[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand]
DR. STEINBAUER: Ich rufe nun mit Zustimmung des Gerichts den Zeugen Dr. Hirschfeld auf den Zeugenstand.
[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.
ZEUGE DR. HEINZ MAX HIRSCHFELD: Heinz Max Hirschfeld.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen.
DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Waren Sie, als am 12. Mai 1940 die Besetzung der Niederlande erfolgte, Generalsekretär des Wirtschafts- und Landwirtschaftsministeriums?
HIRSCHFELD: Bevor ich Ihre Frage beantworte, möchte ich erklären, daß ich lieber in der niederländischen Sprache gesprochen hätte, aber, um die Vernehmung nicht aufzuhalten, werde ich die Fremdsprache sprechen, die ich am leichtesten spreche, und in deutscher Sprache sprechen.
VORSITZENDER: Danke.
HIRSCHFELD: Was Ihre Frage anbelangt, kann ich Ja sagen.
DR. STEINBAUER: Führten Sie in der gleichen Eigenschaft die Geschäfte beider Ministerien bis zum Schluß der Besetzung?
HIRSCHFELD: Ja.
DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß der Reichskommissar bei der ersten Besprechung sämtlichen Generalsekretären erklärte, daß er eine loyale Pflichterfüllung erwarte, daß aber keiner einen Nachteil zu fürchten habe, wenn er zurücktrete?
HIRSCHFELD: Hierzu möchte ich sagen, daß die niederländischen Generalsekretäre, die von der Niederländischen Regierung den Auftrag hatten, in den Niederlanden zu bleiben, dem damaligen Reichskommissar erklärt haben, im Interesse des niederländischen Volkes in ihrem Amt zu bleiben, nachdem sie dazu die Genehmigung bekommen hatten von dem Oberbefehlshaber der niederländischen Armee, welcher damals die Vollmachten der Niederländischen Regierung hatte. Auf die Frage des Reichskommissars haben wir unter der Voraussetzung bejahend geantwortet. Was seine Bemerkung anbelangt über »keine Nachteile zu bekommen, wenn wir zurücktreten würden«, haben wir geantwortet, daß das keine Rolle spiele bei unserer Entscheidung.
DR. STEINBAUER: Haben zurücktretende Generalsekretäre ihre Pension erhalten, so zum Beispiel Herr Trip als Präsident der Niederländischen Bank?
HIRSCHFELD: Ja.
DR. STEINBAUER: Ist der Generalsekretär des Innern, Frederiks, bis September 1944 im Amt geblieben?
HIRSCHFELD: Ja.
DR. STEINBAUER: Nun gehen wir zu Ihrem eigentlichen Ressort, zur Landwirtschaft und zur Wirtschaft über. Hat der Reichskommissar in die Verwaltung Ihres Ministeriums eingegriffen, insbesondere dadurch, daß er aus dem Ernährungsdienst Beamte entließ oder versetzte?
HIRSCHFELD: Der Reichskommissar persönlich hat nicht eingegriffen, seine Organe haben dies mehrmals versucht; es wurde von uns aber abgelehnt.
DR. STEINBAUER: Es gab ein sogenanntes staatspolitisches Sekretariat der NSB. Hat dasselbe einen Einfluß auf die Verwaltung erhalten?
HIRSCHFELD: Nach der Verordnung des damaligen Reichskommissars hatte dieses staatspolitische Sekretariat keinen Einfluß auf die niederländische Verwaltung. Ich möchte aber hinzufügen, daß durch die später stattgefundenen Ernennungen von NSB-Generalsekretären de facto eine derartige Einflußnahme stattfand in verschiedenen Ressorts. In meinem Ressort nicht.
DR. STEINBAUER: Hat der Reichskommissar den Leiter des Ernährungsdienstes, Louwes, der als deutschfeindlich bekannt war, im Interesse der Ernährung des Volkes gehalten?
HIRSCHFELD: Ich glaube, daß damals die niederländischen Beamten, die von der Regierung zurückgelassen wurden, im allgemeinen dieselbe Einstellung wie Herr Louwes hatten, aber Herr Louwes wurde in seinem Amte belassen.
DR. STEINBAUER: Obwohl verlangt wurde, daß er entfernt würde?
HIRSCHFELD: Dieses ist mir damals von Herrn van der Vense mitgeteilt worden.
