[Zum Zeugen gewandt:]
Genoß die Zivilverwaltung in den Niederlanden eine gewisse Freiheit?
WIMMER: Jawohl, und zwar eine ziemlich große.
M. DEBENEST: Nun, ich werde Ihnen eine Stelle des Berichtes des Angeklagten Seyß-Inquart vorlegen. Es ist dies ein Bericht, der am 19. Juli 1940 abgefaßt wurde. Sie werden mir dann sagen, ob Sie die Antwort, die Sie soeben gegeben haben, aufrechterhalten.
Ich lese Ihnen vor, was Seyß-Inquart schreibt:
»Die Verwaltung«, er meint die Verwaltung der Niederlande, »ist derzeit genügend und in Hinkunft zunehmend in der Leitung und Kontrolle der deutschen Behörden.«
Entspricht die von Ihnen soeben abgegebene Antwort dem, was Seyß-Inquart schreibt?
WIMMER: Wenn in der Antwort von Dr. Seyß-Inquart davon die Rede ist, daß die Leitung in deutschen Händen war, so kann ich das nur so verstehen, daß die Aufsicht in Händen der deutschen Behörden gewesen ist, denn das ist natürlich selbstverständlich, daß die deutsche Besatzungsverwaltung sich eine Kontrolle und Aufsicht auch über niederländische Rechtssatzung gesichert hat, als auch über alle wichtigen Verwaltungs- und Regierungsakte, und es konnten, wenn es in Ordnung ging, wichtige Erlasse, wichtige Verordnungen und so weiter nicht ergehen ohne Zustimmung der Besatzungsmacht.
M. DEBENEST: Das genügt mir. Der Gerichtshof wird über Ihre Antwort zu diesem Dokument urteilen.
Wollen Sie mir erklären, warum in den Niederlanden eine Zivilverwaltung eingesetzt wurde, die in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Belgien, nicht eingesetzt wurde?
WIMMER: Ich weiß den wahren Grund nicht, aber soviel ich gehört habe und selber erschließen konnte, war der Hauptgrund der, daß Deutschland auf die Gewinnung eines guten Verhältnisses zu den Niederlanden größten Wert gelegt hat, und da hat wohl die Führung des Reiches gemeint, daß das durch Menschen der zivilen Verwaltung leichter möglich ist als durch die Wehrmacht.
M. DEBENEST: Aber verfolgte man – genauer gesagt – nicht gerade damit das politische Ziel, dieses Land den Nationalsozialisten in die Hand zu geben, um gewissermaßen einen Deutschen Bund germanischer Staaten daraus zu machen?
WIMMER: Soweit ich jemals mit dem Reichskommissar über solche Dinge gesprochen habe, hat der Reichskommissar den Standpunkt vertreten, daß das niederländische Volk eine selbständige und eigene Volkspersönlichkeit ist und daher auch staatlich unabhängig und souverän bleiben muß. Daß in der Zeit der Besetzung der Reichskommissar und die deutsche Verwaltung mit denjenigen Parteien und Gruppen, die deutschfreundlich gewesen sind, engere Fühlung gehalten hat, das ist wohl selbstverständlich, und ich brauche es nicht zu begründen. Daß aber die Niederlande, noch dazu in einer Zeit der Besetzung, nicht ausgerechnet die politische Weltanschauung des besetzenden Landes übernehmen werden, darüber ist sich der Reichskommissar wie jeder, der die Verhältnisse einigermaßen vernünftig zu beurteilen vermochte, klar gewesen.
M. DEBENEST: Sie haben vorhin, wenn ich Sie recht verstanden habe, gesagt, daß der Reichskommissar nicht die holländischen Generalsekretäre dazu zwingen wollte, Beschlüsse zu fassen, die vielleicht gegen ihr Gewissen gingen, und wenn etwas ihnen nicht paßte, konnten sie ihre Entlassung einreichen. Das haben Sie doch wohl gesagt?
WIMMER: Jawohl.
