HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Ich glaube, für die Beantwortung meiner Frage wäre es besser, wenn Sie nicht das Schlußergebnis von Berchtesgaden betrachten, sondern mehr die Tatsache, daß Ihnen Hitler ein sehr großes Forderungsprogramm, weit über das endgültige Ergebnis hinausgehend, vorgelegt hat, wenn Sie berücksichtigen, daß eben tatsächlich einige für Sie sehr wichtige Punkte im Laufe der Verhandlungen abgeändert worden sind.

SCHMIDT: Soweit nun eine Hilfe von der anderen Seite in Frage kam, kam sie von Herrn von Papen.

DR. KUBUSCHOK: Ist Ihnen vielleicht in Erinnerung, daß die Verhandlungen Hitler-Schuschnigg insbesondere deswegen einen besonders heftigen Verlauf nahmen, weil Hitler Schuschnigg in seiner deutschen Haltung bestimmte, und daß Herr von Papen Schuschnigg hierbei zu Hilfe kam, und daß dadurch für Schuschnigg eine Besserung der Anfangsverhandlungssituation geschaffen wurde?

SCHMIDT: Ich war bei den ersten Besprechungen, also etwa die erste Stunde oder zweite Stunde nicht zugegen; ich kann daher diese Frage nicht beantworten.

DR. KUBUSCHOK: Die letzte Frage: Hat Herr von Papen nach dem 26. Februar, dem Tag, an dem er sich beim Bundespräsidenten verabschiedete, noch irgendeine amtliche Tätigkeit in Wien ausgeübt?

SCHMIDT: Nein. Die Leitung der Wiener Gesandtschaft wurde vom Geschäftsträger, Botschaftsrat von Stein, übernommen, der die beiden bekannten offiziellen Demarchen des Reiches, also Protest gegen die von Schuschnigg geplante Volksabstimmung, am 9. nachmittags oder 10. vormittags, gemacht hatte. Ebenso hatte Stein ja neben General Muff und Staatssekretär Keppler, dem österreichischen Staatsoberhaupt das Ultimatum betreffend die Demission des Bundeskanzlers Schuschnigg überbracht. Daraus muß ich erkennen, daß eine Tätigkeit des Botschafters von Papen nicht mehr stattgefunden hat.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr bis auf 14.15 Uhr.

[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Zeuge Schmidt im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird am Samstag nicht tagen.

DR. KUBUSCHOK: Darf ich die Nachsicht des Gerichts erbitten und mir gestatten, an den Zeugen Schmidt noch eine Frage zu richten, die ich vor der Pause übersehen hatte zu stellen?

VORSITZENDER: Ja.

DR. KUBUSCHOK: Herr Zeuge! Im November 1937 wurden im Zuge von Maßnahmen gegen die illegale Bewegung verschiedene Materialien beschlagnahmt, die mit dem Namen »Tafs-Papiere« bezeichnet waren. Ist die Person des Herrn von Papen in diesen »Tafs- Papieren« behandelt?

SCHMIDT: Soweit ich mich erinnere, wurde mit diesem Material, das wir »Tafs-Plan« nannten, mehrere Dokumente hintereinander entdeckt. Ich glaube, mich zu erinnern, daß in einem dieser Dokumente Papen erwähnt worden war, und zwar sollte ein Attentat auf den Deutschen Botschafter in Wien Anlaß zu inneren Unruhen in Österreich und in der Folge zu Repressivmaßnahmen der Regierung, und in weiterer Folge dann zu Maßnahmen seitens des Deutschen Reiches führen. Im einzelnen vermag ich mich an Details dieses Planes nicht zu erinnern.

DR. KUBUSCHOK: Danke.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Mit Erlaubnis des Gerichts möchte ich jetzt einige Fragen an den Zeugen richten.

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Dr. Schmidt! Wann und bei welcher Gelegenheit haben Sie Herrn von Neurath kennengelernt?

SCHMIDT: Ich lernte Herrn von Neurath im November 1937 in Berlin kennen, wo ich seiner Einladung folgend ihm einen Besuch abgestattet hatte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Können Sie uns sagen, welche Einstellung Herr von Neurath als deutscher Reichsaußenminister zu der Frage der Beziehungen des Deutschen Reiches zu Österreich hatte, und insbesondere seine Einstellung zu dem Vertrage vom 11. Juli 1936. Ich möchte dazu darauf hinweisen, daß die Anklage behauptet, daß Herr von Neurath diesen Vertrag in einer, wie sie sich ausdrückt, trügerischen Art und Weise geschlossen hat.

SCHMIDT: In den wenigen Begegnungen, die ich mit Herrn von Neurath hatte, hat sich dieser immer auf den Standpunkt eines selbständigen Österreichs gestellt, und dabei eine möglichst enge Zusammenarbeit auf außenpolitischem, wirtschaftlichem und militärischem Gebiete mit Österreich verlangt. Diese Unterhandlungen bewegten sich immer auf der Basis des 11. Juli; die Differenzen ergaben sich nur in der Interpretation des Vertrags.

Neurath stellte sich im Auftrage der Deutschen Reichsregierung auf eine mögliche Aktivierung des Vertrags, während wir aus defensiven Gründen naturgemäß einer anderen Interpretation den Vorzug gaben. Neurath lehnte jedenfalls die Methoden der Gewalt ab und verfolgte etwa die Linie: selbständiges Österreich, aber möglichst nahe an Deutschland.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie stellte sich mm Herr von Neurath zu den extremen Kreisen der Partei im Reich, die praktisch eine Politik der Einmischung in die inneren Verhältnisse Österreichs trieben?

SCHMIDT: Wie ich bereits erwähnte, lehnte Neurath die Methoden der Gewalt ab und damit auch die Methoden der Einmischung, die Methoden der illegalen Partei in Österreich.

Ich glaube, aus Unterhaltungen, die ich mit ihm hatte, dies eindeutig feststellen zu können. Dafür spricht auch seine völlige Ablehnung der Tätigkeit des Staatssekretärs Keppler und Veesenmayer, die ja mit die Wegbereiter der neuen Entwicklung im Südosten und zunächst in Österreich waren. Die Ausdrücke, die er dabei verwendete, ließen keinen Zweifel aufkommen über seine Haltung.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN HESS UND FRANK: Herr Präsident! Ich bitte zu gestatten daß ich in Vertretung des nicht anwesenden Kollegen Dr. Stahmer einige Fragen für den Angeklagten Göring an den Zeugen richte.