DR. STEINBAUER: Die gewerbliche Wirtschaft wurde neu geordnet. Ist dies durch eine Verordnung des Reichskommissars oder durch den Generalsekretär erfolgt?
HIRSCHFELD: Die Neuorganisierung der gewerblichen Wirtschaft wurde durchgeführt von... aus Anlaß einer Verordnung, die von mir unterschrieben war, obgleich ursprünglich ein Entwurf vorlag, der vom Reichskommissar unterschrieben werden sollte. Ich habe dies abgelehnt, weil ich der Meinung war, daß es sich hier um eine holländische Angelegenheit handelte, und wenn die Verordnung von mir unterschrieben wäre, daß dadurch der Gefahr einer deutschen Einflußnahme vorgebeugt werden konnte.
DR. STEINBAUER: Der Reichskommissar hat die Landwirtschaft in dem sogenannten Landstand organisiert. Hat dieser Landstand irgendwelche Exekutivvollmachten erhalten?
HIRSCHFELD: Der Landstand hat keine Exekutivvollmachten erhalten. Ich möchte hinzufügen, daß ich in einer persönlichen Unterredung dem Reichskommissar geraten habe, den Landstand nicht zustande zu bringen.
DR. STEINBAUER: Wurde die sogenannte Dienstpflichtverordnung 1941 in größerem Umfange überhaupt innerhalb der Niederlande angewendet?
HIRSCHFELD: Soweit mir bekannt, wurde die Dienstpflichtverordnung innerhalb der Niederlande nur wenig angewendet, desto mehr aber für die Hinausschickung niederländischer Arbeiter nach Deutschland.
DR. STEINBAUER: Es gab dann eine Aktion des Abzugs der wehrfähigen Bevölkerung, insbesondere aus Rotterdam, Den Haag. Wer hat diese Aktion durchgeführt?
HIRSCHFELD: Welche Aktion meinen Sie?
DR. STEINBAUER: Den Abzug der wehrfähigen Bevölkerung.
HIRSCHFELD: 1944?
DR. STEINBAUER: 1944.
HIRSCHFELD: Diese Aktion wurde von der Wehrmacht durchgeführt.
DR. STEINBAUER: Hat der Reichskommissar diese Aktion durch Ausstellung von Freischeinen, insbesondere in Ihrem Ressort, abgeschwächt?
HIRSCHFELD: Von den Ausstellungen von Freischeinen ist in der Zeit kaum etwas zu mir gekommen.
DR. STEINBAUER: Es sollten die Werft- und Hafenanlagen in Rotterdam und in Amsterdam gesprengt werden. Ist Ihnen die Stellung des Reichskommissars hierzu bekannt?
HIRSCHFELD: Mir ist nur aus Äußerungen des Beauftragten des Reichskommissars, Völkers, in Rotterdam bekannt, daß dieser sich bei der Wehrmacht gegen diese Maßnahmen gestemmt hat.
DR. STEINBAUER: Ich bemerke hierzu, daß das Affidavit Völkers nicht eingelangt ist und zeitlich gar nicht auffindbar ist, daher habe ich diese Frage hier jetzt gestellt.
Bestätigen Sie, daß durch die Intervention des Reichskommissars die Flächen, die überschwemmt werden sollten, um zirka 100000 Hektar vermindert wurden?
HIRSCHFELD: Mir ist bekannt, daß durch Intervention des Reichskommissars oder seiner Dienststellen die Flächen, die insbesondere in 1933 überflutet werden sollten, beschränkt wurden. Den genauen Umfang dieser Beschränkungen kenne ich nicht.
DR. STEINBAUER: 1943 muß es... Sie haben sich versprochen, Sie sagten 1933, es muß 1943...
HIRSCHFELD: 1943.
DR. STEINBAUER: Ist das möglich, daß diese Ziffer von 100000 Hektar stimmt?
HIRSCHFELD: Ich habe in Erinnerung, daß es vielleicht ungefähr die Hälfte sein könnte von dem, was die Wehrmacht damals an Überflutungen beabsichtigt hat.
DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß der Reichskommissar mit Rücksicht auf die Blockade eine rechtzeitige Umstellung der Landwirtschaft auf die Erzeugungswirtschaft von Lebensmitteln durchführte?