M. DEBENEST: Hat er Generalsekretäre abberufen, die nicht um ihre Demission eingereicht hatten?
WIMMER: Ein einziger Ausnahmefall ist derjenige des Generalsekretärs Spitzen. Das ist der Generalsekretär des Wasserstraßenministeriums gewesen, der einen Auftrag des Reichskommissars nicht befolgt hat und trotzdem nicht um seinen Abschied eingereicht hat.
M. DEBENEST: Um welchen Generalsekretär handelt es sich hier? Von welchem Amt?
WIMMER: Das ist das Wasserstraßenministerium, das war das Ministerium, das für die Wasserstraßen, für die Polder, Verkehrsstraßen, Binnenwässer und so weiter, Binnenwasserstraßen zuständig gewesen ist.
M. DEBENEST: Und dies ist der einzige Fall gewesen, von dem Sie Kenntnis haben?
WIMMER: Das ist der einzige Fall, von dem ich Kenntnis habe.
M. DEBENEST: Das war in welchem Jahr?
WIMMER: Das war, glaube ich – einen Moment –, das war jedenfalls im Jahre 1944, und zwar, glaube ich, im Sommer.
M. DEBENEST: Erinnern Sie sich nicht daran, daß der Generalsekretär für die Landesverteidigung, Herr Ringelin, abgesetzt wurde?
WIMMER: Die Absetzung des Generalsekretärs für die Landesverteidigung ist keine Angelegenheit des Reichskommissars gewesen, sondern ist in die Kompetenz des Wehrmachtbefehlshabers gefallen, da alle militärischen Angelegenheiten auf Grund des Führererlasses in die Zuständigkeit des Wehrmachtbefehlshabers gefallen sind.
M. DEBENEST: Warum wurde er entlassen?
WIMMER: Das ist mir unbekannt.
M. DEBENEST: Versuchen Sie, mit Hilfe des Berichts von Seyß-Inquart sich daran zu erinnern, und wir werden dann sehen, ob dies auf Veranlassung des Wehrmachtbefehlshabers geschah. Der Angeklagte schrieb wie folgt:
»Einer der Generalsekretäre versuchte...«
VORSITZENDER: Herr Debenest! Der Zeuge weiß anscheinend nichts darüber.
M. DEBENEST: Er sagt, er kennt die Gründe nicht, Herr Vorsitzender, aber er fügt hinzu, jedenfalls hat er es vorher gesagt, daß es im Einvernehmen mit den militärischen Behörden geschah.
VORSITZENDER: Er sagte, es ist eine Sache, die unter die Zuständigkeit der militärischen Behörden fiele und daß er keine Kenntnis davon habe. Das hat er gesagt.
WIMMER: Die gesamten Angelegenheiten des Landesverteidigungsministeriums sind in die Zuständigkeit des Wehrmachtbefehlshabers gefallen, denn es ist ja ganz klar, all das, was militärisch in den Niederlanden geschah oder geleitet wurde, wurde von diesem Ministerium geleitet, und es ist klar, daß für diesen Bereich der dortige Befehlshaber, der deutsche militärische Vertreter des Reiches, zuständig gewesen ist.
VORSITZENDER: Wenn Sie ein Dokument haben, das beweist, daß die Entlassung dieses Mannes durch Seyß-Inquart herbeigeführt wurde, können Sie es ihm wohl vorhalten.
M. DEBENEST: Ich wollte lediglich zeigen, daß die von ihm gegebene Antwort nicht stimmt und zu diesem Zweck vier Zeilen aus dem Dokument verlesen.
VORSITZENDER: Wie ich sagte, wenn Sie ein Dokument haben, das die Entlassung dieses Mannes durch Seyß-Inquart beweist, dann können Sie es ihm vorhalten.
M. DEBENEST: Das wollte ich eben tun, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Halten Sie es ihm also vor.
M. DEBENEST: Das Original in deutscher Sprache habe ich nicht hier. Ich habe es gestern dem Sekretär des Gerichtshofs ausgehändigt.
VORSITZENDER: Lesen Sie es ihm vor, Herr Debenest, lesen Sie es ihm vor.
