[Zum Zeugen gewandt:]
Die Anklage behauptet, daß die Regierung des 30. Januar das Programm der NSDAP als ihr eigenes Programm übernommen hätte. Äußern Sie sich, Herr Zeuge, darüber, was die Grundlage für die Politik der am 30. Januar gegründeten Regierung gewesen ist.
VON PAPEN: Die Auffassung der Anklage ist durchaus unrichtig. Das Programm, auf das wir uns am 30. Januar geeinigt haben, war nicht das Programm der Nazi-Partei, sondern es war ein Koalitionsprogramm. Das ergibt sich mit großer Deutlichkeit aus dem Aufruf dieser Regierung vom 1. Februar an das deutsche Volk. Und um das hier historisch festzustellen, darf ich aus diesem Aufruf zwei Sätze vorlesen?
Es heißt darin:
»Die Nationale Regierung wird es als ihre oberste und erste Aufgabe ansehen, die geistige und willensmäßige Einheit unseres Volkes wieder herzustellen. Sie wird das Christentum als Basis ihrer gesamten Moral und die Familie als die Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen. Das große Werk der Reorganisation der Wirtschaft wird sie mit zwei großen Vierjahresplänen lösen.«
Und ich darf noch einen Satz hinzufügen:
»Sie ist erfüllt von der Größe der Pflicht, für die Erhaltung und Festigung des Friedens einzutreten, dessen die Welt mehr als je bedarf.«
Im übrigen enthielt dieses Koalitionsprogramm, das hier von der Anklage als das Naziprogramm hingestellt wird, noch folgende Punkte: Keine Beseitigung der Länder oder des Föderalismus des Deutschen Reiches; die Wahrung des Rechtswesens und die Unabsetzbarkeit der Richter; die Inangriffnahme einer Verfassungsreform; die Wahrung der Rechte der christlichen Kirchen; und vor allem die Beseitigung des Klassenkampfes durch die Lösung des sozialen Problems, das heißt, die Wiederherstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft.
DR. KUBUSCHOK: Haben Sie auch Ihrerseits noch etwas getan, um die Durchführung Ihrer eigenen politischen Gedanken zu sichern?
VON PAPEN: Ich habe alles in meinen Kräften Stehende getan, um die Gedanken, die ich selbst in dieses Programm gebracht habe, mit meinen politischen Freunden zur Durchführung zu bringen. Das Wesentliche schien mir damals, ein inneres Gegengewicht gegen den Nationalsozialismus zu schaffen, und deshalb ersuchte ich die Führer der Rechtsparteien, die alten Parteiprogramme aufzuheben und sich zu sammeln in einer großen gemeinsamen politischen Organisation mit dem Ziele, für die von uns aufgestellten Prinzipien zu kämpfen. Die Parteiführer sind nicht darauf eingegangen. Die Parteigrenzen waren zu stark, und es blieb alles beim alten. Das einzige, was mir gelang, war die Herstellung eines Wahlblocks dieser gesamten Parteien, und in diesem Wahlblock... und für diesen Wahlblock habe ich in vielen Reden das Programm dem Lande vorgetragen, welches das Koalitionsprogramm war.
DR. KUBUSCHOK: Ich verweise auf eine Rede, die der. Zeuge am 11. Februar für den Wahlblock gehalten hat und die enthalten ist in Dokument 12, Seite 54 und 55. Ich zitiere von Seite 55, etwa von der Mitte, nur folgende kurze Stelle:
»Ich sehe deshalb in dem Umstand, daß das gegenwärtige Reichskabinett nicht von einer einzigen Partei oder Bewegung getragen ist, sondern gemeinsam von verschiedenen Gruppen der nationalen Bewegung, von freien Politikern und Fachleuten, keinen Nachteil, sondern einen Vorteil.«
[Zum Zeugen gewandt:]
Welche speziellen Fragen sind im Programm des Wahlblocks im einzelnen besonders hervorgehoben worden? Sie haben dies in verschiedenen Reden zum Ausdruck gebracht. Um die Zeit nicht zu belasten, will ich das entsprechende Dokument Nummer 10 dem Gericht nur zur Kenntnis überreichen. Geben Sie bitte in kurzen Auszügen Ihre Stellung zu den einzelnen Fragen. Zunächst zur sozialen Frage.
VON PAPEN: An der Spitze meines Programms stand naturgemäß die soziale Frage, weil sie alles beherrschte. Es war unsere Aufgabe, aus einer klassenkämpferischen Arbeiterschaft wieder zufriedene Staatsbürger zu machen und jedem eine Existenz, ein eigenes Heim zu schaffen. Ich habe damals ausgeführt in dieser Rede, die da im Dokument enthalten ist, daß es immer Unterschiede des Besitzes geben wird, daß aber nicht eine kleine Schicht alles und die überwiegende Masse des Volkes nichts besitzen darf, und ich habe vor allem immer und immer wieder darauf hingewiesen, daß, wenn uns die Lösung des sozialen Problems gelingen wird, wir damit einen eminenten Beitrag zur Befriedung Europas leisten werden.
DR. KUBUSCHOK: Was war Ihr Programm in außenpolitischen Fragen?
VON PAPEN: Das Programm war sehr einfach. Es erschöpfte sich in dem Wunsch, die Diskriminationen des deutschen Volkes, die Diskriminationen unserer Souveränität, auf friedlichem Wege zu beseitigen.
DR. KUBUSCHOK: Was war das Programm in religiösen Fragen?
VON PAPEN: Aus meinen sämtlichen Reden geht hervor, daß ich die Regeneration des deutschen Volkes in einem christlichen Sinne als die Voraussetzung für die Lösung des sozialen Problems und aller anderen Fragen betrachtet habe. Ich werde darüber später noch sprechen.
DR. KUBUSCHOK: Ich übergebe zum Beweis das schon erwähnte Dokument Nummer 10 und bitte, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen. Da ein sinnstörender Übersetzungsfehler auf Seite 39 sich eingeschlichen hat und da die Frage der Auflösung der Gewerkschaften auch später noch eine Rolle spielen wird, möchte ich von Seite 39 einen kurzen Absatz, und zwar beginnend in der Mitte der Seite, verlesen:
»Ich verkenne nicht, daß die Gewerkschaften manches getan haben, das Arbeitertum mit Standesehre und Standesbewußtsein zu erfüllen. Manche Gewerkschaftler, zum Beispiel der Handlungsgehilfenverband, haben auf diesem Gebiet Mustergültiges geleistet. Einen wirklichen Umschwung und einer bewußten Arbeit in dieser Richtung stand aber die Idee des Klassenkampfes gegenüber.
Die sozialistischen Parteien waren es, die alle Ansätze der Gewerkschaften, aus dem Arbeitertum einen Stand zu machen, zu keiner großzügigen Auswirkung gelangen ließen. Wenn die Gewerkschaften das Zeichen der Zeit erkennen und sich in starkem Maße entpolitisieren, so können sie gerade jetzt ein starker Pfeiler einer neuen Volksordnung werden.«