VORSITZENDER: Ja.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Sie haben vorhin erklärt, daß Sie im November 1937 zu einem offiziellen Besuch in Berlin waren?

SCHMIDT: Ja.

DR. SEIDL: Haben Sie bei dieser Gelegenheit auch mit dem damaligen Feldmarschall Göring gesprochen?

SCHMIDT: Jawohl.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß Ihnen schon damals Feldmarschall Göring gesagt hat, daß die österreichischen Fragen nur durch die vollkommene Vereinigung der beiden Brudervölker gelöst werden kann, also durch den Anschluß Österreichs an das Reich, und daß er seinerseits alles tun werde, um dieses Ziel zu erreichen?

SCHMIDT: In dieser Form ist es mir nicht gesagt worden. Wohl hat der Reichsmarschall, der damalige, auf eine enge Zusammenarbeit mit Österreich fordernd hingewiesen. Von einer Forderung nach dem Anschluß war meines Erinnerns nach nicht die Rede. Ich konnte dazu zur Illustration sagen, daß damals von den Ereignissen des 25. Juli 1934 die Rede war. Ich habe der Meinung Ausdruck gegeben, daß das Abkommen vom Juli 1936 einen Schlußstrich unter diese Entwicklung ziehen müsse; dabei hat Reichsmarschall Göring erklärt, daß er den Drahtzieher dieser Sache – ich glaube, es war Habicht, den er nannte – zur Verantwortung gezogen und in einen obskuren Ort Deutschlands verbannt hatte. Schon aus dieser Bemerkung geht hervor, daß also von Anschluß nicht die Rede gewesen sein konnte. Der Reichsmarschall, der damalige, begrüßte auch die Entwicklung, die durch den 11. Juli 1936 eingeleitet worden war, das heißt, daß nun ein Schlußpunkt gesetzt war unter die damalige Entwicklung, die man als einen Kriegszustand bezeichnen mußte, wie er bis zum 11. Juli 1936 bestanden hatte.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß am Morgen des Anschlusses, also am Morgen des 12. März 1938, Göring Sie mit dem Flugzeug nach Berlin kommen ließ?

SCHMIDT: Nein, das war am Montag, ich glaube Montag oder Dienstag; es muß der 15. oder 16. gewesen sein.

DR. SEIDL: Hat er, als Sie in Berlin waren, an Sie die Frage gerichtet, ob Sie selbst oder Schuschnigg am Tage vor dem Anschluß von auswärtigen Mächten noch Hilfe, und zwar militärische Hilfe erbeten hatten?

SCHMIDT: Dieser Frage kann ich mich nicht entsinnen.

DR. SEIDL: Sie haben heute vormittag erklärt, daß mit dem Anschluß in Österreich der Nationalsozialismus eine Realität geworden sei. Ich frage Sie nun, war nicht schon vor dem Anschluß auch in Österreich der Nationalsozialismus eine politische Realität?

SCHMIDT: Eine politische Realität gewiß, aber ich meinte, sagen wir, eine Politik in politischer Realität, im Sinne der gestalteten Gewalt im Staat.

VORSITZENDER: Es tut mir leid, Sie sprechen etwas zu schnell – ich weiß nun nicht, wie es hieß. Sie müssen jedenfalls wiederholen, denn es scheint, daß die Dolmetscher nicht nachgekommen sind.

DR. SEIDL: Die Frage lautete, ob nicht schon vor dem Anschluß in Österreich der Nationalsozialismus eine politische Realität war. Ich habe die Frage im Hinblick darauf gestellt, daß heute vormittag der Zeuge erklärte, erst mit dem Einzug der deutschen Truppen sei in Österreich der Nationalsozialismus eine Realität geworden.

SCHMIDT: Mit der Bezeichnung »politische Realität« meinte ich, daß der Nationalsozialismus nunmehr die Staatsgewalt in die Hand bekommen hatte, während er bis dahin ja eine verbotene Partei darstellte, die allerdings nach dem Abkommen vom 12. Februar im Rahmen der Vaterländischen Front zur Mitarbeit an der politischen Verantwortung herangezogen werden sollte; also ich wollte damit dartun, die grundlegende Änderung, die eben mit dem Einmarsch der deutschen Truppen für den Nationalsozialismus gekommen war.

DR. SEIDL: Nun noch eine letzte Frage: Haben Sie nach dem Anschluß nicht wiederholt dem Reichsmarschall gegenüber geäußert, daß die Vaterländische Front beim Anschluß wie ein Kartenhaus zusammengebrochen sei?

SCHMIDT: Ja, an einzelne Äußerungen vermag ich mich nicht zu erinnern, aber Zusammenbruch der Vaterländischen Front war ja mit dem Rücktritt des Kanzlers gegeben. Die Vaterländische Front war ja das Sammelbecken des Widerstandes; der Widerstand war mit dem 11. März zusammengebrochen.

DR. SEIDL: Ich habe keine Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?

MR. DODD: Wissen Sie, Dr. Schmidt, wann der Angeklagte von Papen dem Kanzler Schuschnigg zum erstenmal den Vorschlag gemacht hat, daß er, Schuschnigg, mit Hitler zusammenkommen sollte?

SCHMIDT: Im Spätherbst 1937, es muß November gewesen sein, machte von Papen die Anregung einer derartigen Begegnung. Diese Besprechungen blieben aber dann ohne konkretes Resultat. Die offizielle Einladung überbrachte von Papen etwa am 6. oder 7. Februar, nachdem er von seinem Besuche bei Hitler zurückgekehrt war. An diesem Tage habe ich von der Einladung erfahren.

MR. DODD: Wollen Sie uns bitte auch mitteilen, ob Sie wissen, ob von Papen Schuschnigg die Versicherung gab, daß diese Besprechung nur auf genau bestimmte Punkte beschränkt sein würde und nur Angelegenheiten behandeln sollte, über die zwischen Schuschnigg und von Papen schon vorher eine Einigung zustande gekommen war?

SCHMIDT: Der Bundeskanzler selbst verlangte eine genaue Umschreibung des Besprechungsprogramms, also Grundlage: 11. Juli, endgültige Beseitigung der bestehenden Differenzen und so weiter. Das war zwischen Papen und Schuschnigg vereinbart worden.

MR. DODD: Hat Herr von Papen Schuschnigg die Versicherung gegeben, daß die Besprechung für Österreich günstig verlaufen würde?

