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[Zum Zeugen gewandt:]

Was haben Sie, Herr Zeuge, zu den Leopoldschen Vorschlägen zu sagen?

VON PAPEN: Aus den Leopoldschen Vorschlägen geht folgendes hervor. Die Führung der österreichischen Nazis akzeptiert im vollen Umfange die durch den Juli-Vertrag festgelegte Politik. Sie anerkennt, daß künftig der Anschluß, die Anschlußfrage, eine innerösterreichische Angelegenheit ist, die von der Österreichischen Regierung zu lösen ist; sie schlägt vor, daß diese Lösung auf evolutionärem Wege durch die Österreichische Regierung und die Partei angestrebt wird. Zugunsten dieser Lösung spricht, daß durch die Souveränitätserklärung Österreichs diese Auseinandersetzung in Zukunft keime außenpolitischen Gefahren mehr für Österreich bringen dürften, das heißt also, der Juli-Vertrag wird von den österreichischen Nationalsozialisten verstanden, gebilligt, und sie sind bereit, mit der Österreichischen Regierung einen legalen Weg zu gehen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis

18. Juni 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertsiebenundfünfzigster Tag.

Dienstag, 18. Juni 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte von Papen im Zeugenstand.]

DR. KUBUSCHOK: Der Zeuge Guido Schmidt hatte einen Flaggenzwischenfall von Pinkafeld im Mai 1937 erwähnt. Bitte schildern Sie Ihre Tätigkeit zur Beilegung dieses Konflikts.

VON PAPEN: Der Flaggenzwischenfall von Pinkafeld wird deswegen von mir oder meinem Verteidiger erwähnt, weil er ein typisches Beispiel ist für die Versuche Hitlers, auch in der Zeit vor 1938 zu einer aggressiven Politik in Österreich zu schreiten.

Am 1. Mai 1937 wurde in einem kleinen Ort Pinkafeld eine reichsdeutsche Flagge von einem österreichischen Beamten heruntergeholt. Große Aufregung in der Presse. Ich versuche, die Angelegenheit sofort freundschaftlich mit dem österreichischen Außenminister zu regeln. Darauf erhalte ich ein Telegramm, mich sofort nach Berlin zu begeben und komme nach Berlin, melde mich bei Hitler an. Hitler empfängt mich nicht. Ich warte drei Tage. Nach drei Tagen schreibe ich ihm einen Brief und sage ihm: »Es scheint, daß Sie den Flaggenzwischenfall von Pinkafeld benutzen wollen, um eine aggressive Politik gegen Österreich zu führen. Dann halbe ich nichts mehr zu tun, und ich bitte um meine Demission.« Eine Viertelstunde später werde ich von ihm in die Reichskanzlei gerufen. Er hielt mir einen halbstündigen Vortrag, wütend und außer sich über die Demütigungen, die das Deutsche Reich nicht länger hinnehmen könne. Nachdem er sich ausgetobt hat, sage ich ihm, unsere Vereinbarung vom 26. Juni sieht vor, daß die Politik mit Österreich nur auf einem evolutionären Weg zu führen ist. Der Vertrag vom 11. Juni hat das unterstrichen. Wenn Sie eine andere Politik zu führen wünschen, dann entlassen Sie mich.

Auf diese sehr ernste Zwiesprache hin sagte er: »Nein, nein. Fahren Sie zurück, regeln Sie alles; wir wollen unsere friedliche Politik nicht ändern.«

Ich bin nach Wien zurückgefahren, und der Zwischenfall wurde mit dem österreichischen Außenminister in 24 Stunden befriedigend geregelt.

DR. KUBUSCHOK: Haben Sie über die von Ihnen in Österreich verfolgte Politik mit Vertretern anderer Mächte gesprochen?

VON PAPEN: Ja, ich habe wiederholt über diese Politik mit Vertretern anderer Mächte gesprochen, beispielsweise im Sommer 1937 mit dem Britischen Botschafter Sir Nevile Henderson.

VORSITZENDER: Ist dieser Brief oder eine Abschrift des Briefes, auf den sich der Zeuge bezieht, vorgelegt worden? Er hat von einem Brief an Hitler gesprochen. Er sagte: »Ich schrieb an Hitler.«

DR. KUBUSCHOK: Nein, diesen Brief haben wir nicht, wir haben auch keine Kopie. Die Akten des Zeugen sind in Berlin durch die Bombenangriffe zerstört worden.

VON PAPEN: Aber darf ich hinzufügen, Herr Vorsitzender, daß der österreichische Außenminister diesen Zwischenfall und seinen Verlauf hier bestätigt hat. Auch Herr von Neurath kennt diesen Zwischenfall sehr genau.

VORSITZENDER: Wer war der Außenminister, der das bestätigt hat?

VON PAPEN: Der österreichische Außenminister Schmidt, der hier saß als Zeuge; der Zeuge Guido Schmidt.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

VON PAPEN: Zu dieser Frage darf ich bemerken, daß ich natürlich sehr häufig mit Vertretern anderer Mächte über unsere österreichische Politik gesprochen habe, beispielsweise im Juni 1937 mit Sir Nevile Henderson, dem Britischen Botschafter in Berlin. Im Oktober 1937 besuchte ich inkognito Paris und sprach dort mit vielen der führenden Politiker, unter anderem mit dem französischen Präsidenten M. Daladier und mit M. Léon Blum über dieses Problem. Ich versicherte den Herren, daß wir eine Lösung des österreichischen Problems nur auf der evolutionären Basis suchen werden und daß ein von uns erhoffter Zusammenschluß der beiden Staaten niemals eine Bedrohung der französischen Interessen bedeuten solle, daß wir im Gegenteil diese Lösung nur im europäischen Rahmen suchen, das heißt unter der Zustimmung Frankreichs.

Ich hatte damals den Eindruck, daß sowohl in England wie in Frankreich die Einsicht im Wachsen war über die Notwendigkeit einer Regelung überhaupt.

DR. KUBUSCHOK: Zum Beweis dafür, daß der Angeklagte der Überzeugung sein konnte, daß die anderen Mächte auf Grund einer evolutionären Entwicklung in Österreich schließlich zu einer vertraglichen Vereinbarung bereit sein würden, überreiche ich Dokument Nummer 74, Seite 169, ein Bericht Papens an Hitler über die soeben skizzierte Besprechung mit Sir Nevile Henderson am 1. Juni 1937.

Ich verweise auf das Dokument und weise darauf hin, daß Henderson erklärt hat, er stehe der Lösung des österreichischen Problems freundschaftlich gegenüber und hoffe, auch einen dahingehenden Einfluß in Paris geltend machen zu können.

Ich verweise weiterhin auf das Dokument Nummer 80, Seite 177, eine Erklärung des belgischen Außenministers Spaak nach dem Anschluß und verweise auf den letzten Satz:

»Ich glaube seit langem, daß der Anschluß der Logik der Tatsachen entspricht und wenn er auf normalem Wege vollzogen worden wäre, dann wäre Ich nicht darüber erstaunt gewesen.«