[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Zeuge! Am 4. Februar 1938 erhielten Sie überraschend Ihre Demission von Ihrem Wiener Posten. Bitte berichten Sie hierüber dem Gericht.
VON PAPEN: Ich war Ende Januar des Jahres 1938 in Berlin und bei Hitler gewesen, hatte mit ihm gesprochen über die Unterhaltung, die ich in Garmisch mit Dr. Seyß-Inquart gehabt hatte und habe keinerlei Anzeichen irgendwelcher Art gehabt, daß er mich aus seinem Dienst entlassen wolle. Das wurde mir am 4. Februar durch einen Telephonanruf von Dr. Lammers übermittelt. Diese plötzliche und mir unbegründete Entlassung im Zusammenhang mit der Entlassung von Fritsch und Blomberg und von anderen führenden Diplomaten führte natürlich zu einer Schlußfolgerung. Ich war mir darüber klar, daß mit dieser Abberufung ein Kurswechsel zumindest wahrscheinlich war. Ich habe darüber am folgenden Tage mit dem österreichischen Außenminister gesprochen und ihm meine Sorgen mitgeteilt. Alsdann habe ich in einer Note an die Österreichische Regierung mich von ihr verabschiedet, bin dann am nächsten Tag zu Hitler gefahren – aber ich muß noch folgendes einschieben: Diese Entwicklung durch meine Abberufung schien mir so ernst zu sein, daß ich mich am 4. abends entschloß, meine gesamte politische Berichterstattung aus den vier Jahren in die Schweiz verbringen zu lassen. Ich wollte in der Lage sein, der Welt zu beweisen, daß ich in diesen vier Jahren eine friedliche und evolutionäre Politik in Österreich verfolgt hätte. Ich wollte der Außenwelt das beweisen können, wenn es dazu kommen würde, daß Hitler zu einer Aggression schritt. Der Entschluß dazu für einen hohen Beamten war gewiß nicht leicht, denn ich hatte alle Konsequenzen zu tragen, die dieser an sich verbotene Akt mit sich brachte. Am nächsten Tag fuhr ich zu Hitler. Ich hatte das Bedürfnis, ihm zu sagen, daß, wenn er schon mich nicht mehr haben wolle, er wenigstens einen anderen vernünftigen und gemäßigten Mann nach Österreich senden solle. In der Aussprache, die ich mit ihm hatte, äußerte er sich nicht darüber, aus welchen Gründen er mich entlasse. Ich hatte vermutet, es sei ein Wunsch des Herrn von Ribbentrop gewesen, der an diesem 4. Februar Außenminister geworden war. Aber Herr Hitler sagte mir, das sei nicht der Fall. In der Aussprache über die österreichische Lage sagte ich Hitler unter anderem, ich bedauere es sehr, daß er mich abberufen habe, weil gerade in den letzten Wochen der Bundeskanzler Schuschnigg sich bereit erklärt habe, in einer persönlichen Aussprache mit Hitler alle Differenzen zwischen den beiden Staaten nach Möglichkeit auszuräumen. Als Hitler dies hörte, sagte er zu mir: »Wenn das der Fall ist, dann bitte ich Sie sehr, zurückzufahren und diese Aussprache mit Herrn von Schuschnigg zustande zu bringen.« Ich sagte ihm: »Eigentlich eine merkwürdige Aufgabe. Sie haben mich gestern abberufen, und heute soll ich zurückfahren. Aber, wenn ich etwas im Interesse der österreichischen Sache tun kann, eine solche Aussprache zustande bringen kann, dann will ich es gern tun.«
DR. KUBUSCHOK: Wie bereiteten Sie die Aussprache vor?
VON PAPEN: Ich habe mich nach der Rückkehr zu Herrn von Schuschnigg begeben und habe auch mit ihm über die veränderte Lage gesprochen, die durch meine Abberufung und die Neubesetzung des deutschen Außenministerpostens entstanden war. Und ich habe Herrn von Schuschnigg gesagt: »Es scheint mir, daß in dieser Lage eine Aussprache beider Staatschefs über die Differenzen, die über die Auslegung des Julivertrages entstanden sind, nur sehr nützlich sein kann.« Der österreichische Außenminister hat ja hier bestätigt, daß über diese persönliche Aussprache wir schon seit dem November 1937 uns unterhalten hatten. Der Vorschlag war, daß in Berchtesgaden gesprochen werden sollte über sämtliche Differenzen; ein bestimmtes Programm war nicht entworfen, und es war ausgemacht, daß diese Besprechungen sich vollkommen auf dem Boden des Juli-Vertrages befinden sollten, das heißt also unter Zugrundelegung der Aufrechterhaltung der Souveränität Österreichs. An sachlichen Fragen wurde nur diese eine besprochen: Die Einschaltung eines Ministers in das österreichische Kabinett, welcher der Vertrauensmann beider Staaten sein sollte, mit der Aufgabe, für die Befriedung zwischen der österreichischen und der deutschen Nationalsozialistischen Partei zu sorgen, das heißt, eine Einmischung der deutschen Partei in österreichische Verhältnisse in Zukunft unmöglich zu machen.