SCHMIDT: Versicherung? Nein. Aber eine Erklärung hat Papen gegeben, daß die Situation derzeit günstig sei. Dabei verwies von Papen auf die Verhältnisse, wie sie am 4. Februar geschaffen worden waren und glaubte, daß Hitler einen außenpolitischen Erfolg nach diesen Ereignissen brauche; es könne also um einen geringen Preis für den Kanzler ein gewisser Erfolg erzielbar sein.

MR. DODD: Ich versuche nun folgendes hier klarzustellen und bitte Sie, kurz zu antworten, das wird uns helfen: Sie und Schuschnigg hatten den Eindruck, daß es für Sie und Österreich Vorteile bringen würde, wenn Sie an dieser Besprechung teilnehmen würden? Stimmt das?

SCHMIDT: Ich habe schon früher gesagt, daß der Kanzler nicht optimistisch war, also eine Besserung der Lage war wohl nicht erwartet, nur eine Bereinigung der bestehenden Differenzen.

MR. DODD: Am Abend vor Ihrer Abreise nach Berchtesgaden hatten Sie eine Unterredung mit einem Mann, namens Hornbostel, dem Gesandten, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Und hatten Sie und Schuschnigg schon eine Besprechung mit Seyß-Inquart am selben Abend gehabt, Sie und Schuschnigg?

SCHMIDT: Es ist möglich, in diesen Tagen waren wiederholt Besprechungen gewesen.

MR. DODD: Nun, vielleicht kann ich Ihnen etwas dabei helfen. Erinnern Sie sich, daß Zernatto und Seyß-Inquart irgendein Memorandum über innenpolitische Fragen entwarfen, während Sie und, ich glaube, Hornbostel oder jemand anders, ein Schriftstück oder Schriftstücke über internationale Fragen oder über außenpolitische Angelegenheiten vorbereiteten?

SCHMIDT: Ich konnte nicht verstehen.

MR. DODD: Ich spreche von der Zeit, als Sie und einige Ihrer Mitarbeiter einen Entwurf über außenpolitische Fragen vorbereiteten und Zernatto und Seyß-Inquart Papiere über innerpolitische Fragen vorbereiteten.

Daran erinnern Sie sich doch noch, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Nun, Sie machten sich an jenem Abend Sorgen wegen Seyß-Inquart, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Und warum machten Sie sich Sorgen? Was war der Grund für Ihre Beunruhigung? Was befürchteten Sie von Seyß-Inquart?

SCHMIDT: Die Entwürfe, die ich vor der Abreise zu Gesicht bekam und die von Zernatto und Seyß-Inquart als Unterlagen für den Teil der innerpolitischen Besprechungen ausgearbeitet worden waren, schienen mir politisch weltfremd und unbrauchbar. Ich hatte den Eindruck, daß hier zwei Männer am Werke waren, die wohl die Lust hatten zu fabulieren, aber nicht dem Ernst der Situation gerecht geworden waren. Es waren hier Formulierungen gebraucht, wie österreichische nationalsozialistische Weltanschauung zum Unterschied gegenüber nationalsozialistischer. Es gibt aber keinen Unterschied. Eine österreichische nationalsozialistische Weltanschauung kann nur eine nationalsozialistische sein. Diese Dinge habe ich in einer meiner Aussprachen kritisiert.

MR. DODD: Geben Sie zu, daß er in irgendeiner Verbindung mit Hitler stand und daß daraus böse Folgen für Österreich entstehen konnten? Mit »er« meine ich Seyß-Inquart.

SCHMIDT: Nein, damals hatte ich keine Befürchtungen, daß ein Geheimabkommen bestünde zwischen Herrn Hitler und Seyß-Inquart.

MR. DODD: Nun, als Sie am nächsten Tage in Berchtesgaden ankamen, stellten Sie fest, daß ein großer Teil der Dinge, die von Zernatto, Ihnen, Seyß-Inquart und Schuschnigg besprochen worden waren, die Grundlage für Hitlers Forderungen war, die er an Schuschnigg stellte, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Und waren Sie nicht überzeugt, zumindest damals, daß Seyß-Inquart mit Hitler schon vorher, bevor Sie nach Berchtesgaden gekommen waren, in Verbindung gewesen war und ihm diese grundsätzlichen Forderungen schon mitgeteilt hatte?

SCHMIDT: Wir hatten nur den Eindruck, daß der Besprechung ein Entwurf zugrunde lag, der also ausgearbeitet war von Männern, die die Verhältnisse kannten. Es lag also ein großer Teil der Abmachungen Zernatto-Seyß-Inquart diesem Forderungsprogramm zugrunde. Das gesamte Forderungsprogramm war uns vorher nicht bekannt gewesen.

MR. DODD: Sie und Schuschnigg vertraten doch an diesem Tage Österreich in Berchtesgaden?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Hitler, von Papen, von Ribbentrop, Keitel, Sperrle und Reichenau waren für Deutschland anwesend, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Sie, von Papen und Schuschnigg fuhren zusammen von der Grenze nach Berchtesgaden und in demselben Eisenbahnwagen, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Und im Laufe des...

SCHMIDT: Ja, ob Papen in dem Eisenbahnwagen war, kann ich nicht sagen. Zurück kamen wir zusammen.

MR. DODD: Gut, er war doch jedenfalls im Zuge, wenn er auch nicht im selben Wagen war. Bestieg er nicht den Zug an der Grenze und fuhr mit Ihnen und Schuschnigg weiter?

SCHMIDT: Das weiß ich nicht mehr.

MR. DODD: Hat er Sie nicht an der Grenze getroffen?

SCHMIDT: Er hat uns an der Grenze erwartet.

MR. DODD: Vielleicht sehe ich nicht ganz klar, aber ich möchte auf eine bestimmte Unterredung kommen, die Sie und Schuschnigg mit von Papen hatten, entweder zur Zeit als Sie ihn an der Grenze trafen oder auf dem Wege nach Berchtesgaden, als er Ihnen nämlich sagte: »Oh, nebenbei bemerkt, es werden ein paar Generale da sein, ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«

Erinnern Sie sich, daß von Papen das gesagt hat?

SCHMIDT: Es war von Generalen die Rede, das weiß ich. Er hatte Schuschnigg gesagt – ob er den Namen Keitel nannte, weiß ich nicht mehr –, daß er anwesend sein würde.

MR. DODD: Es wurde nur so nebenbei bemerkt, und Sie hatten keine Gelegenheit, Einspruch zu erheben, nicht wahr? Und bis zu dieser Zeit wußten Sie nicht, daß Militär auch dort sein wird?

SCHMIDT: Nein, bis dahin wußten wir das nicht.

