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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

DR. STEINBAUER: Ich rufe jetzt mit Zustimmung des Gerichts als Zeugen den Polizeipräsidenten Dr. Michael Skubl auf.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Bitte, geben Sie Ihren vollen Namen an.

ZEUGE DR. MICHAEL SKUBL: Michael Skubl.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Welche Funktionen haben Sie in der Österreichischen Republik bekleidet?

SKUBL: Ich war zuletzt Polizeipräsident in Wien und Staatssekretär für die Angelegenheiten der öffentlichen Sicherheit und überdies Generalinspizierender der österreichischen Exekutive.

DR. STEINBAUER: Wurden Sie hiezu auf Vorschlag des Dr. Dollfuß berufen mit Instruktionen, die er Ihnen vor seinem Tode gab?

SKUBL: Dr. Dollfuß hatte am Tage vor seiner Ermordung, am 24. Juli, mich zum Generalinspizierenden der Polizei bestellt. Und ich hatte sein volles Vertrauen genossen.

DR. STEINBAUER: Kann man Sie also Vertrauensmann seines Nachfolgers und Freundes Dr. Schuschnigg nennen?

SKUBL: Jawohl.

DR. STEINBAUER: Wurden Sie, als Seyß-Inquart Minister wurde, diesem als Staatssekretär beigegeben und zugleich als Generalinspektor?

SKUBL: Jawohl, als Seyß-Inquart zum Minister des Innern und der Sicherheit bestellt wurde, wurde ich ihm als Staatssekretär beigegeben und war ihm infolgedessen unmittelbar unterstellt, während ich bis dahin dem Bundeskanzler als dem Chef der Sicherheit unterstellt gewesen war.

DR. STEINBAUER: Ist die Polizei und Gendarmerie in Ihrer Hand oder in der Hand Seyß-Inquarts praktisch gewesen?

SKUBL: Praktisch war sie in meiner Hand gewesen.

DR. STEINBAUER: Haben Sie insbesondere die Aufgabe gehabt, die illegalen Bewegungen zu bekämpfen?

SKUBL: Als Polizeipräsident und als Staatssekretär für die Angelegenheiten der öffentlichen Sicherheit war natürlich eine meiner Aufgaben auch der Kampf gegen die illegalen Bewegungen, insbesondere gegen die nationalsozialistische Aggression.

DR. STEINBAUER: Haben Sie irgendeine Verbindung Dr. Seyß-Inquarts mit dem Juli-Putsch 1934, das heißt, zu Dollfuß festgestellt?

SKUBL: Nein.

DR. STEINBAUER: Wie war denn überhaupt seine Stellung zum Nationalsozialismus?

SKUBL: Dr. Seyß-Inquart hat sich als Nationalsozialist bekannt. Aber soviel ich weiß, wurde er von den sogenannten hundertzwanzig- und hundertfünfzigprozentigen Nationalsozialisten, also von den Führern der illegalen Bewegung nicht als hundertprozentiger Nationalsozialist angesehen, wohl aber als sehr geeignete Person, um auf dem Schachbrett der nationalsozialistischen Bewegung als Schachfigur verwendet zu werden.

DR. STEINBAUER: Wenn ich Sie also richtig verstehe, war er mehr Geführter als Führer?

SKUBL: Ich hatte den Eindruck, daß er mehr Geführter als Führender war.

DR. STEINBAUER: Wie war nun Ihre Zusammenarbeit mit Seyß-Inquart in seiner Eigenschaft als Innenminister?

SKUBL: Es gab keinerlei Störungen des Einvernehmens. Es war ein durchaus harmonisches Einvernehmen.

DR. STEINBAUER: Hat er irgendwelche Einflüsse auf die Polizei genommen? Hat er zum Beispiel Nationalsozialisten in das Polizeikorps hineingebracht?

SKUBL: Nein, das ist in keinem Falle geschehen.

DR. STEINBAUER: Hatten Sie Gelegenheit, mit Umgehung des Ministers direkt dem Bundeskanzler Schuschnigg Bericht zu erstatten?

