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[Pause von 10 Minuten.]

GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Der Angeklagte Heß ist in dieser Sitzung nicht anwesend.

DR. KUBUSCHOK: Bitte setzen Sie fort. Sie waren gerade noch bei der Beantwortung der letzten Frage.

VON PAPEN: Ich wollte zum Schluß dieser Frage nur noch bemerken, daß es mir gelang, die sterblichen Überreste meines Freundes Bose ordnungsgemäß und feierlich beizusetzen und daß ich bei dieser Gelegenheit an seinem Grabe ihm einen Nachruf gehalten habe, in dem ich betonte, daß eines Tages die Gerechtigkeit, die diesen Mord verursacht hat, wiederhergestellt werden wird.

DR. KUBUSCHOK: Ich verweise insoweit auf Dokument 14, Seite 62 und 63; ein Affidavit von Maria Bose, der langjährigen Privatsekretärin des Zeugen. Auf Seite 63 nimmt sie auf die soeben erörterte Leichenfeier Boses Bezug.

Ich verweise weiterhin auf Dokument 19, Seite 77 und 78, Affidavit Schaffgotschs, der insbesondere eingehend schildert, wie die Versuche des Zeugen, nach Neudeck zu Hindenburg zu gelangen, vereitelt wurden. Das letzte war Dokument 19, Seite 77 und 78.

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Zeuge! Es wurde Ihnen damals der Vatikanposten angeboten, ein Posten als Botschafter beim Vatikan. Bitte erzählen Sie die näheren Umstände.

VON PAPEN: Es ist zutreffend, daß Hitler versuchte, mich weiter an seine Mitfolgeschaft zu fesseln und daß er mir etwa acht Tage nach den geschilderten Zwischenfällen den Staatssekretär Lammers schickte und mich fragen ließ, ob ich bereit sei, den Botschafterposten am Vatikan anzunehmen. Ich habe dieses Ansinnen selbstverständlich abgelehnt und erwähne das hier nur, weil ich einige Wochen später den Wiener Posten angenommen habe, aus einem ganz anderen Grunde, und zum Beweis dafür, daß mir nichts daran lag, einen Posten zu bekommen. Ich habe dieses Ansinnen Hitlers damals auf das schroffste abgelehnt.

DR. KUBUSCHOK: Ich verweise auf das Dokument 18, Seite 75 und 76 des Dokumentenbuches; Affidavit Malta von Papen, der Ehefrau des Zeugen, die den damaligen Besuch von Lammers schildert. Ich verweise weiterhin...

VORSITZENDER: Mein Dokumentenbuch geht nur von 74 zu 79, wie es scheint.

DR. KUBUSCHOK: Das ist richtig, es ist in verschiedenen Sprachen. Es ist einmal in deutsch und einmal in französisch, Seite 75 und 76.

VORSITZENDER: Aber die Seiten 75, 76, 77 und 78 fehlen bei mir.

DR. KUBUSCHOK: Sie fehlen? Ich werde es nachtragen, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Gut.

DR. KUBUSCHOK: Im englischen Dokumentenbuch ist es Seite 73 und 74.

Zu dem vorher von dem Zeugen behandelten Thema, Nichtteilnahame an der Reichstagssitzung vom 13. Juli, verweise ich auf Dokument 21, Seite 79, ein Auszug aus dem »Völkischen Beobachter« über die Reichstagssitzung.

Es sind dort die Namen der anweisenden Minister aufgeführt. Der Name des Zeugen Papen fehlt.

[Zum Zeugen gewandt:]

Wann trat Hitler an Sie heran, als außerordentlicher Gesandter nach Wien zu gehen?

VON PAPEN: Am Tage des Dollfuß-Mordes, am 25. Juli 1934...

VORSITZENDER: Einen Augenblick. Können Sie mir sagen, Dr. Kubuschok, ob schon irgendeine Frage über dieses Angebot an den Zeugen Lammers gerichtet wurde?

DR. KUBUSCHOK: Ja, es ist an den Zeugen Lammers eine Frage gerichtet worden. Bei der Vernehmung des Zeugen Lammers ist dieser darüber befragt worden.

