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Montag, 17. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge von Papen im Zeugenstand.]

GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Die Angeklagten Speer und Fritzsche sind nicht anwesend.

DR. KUBUSCHOK: Ich möchte das Tribunal darauf hinweisen, daß ich jetzt in die Erörterung über die Vorgänge des Januar 1933 eingehe und dann keine weitere Zeit mehr in Anspruch nehme. Die weitere Vernehmung wird dann kürzer zu erledigen sein, so daß ich im Laufe des heutigen Tages mit der Vernehmung des Angeklagten fertig werde.

[Zum Zeugen gewandt:]

Sie haben, Herr Zeuge, am Freitag dem Gericht erklärt, daß Sie bei der bekannten Besprechung mit Hitler am 4. Januar 1933 im Hause Schröder nicht über die später am 30. Januar erfolgte Kabinettsbildung gesprochen haben. Sie hatten ferner erklärt, daß Sie bis zum 22. Januar an keinerlei politischer Besprechung teilgenommen haben. Die Anklage wirft Ihnen vor, daß Sie in dieser Zeit Ihren Einfluß auf den Reichspräsidenten dahin geltend gemacht haben, daß Hitler dann am 30. Januar zum Kanzler berufen wurde. Haben Sie in diesem Sinne auf Hindenburg eingewirkt?

VON PAPEN: Ich bitte, bevor ich zu dieser Antwort Stellung nehme, eine kurze Korrektur von Freitag vorbringen zu dürfen. Euer Lordschaft hatten mich gefragt nach dem Datum der Räumung von Jerusalem. Ich hatte gesagt, es war 1918, Euer Lordschaft hatten natürlich recht, es war 1917. Ich bitte um Verzeihung.

Zur Beantwortung Ihrer Frage: Ich habe einen solchen Einfluß auf den Reichspräsidenten von Hindenburg nicht ausgeübt. Aber selbst, wenn ich den ausgeübt hätte, wäre dies für die endgültige Entscheidung des Reichspräsidenten nicht maßgebend gewesen. Die politische Lage, wie wir sehen werden, ließ dem Reichspräsidenten nur noch die Wahl zwischen Verfassungsbruch oder einem Kabinett Hitler. Außerdem, was ich am Schluß der letzten Verhandlung sagte, aus den historischen Vorgängen des Monats Januar, die sich aus dem Dokument 9, Seite 27 bis 31, ergeben, geht folgendes deutlich hervor: Den ganzen Monat Januar bis zum 22., haben ohne meine Mitwirkung fast täglich Verhandlungen der Reichsregierung mit den Parteien oder der Parteien untereinander stattgefunden, und zwar über eine mögliche Mehrheitsbildung im Reichstag. Alle diese Verhandlungen blieben erfolglos. Ich hatte dargelegt, daß der Reichskanzler Schleicher versuchen wollte, durch Spaltung der Partei eine Mehrheit im Reichstag zu schaffen. Diese Spaltung mißglückte, und zwar mißglückte sie am 20. Januar. Das war für die Weltöffentlichkeit erkennbar, denn an diesem Tage ließ der Reichskanzler im Reichstag erklären, daß er auf eine Mehrheitsbildung keinen Wert mehr lege.

DR. KUBUSCHOK: Ich muß in diesem Zusammenhang auf Dokument 9 im ersten Dokumentenbuch verweisen. Ich beschränke mich darauf, nur wenig hiervon zu verlesen. Dokument 9, Seite 27. Die Überschrift:

»11. Januar, Reichskanzler von Schleicher empfängt den Parteiführer der Deutschen Volkspartei, Dingeldey.«

Die nächste Seite 28 gibt den Beweis dafür, daß am 12. Januar die Versuche, die Spaltung der NSDAP durch Straßer herbeizuführen, noch nicht abgeschlossen waren. Ich zitiere vom Anfang der Seite:

»Gleichzeitig wird erst jetzt bekannt, daß der Reichspräsident in der Vorwoche Gregor Straßer zu einer Aussprache empfangen hat. Straßer verfolgte anscheinend die Absicht, sich einstweilen zurückzuhalten; nur im Falle eines unvermutet naschen Konfliktes zwischen Hitler und der Reichsregierung Schleicher würde wohl Straßer eine besondere Rolle spielen.«

Inzwischen kamen die Lippe-Wahlen, die ein klares Bild über die Weiterentwicklung der NSDAP gaben.

Ich lese aus der Mitte des Absatzes 15. Januar folgende Stelle:

»Der Wahlsieg der NSDAP widerlegt nicht nur überraschenderweise die gegnerischen Behauptungen von dem Rückgang der nationalsozialistischen Bewegung, sondern ist auch der Beweis dafür, daß die Stagnation der NSDAP völlig überwunden ist, und daß eine Aufwärtsentwicklung der Bewegung nun begonnen hat.«

Bedeutsam war für die Herbeiführung einer parlamentarischen Mehrheit die Verhandlung Schleichers mit dem Zentrum, dessen Führer Prälat Dr. Kaas war.