HIRSCHFELD: Als die Niederlande 1940 von der deutschen Invasion besetzt wurden, waren die Behörden, die sich mit der Landwirtschaft beschäftigten, selbst der Meinung, daß eine Umorganisierung der Landwirtschaft notwendig sei. Der Reichskommissar und seine Dienststellen haben uns in dieser Arbeit nicht entgegengewirkt.
DR. STEINBAUER: Ist es insbesondere richtig, daß der hochwertige Viehstand der Niederlande durch diese Maßnahmen erhalten blieb?
HIRSCHFELD: Der Viehstand der Niederlande ist in der Zeit der Besetzung meines Wissens nach um 30 Prozent rund vermindert worden. Diese Umstellungsmaßnahmen der Landwirtschaft haben es ermöglicht, diese... diesen Stand von 70 Prozent durch den Krieg zu ziehen, nachdem aber die Menge des Schweinebestandes weit stärker vermindert worden war und es notwendig war, die Bestände an Federvieh fast völlig abzuschlachten.
DR. STEINBAUER: Es wurde hier ausdrücklich die Frage des Embargos vom September 1944 besprochen. Ich habe nur eine Frage an Sie:
Wann haben Sie mit dem Angeklagten Seyß-Inquart zum ersten Male wegen Aufhebung des Embargos gesprochen?
HIRSCHFELD: In der Beantwortung dieser Frage muß ich etwas zurückgehen, nämlich, als der Eisenbahnerstreik verkündet wurde, haben Herr Louwes und ich am 17. September 1944, Verzeihung, am 22. September 1944 einen Besuch gehabt von van der Vense, der im Auftrag des Reichskommissars uns mitteilte, daß er erwarte, daß Herr Louwes und ich einen Aufruf an die Eisenbahner richten würden, um im Interesse der Ernährung des Landes den Eisenbahnerstreik aufzugeben. Wenn wir das nicht tun würden, dann würden sofort Maßnahmen ergriffen, Gegenmaßnahmen, um die niederländische Bevölkerung im Westen des Landes sofort vor die Hungerfrage zu stellen. Wir haben dann eine solche Erklärung abgelehnt und van der Vense mitgeteilt, dem Reichskommissar zu übermitteln, daß Repressalien gegen die Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Eisenbahnerstreik die Verantwortung für eine Hungersnot auf den Reichskommissar bürden würde. Das ist die entscheidende Besprechung gewesen. Trotzdem Team das Embargo. Daraufhin wurde bei den verschiedenen Dienststellen des Reichskommissars in dieser Angelegenheit protestiert, und am 16. Oktober 1944 fand eine erste Besprechung statt, in der mitgeteilt wurde, daß die Absicht bestünde, dieses Embargo aufzuheben.
DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß unglücklicherweise gerade in diesem Jahr die Frostperiode früher als in den sonstigen Jahren eintrat?
HIRSCHFELD: Vielleicht ist sie etwas früher eingetreten als in sonstigen Jahren, aber in Holland ist die Frage des Frostes immer eine unsichere Frage. Wir haben von der holländischen Seite – ich habe das selbst in einer Pressemitteilung getan – darauf hingewiesen, daß wir immer mit einem früheren Frost zu rechnen hätten.
DR. STEINBAUER: Als die Invasion drohte und ein Großteil der Bevölkerung zum Stellungsbau herangezogen wurde, hat nicht der Reichskommissar über Ihren Antrag bestimmt, daß ein Großteil der landwirtschaftlichen Arbeiter frühzeitig nach Hause entlassen wurde?
HIRSCHFELD: Mir sind zwei Fälle bekannt: Erstens handelt es sich um Arbeiter aus den großen Städten, welche nach den nordöstlichen Provinzen gingen, dort Kartoffeln zu roden, und dabei ist die Zusage gemacht, daß diese Arbeiter nicht für den Stellungsbau in Betracht kämen. Diese Zusage wurde gehalten. Zweitens wurde in der gleichen Zeit in der Provinz Trente eine größere Zahl von Arbeitern, die bereits... von Landarbeitern, die bereits bei dem Stellungsbau eingesetzt waren, für Kartoffelroden freigegeben.
DR. STEINBAUER: Ich habe leider über die Finanzfragen den Zeugen Fischböck nicht vernehmen können. Aber wissen Sie, daß Herr Trip, der wegen der Frage der Devisensperre zurückgetreten ist, im Einverständnis mit dem Wirtschaftsminister Funk durch den Reichskommissar in der Bank für Internationale Zahlungen belassen wurde?
