. Ich frage Sie nun: Haben die beiden Genannten, Dr. Jury und Leopold, überhaupt Einfluß auf Dr. Schuschnigg nehmen können?

RAINER: Nein, das kann auch nicht so gemeint sein.

DR. STEINBAUER: Und der Herr Ankläger hat Ihnen zur Erhärtung seiner Behauptungen gestern ein weiteres Dokument vorgelegt, eine Rede, die Sie als Gauredner in Kärnten gehalten haben. Erinnern Sie sich?

RAINER: Ja.

DR. STEINBAUER: Ist dies eine typische Gaurede gewesen, das heißt nach den Gesichtspunkten der Goebbelsschen Propaganda: die eigenen Verdienste herausstreichen und die Gegner schlecht machen?

RAINER: Das möchte ich nicht sagen. Es war ein Kameradschaftsabend der »Alten Garde« anläßlich des 11. März mit Bierkonsum und mit Musik, und ich habe dabei nur in Form einer Erzählung die Ereignisse geschildert und sehr lange gesprochen. Es war meine längste Rede, sie hat über drei Stunden gedauert. Ich hielt sie vollkommen frei aus dem Kopf, hatte keine Unterlage, und das Stenogramm, das hier offensichtlich vorliegt, scheint mir mit den Ausführungen durchaus nicht in allen Punkten übereinzustimmen.

DR. STEINBAUER: Also, Sie meinen, daß es mehr die Absicht gehabt hat, eine Wirkung auf Ihre Parteianhänger zu machen, als Geschichte zu schreiben?

RAINER: Selbstverständlich.

DR. STEINBAUER: Danke, das genügt mir. Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.

DR. KUBUSCHOK: Im gestrigen Kreuzverhör ist erwähnt worden, daß Sie einmal mit Herrn von Papen in Garmisch zusammengewesen sind. Was haben Sie damals mit Herrn von Papen besprochen, und wie ist es überhaupt zu diesem Gespräch gekommen?

RAINER: Dr. Seyß-Inquart und ich wurden vom Reichssportführer nach Garmisch eingeladen. Es sollte über den Deutsch-Österreichischen Alpenverein gesprochen werden.

Wir waren mit Tschammer beim Bobrennen am Rießer See, und dort trafen wir auch Herrn von Papen. Wir gingen dann, von Papen, Seyß-Inquart und ich, zu Fuß von dort zurück nach Garmisch, und es wurde dabei auch über die politische Situation und den bevorstehenden...

VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Diese Einzelheiten sind absolut unnötig. Ich nehme an, der Zweck der Frage war, daß die Unterhaltung nicht politisch war. War das der Zweck der Frage?

DR. KUBUSCHOK: Die Unterhaltung ist politisch gewesen, aber es kommt auf die Art der Politik in dieser Unterhaltung an.

Also, Herr Zeuge, vielleicht beschränken Sie sich. Sie haben jetzt ausgeführt ein zufälliges Zusammentreffen. Sie gehen von der Bobbahn zurück. Was war der Inhalt des Gespräches?

RAINER: Es wurde über die Situation in Österreich gesprochen, über den Stand der Befriedung und über die einzelnen Punkte, wenn auch nicht erschöpfend, die bei der bevorstehenden Zusammenkunft interessant sein konnten.

DR. KUBUSCHOK: Ganz allgemein also; ist irgend etwas gesprochen worden, was der Art nach das Licht der österreichischen Öffentlichkeit hätte scheuen können?

RAINER: Nein.

DR. KUBUSCHOK: Es waren Dinge, die mit der Ausführung des Julivertrags in Übereinstimmung standen?

RAINER: Ja. Natürlich.

DR. KUBUSCHOK: Dann haben Sie an einer Stelle in der Rede, die schon erwähnt worden ist, darauf hingewiesen, daß Sie noch mit anderen Herren am Abend des 9. März 1938 in der Wohnung des Herrn von Papen gewesen seien. Ich möchte gern wissen, ob es sich hier um eine festgelegte Zusammenkunft handelt, oder ob es mehr oder minder zufällig war?

RAINER: Das Zusammenkommen war zufällig, und ich weiß auch nicht mehr, wer es arrangiert hat. Das Gespräch drehte sich natürlicherweise um die durch Schuschniggs Abstimmungsplan sich ergebende Situation, die ja so neu und überraschend war, daß wir sie nach allen Seiten durchzudenken und in der Debatte zu klären versuchten.

DR. KUBUSCHOK: Wie war die Stellung des Herrn von Papen bei dieser Besprechung?

RAINER: Ich erinnere mich, daß Herr von Papen, der übrigens nur zufällig an diesem Abend in Wien war, sich reserviert verhielt, und ich glaube auch, daß er ein »Ja-Stimmen« für durchaus der Situation entsprechend gehalten hat.

DR. KUBUSCHOK: Aus welchem Grunde glauben Sie, daß er eine »Ja-Stimme« für vertretbar erachtet hat oder für notwendig erachtet hat; aus praktischen Gründen oder mit Rücksicht auf die von der Österreichischen Regierung gegebene Fragestellung?

RAINER: Mit Rücksicht auf die Fragestellung.

DR. KUBUSCHOK: Auch hier wieder die Frage: Dasjenige, was erörtert worden ist, stellt das irgendwie eine Zusammenkunft zu einer speziellen Besprechung dar, oder ist es eine mehr aus dem gegebenen Anlaß sich zusammenfindende gesellschaftliche Zusammenkunft, bei der man der Zeit entsprechend auf dieses aktuelle politische Thema zu sprechen gekommen ist?

RAINER: Es war eine zufällige und sich durch die zufällige Anwesenheit Papens in Wien angesichts der neuen politischen Situation ergebende Zusammenkunft, die völlig improvisiert entstanden ist.

DR. KUBUSCHOK: Sind irgendwelche Beschlüsse gefaßt worden?

RAINER: Nein.

DR. KUBUSCHOK: Danke.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.