Ich verweise auf den letzten Absatz von Seite 28:

»Reichskanzler von Schleicher empfängt Prälat Dr. Kaas, den Vorsitzenden der Zentrumspartei, zu einer längeren Aussprache.

Was die Mutmaßungen über eine Kabinettsumbildung betrifft, so wird in Regierungskreisen die Fiktion aufrechterhalten, eine Zusammenfassung Straßer-Hugenberg-Stegerwald sei trotz der Schwierigkeiten, auf die diese Pläne zweifellos gestoßen seien, durchführbar. Geheimrat Hugenberg soll die Bedingung gestellt haben, daß eine mindestens einjährige ungestörte Tätigkeit innerhalb des Kabinetts gesichert sein müsse.«

In der nächsten Seite 29 weise ich auf die letzten etwa zehn Zeilen der Ausführungen des Staatssekretärs Planck im Ältestenrat des Reichstags hin.

»Bei den genannten Besprechungen sollen die Nationalsozialisten die Führung haben und den Versuch unternehmen, die Ende 1932 gescheiterte Zusammenfassung aller Gruppen von den Nationalsozialisten bis zum Zentrum zu einer Mehrheitsfront zustande zu bringen. Die Führung dieser Verhandlungen, an denen die Reichsregierung Schleicher vollkommen unbeteiligt ist, liegt bei Hitler. Für den Fall, daß es am 31. Januar zur Einberufung des Reichstags und dann zum Konflikt zwischen Regierung und Reichstag kommt, oder auch für den anderen Fall, daß dieser Konflikt durch andere Ereignisse ausgelöst wird, ist zunehmend mit der Verhängung des mehrfach erörterten Staatsnotstandes zu rechnen. Die Regierung würde dann den Reichstag auflösen und die Neuwahl für den Frühherbst ansetzen.«

Auf der nächsten Seite, Seite 30, weise ich endlich auf die erste Überschrift hin...

VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Der Gerichtshof hält es nicht für nötig, alle diese Einzelheiten zu verlesen. Aus den Oberschriften dieser Eintragungen geht hervor, daß politische Verhandlungen stattfanden, die zu der Machtergreifung durch die Nationalsozialistische Partei führten. Das ist doch alles, was Sie sagen wollen?

DR. KUBUSCHOK: Ich will beweisen, daß die Regierungsbildung vom 30. Januar eine zwangsläufige Lösung gewesen ist und sich aus den politisch-parlamentarischen Begebenheiten erklärt. Es ist infolgedessen wichtig, was damals stattgefunden hat, welche Versuche mißlungen sind und welche anderen Möglichkeiten vorhanden gewesen sind und was...

VORSITZENDER: Ich bin der Ansicht, daß das doch wirklich aus den Überschriften dieser Eintragungen hervorgeht. Sie können die Überschriften lesen, ohne auf die Einzelheiten einzugehen. Zum Beispiel auf Seite 30, die Eintragung vom 21. Januar und die anderen Eintragungen geben den wesentlichen Inhalt der Sache wieder.

DR. KUBUSCHOK: Ich stimme dem bei, Herr Präsident, und gestatte mir nur in diesem Zusammenhang auf Seite 31, die historischen Vorgänge des Sturzes des Reichskanzlers Schleicher vom 28., und zwar einen Teil des Textes, zu verlesen. Über die entscheidende Unterredung zwischen dem Reichskanzler und dem Reichspräsidenten wird amtlich folgendes mitgeteilt:

»Reichskanzler von Schleicher erstattete heute dem Reichspräsidenten Bericht über die Lage und erklärte, daß die gegenwärtige Reichsregierung ihren Charakter als Präsidialregierung entsprechend dem Reichstag ihr Programm und ihre Auffassung nur dann zu vertreten in der Lage wäre, wenn der Reichspräsident ihm die Auflösungsorder zur Verfügung stelle. Reichspräsident von Hindenburg erklärte, diesem Vorschlag bei der zur Zeit gegebenen Lage nicht entsprechen zu können. Reichskanzler von Schleicher erklärte hierauf den Gesamtrücktritt der Reichsregierung, den der Reichspräsident unter Beauftragung des Kabinetts mit der einstweiligen Fortführung der Geschäfte entgegennahm.«

Zum Beweis dafür, daß die weitere Möglichkeit, »Hitler bildet eine parlamentarische Regierung«, nicht gegeben war, verweise ich auf die kurze Notiz auf der nächsten Seite Nummer 32.

»Von nationalsozialistischer Seite wird erneut kategorisch erklärt, daß für die Nationalsozialisten nur eine Regierung Hitler in Frage komme. Alle anderen Lösungsversuche müßten auf das schärfste bekämpft werden. Das gelte natürlich besonders für ein Kabinett Papen, aber auch ein Kabinett Schacht sei nicht denkbar.«

Ich verweise sodann auf das nächste Dokument 8. In diesem sind die gesamten Möglichkeiten, die sich für eine Regierungsbildung geboten hätten, eingehend erörtert.