[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Zeuge! Welches waren die Wirkungen der Marburger Rede?
VON PAPEN: Diese Rede wurde auf Veranlassung des Propagandaministers Goebbels verboten. Nur ein oder zwei Zeitungen konnten ihren Inhalt bringen, aber es genügte, mm im In- und Auslande Aufsehen zu erregen. Als ich von dem Verbot des Propagandaministers erfuhr, begab ich mich zum Reichskanzler und bat um meine Demission. Ich sagte ihm:
»Es ist unmöglich, daß dem Vizekanzler Ihrer Regierung der Mund verboten wird. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu gehen.«
Indessen Hitler sagte:
»Es ist ein Mißgriff des Propagandaministers, ich werde mit ihm sprechen, das Verbot aufzuheben.«
Auf diese Weise hat er mich mehrere Tage hingehalten. Heute weiß ich, daß er mich schon damals belogen hat, denn der Mitangeklagte Funk hat ausgesagt, daß er von Hitler den Auftrag erhielt, sich zu Hindenburg zu begeben, um Hindenburg vorzutragen, der Vizekanzler habe sich gegen die Politik des Kabinetts und Hitlers ausgesprochen und müsse entlassen werden. Wenn der Zeuge Gisevius hier ausgesagt hat, daß Herr von Papen geschwiegen hätte, daß er wenigstens die Diplomaten hätte mobil machen sollen, dann darf ich darauf hinweisen, daß aus dem Tagebuch von Mr. Dodd ganz klar hervorgeht, daß die Welt, die Außenwelt, über diesen meinen letzten Appell genau unterrichtet war.
DR. KUBUSCHOK: Ich verweise zu der letzten Bemerkung des Zeugen auf Dokument 17, Seite 71 und 72 im Tagebuch Dodd.
Ich bitte um Verzeihung, im englischen Text ist es Seite 69 und 70. Ich zitiere vom zweiten Absatz die erste Zeile:
»Große Aufregung herrscht nunmehr überall in Deutschland.«
Vorher hatte er die Marburger Rede erwähnt:
»Alle alten und gebildeten Deutschen sind höchst erfreut.«
Unter dem 21. Juni berichtet er, daß die Rede zur »New York Times« gekabelt wäre, daß die Zeitungen in London und Paris den »Papen-Zwischenfall«, wie er die Marburger Rede nennt, an hervorragender Stelle bringen. Ich verweise insoweit auch noch auf den Beginn der Seite 72, im englischen Text Seite 70.
Für die Maßnahmen der Regierung gegen die Marburger Rede und ihre Verbreitung verweise ich auf Dokument 15, Seite 66, eidesstattliche Versicherung Westphals, aus der sich ergibt, daß lediglich der Besitz einer Abschrift der Rede gegen einen Beamten genügte zu einer disziplinaren Verfolgung.
[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Zeuge! Inzwischen traten die Ereignisse des 30. Juni 1934 ein. Wie weit sind Sie hiervon betroffen worden?
VON PAPEN: Am 30. Juni vormittags erhielt ich einen telephonischen Anruf des Ministers Göring mit der Bitte, mich zu ihm zu begeben zu einer Aussprache. Ich fuhr zu Göring, er erklärte mir, daß im Reiche eine Revolution ausgebrochen sei, eine Revolution bei der SA, daß Hitler sich in München befinde, um den Aufstand dort niederzuschlagen und daß er, Göring, beauftragt sei, in Berlin die Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Herr Göring bittet mich, im Interesse meiner eigenen Sicherheit, wie er sagte, mich in meine Wohnung zu begeben und mich dort aufzuhalten. Ich protestierte sehr energisch gegen diese Aufforderung, aber Herr Göring besteht darauf. Auf der Fahrt zu meiner Wohnung begebe ich mich zunächst zu meinem Büro in die Vizekanzlei. Als ich dort eintreffe, finde ich meine Vizekanzlei besetzt von der SS, und mir wird nur erlaubt, in mein eigenes Zimmer zu gehen, um meine Akten an mich zu nehmen. Ich setze meine Fahrt in die Wohnung fort. Dort finde ich ein starkes Aufgebot von SS, das Telephon ist gesperrt, das Radio ist gesperrt, und ich werde von jeder Berührung, mit der Außenwelt für drei Tage vollkommen abgeschnitten.
DR. KUBUSCHOK: Welche Maßnahmen wurden gegen Ihre Mitarbeiter ergriffen?