MR. DODD: Zu welcher Tageszeit kamen Sie nun in Berchtesgaden an, früh am Morgen oder im Laufe des Vormittags? Zu welcher Tageszeit?

SCHMIDT: Im Laufe des Vormittags.

MR. DODD: Ja, ich möchte gern, daß Sie dem Gerichtshof, so gut es geht, beschreiben, was an dem Tage dort geschah. Wir haben schon viele Aussagen über diese Besprechung in Berchtesgaden gehört, aber Sie sind der erste Zeuge, der wirklich dort war. – Ich glaube, das stimmt nicht ganz, Keitel war auch dort; Sie nahmen jedenfalls an der Besprechung teil. Wie fing diese Besprechung an?

SCHMIDT: Die Besprechungen begannen zunächst mit der Unterhaltung zwischen Hitler und Bundeskanzler Schuschnigg. Diese Unterhaltung fand unter vier Augen statt. Es waren also weder ich noch die anderen Herren anwesend. Später wurden dann die einzelnen Herren zugezogen. Es fanden dann auch Besprechungen ohne Hitler statt, und zwar zusammen mit dem damaligen Außenminister Ribbentrop, wo die Programmpunkte, die uns vorgelegt worden waren, nun durchgesprochen wurden. Im Laufe dieser Unterhaltungen wurden dann auch einzelne Forderungen gestrichen.

MR. DODD: Während Hitler und Schuschnigg sich unterhielten, mit wem sprachen Sie da, wenn Sie überhaupt mit jemandem gesprochen haben, oder was taten Sie sonst?

SCHMIDT: Da war ich zusammen mit den anderen Herren, die Sie nannten; zum Teil waren wir in der großen Halle, zum Teil haben wir in dem Vorraum vor dem Zimmer, in dem die Unterredung zu vieren stattfand, gewartet.

MR. DODD: Haben Sie zum Beispiel mit von Ribbentrop gesprochen, während Schuschnigg mit Hitler sprach?

SCHMIDT: Nein.

MR. DODD: Was geschah dort? Sprachen Sie mit Ribbentrop und wenn, worüber?

SCHMIDT: In den Nachmittagsstunden haben wir mit Ribbentrop – auch zum Teil habe ich das allein gemacht – dieses Forderungsprogramm durchgegangen, und es ist mir auch gelungen, einzelne Punkte davon zu streichen. Es waren also in der Regel Besprechungen im Rahmen des uns vorgelegten Forderungsprogramms.

MR. DODD: Nun, während des Vormittags, ich möchte, daß Sie sich genau an die Zeit halten, so daß wir über die Reihenfolge der Vorgänge vollkommen im Bilde sind, während der Vormittagssitzung zwischen Hitler und Schuschnigg, saßen Sie da nur so herum in zwangloser Unterhaltung, oder haben Sie mit Ribbentrop oder jemand anderem über Österreich und Deutschland gesprochen?

SCHMIDT: Am Vormittag noch nicht, weil wir ja – wenigstens ich – das Programm ja noch nicht kannten, und die politischen Aussprachen konnten ja nur auf Grund der gegenseitig vorgelegten Wünsche stattfinden.

MR. DODD: Nun, es waren doch auch Pausen sozusagen zwischen den Konferenzen, und hatten Sie nicht während dieser Pausen Gelegenheit, mit Schuschnigg zu sprechen in diesen Pausen?

SCHMIDT: Jawohl, nach einer Stunde etwa kam der Bundeskanzler heraus, hat mir einen Überblick über die Situation gegeben und hat sich mit mir besprochen...

MR. DODD: Sagen Sie uns bitte genau, was er Ihnen erzählte, sozusagen aus erster Hand.

SCHMIDT: Er hat die Atmosphäre zunächst geschildert, die Heftigkeit der Sprache und den ultimativen Charakter der Wünsche, die unterbreitet worden waren.

MR. DODD: Versuchen Sie, uns zu sagen, was er Ihnen erzählte, wenn Sie sich daran erinnern. Was sagte er über die Atmosphäre, über die Sprache, die gebraucht wurde? Das wollen wir wissen.

SCHMIDT: Er begann zunächst mit der Begrüßung. Er erklärte, daß ihm Hitler Vorwürfe gemacht hätte, daß er kein Deutscher sei, beziehungsweise daß Österreich keine deutsche Politik betrieben habe. So sei es immer gewesen, schon zur Zeit der Habsburger. Auch das katholische Element in Österreich habe er dafür verantwortlich gemacht. Österreich habe jeder nationalen Bewegung Prügel zwischen die Füße geworfen, und so sei es auch heute. Hier erwähnte Hitler auch die Tatsache, daß Österreich nicht aus dem Völkerbund ausgetreten sei. Es kam dann zu sehr harten Auseinandersetzungen zwischen Hitler und Schuschnigg persönlich, bei denen der Bundeskanzler den Eindruck hatte, daß auch er persönlich scharf angegriffen worden war. Die Einzelheiten dieser Besprechung weiß ich nun nicht mehr. Die Atmosphäre war nach der Schilderung des Bundeskanzlers äußerst hart.

MR. DODD: Sie aßen dort Mittag um 12.00 Uhr oder etwas später?

SCHMIDT: Nach diesen Besprechungen etwa um 12.00 oder 12.30 Uhr war ein gemeinsames Mittagessen. Dort war ein absolut normaler Ton wieder. Es hatten sich inzwischen die Wogen wieder gelegt.

MR. DODD: Nun, war Schuschnigg ein ziemlich starker Raucher?

SCHMIDT: Wie wars? Damals oder wann?

MR. DODD: Ich meine natürlich damals.

SCHMIDT: Natürlich. Schuschnigg war ein starker Raucher.

MR. DODD: Nun haben wir gehört, daß er während dieses Tages während der Besprechungen keine Erlaubnis hatte zu rauchen, bis Sie Ribbentrop baten, ihn wenigstens eine Zigarette rauchen zu lassen. Wie steht es damit? Stimmt das, oder ist das eine Geschichte?

SCHMIDT: Es wurde uns damals gesagt, daß in Anwesenheit von Hitler nicht geraucht werden möge. Das ist richtig. Ich habe dann eine Möglichkeit gesucht für den Kanzler, daß er eine Zigarette rauchen könne. Ob ich darum Ribbentrop gebeten habe, kann ich mich also genau nicht erinnern, weil dieses Detail auch nicht von Bedeutung war.

MR. DODD: Nun gut. Hat Schuschnigg Ihnen erzählt, daß Hitler bei der Besprechung verlangte, daß Seyß-Inquart Sicherheitsminister in der Regierung werden sollte?