M. DEBENEST: Ja, Herr Vorsitzender, das wollte ich tun.
Seyß-Inquart schreibt wie folgt:
»Der Versuch eines der Generalsekretäre, Winkelmann als Autorität heranzuziehen – in der Frage der Weiterführung der Rüstungsbetriebe für die deutsche Wehrmacht – wurde mit sofortiger Entlassung des Generalsekretärs beantwortet.«
WIMMER: Ich habe nicht verstanden, noch einmal bitte, die letzten zwei Sätze bitte noch einmal.
M. DEBENEST: Im Zusammenhang mit der Frage der Weiterführung der Rüstungsbetriebe für die deutsche Wehrmacht... aber dieser Beamte wurde sofort abgesetzt.
WIMMER: Da steht aber nicht drin, daß der Reichskommissar diesen Beamten abgesetzt hat.
M. DEBENEST: Gewiß steht es nicht darin, daß es der Reichskommissar war, aber es geht nichtsdestoweniger daraus hervor, daß der Reichskommissar in diesem Bericht angibt, daß, wenn ein Beamter, wer er auch sei, den Befehlen, die ihm gegeben werden, nicht folgt, er von seiner Stelle abgesetzt wird, und als Beispiel zitiert er diesen Fall.
WIMMER: Es handelt sich hier aber um den militärischen Sektor. Das, was ich ausgesagt habe, das gilt ausschließlich für den zivilen Sektor, für den Sektor des Reichskommissars. Daß der Reichskommissar in einem Bericht an Hitler auch über andere Dinge spricht, ist ohne weiteres klar und möglich, denn er war der Wahrer der Reichsinteressen und hat an die Spitze auch über andere Dinge berichtet als diejenigen, die ausschließlich in seinen Wirkungsbereich gefallen sind.
Ich weiß auch nicht, ob mit diesen Beamten oder diesen Arbeitern zum Beispiel der Generalsekretär gemeint ist, der Generalsekretär für die Landesverteidigung.
M. DEBENEST: Gut. Wir wollen diese Frage verlassen.
Haben Sie nicht von dem Generalsekretär für Unterrichtswesen verlangt, daß er die Laboratorien Kamerlynck-Honesse in Leyden den deutschen Behörden für die Zwecke der Atomforschung zur Verfügung stellt?
WIMMER: In den Niederlanden nur, aber nicht in Deutschland.
M. DEBENEST: Aber wenn es nicht für Deutschland geschah, dann hatte doch der Generalsekretär für das Unterrichtswesen die Möglichkeit gehabt, selbst eine Entscheidung zu treffen, und es wäre für Sie nicht nötig gewesen einzugreifen.
WIMMER: Das war eine deutsche Maßnahme, die vom Reich gefordert worden ist und die nun so durchgeführt wurde, daß die ganzen Materialien, Maschinen und dergleichen ja in den Niederlanden verblieben und deutsche Forscher dort die Gelegenheit haben sollten, ihre Forschungen zu betreiben. Ob es sich um die Atomangelegenheit gehandelt hat, das glaube ich übrigens nicht.
Wer behauptet das?
M. DEBENEST: Sie sagen, daß wichtige private und öffentliche Bibliotheken weder beschlagnahmt noch in das Reich gebracht wurden, das sagten Sie doch eben, nicht wahr?
WIMMER: Jetzt eben? Jetzt war doch von Bibliotheken gar nicht die Rede.
M. DEBENEST: Vorher, als der Verteidiger von Seyß-Inquart Sie befragte, haben Sie doch gesagt, wenn ich nicht falsch verstanden habe, daß Bibliotheken von Holland ins Reich nicht überführt wurden?
WIMMER: Das habe ich nicht gesagt. Ich bitte, mir das vorzulegen aus dem Protokoll.
M. DEBENEST: Dann handelt es sich zweifellos um einen Irrtum.
Wurde den Professoren der Universität Amsterdam nicht mit Todesstrafe gedroht, falls sie ihre Demission einreichten, und zwar von Ihnen selbst?
WIMMER: Ich habe weder eine solche Drohung ausgesprochen noch weiß ich von einer solchen Drohung. Ich halte es für ausgeschlossen, daß irgend jemand eine solche Drohung ausgesprochen hat.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt jetzt die Verhandlung.