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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

DR. STEINBAUER: Ich rufe mit Genehmigung des Gerichts den Zeugen Dr. Guido Schmidt auf.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGE DR. GUIDO SCHMIDT: Dr. Guido Schmidt.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Welche Stellungen bekleideten Sie in der Österreichischen Republik?

SCHMIDT: Ich war von Beruf Diplomat und wurde unter Bundeskanzler Dr. Seipel in den österreichischen Auswärtigen Dienst aufgenommen, gehörte dann etwa sechs Jahre der Österreichischen Gesandtschaft in Paris an. Von dort wurde ich 1936 abberufen und dem Österreichischen Staat zugeteilt zu Dienstleistungen im Verkehr mit dem diplomatischen Korps und dem Ministerium des Äußeren. Im Jahre 1936 wurde ich unter Bundeskanzler Schuschnigg Staatssekretär und später Minister des Äußeren. Ich gehörte der Regierung Schuschniggs bis zu seiner gewaltsam erzwungenen Demission an. Ich habe mich von dieser Stunde an in keiner Weise politisch betätigt.

DR. STEINBAUER: Welche außen- und wirtschaftspolitischen Gründe führten zu dem bekannten Regierungsübereinkommen vom 11. Juli 1936?

SCHMIDT: Mit Beginn des Jahres 1936 hatte sich die außenpolitische Lage Österreichs zuungunsten Österreichs verändert. Nach den Juliereignissen 1934 haben England, Frankreich und Italien in Stresa eine Dreimächteerklärung unterfertigt, betreffend die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit. Über die bis dahin bestandenen internationalen Bindungen hinausgehend, haben diese drei Mächte nunmehr eine neue Garantie für die Erhaltung Österreichs geschaffen, die Stresa-Front, die auch das ganze Jahr 1935 die Schutzfunktion für Österreich erfüllte. Der Zusammenbruch der Stresa-Front infolge des abessinischen Unternehmens Mussolinis bedeutete für Österreich den Verlust der einzigen praktischen internationalen Garantie und für Bundeskanzler Schuschnigg die Schaffung einer völlig neuen Situation. Nach seinem außenpolitischen Konzept sollte die österreichische Unabhängigkeit nicht nur auf den Schultern Italiens, sondern, wenn möglich, auch auf anderen Schultern, also auf England und Frankreich, verteilt sein. Dazu kommen nun die Schwierigkeiten, die sich aus der Entwicklung der europäischen Lage ergaben, etwa seit 7. März 1936, dem Tage, an dem Adolf Hitler als Beginn seiner kommenden Überraschungspolitik das Rheinland besetzte, ohne bei den Westmächten auf einen ernsten Widerstand zu stoßen. Es mußte daher auch bei der Österreichischen Regierung Besorgnisse auslösen und die Befürchtung, daß eines Tages auch in der österreichischen Frage eine Lösung der Überraschung oder, wie wir später gesehen haben, der Gewalt kommen könnte. Diese Gründe müssen aufgeführt werden, wenn wir uns nach den Erwägungen, die bei Zustandekommen des Abkommens zugrunde lagen, fragen; wie ebensosehr auch die beginnende Annäherung zwischen Rom und Berlin, die etwa in diese Zeit fällt, zurückzuführen war auf die Sanktionspolitik des Völkerbundes. Österreich, zwischen Italien und Deutschland gelegen, mußte damit rechnen, daß eines Tages die bis dahin seit Dollfuß bestandene österreichisch-italienische Freundschaft der intimeren Annäherung zwischen Rom und Berlin zum Opfer fallen werde. Aus diesem Grunde und aus anderen Erwägungen entschloß sich somit Herr Dr. Schuschnigg, den Weg zu einer Verbesserung der Beziehungen, das heißt, der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich, zu gehen. Es ist vielleicht nützlich, in diesem Zusammenhang etwa einige Grundsätze über das außenpolitische Denken Österreichs zu sagen. Grundtendenz der österreichischen Außenpolitik war die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit. Die österreichische Außenpolitik fußte ferner auf der Erkenntnis der äußerst schwierigen und heiklen geographischen Lage dieses Landes, eingekeilt zwischen zwei autoritären Staaten im Schnittpunkt der Ideologie Europas. Es mußte also Aufgabe werden der österreichischen Außenpolitik, sich auch mit dem großen Nachbarn, dem Deutschen Reich, eines Tages zu verständigen. Die Außenpolitik mußte ferner auf der Entschlossenheit fußen, alles zu vermeiden, was zu einem Konflikt mit dem Deutschen Reich hätte führen können, alles zu vermeiden, was zu einem Konflikt mit dem Deutschen Reich hätte reizen können, um einer Gewaltaktion, die nun einmal zu befürchten war seit dem 7. März, auszuweichen. Es waren also realpolitische Gründe der außenpolitischen Ordnung maßgeblich bei diesem Entschluß, die Beziehungen zum Deutschen Reich, zu dessen Sprachgebiet wir gehörten, und die unnatürlicherweise bis dahin unterbrochen waren, wieder in Ordnung zu bringen. Neben den außenpolitischen Gründen waren es aber auch wirtschaftliche Erwägungen. Die Weltwirtschaftskrise hatte Österreich, dessen wirtschaftliche Konstitution gewiß lebensfähig, aber doch äußerst schwach war, besonders hart getroffen. Dies verstehen wir nur dann, wenn wir einen Blick zurücktun bis in die Anfänge dieses jungen Staates. Von vornherein hatten alle Nachbarländer Österreichs eine Wirtschaftspolitik des Egoismus, chauvinistischer Eigeninteressen betrieben, und es war in keinem Falle gelungen, zu einer wirklichen, engen Zusammenarbeit aller Donauländer zu kommen. Wohl fanden sich einzelne Kombinationen, wie zum Beispiel die Römer-Protokolle, aber das gegenseitige Mißtrauen, das alle aus ihrem früheren Dach, aus dem gemeinsamen Dach der österreichischen Monarchie, mitgebracht hatten, war bestehen geblieben, stand hemmend vor allen derartigen an sich gesunden Entwicklungen.

Es kommen dann seit 1931, dem Beginn der Weltwirtschaftskrise, eine Reihe von Versuchen, die damals gemacht wurden, um Abhilfe zu schaffen. Ich erwähne sie nur stufenweise. Es beginnt mit dem Versuch der Regierung zur Schaffung einer Zollunion, der an dem Widerstand des Völkerbundes scheiterte. Es erfolgt 1932 das Bemühen Frankreichs, Österreich und Ungarn in die Kleine Entente zu bringen und hier zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu kommen. Auch hier wieder Widerstand seitens Deutschlands und Italiens. Auch England verhielt sich damals ablehnend. 1933 kommt zur wirtschaftlichen Notlage noch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, noch der innerpolitische Kampf. Auch der hatte seine Rückwirkungen auf das wirtschaftliche Leben in Österreich, weil nunmehr auch die Wirtschaft als Kampfmittel in die innerpolitische Auseinandersetzung hereingezogen wurde.

VORSITZENDER: Das ist ohne Zweifel interessant, aber es hat vielleicht nur entfernt etwas mit den Fragen zu tun, die der Gerichtshof zu entscheiden hat. Ich weiß nicht, ob sich der Zeuge für Ihren Zweck in ausreichender Weise damit befaßt hat.

DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich wollte durch diese Darstellung nur zeigen, daß wirtschaftlich und außenpolitisch gesehen die Situation so war, daß die Rolle des Angeklagten eigentlich dadurch stark in den Hintergrund gedrängt wurde. Aber bitte, wir können jetzt fortfahren.