SCHMIDT: Es war ein Punkt des Forderungsprogramms.

MR. DODD: Das Hitler aufstellte?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Hat er auch gefordert, daß Glaise-Horstenau Heeresminister wird?

SCHMIDT: Das war die zweite Position, die gefordert wurde.

MR. DODD: Hat er ebenfalls gefordert, daß gewisse von österreichischen Universitäten relegierte Studenten wieder zugelassen werden?

SCHMIDT: Ja, es sollten die relegierten Studenten begnadigt und wieder zugelassen werden zu den Universitäten.

MR. DODD: Und daß gewisse Staatsbeamte wieder in ihr Amt eingesetzt werden?

SCHMIDT: Ebenso das.

MR. DODD: Zweitens, daß gewisse entlassene Angehörige der Polizei in Österreich wieder in ihr Amt eingesetzt werden?

SCHMIDT: Das war unter dem Kapitel »Gnadenaktion« schon mit inbegriffen. Es sollten also entlassene Beamte aus der Exekutive wieder in den Stand aufgenommen werden.

MR. DODD: Wurden auch Forderungen nach einem Währungsaustausch und einer Zollunion aufgestellt?

SCHMIDT: Ja, es waren wirtschaftliche Forderungen in der Art zur Debatte. Das Wort Zollunion selbst ist nicht gefallen. Es waren Forderungen, die nun doch in die Nähe kamen.

MR. DODD: Nun, als Schuschnigg diese Forderungen horte, da wußten Sie natürlich, daß diese Konferenz weit über die Grenzen dessen hinausging, was in dem Übereinkommen zwischen von Papen und Schuschnigg vereinbart worden war, nicht wahr? Sie wußten das doch gleich?

SCHMIDT: Ja, das Programm war weitergehend als wir angenommen hatten. Es ist richtig; ich weiß aber nicht, ob von Papen das Programm vorher gekannt hatte, ich nehme an, nein.

MR. DODD: Nun, das habe ich Sie nicht gefragt, aber es macht nachts, wenn Sie etwas zugunsten Papens sagen wollen. Meine Frage jedoch lautet: Sind Sie nicht gleich zu von Papen oder zu Schuschnigg gegangen und haben gesagt: »Das ist doch nicht der Zweck unserer Zusammenkunft.« Hatten Sie keine derartige Besprechung mit ihm während einer der Pausen?

SCHMIDT: Es waren natürlich Äußerungen dieser Art, daß das Programm weitergehend war, als wir angenommen hatten, gefallen.

MR. DODD: Was hat Papen darauf gesagt?

SCHMIDT: Wir hatten den Eindruck, daß Papen selbst unangenehm berührt war über einzelne Punkte.

MR. DODD: Hat er aber nacht vorgeschlagen, daß Sie den Forderungen Hitlers zustimmen sollten?

SCHMIDT: Die Schlußbedingungen also, nachdem wir einen Teil der Konzessionen bereits erreicht hatten, hat Papen gewiß zur Annahme empfohlen, weil ja eine Einigung meiner Meinung nach erzielt werden sollte. Auch der Bundeskanzler hat ja sein persönliches Wort gegeben, weil er ohne ein Resultat nicht wegfahren wollte, um die Situation Österreichs nicht zu gefährden.

MR. DODD: Hat nicht auch Hitler zugesagt, daß er die neue Nationalsozialistische Partei in Österreich auflösen würde? Hat er es Ihnen nicht an dem Tage versichert, daß er das tun werde?

SCHMIDT: Jawohl.

MR. DODD: Und daß er Dr. Tafs und Leopold, die Führer der Nazi-Partei in Österreich, zurückrufen würde?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Und Sie stimmten zu, Seyß-Inquart zum Sicherheitsminister zu ernennen?

SCHMIDT: Der Kanzler hat sich zu diesem Entschluß bekannt.

MR. DODD: Und Sie gaben Ihre Zustimmung, Leute wie Fischböck und Wolf in den österreichischen Pressedienst aufzunehmen?

SCHMIDT: Die sollten aufgenommen werden; sowohl Fischböck in das Handelsministerium und Wolf in die Presseabteilung. Über die Form, wie das geschehen sollte, war nichts gesagt.

MR. DODD: Und Sie waren auch damit einverstanden zu versuchen, einige Nazis in die Vaterländische Front aufzunehmen, also in Ihre eigene politische Gruppe?

SCHMIDT: Die Bezeichnung »einige der Nazis in die Vaterländische Front« trifft nicht die Situation. Es war die Frage des Einbaus der nationalen Opposition, die man damals als österreichische nationalsozialistische Weltanschauung bezeichnete, in die Vaterländische Front, also die Mitarbeit dieser ganzen Gruppe am politischen Leben Österreichs

MR. DODD: Gut, nun sagte Ihnen Hitler, Sie hätten Zeit bis zum 15. Dezember, seine Bedingungen anzunehmen, nicht wahr? Ich meine 15. Februar.

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Und er sagte Ihnen, daß, wenn Sie das nicht täten, er Gewalt anwenden würde?

SCHMIDT: Das Ultimatum war – ja, es war ein Ultimatum, und Hitler hatte erklärt, er hatte die Absicht, schon im Februar in Österreich einzumarschieren und habe sich noch zum letztenmal zu einem Versuch bereitgefunden.

MR. DODD: Und wie war es mit den Generalen? Sind diese während der Konferenz ein- und ausgegangen? Leute, wie der Angeklagte Keitel?

SCHMIDT: Es wurden mehrere Male die Generale hineingerufen.

MR. DODD: Hatten Schuschnigg und Sie Angst? Dachten Sie einmal, daß Sie in Haft genommen oder erschossen werden sollten?

SCHMIDT: Daß wir eventuell nicht wegkommen, die Besorgnis hatten wir, daß wir erschossen würden, nein.

MR. DODD: Erinnern Sie sich noch daran, daß Schuschnigg Ihnen auf der Rückreise nach Wien sagte, er hätte Angst gehabt, als Keitel hereingerufen wurde und geglaubt, er würde erschossen werden oder daß ihm sonst etwas Schreckliches zugefügt werden sollte und daß Sie Schuschnigg erzählten, daß auch Sie damals Besorgnis hatten, daß das Ende gekommen sei oder so etwas ähnliches?