SKUBL: Bundeskanzler Schuschnigg war der Chef der Regierung und als solcher selbstverständlich mein oberster Vorgesetzter; und es war selbstverständlich, daß ich auch dem Bundeskanzler regelmäßig und auf besonderen Anruf Bericht erstattet habe und von ihm auch Weisungen entgegengenommen habe.

DR. STEINBAUER: Dr. Seyß-Inquart ist bald nach seiner Ernennung zum Minister in das Reich zu Hitler gefahren. Frage: War diese Reise offiziell oder geheim?

SKUBL: Sie war offiziell.

DR. STEINBAUER: Woraus schließen Sie das?

SKUBL: Sie war bekanntgegeben worden. Ich hatte von dieser Reise Kenntnis, auch Bundeskanzler Schuschnigg hatte meines Wissens von dieser Reise Kenntnis. Es war auch naheliegend, daß er in seiner Stellung als Verbindungsmann zwischen der Österreichischen Regierung und dem Reich Gelegenheit haben mußte, mit Hitler zu sprechen.

DR. STEINBAUER: Als nun Seyß-Inquart zurückkam, hat er über den Inhalt seiner Unterredung mit dem Führer Bericht erstattet?

SKUBL: Ja. Ich habe Seyß-Inquart bei seiner Rückkehr auf dem Bahnhof empfangen und ihn gefragt, wie denn die Unterredung mit Hitler ausgegangen sei, und Seyß-Inquart hat mir – noch frisch unter dem Eindruck dieser Begegnung und Unterredung – mitgeteilt, was er dem Führer erklärt hatte, und die Punkte sind mir noch genau in Erinnerung: Seyß-Inquart hat dem Reichskanzler erklärt:

1. Herr Reichskanzler, ich bin österreichischer Minister und als solcher auf die österreichische Verfassung vereidigt, also vereidigt auf die Selbständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs.

2. Ich bin gläubiger, ich bin aktiver Katholik, ich könnte also keinen Kurs mitmachen, der irgendwie zu einem Kulturkampf führe.

3. Ich komme aus einem Land, in dem die Totalität nicht in Frage kommt.

DR. STEINBAUER: Hat nun das Reich trotz dieser Auffassung eine neue Landesleitung der illegalen NSDAP bestellt?

SKUBL: Ja, soviel mir bekannt ist, wurde am 21. Februar Klausner zum Landesleiter bestellt.

DR. STEINBAUER: Als nun Dr. Schuschnigg seine Abstimmung bekanntgab, hat er irgendwelche besondere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet?

SKUBL: Die Anordnung der Abstimmung hat natürlich bei den Nationalsozialisten wie eine Bombe gewirkt. Nicht nur bei den Nationalsozialisten in Österreich, sondern auch draußen im Reich. Es hat also eine fieberhafte Aktivität und eine fieberhafte Tätigkeit begonnen, und dagegen mußten natürlich entsprechende Vorkehrungen getroffen werden.

Diese besondere Aktivität erklärt sich daraus, daß die Nationalsozialisten fürchten mußten, bei einer Abstimmung eine schwere Niederlage zu erleiden; denn die Abstimmungsparolen wären von der überwiegenden Majorität der österreichischen Bevölkerung bejaht worden. Es ist sehr interessant, in diesem Zusammenhang auf einen Artikel hinzuweisen, der am 11. März in der deutsch-österreichischen Tageszeitung erschienen ist und aus dem die Besorgnis herauszulesen war, daß diese Volksabstimmung den Weg eröffnen würde zu einer Demokratisierung Österreichs, zur Errichtung einer Volksfront und infolgedessen im weiteren Verlauf zu einer Bolschewisierung. Daraus erkannte man das Bewußtsein, daß die österreichischen Nationalsozialisten in der Minorität gewesen sind.

DR. STEINBAUER: Nun kommen wir zu dem denkwürdigen 11. März 1938. Wann haben Sie als Chef der Exekutive erfahren, daß die deutschen Truppen einmarschieren?