VORSITZENDER: Was hat er gesagt?

DR. KUBUSCHOK: Er hat gesagt, daß Papen abgelehnt hätte.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

VON PAPEN: Am 25. Juli, am Tag des Dollfuß- Mordes, wurde ich nachts von Hitler angerufen und von ihm aufgefordert, sofort als sein Gesandter nach Wien zu gehen. Ich sagte ihm: »Wie kommen Sie auf diese merkwürdige Idee?« Er orientierte mich über den Dollfuß-Mord, der mir zu dem Zeitpunkt noch unbekannt war, und sagte: »Es ist unbedingt notwendig, daß sofort jemand dort die Geschäfte übernimmt, der mit den Verhältnissen vertraut ist.« Ich erwiderte ihm, ich könne mich unmöglich am Telephon zu einer solchen Maßnahme entschließen, worauf er mich bat, mich sofort zu einer Besprechung nach Bayreuth zu begeben.

DR. KUBUSCHOK: Wie verliefen die Verhandlungen in Bayreuth? Haben Sie Bedingungen zur Übernahme Ihres Amtes gestellt?

VON PAPEN: Die Verhandlungen in Bayreuth verliefen so, daß Hitler mir vorstellte, ich sei die einzige greifbare Persönlichkeit, die Lage in Österreich wieder herzustellen, denn Hitler kannte ja aus sehr vielen Protesten, die ich im Kabinett gegen die Behandlung Österreichs eingelegt hatte, meine Stellung zu diesem Problem. Er wußte auch, daß ach ein Freund des ermordeten Dr. Dollfuß gewesen war und daß ich mit Herrn von Schuschnigg bekannt war. Ich stellte meine Bedingungen, und diese Bedingungen waren: Die sofortige Abberufung des Partei-Gauleiters, der auf Hitlers Anordnung sich in Österreich aufhielt, des Herrn Habicht. Hitler war der Ansicht, daß, wenn er das täte, es ein Eingeständnis seiner Schuld sei.

VORSITZENDER: Wo war er Gauleiter?

VON PAPEN: Habicht?

VORSITZENDER: So verstand ich seinen Namen. Ich wollte wissen, von welchem Gau er Gauleiter war?

VON PAPEN: »Gauleiter« ist vielleicht eine falsche Bezeichnung; er war von Hitler nach Österreich geschickt, um dort als sein Verbindungsmann die Geschäfte der österreichischen Nationalsozialisten zu beeinflussen.

DR. KUBUSCHOK: Herr Zeuge! Vielleicht weisen Sie darauf hin, daß sein Titel »Landesleiter« war, der in Deutschland dem Titel »Gauleiter« entsprechen dürfte.

VON PAPEN: Er war Landesleiter, das war der Titel für solche Leute, die im Auslande die Organisation der Partei leiteten. Hitler erwiderte, wenn er diesen Mann zurückziehe, so sähe das aus wie ein Eingeständnis seiner Mitschuld an der Ermordung Dollfuß'. Ich erwiderte ihm, daß von der Mitschuld der deutschen Partei oder ihrer Stellen insgesamt die ganze Welt sowieso überzeugt sei und daß es lediglich für mich darauf ankomme, von nun ab diese Beziehungen zu unterbrechen. Ich verlangte ferner eine schriftliche Zusicherung Hitlers, daß die zukünftige deutsch- österreichische Politik, das, was im allgemeinen vulgär als Anschlußpolitik bezeichnet wird, ich ausschließlich auf einer evolutionären Ebene zu bewegen habe, das heißt, Verzicht auf jede gewaltsame Maßnahme und Aggression. Hitler hat sowohl die Rückberufung dieses Habicht angeordnet, unverzüglich, und hat über die zweite Frage mir eine schriftliche Zusicherung gegeben. Und endlich habe ich mich bereit erklärt, die Befriedungsaktion in Österreich zu übernehmen, aber nur mit der Befristung bis zur Wiederherstellung normaler und freundschaftlicher Beziehungen. Daraus ergab sich, daß ich in meinem Titel in Österreich später den Zusatz führte: »Gesandter in besonderer Mission«.

