[Das Gericht vertagt sich bis
14. Juni 1946, 10.00 Uhr.]
Einhundertfünfundfünfzigster Tag.
Freitag, 14. Juni 1946.
Vormittagssitzung.
[Der Zeuge Dr. Wimmer im Zeugenstand.]
M. DEBENEST: Ich habe noch einige Fragen an den Zeugen zu richten. Zeuge, auf Grund der Antwort, die Sie gestern wegen der geplünderten und nach Deutschland verbrachten Bibliotheken gegeben haben, möchte ich Ihnen einige Zeilen aus einem Dokument vorlesen, das ich vorgestern dem Gerichtshof vorgelegt habe. Es ist dies Dokument F-803, RF-1525, Seite 34 im französischen Text.
Es ist dies ein Bericht des niederländischen Ministeriums für Kunst und Unterricht. Darin heißt es wie folgt:
»Die Sammlungen sowie auch die Bibliotheken des internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam wurden geschlossen. Die aus ungefähr 150000 Bänden bestehende Bibliothek sowie auch eine bedeutende Sammlung von Zeitungen wurden nach Deutschland verbracht. Die Bibliothek Rosenthaliana der Universität Amsterdam, die städtisches Eigentum war, wurde in 153 Kisten verpackt und nach Deutschland verbracht.
Berühmte Sammlungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften der Universität von St. Ignatius in Valkenburg und des Naturhistorischen Museums in Maastricht wurden mit den dazugehörigen Fachbibliotheken ebenfalls nach Deutschland verbracht.
Im Jahre 1940 wurde der gesamte Besitz der Freimaurerlogen beschlagnahmt und nach Deutschland überführt, darunter die berühmte Bibliothek Klossiana.«
VORSITZENDER: Herr Debenest! Haben Sie für Ihre Zwecke nicht schon genug vorgehalten? Uns liegt das Dokument schon vor, und Sie haben ungefähr ein halbes Dutzend Bibliotheken aufgezählt, von denen Sie vorhalten, daß sie nach Deutschland verbracht wären. Wahrscheinlich wollen Sie doch wissen, was er dazu zu sagen hat. Es ist nicht notwendig, in alle Einzelheiten zu gehen.
M. DEBENEST: Was halten Sie von diesem Bericht, Herr Zeuge? Entspricht er den Tatsachen?
WIMMER: Die von Ihnen gestellte Frage ist zum Teil gestern schon beantwortet worden, nämlich insoweit es sich um Besitz der Freimaurerlogen handelt. Da wurde gestern gesagt, und ich habe es bestätigt, daß mir bekannt ist, daß das Eigentum der Organisationen, nicht aber der Individuen, die diesen Organisationen angehörten, in Beschlag genommen worden ist.
VORSITZENDER: Das ist keine Antwort auf die Frage. Die Frage lautete, ist es wahr, daß diese Bibliotheken nach Deutschland verbracht wurden?
WIMMER: Von der Wegschaffung der Bibliotheken ist mir nichts bekannt.
M. DEBENEST: Sie haben jedoch behauptet, daß die Bibliothek Rosenthaliana in den Niederlanden verblieben sei?
WIMMER: Die Rosenthaliana, das habe ich behauptet.
M. DEBENEST: Ja, die Rosenthaliana. In dem Bericht heißt es, daß die Bücher in 153 Kisten verpackt und nach Deutschland gebracht worden sind.
WIMMER: Meinen Sie die Rosenthaliana?
M. DEBENEST: Jawohl, die Rosenthaliana.
WIMMER: Jedenfalls weiß ich, daß die Weisung vom Reichskommissar gegeben worden ist, daß diese Bibliothek in Amsterdam zu bleiben hat. Sollte sie trotzdem weggekommen sein, so war es ein weisungswidriges Verhalten, von dem ich keine Kenntnis habe.
M. DEBENEST: Jedenfalls waren Sie doch mit dem Unterrichtswesen betraut oder zumindest mit der Kontrolle des Unterrichts in den Schönen Künsten beauftragt?
WIMMER: Jawohl, aber die Schönen Künste nicht.
M. DEBENEST: Aber was die Bibliotheken und die Hochschulen anbetrifft?
WIMMER: Ja.
M. DEBENEST: Es ist doch sonderbar, daß Sie davon nicht unterrichtet worden sind.
WIMMER: Daß die Bibliothek weggeschafft worden ist, weiß ich nicht.
