[Zum Zeugen gewandt:]
Es ist Ihnen, Herr Zeuge, der Vorwurf gemacht worden, daß Sie gegen Brüning in irgendeiner Weise intrigiert hätten. Ist davon etwas wahr?
VON PAPEN: In keiner Weise. Ich habe schon gesagt, daß ich Dr. Brüning persönlich überaus schätzte und daß ich bis zu dem Tage, an dem Herr von Schleicher mich rief, also drei Tage vor meiner Ernennung, niemals auch nur eine Idee gehabt habe, als Brünings Nachfolger berufen werden zu können.
DR. KUBUSCHOK: Haben Sie mit Hitler vorher über die von Ihnen zu bildende Regierung gesprochen?
VON PAPEN: Nein. Das ist eine völlig falsche Unterstellung der Anklage. Die »Geschichte der NSDAP« von Volz, in der das gesagt wird, das ist das Dokument 3463-PS, ist eine reine private Arbeit und wahrscheinlich von Goebbels und seinem Ministerium vorgeschrieben worden.
Ich stelle fest, daß meine Regierungsbildung nach dem Wunsche des Reichspräsidenten durch ein Fait accompli geschaffen werden sollte, ohne irgendeine Verhandlung mit irgendeiner Partei oder einem Parteiführer.
DR. KUBUSCHOK: Haben Sie auch nicht die Auflösung des Reichstages Hitler vorher zugesagt?
VON PAPEN: Diese Feststellung der Anklage ist ebenso unwahr. Ich habe die Auflösung des Reichstages mit Hitler nicht vorher besprochen, denn der Reichstag ist am 4. Juni aufgelöst worden, und ich habe Hitler zum ersten Male in meinem Leben fünf oder sechs Tage später erst gesehen. Die Reichstagsauflösung an sich war selbstverständlich, weil die neue Regierung wünschte, ein Urteil der Wähler über den neuen Kurs und über das Regierungsprogramm zu hören.
DR. KUBUSCHOK: Welches waren die politischen Ziele Ihres Präsidialkabinetts? Bitte geben Sie dies in einzelnen Stichworten an.
VON PAPEN: Das Zentralproblem, das uns beschäftigte, war das wirtschaftliche. Die große wirtschaftliche Not und die anderthalb Millionen unbeschäftigter Jugend, sechs bis sieben Millionen Vollarbeitsloser, zwölf bis dreizehn Millionen insgesamt nur Halbbeschäftigter, Versuche der Vorgänger zu helfen mit rein staatlichen Mitteln, sind unzureichend. Sie belasten die Finanzen und ergeben kein Resultat. Ziel meiner Regierung daher war: Einsatz der Privatwirtschaft zur Lösung dieses Problems. Wir wünschten, den gesamten Produktionsapparat wieder in Ordnung zu bringen. Mit einem Einsatz von 2,2 Milliarden Mark wollten wir diesen Prozeß in Gang bringen, damit wollten wir im laufenden Jahre eindreiviertel Millionen Arbeiter in den Produktionsprozeß bringen. Ein solches Programm wäre nicht mit den Parteien zu vereinbaren gewesen. Das politische Ziel war, zugleich mit der Reorganisation der Wirtschaft die stärkste der oppositionellen Parteien, nämlich die NSDAP, zur praktischen Mitarbeit heranzuziehen. Das war das Zentralproblem der deutschen Innenpolitik. Und es hatte sich ja ergeben durch nationalsozialistische Regierungen in Thüringen, in Braunschweig und in Oldenburg, daß man diesen Versuch machen konnte, ohne der Gefahr umstürzender Bewegungen ausgesetzt zu sein. Ich konnte also hoffen, durch ein nationales und soziales Programm eine Tolerierung des Reichstages zu finden.
DR. KUBUSCHOK: Für das... für die Erklärung der Regierung verweise ich auf Dokument 1, Exhibit Nummer 1, Seite 2 und 3.
Sie sprachen von der Lösung des sozialen Problems als Hauptaufgabe Ihrer Regierung. Wollen Sie bitte kurz erklären, wie Sie das Problem betrachteten und wie Sie es zu lösen versuchten.
VON PAPEN: Ich glaube, daß in keinem Land der Welt das Problem »Kapital und Arbeit« in einer solchen Schärfe aufgetreten ist als bei uns, als Folge von Überindustrialisierung mit Entfremdung von Grund und Boden. Der Grund ist bekannt, ich brauche darüber nicht zu sprechen. Aber einer der Gründe, die meistens übersehen werden, war die deutsche Inflation, die alles mobile Vermögen in Deutschland zerstört hatte. Diese Inflation hatte den Mittelstand und die Arbeiterschaft, die das Rückgrat der Nation bilden, um Ersparnis und Vermögen gebracht, und sie hat den Arbeiter, Handwerker, Mittelstand proletarisiert. Gleichzeitig mit diesem sozialen Prozeß in Deutschland war in unserem großen Nachbarlande eine neue soziale Ordnung entstanden, die Ordnung der klassenlosen Gesellschaft und des totalisierten Staates. Die demokratischen Mächte der Welt wehrten sich gegen den Export dieses Systems. Sie ergriffen Schutzmaßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiete, aber diese Schutzmaßnahmen, der »New Deal« und »Ottawa«, schwächten um so mehr die deutsche Position.
VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Ich glaube, der Angeklagte muß einsehen, daß der Gerichtshof über dieses Gebiet sehr gut Bescheid weiß. Es ist nicht nötig, das alles im einzelnen zu wiederholen.
VON PAPEN: Ich wollte nur schildern, Hohes Gericht, daß dieses soziale Problem ja der Untergrund der ganzen Angelegenheit ist, die sich hier historisch entwickelt hat.
DR. KUBUSCHOK: Die Frage des sozialen Problems ist gleichzeitig eine Frage der Entwicklung der NSDAP. Aus dieser Beleuchtung heraus wollte dann späterhin der Zeuge noch hier Stellung nehmen.