VON PAPEN: Die Maßnahmen, die gegen meine Mitarbeiter ergriffen wurden, erfuhr ich naturgemäß erst am 3. Juli, nachdem ich meine Freiheit wiedergewonnen hatte. Ich erfuhr, daß mein Pressereferent, der Herr von Bose, in seinem Büro erschossen worden war. Ich erfuhr, daß zwei meiner Sekretäre, Herr von Tshirschky und ein anderer, in ein Konzentrationslager verbracht worden seien, und einige Tage später erfuhr ich von dem Tode des mir befreundeten Mitarbeiters, privaten Mitarbeiters, Herrn Edgar Jung.
DR. KUBUSCHOK: Versuchten Sie, den Reichspräsidenten zu informieren?
VON PAPEN: Am dritten Tage meiner Einsperrung gelang es nur endlich, eine telephonische Verbindung mit Göring zu bekommen. Ich forderte, sofort meine Freiheit wieder herzustellen. Herr Göring entschuldigte sich und meinte, es sei nur ein Versehen, daß ich solange in Haft gehalten worden sei. Ich begebe mich alsdann sofort zur Reichskanzlei. Dort treffe ich Hitler im Begriffe, eine Kabinettssitzung zu beginnen. Ich bitte ihn zu einer Aussprache in ein anderes Zimmer und lehne es ab, seinem Wunsch zu folgen, der Kabinettssitzung beizuwohnen. Ich sage ihm: »Das, was hier einem Mitglied Ihrer Regierung geschehen ist, ist so unglaublich und so unerhört, daß es darauf nur eine Antwort geben kann: Die Wiederholung meiner Demission, und zwar sofort.«
Herr Hitler versucht mich zu überreden, zu bleiben. Er sagt:
»Ich werde Ihnen im Kabinett und später im Reichstage erklären, wie alles gekommen ist und warum es geschehen mußte.« Ich sage ihm: »Herr Hitler, es gibt keine Erklärung, und es gibt keine Entschuldigung für diesen Vorgang. Ich verlange für das, was meine Mitarbeiter betroffen hat, eine sofortige Untersuchung und Feststellung der Tatsachen.« Ich verlange von ihm eine sofortige Veröffentlichung meines Rücktritts. Herr Hitler sagt, nachdem er eingesehen hat, daß ich nicht zum Bleiben zu bewegen bin, den Rücktritt könne er nicht veröffentlichen, die Erregung im deutschen Volke sei zu groß. Er könne diesen Rücktritt erst in drei bis vier Wochen veröffentlichen.
Als ich Hitler verließ, versuchte ich persönlich und durch einen meiner Sekretäre in Verbindung zu Hindenburg zu treten; das mißlingt. Mein Sekretär stellt fest – Herr von Hindenburg, muß ich hinzufügen, befand sich zu dieser Zeit in Neudeck in Ostpreußen – mein Sekretär, der sich nach Ostpreußen begeben hatte, stellt fest, daß es unmöglich ist, zu Hindenburg zu gelangen. Alles ist abgesperrt; meine eigenen Anrufe kommen nicht durch.
Ich begebe mich zu meinem Freund, dem Chef der Wehrmacht, dem General von Fritsch, und sage ihm: »Warum greift die Wehrmacht nicht ein? Die Wehrmacht ist der einzige Ordnungsfaktor, den wir im Lande noch haben. Nachdem der General von Schleicher und seine Frau ermordet sind und andere Offiziere, wäre es meiner Ansicht nach am Platz gewesen, daß die Wehrmacht selbst in dieser Frage die Ordnung wiederherstellte.« Herr von Fritsch sagte mir: »Ich kann nur handeln, wenn ich einen Befehl vom Feldmarschall von Hindenburg erhalte.« Aber Hindenburg war für uns nicht zu erreichen. Offensichtlich war er von der anderen Seite informiert worden über die völlige Legalität der Vorgänge, über die Hitler im Reichstag erklärt hat, sie seien rechtens. Auch diesem Reichstag habe ich nie angewohnt, wie der Zeuge Gisevius es behauptet hat, und ich habe zwischen dem 30. Juni und meiner Ernennung für Österreich an keinem einzigen Regierungsakt mehr teilgenommen.
Erwähnen darf ich noch, daß ich in diesen Tagen den Reichskanzler ersuchte um die Auslieferung der Leiche meines Freundes Bose. Man weiß, daß die Gestapo die Leichen der anderen verbrannt hat. Es ist mir gelungen, meinen Freund Bose...
VORSITZENDER: Ich glaube, jetzt wäre der geeignete Augenblick, eine Pause zu machen.