M. DEBENEST: Gut, gehen wir weiter. Nach den von Ihnen gestern abend abgegebenen Erklärungen scheinen Sie behaupten zu wollen, daß der Reichskommissar zugunsten des holländischen Volkes alles getan hat, was in seiner Macht stand, nicht wahr?
WIMMER: Jawohl.
M. DEBENEST: Jedenfalls hat er stets alles getan, was er tun konnte, um das Schlimmste zu vermeiden, nicht wahr?
WIMMER: Ja.
M. DEBENEST: Andererseits wissen Sie, daß in diesem Lande zahlreiche Personen verhaftet, interniert, deportiert und erschossen wurden, daß diesem Volke unter Androhung schärfster Strafen und Vergeltungsmaßnahmen auf allen Gebieten strenge Zwangsmaßnahmen auferlegt worden sind. Und Sie wissen, daß dieses Land geplündert wurde. Wer sind denn nun eigentlich diejenigen, die diese Verbrechen befohlen und begangen haben?
WIMMER: Ich habe gesagt, daß der Reichskommissar für das Land getan hat, was er konnte und verhindert hat, was er konnte. Daß in einer fünfjährigen Besatzungszeit Maßnahmen getroffen werden mußten, die für das Land schwer zu tragen gewesen sind, das habe ich nicht bestritten und ist auch unbestreitbar. Die.. ich würde Sie bitten, Ihre Frage konkreter zu formulieren und mir diejenigen Aktionen zu nennen, die Sie als Verbrechen bezeichnen. Die Frage ist zu allgemein gestellt, als daß ich sie mit Ja oder Nein oder sonst in Kürze beantworten könnte.
M. DEBENEST: Wer befahl die Verhaftungen?
WIMMER: Bitte?
M. DEBENEST: Wer befahl die Verhaftungen?
WIMMER: Welche Verhaftungen?
M. DEBENEST: Die Verhaftungen der Holländer natürlich.
WIMMER: Bitte?
M. DEBENEST: Die Verhaftungen der Holländer.
WIMMER: Die Verhaftungen wurden befohlen vom Höheren SS- und Polizeiführer. Das ist der Chef der Polizei gewesen.
M. DEBENEST: Wer befahl die Internierungen?
WIMMER: Welche Internierungen meinen Sie, meinen Sie die Internierungen in den Konzentrationslagern?
M. DEBENEST: In den Konzentrationslagern und in den Internierungslagern.
WIMMER: Die hat der Höhere SS- und Polizeiführer zu befehlen gehabt, das war in seinem Ressort.
M. DEBENEST: Wer suchte die Geiseln aus?
WIMMER: Die Polizei.
M. DEBENEST: Wer hat Rauter zum Kommissar für öffentliche Sicherheit ernannt?
WIMMER: Als Generalkommissar für das Sicherheitswesen wurde er vom Reichskommissar bestellt. Seine Hauptfunktion war aber die eines Höheren SS- und Polizeiführers. In dieser Funktion war er vom Reichsführer-SS bestellt.
M. DEBENEST: Aber, er wurde doch ernannt – ich nehme an, daß Sie die Verfügung kennen –, um dem Reichskommissar in der Durchführung der ihm übertragenen Polizei- und Sicherheitsaufgaben zu helfen.
WIMMER: Er sollte dem Reichskommissar zur Verfügung stehen, aber der Reichskommissar hatte kein unbedingtes Weisungsrecht dem Höheren SS- und Polizeiführer gegenüber. Dieses Weisungsrecht stand dem Reichsführer-SS zu. Die Bestellung zum Generalsekretär für das Sicherheitswesen war eine formelle, und zwar erfolgte sie deswegen, weil der Reichsführer-SS den Wunsch hatte, daß der Höhere SS- und Polizeiführer auch diesen Titel trägt; ursprünglich sollte er nicht zum Generalkommissar ernannt werden.
M. DEBENEST: Sie sind also der Ansicht, daß Seyß- Inquart keinerlei Befehlsgewalt über Rauter hatte?
WIMMER: Jawohl.
M. DEBENEST: Gut. In diesem Falle werde ich Ihnen ein Dokument vorlesen, und Sie werden mir dann sagen, ob Sie dann der Ansicht sind, daß Seyß- Inquart keinerlei Befehlsgewalt hatte. Sie können mir dann alle Erklärungen geben, die Sie wünschen.