SKUBL: Der 11. März war natürlich ein außerordentlich aufregender und ereignisreicher Tag. Das Gefühl für die Zeit ist einem dabei verloren gegangen. Ich weiß, daß in den Abendstunden eine Meldung überbracht wurde, daß deutsche Truppen die Grenze überschritten hätten; eine Meldung, die allerdings nicht bestätigt werden konnte, die aber die ergänzende Meldung ergeben hat, daß außerordentliche besorgniserregende Truppenbewegungen an der österreichischen Grenze stattfanden.

DR. STEINBAUER: Hat nicht Seyß-Inquart nach Schuschniggs Rücktritt im Radio erklärt, daß er, um ein Chaos zu vermeiden, zur Ruhe und Ordnung auffordere, da er noch immer Sicherheitsminister sei?

SKUBL: Diese Erklärung hat Seyß-Inquart über das Radio abgegeben.

DR. STEINBAUER: Haben Sie irgendwelche Wahrnehmungen gemacht, daß er vor der Demission Schuschniggs irgendwelche Weisungen, Telegramme, Telephongespräche oder sonstige Mitteilungen machte zur Machtergreifung in den Ländern durch ihn?

SKUBL: Wie ich wahrgenommen habe, war die Haltung Seyß-Inquarts bis zu dem kritischen Moment eigentlich eine sehr passive, und wie ich bereits früher erwähnt habe, hat er tatsächlich mehr den Ausdruck eines Geführten als eines Führenden gemacht, und zwar mit deutlichen Zeichen der Verlegenheit.

DR. STEINBAUER: Haben Sie nicht selbst dann nachmittags oder in den Abendstunden seitens des Bundespräsidenten Miklas das Angebot erhalten, die Bundeskanzlerschaft zu übernehmen?

SKUBL: Bundeskanzler Dr. Schuschnigg hat mich erst spät nachmittags zu sich gerufen und hat mir erklärt, daß von deutscher Seite, also von Hitler, ein Ultimatum ergangen sei, daß er sich nicht mehr mit der Abberufung der Abstimmung zufrieden gebe, sondern die Demission Schuschniggs verlange, und Schuschnigg hat mir darauf erklärt, er persönlich sei zur Demission bereit, aber er könne seinen Leuten nicht zumuten, daß Seyß-Inquart zum Bundeskanzler bestellt wurde. Er habe eine Frage an mich, und zwar die Frage, ob ich bereit sei, die Bundeskanzlerschaft zu übernehmen. Er hat das im Einvernehmen mit dem Bundespräsidenten getan, der mir wenige Augenblicke später das gleiche Angebot gestellt hatte. Ich habe dieses Angebot abgelehnt, und zwar abgelehnt in der Erwägung, daß meine Bestellung zum Bundeskanzler in den Augen Hitlers eine Kriegserklärung bedeuten würde. Als Staatssekretär für die Angelegenheit des öffentlichen Sicherheitswesens stand ich an der Spitze der Abwehrfront gegen die nationalsozialistische Aggression und infolgedessen auch in persönlicher Gegnerschaft gegen Hitler. Hätte ich also die Kanzlerschaft übernommen, so wäre Hitler ein willkommener Anlaß geboten worden, seine Truppen einmarschieren zu lassen. Die Annahme der Kanzlerschaft hätte also Aufnahme des Kampfes gegen die Invasion bedeutet, und ein solcher Kampf war voraussichtlich, angesichts der vielfachen Überlegenheit der deutschen Streitkräfte gegenüber der österreichischen Wehrmacht und der österreichischen Exekutive, aussichtslos gewesen.

DR. STEINBAUER: Nun hat Seyß-Inquart sein Kabinett gebildet und Sie auch als Staatssekretär übernommen. Warum sind Sie in dieses Ministerium eingetreten?