DR. KUBUSCHOK: Herr Zeuge! Wir haben von Ihrem innerpolitischen Bruch mit Hitler nach der Marburger Rede, von Ihrem Rücktritt aus dem Kabinett, von Ihrer Behandlung am 30. Juni, gehört. Ich möchte Sie jetzt bitten, einmal die Gründe darzulegen, die Sie bestimmten, diesen Posten in Österreich anzunehmen, trotz der geschilderten Ereignisse.

VON PAPEN: Dieser Entschluß, nach Österreich zu gehen, ist von der Anklage zu einem ganz besonderen Vorwurf gemacht worden. Wenn man diesen meinen Entschluß verstehen will, dann muß man die deutsche Geschichte kennen, und man muß wissen, daß die österreichische Frage das Zentralproblem der deutschen Politik überhaupt war. Dr. Seyß-Inquart hat sich sehr ausführlich über diese Frage geäußert, ich kann deshalb sehr kurz sein, und ich brauche nur hinzuzufügen, daß auch von der deutschen Seite aus die Erzielung der deutschen Einigkeit, um die wir seit drei Jahrhunderten kämpften, das wesentlichste und bedeutsamste Ziel unserer nationalen Politik überhaupt war. Jetzt war mit dem 30. Juni die Koalition, die ich am 30. Januar begründet hatte, zusammengebrochen. Es stand historisch fest, daß innenpolitisch mein Ziel und meine Absichten gescheitert waren. Jetzt, mit dem Dollfuß-Mord, bestand die Gefahr, daß nun Deutschland auch in dieser einen großen außenpolitischen Frage der versuchten Einheit Bankrott erleiden würde. Das alles stand vor meiner Seele, als ich den sehr schweren Entschluß erwog, ob ich Hitlers Bitte folgen sollte. Wenn es ein Parteimann gewesen wäre, den er dorthin gesetzt hätte, dann war es klar, daß alle Hoffnung verloren blieb. Wenn er einen Diplomaten aus dem Auswärtigen Amte hingesetzt hätte, dann war anzunehmen, daß dieser Beamte keine persönliche Einwirkung auf Hitler haben würde. Wenn man also die Lage retten wollte, dann mußte es jemand sein, der immerhin in der Lage war, Hitler zu beeinflussen und jemand, der, wie ich, unabhängig war und seine eigene politische Linie hatte. Es ist mir heute wie damals vollkommen klar, daß viele meiner Freunde diesen Schritt nicht verstanden haben und daß sie ihn als eine Charakterlosigkeit ausgelegt haben. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß dies eine Entscheidung ist, die ein jeder ohne Rücksicht auf Verständnis oder Mißverständnis vor seinem eigenen Gewissen zu verantworten hat, und mein Gewissen hat mir gesagt, daß ich alles tun muß, um wenigstens in dieser Frage die Ordnung wiederherzustellen.

DR. KUBUSCHOK: Zu dem allgemeinen Thema Österreich verweise ich im wesentlichen auf das Dokumentenmaterial, das im vorhergehenden Falle eingereicht worden ist. Zur Ergänzung möchte ich nur noch auf Dokument Nummer 64, Seite 157, auf Dokument Nummer 65, Seite 158, und auf Dokument Nummer 81, Seite 178, verweisen. Das zuletzt erwähnte Dokument ist bereits im Falle Seyß-Inquart eingeführt worden. Es betrifft die Stellungnahme des Staatskanzlers Dr. Renner zur Anschlußfrage. Ich möchte nur die letzten vier Zeilen auf Seite 179 zur Verlesung bringen:

»Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, als erster Kanzler der Republik Deutsch-Österreich und als gewesener Präsident ihrer Friedensdelegationen zu St. Germain werde ich mit ›Ja‹ stimmen.«

Ich habe das Dokument an dieser Stelle gebracht, weil ich den Vortrag des Angeklagten unterstützen wollte, der die deutsch-österreichische Frage von beiden Seiten als eine Schicksalsfrage bezeichnete und hier am besten zum Ausdruck kommt, daß dieser rührende Staatsmann, Dr. Renner, auch in einer schwierigen Situation sich zu dem deutsch-österreichischen Freundschaftsverhältnis bekannt hat