SCHMIDT: Nein, an diese Unterhaltung erinnere ich mich nicht. Von Erschießen war nie die Rede, sondern wir hatten, wie ich schon gesagt habe, nur Angst. Der Kanzler war auch der Meinung, daß wir eventuell, wenn die Verhandlungen nicht gutgehen, wir nicht mehr wegkommen.

MR. DODD: Nun gut. Was tat Papen, während die Generale ein- und ausgingen? Hat er das ebenso wie Sie gesehen?

SCHMIDT: Das ist nach einer sehr bewegten Unterhaltung sehr schwer zu sagen, nach acht Jahren, was der einzelne nun damals getan hat.

MR. DODD: Es waren ja nicht zu viele Leute da, sechs oder acht. Waren sie meist in einer Gruppe?

SCHMIDT: Es wurde ja dauernd gewechselt. Wir waren nicht immer alle zusammen drin. Es waren ja verschiedene Kombinationen zustande gekommen.

MR. DODD: Vielleicht werde ich meine Frage so formulieren: Es war doch unmöglich, daß von Papen die Generale an dem Tage dort einfach nicht gesehen hat?

SCHMIDT: An diesem Tage mußte er sie gesehen haben, wie wir dort waren.

MR. DODD: Ribbentrop sagte Ihnen, daß Hitler in sehr schlechter Stimmung war, nicht wahr?

SCHMIDT: Darüber waren wir alle einig.

MR. DODD: Und er drängte natürlich ebenfalls darauf, daß Sie die Bedingungen annehmen sollten, weil dies der beste Ausweg für Sie und für Schuschnigg wäre, nicht wahr?

SCHMIDT: Jedenfalls hat Ribbentrop damals nicht an diesem Druck sich beteiligt. Er hat die deutschen Forderungen mit vertreten, aber nicht etwa in einer unangenehmen oder drückenden Form. Das habe ich schon damals dem Kanzler erwähnt.

MR. DODD: Ja, die Lage war also so, daß Ribbentrop die Rolle des liebenswürdigen Mannes spielte, während Hitler drinnen die Rolle des Schrecklichen spielte, und Sie und Schuschnigg wurden ständig von einem zum anderen geschickt?

SCHMIDT: Ich hatte hier den Eindruck, daß Ribbentrop mit der Materie nicht vertraut war und sich schon deshalb etwas zurückgehalten hatte.

MR. DODD: Das ist sehr interessant und ist auch nicht mehr neu in diesem Falle. Jedenfalls stimmt es aber nicht, daß Sie sozusagen zwischen dem guten Mann, von Ribbentrop, und dem bösen Mann, Hitler, hin- und hergeworfen wurden?

SCHMIDT: So kann man es nicht bezeichnen. Das war nicht die Situation. Wir hatten mit Ribbentrop die Details durchzuverhandeln. Hitler hatte erklärt, wir sollten die Einzelheiten nun im Kreise der Fachleute verhandeln.

MR. DODD: Ist es möglich, daß Sie sich darüber noch nicht klar geworden sind? Sind Sie sicher, daß das nicht die Lage war, oder ist es nur, daß Sie sich bis jetzt noch nicht darüber klar geworden sind?

SCHMIDT: Worüber?

MR. DODD: Über die Sachlage, wie ich sie dargestellt habe, daß Sie zwischen dem guten Mann und dem bösen Mann hin- und hergespielt wurden?

SCHMIDT: Nein.

MR. DODD: Wenn Sie mich nicht richtig verstehen, dann wollen wir nicht mehr weiter darauf eingehen.

Nun, wie lange blieben Sie damals noch dort, und um wieviel Uhr haben Sie Berchtesgaden verlassen?

SCHMIDT: In den späten Abendstunden, es muß zwischen 9.00 und 10.00 Uhr gewesen sein, meiner Erinnerung nach.

MR. DODD: Haben Sie Seyß-Inquart erzählt, was sich in Berchtesgaden abgespielt hatte, als Sie nach Wien zurückkamen?

SCHMIDT: Es hat zunächst eine Besprechung zwischen Zernatto und Seyß-Inquart stattgefunden, bei der Zernatto Seyß-Inquart genau ins Bild gesetzt hatte, da ja Zernatto sowohl vom Bundeskanzler wie von mir informiert worden war. Später bin ich dann zu dieser Unterhaltung dazugekommen. Ich hatte aber den Eindruck, daß der Großteil der Schilderung bereits vorbei war, und es wurden dann noch Einzelheiten erörtert.

MR. DODD: Sie haben dem Gerichtshof heute früh erzählt, daß Seyß-Inquart Ihnen erklärt hatte, er wollte für Österreich eine gewisse Unabhängigkeit beibehalten, einen Schein der Unabhängigkeit jedenfalls. Das haben Sie doch nicht geglaubt, als er Ihnen das sagte, nicht wahr?

SCHMIDT: Da kann ich nicht ja und nicht nein sagen. Ich habe ihn abgelehnt und habe mir daher über das politische Konzept Seyß-Inquarts nicht mehr den Kopf zerbrochen, weil ich nicht die Absicht hatte, in die Regierung einzutreten. Die Forderung war so anzusehen, daß sie ernst gemeint war.

MR. DODD: Sie bedienten sich doch einer ganz bestimmten Ausdrucksweise, als Sie ihn abwiesen, nicht wahr? Was sagten Sie, daß Sie treu und anständig sein wollten?

SCHMIDT: Ich habe damals erklärt, daß ich zu Bundeskanzler Schuschnigg gehöre und daß für mich immer noch das Gesetz von Anständigkeit und Treue gelten würde und daß ich daher mit ihm abtrete.

MR. DODD: Haben Sie nicht den Ausdruck gebraucht: »Ich glaube immer noch an die Gesetze von Wahrheit und Anständigkeit?«

SCHMIDT: Nein. Noch gelten für mich Gesetze von Treue und Anständigkeit. Das habe ich erklärt. Ich bin den Weg mit Bundeskanzler Schuschnigg gegangen und trete auch mit ihm ab. Da muß man mein Verhältnis zum Kanzler kennen; wer das kennt, weiß, was das heißt und daß ich nicht anders handeln konnte.

MR. DODD: Nun, ich habe das gar nicht behauptet. Ich will nur versuchen zu zeigen, daß Sie bei der Abweisung Seyß-Inquarts Ausdrücke gebrauchten, die andeuteten, daß Sie ihn nicht für ehrlich, treu oder anständig hielten, stimmt das nicht?

SCHMIDT: Das ist damit nicht gesagt. Ich sage damit, ich selbst, meinen Grund, warum ich ablehne. Es war ja ein Unterschied, nicht wahr, dadurch ja schon gegeben, daß ich zu dem Kanzler in einem Freundschaftsverhältnis stand.