SKUBL: Seyß-Inquart hat mir den Antrag gestellt, auch in seiner Regierung im Staatssekretariat die Angelegenheiten der öffentlichen Sicherheit beizubehalten, und ich habe dieses Angebot angenommen im Vertrauen darauf, daß Seyß-Inquart sich der Bedingungen erinnern werde, die er dem Führer gestellt hat, also Bundeskanzler des selbständigen Österreichs. Außerdem bewegte mich auch der Wunsch und das Bestreben, die Exekutive in der Hand zu behalten und für den Fall, daß Seyß-Inquart Schwierigkeiten bei der Vertretung des österreichischen Standpunktes haben sollte, ihm eine Hilfe zu sein. Also sozusagen ein österreichischer Stützpunkt, eine österreichische Enklave im Kabinett des österreichischen Bundeskanzlers Seyß-Inquart.

DR. STEINBAUER: Hat sich Seyß-Inquart damals noch für die Selbständigkeit Österreichs ausgesprochen?

SKUBL: Er hat sich näher darüber nicht ausgesprochen. Das hat in der Unterredung als eine Selbstverständlichkeit gegolten.

DR. STEINBAUER: Wann sind Sie aus dem Kabinett ausgetreten und warum?

SKUBL: Ich habe noch in der Nacht vom 11. auf den 12. März die Aufgabe übernommen, den von Berlin angekündigten Reichsführer der SS, Himmler, auf dem Flugplatz zu empfangen. Bei dieser Gelegenheit ist nicht Himmler allein angekommen, sondern ein ganzes Gefolge. An die Namen der einzelnen kann ich mich nicht mehr erinnern; die Zahl war zu groß, aber einen Namen habe ich sehr deutlich verstanden, das war der Name Meißner. Meißner, österreichischer Marineoffizier, der am 25. Juli sich den aufständischen Nationalsozialisten angeschlossen hatte und dann nach Zusammenbruch dieses Aufstandes ins Reich geflohen war und jetzt nun unter dem Schutz Himmlers zurückgekehrt war. Das war für mich eine derartige Unmöglichkeit, daß der Entschluß in mir feststand, hier nicht weiter mitzutun; und als ich dann am 12. vormittags in das Bundeskanzleramt kam und von Glaise-Horstenau mit der Mitteilung überrascht wurde, daß Himmler meinen Rücktritt verlangt habe, habe ich geantwortet: »Den kann er sehr billig haben, denn dazu bin ich bereits seit der Morgenstunde entschlossen.«

Ich habe dann im Anschluß daran auch dem Bundeskanzler Dr. Seyß-Inquart erklärt, daß ich Kenntnis davon habe, was Himmler verlange, und daß ich selbstverständlich zum Rücktritt entschlossen sei und bitte, meine Demission zur Kenntnis zu nehmen.

Seyß-Inquart hat mir darauf geantwortet: »Es ist richtig, daß Himmler Ihren Rücktritt verlangt hat, aber ich lasse mir von draußen nichts diktieren. Die Sache ist momentan die, daß es vielleicht besser ist, wenn Sie für einige Wochen verschwinden, aber dann zurückkehren; denn ich lege Wert auf Ihre Mitarbeit.«

Ich habe allerdings erklärt, daß ich dazu nicht kommen werde. Ich habe tags darauf nochmal schriftlich mein Demissionsgesuch als Polizeipräsident und als Staatssekretär eingebracht, nachdem ich bereits am 12. abends die Geschäfte tatsächlich dem Kaltenbrunner übergeben hatte, der mir als sogenannter politischer Führer der Exekutive beigegeben worden war.

DR. STEINBAUER: Sie sind dann konfiniert worden und bis jetzt noch nicht nach Wien zurückgekehrt?

SKUBL: Ich bin dann zunächst in meiner Dienstwohnung gefangengehalten worden von SS- und Polizeiwache und bin dann am 24. Mai durch zwei Kriminalbeamte der Kasseler Gestapo nach Kassel zum Zwangsaufenthalt deportiert worden und bin dann dort gewesen bis zur Befreiung durch die Alliierten.

DR. STEINBAUER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen. Herr Vorsitzender, vielleicht können wir jetzt eine Pause machen.