HIRSCHFELD: Aus dieser Angelegenheit entsinne ich mich, daß Herr Trip die Absicht hatte, damals auch seine Demission zu nehmen als Mitglied des Verwaltungsrates der Internationalen Bank. Als dies bekannt wurde, war man auf der deutschen Seite scheinbar etwas erschrocken und ist die Frage an Herrn Trip gerichtet worden, diesen Posten... seine Demission nicht einzureichen. Ich weiß, er hat sie nicht eingereicht. Inwiefern und welche Hintergründe dabei waren, ist mir nicht aus eigener Erfahrung bekannt.
DR. STEINBAUER: Nun zwei letzte, aber außerordentlich wichtige Fragen. Wir haben einen Befehl der Reichsstellen unter dem Titel »Verbrannte Erde«. Derselbe ist tatsächlich im März 1945 für die Niederlande ergangen. Es hätten Schleusen, Schöpfwerke und Deiche zerstört werden sollen. Wissen Sie, welche Stellung der Reichskommissar in dieser so wichtigen Angelegenheit eingenommen hat, und haben Sie mit ihm über diese Frage gesprochen?
HIRSCHFELD: Diese Frage wurde zum erstenmal erörtert in einer Unterhaltung, die ich am 14. Dezember 1944 mit dem Angeklagten hatte. In dieser Unterhaltung hat er mir mitgeteilt, daß er mit Rücksicht auf die militärische Entwicklung befürchte, daß ein Auftrag zur Vernichtung des Westens des Landes eintreffen würde bei der Wehrmacht. Er hat damals mit mir darüber gesprochen, inwiefern es möglich sei, den westlichen Teil der Niederlande außerhalb der Kriegsereignisse zu halten. Diese Unterhaltung wurde am 7. Januar 1945 fortgesetzt. Aus Anlaß dieser Unterhaltung habe ich versucht, darüber Kontakt mit London zu bekommen. Es ist mir damals nicht gelungen, daraufhin eine Antwort zu bekommen. Diese Mitteilungen mußten damals durch Geheimsender gemacht werden. Ich habe nie feststellen können, ob es gelungen ist, auch eine durchzubekommen. Dann hat der damalige Reichskommissar mich am 2. April aufgesucht und mir Mitteilung gemacht über die Tatsache, daß der Befehl »Verbrannte Erde« eingetroffen sei und daß er aus diesem Anlaß einen Besuch bei Speer gemacht habe. Speer habe ihm damals erklärt, daß der Reichskommissar im zivilen Bereich diesen Befehl nicht durchführen brauchte. Speer könne aber für die Wehrmacht nicht einstehen, deshalb habe der Reichskommissar auch einen Besuch gemacht beim General Blaskowitz, und Blaskowitz habe ihm geantwortet, Befehl sei Befehl, jedoch wenn ein Weg gefunden werden könne, diesem Befehl auszuweichen, wäre Blaskowitz bereit, dem zu entsprechen. Daraufhin hat der Reichskommissar mich gefragt, inwiefern ich Möglichkeiten sähe. Und diese Diskussion ist entstanden aus einer Mitteilung, die ich im April 1945 in der Form eines Telegramms nach London weitergeben konnte, und es ist mir auch bestätigt worden, daß diese Mitteilung in London eingetroffen ist. Daraus sind weitere Besprechungen entstanden.
DR. STEINBAUER: Die letzte Frage: Hat sich der Reichskommissar im Gegensatz zu den Zentralstellen mit den Vertrauensmännern der Widerstandsbewegung in Verbindung gesetzt, um praktisch den Krieg vorzeitig zu beenden?
HIRSCHFELD: Einige Tage nach der Unterhaltung am 2. April 1945 hatte ich ein Gespräch mit dem damaligen Beauftragten des Reichskommissars, Schwebel, der mir die Frage vorlegte, inwiefern der Reichskommissar eine Verbindung mit den Vertrauensmännern haben könne und ob einige von Herrn Schwebel bezeichnete Herren die geeigneten Herren dafür seien. Ich habe ihm das dann bestätigt.
DR. STEINBAUER: Ich habe sonst keine weitere Frage.
VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?
DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Ich bitte, einige Fragen an den Zeugen stellen zu dürfen.