MR. DODD: Nun, Sie wissen doch, daß wir Ihre Aussage von Wien haben, wo Sie unter Eid vor dem Gerichtshof aussagten, und Sie erinnern sich, daß Sie dem Richter dort gesagt haben, daß Seyß-Inquart an der gewaltsamen Beseitigung Schuschniggs teilnahm.

SCHMIDT: Ja, ich habe erklärt, daß ich nicht einer Regierung Seyß-Inquarts angehören könne, da sie ja schließlich mitverantwortlich war an der Beseitigung der Regierung Schuschniggs. Da ich mit Schuschnigg befreundet war, konnte ich nicht an einer solchen Regierung teilnehmen.

MR. DODD: Nun, worauf ich hinaus will ist, ob Sie, obwohl Sie Seyß-Inquart kannten und seine enge Verbundenheit mit den Nazis, und nach Ihren Erfahrungen in Berchtesgaden, dem Gerichtshof ernstlich sagen wollen, daß Sie wirklich dachten, wirklich Seyß-Inquart glaubten, als er sagte, daß er für Österreich eine Art von Unabhängigkeit wahren wollte?

SCHMIDT: Ich habe das damals auch bezweifelt, damals wie heute noch. Was in seinem Kopfe vorging, das kann ich nicht sagen.

MR. DODD: Danach frage ich Sie nicht. Ich will wissen, was in Ihrem Kopfe vorgegangen ist.

Sie haben mit dem Angeklagten von Papen einmal vor nicht allzuvielen Jahren über Seyß-Inquart gesprochen, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Erzählen Sie dem Gerichtshof nun, wann und wo diese Unterhaltung stattfand.

SCHMIDT: Ich bin von Papen – es muß im Spätherbst 1943 gewesen sein – in der Türkei begegnet. Unser Gespräch kam dann auf die Vorgänge des 11. März 1938. Papen äußerte sich damals in einer sehr heftigen Kritik über das Vorgehen von damals, über Seyß-Inquart. Deshalb meinte er, weil er nichts für die österreichischen Interessen getan hatte, daß das Vorgehen auch nicht den deutschen Interessen gedient hätte. Er wollte damit seiner Kritik Ausdruck geben, und ich hatte den Eindruck, daß er ja gegen eine gewaltsame Lösung war, also gegen eine Lösung der Gewalt, wie eine eingetreten war.

MR. DODD: Ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof genau sagen, was von Papen über Seyß-Inquart gesagt hat.

Es war im Jahre 1943, nicht wahr, und nicht 1940, als Sie und von Papen in der Türkei waren, nicht wahr?

SCHMIDT: Ja, ja.

MR. DODD: Vielleicht kann ich Ihrem Gedächtnis etwas nachhelfen, falls Sie es vergessen haben. Hat von Papen nicht gesagt, daß er Seyß-Inquart nicht die Hand reichen würde?

SCHMIDT: Das hat er erklärt. Er hat erklärt, er würde... er hätte – es wäre einige Zeit nach dem Anschluß gewesen – sich geweigert, ihm die Hand zu geben, und zwar mit Hinweis auf das Vorgehen von 1938.

MR. DODD: Hat er nicht auch gesagt, daß sein Benehmen einfach unmöglich wäre? War das nicht das Wort, das er über Seyß-Inquart sagte, oder etwas Ähnliches.

SCHMIDT: In dieser Form hat er sich geäußert.

MR. DODD: Was hat er sonst noch gesagt? Sie haben damals in Wien gesagt, daß von Papen die allerschärfsten Ausdrücke gebrauchte, als er Seyß-Inquart und sein Benehmen im März 1938 beschrieb. Ich glaube, das wäre für den Gerichtshof einigermaßen interessant, und ich möchte, daß Sie uns genau erzählen, was er gesagt hat. Es ist doch erst drei Jahre her, daß Sie mit von Papen diese Unterredung hatten, und Sie haben uns bisher noch nicht viel darüber gesagt.

SCHMIDT: Er hat sich in einer sehr heftigen Form geäußert, hat ein Urteil gefällt, worin er sagen wollte, daß Seyß sich nicht schützend vor die Österreicher gestellt hätte, daß er nichts getan hätte, um das österreichische Schicksal in Schwebe zu halten; das heißt, die Eigenart Österreichs und die Interessen Österreichs zu wahren. Das war der Grundgedanke Papens. Der zweite Gedanke war, daß auch den deutschen Interessen nicht damit gedient gewesen sei, womit er etwa sagen wollte, daß ein zwar berechtigtes Interesse des Deutschen Reiches durch diese Form, wie sie gehandhabt wurde, mit Unrecht umgedreht worden, wäre in den Augen der Welt und daß damit ein außenpolitisches Interesse des Reiches verletzt worden wäre. Das war der Grundgedanke seiner Unterhaltung, und ich glaube, eine ähnliche Unterhaltung und Bemerkung hat er ja auch anderen gegenüber gemacht.

MR. DODD: Gut. Es tut mir leid, daß ich von Berchtesgaden abgekommen bin und etwas ausgelassen habe, das von einiger Bedeutung sein konnte.

Erinnern Sie sich noch daran, daß, ich glaube, es war kurz bevor Sie Ihre Sitzung damals abbrachen, daß Hitler sich an Papen wandte und sagte: »Von Papen, Sie haben es mir möglich gemacht, Reichskanzler zu werden. Ich werde Ihnen das nie vergessen.«

Haben Sie gehört, daß Hitler das zu Papen in Berchtesgaden sagte?

SCHMIDT: Diese Bemerkung ist in ähnlicher Form gefallen.

MR. DODD: Was hat von Papen darauf erwidert?

SCHMIDT: Das kann ich nicht mehr sagen.

MR. DODD: Hat er nicht gesagt, »Jawohl, mein Führer«, oder so was Ähnliches?

SCHMIDT: Ja! Das nehme ich an, daß es so etwas war, denn er mußte ja auf diese Adresse eine Antwort geben.

MR. DODD: Er hat es bestimmt nicht verneint, nicht wahr?

SCHMIDT: Das nehme ich nicht an. Ich kann mich nur an die Antwort nicht erinnern, ich weiß nur die Frage.

MR. DODD: Als an dem Abend in Wien die SS- und SA-Männer durch die Fenster und Türen in das Bundeskanzleiamt kletterten, hat Seyß-Inquart da etwas unternommen, um sie aus dem Hause wieder herauszubringen?

SCHMIDT: Nach meiner Kenntnis nicht; das weiß ich nicht; ich stand ja auf der anderen Seite.

MR. DODD: Ja. Das war eine sehr gespannte Situation, wie wir wissen. Sie hatten doch damals Angst, daß Schuschnigg etwas passieren könnte, nicht wahr?

SCHMIDT: Es war eine sehr gespannte Situation.

MR. DODD: Wie kamen Sie und Schuschnigg an jenem Abend von dem Bundeskanzleiamt nach Hause?

SCHMIDT: Wir sind in drei Wagen weggefahren; in einem der Bundeskanzler, in einem anderen der Präsident und dann war ich. Der Weggang wurde eskortiert und organisiert und begleitet von SS-Männern.

MR. DODD: Schuschnigg wurde nicht von Seyß-Inquart in dessen Privatwagen nach Hause gebracht, sondern durch die SS, nicht wahr?

SCHMIDT: Nein, sie sind zusammen im Wagen gefahren. Ich habe selbst gehört, wie Seyß-Inquart gesagt hat, dann bringe ich ihn nach Hause. Ob das der Wagen des Bundeskanzlers war oder Seyß-Inquarts, weiß ich nicht. Sie sind jedenfalls zusammen in einem Wagen gefahren.

MR. DODD: Begleitet von der SS?

SCHMIDT: Nein, so war das nicht. Die SS hat, soweit..., ob die SS in dem Wagen des Kanzlers war, weiß ich nicht. Die SS hat nur die Ausfahrt eskortiert, also aus dem Hause. Auf meinem Wagen oder auf dem des Präsidenten war dann, glaube ich, niemand mehr.

MR. DODD: Vor dem Wiener Gerichtshof haben Sie anders ausgesagt. Dort haben Sie gesagt, »Dr. Schuschnigg und ich wurden, begleitet von der SS, nach Hause gefahren.«

SCHMIDT: Nein, ich sagte, die SS eskortierte oder leitete die Abfahrt vom Ballhausplatz. Es waren etwa 40 SS-Leute anweisend, die haben die Abfahrt von dort geleitet. Ob nachdem noch jemand im Wagen verblieb, das weiß ich nicht.

MR. DODD: Gut. Vielleicht können Sie uns bei der Klarstellung einer anderen Frage helfen. Als Seyß-Inquart seine Radiorede hielt, war er eigentlich noch nicht Mitglied der Regierung oder doch?

SCHMIDT: Über diese Frage wird viel debattiert. Der Bundeskanzler hatte in den Nachmittagsstunden demissioniert. Der Bundespräsident hatte die Demission zunächst nicht angenommen, er war also noch Kanzler, also Seyß noch Minister. Ob dann später die Annahme erfolgt ist, vermag ich nicht zu sagen. Die einen sind der Meinung, der Bundespräsident hätte den Bundeskanzler mit der Fortführung der Geschäfte praktisch betraut, damit auch Seyß-Inquart. Die anderen sind der Meinung, daß das nicht geschehen wäre. Diese Frage kann nur das Staatsoberhaupt selbst beantworten.

MR. DODD: Ich möchte Ihnen als früherem Regierungsmitglied ein Dokument zeigen, und vielleicht können Sie uns dann sagen, ob Sie es vorher schon gesehen haben.

Es ist 4015-PS, es wird US-891.

Darin heißt es, daß Bundespräsident Miklas nicht nur Schuschnigg von seinem Amt als Bundeskanzler entlassen hat, sondern auch alle übrigen Mitglieder der Bundesregierung und ebenso sämtliche Staatssekretäre aus ihren Ämtern entfernt hat, und zwar am 11. März.

SCHMIDT: Ja.

MR. DODD: Das heißt doch, daß Seyß-Inquart nicht mehr im Amt war, als er diese Radioansprache hielt, nicht wahr? Das ist unsere Ansicht darüber; stimmt das?

SCHMIDT: Ich glaube, daß ich in dieser Frage eine große Praxis habe, weil ich ja selbst lange beim Bundespräsidenten war. Derartige Ausfertigungen gehen...

MR. DODD: Sagen Sie uns nur genau, stimmt das, oder stimmt das nicht? Ist unsere Ansicht richtig?

SCHMIDT: Es muß nicht unbedingt so ausgelegt werden. Denn derartige Ausfertigungen gehen noch Tage später hinaus, weil der Amtsschimmel eben seinen Weg geht auch über die Revolutionen und über die Geschichte hinweg. Also man müßte sehen, wann das praktisch gemacht wurde. Ich nehme an, daß diese Ausfertigung erst lange nach dem 11. März erfolgt ist.

MR. DODD: Hat Seyß-Inquart in den Tagen vor dem 12. März öfter den Ausdruck »trojanisches Pferd« benützt? Ist das ein oft von ihm gebrauchtes Wort?

SCHMIDT: Er hat ein paarmal erklärt, er sei kein »trojanischer Pferdeführer«, womit er seine Loyalität ausdrücken wollte und erklären wollte, seine Aufgabe sei nicht, durch die Hintertüre etwa dem Nationalsozialismus zur Macht zu verhelfen.

MR. DODD: Haben Sie jemals geglaubt, daß er zu oft protestiert hat?

SCHMIDT: Gegen was?

MR. DODD: Dagegen, daß er nicht ein »trojanischer Pferdeführer« sei.

SCHMIDT: Ich habe diesen Ausdruck zwei- bis dreimal gehört, und zwar durch Zernatto.

MR. DODD: Das ist alles.

DR. STEINBAUER: Ich habe nur eine kurze Frage im Zusammenhang mit den letzten Ereignissen. Herr Zeuge, hat Seyß-Inquart nicht auch Posten des Gardebataillons vor das Zimmer des Ministers gestellt?

SCHMIDT: Es waren Posten anwesend.

DR. STEINBAUER: Um wieviel Uhr erfolgte dann der tatsächliche Rücktritt Schuschniggs?

SCHMIDT: Ja, das ist eben schwer zu sagen, wann das geschehen ist, jedenfalls mit der Ernennung der neuen Regierung. Ich habe angenommen, daß es etwa zwischen 9.00 und 10.00 Uhr gewesen sein muß, da der Bundespräsident hier ernste Verhandlungen wegen der Wahl eines neuen Kanzlers geführt hatte, und zwar, glaube ich, hat damals der frühere Bundeskanzler Dr. Ender zur Debatte gestanden.

DR. STEINBAUER: Ich habe selbst keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich entfernen.