Es ist später in der Berchtesgadener Besprechung verlangt worden, daß Dr. Seyß-Inquart das Sicherheitsministerium übergeben werde. Diese Forderung ist mir vollkommen unbekannt gewesen; ich habe sie auch nicht mit Schuschnigg besprochen. Es wurde lediglich davon gesprochen, daß ein geeigneter Mann, vielleicht Seyß-Inquart, das Innenministerium erhalten solle. Heute wissen wir aus den Zeugenaussagen, daß neben dieser offiziellen, von mir geführten Aussprache der österreichische Parteikanal lief, der seine Vorschläge an Hitler brachte, Vorschläge, die mir unbekannt waren.
DR. KUBUSCHOK: Geben Sie bitte eine Darstellung über den Verlauf der Besprechung in Berchtesgaden.
VON PAPEN: Diese Besprechung ist hier wiederholt geschildert worden. Ich habe Herrn Schuschnigg und Herrn Schmidt persönlich dorthin begleitet, und es ist durchaus möglich, daß, als ich sie an der österreichischen oder der deutschen Grenze empfing, ich ihnen gesagt habe, daß sie außer Hitler eben vielleicht einen oder mehrere Generale finden werden, denn möglicherweise hatte ich am Vormittag mit Berchtesgaden telephoniert und in Erfahrung gebracht, daß diese Generale anwesend seien.
Der Verlauf der Besprechung war natürlich sehr verschieden von Besprechungen, wie sie sonst im diplomatischen Leben üblich sind. Aber er war nicht so dramatisch, wie es von verschiedenen Seiten hier dargestellt worden ist.
Meines Wissens haben diese von Hitler am Vorabend und ohne meine Kenntnis herbeigerufenen Generale lediglich durch ihre Anwesenheit gewirkt und wirken sollen. Zu politischen Gesprächen sind sie nach meiner Kenntnis, und soweit ich an solchen Gesprächen beteiligt war, nicht herbeigezogen worden. Der Ton, in dem Hitler verhandelte, die Vorwürfe, die er Herrn von Schuschnigg machte, mußten mir sehr unsympathisch sein. Ich halbe deshalb verschiedentlich vermittelnd eingegriffen. Ich erinnere mich sehr gut eines Zwischenfalles, als Hitler und Schuschnigg alleine verhandelten und die Unterhaltung außerordentlich laut wurde, ich mich in das Konferenzzimmer begab und dort feststellte, daß Hitler Herrn von Schuschnigg vorwarf, er sei kein deutscher Mann, er entbehre jeden nationalen Gefühls, so daß ich eingriff und Herrn Hitler sagte: »Sie beurteilen Herrn von Schuschnigg völlig falsch; Herr von Schuschnigg denkt genau so deutsch wie Sie und ich, nur wünscht er nicht einen Zusammenschluß unserer beiden Länder unter der Staatsdoktrin, die Sie augenblicklich in Deutschland vertreten.« In dieser Konferenz wurde Herrn von Schuschnigg und Herrn Schmidt ein Programm vorgelegt, das mir, wie ich schon sagte, persönlich unbekannt war. Von diesem Programm wurden verschiedene Punkte abgehandelt, wie zum Beispiel die Besetzung der österreichischen Armee mit dem General von Glaise und alle wirtschaftlichen Forderungen, und daher habe ich, als gegen Abend die Konferenz zu Ende ging, Herrn von Schuschnigg gesagt, er möge den Rest annehmen, damit unsere friedliche Weiterentwicklung nicht gestört werde. Im übrigen hat ja Herr von Schuschnigg dieses Programm oder diese Annahme nur paraphiert mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß die Abmachungen von der Österreichischen Regierung mit dem Österreichischen Bundespräsidenten bestätigt werden müßten. Es war also durchaus die Möglichkeit einer Korrektur auch späterhin von der österreichischen Seite gegeben.
DR. KUBUSCHOK: Ihre Darstellung ist in einem Punkte nicht ganz klar gewesen. Sind Sie erst gleichzeitig mit Schuschnigg und Dr. Schmidt in Berchtesgaden eingetroffen? Waren Sie vorher schon in Berchtesgaden, oder hatten Sie anderwärts übernachtet?
VON PAPEN: Ich bin mit Herrn von Schuschnigg von Wien nach Salzburg gefahren, habe dort mit ihm übernachtet und bin am nächsten Morgen mit ihm nach Berchtesgaden gefahren. Ich bin also vorher nicht in Berchtesgaden gewesen. Aber Herr von Schuschnigg hat behauptet, ich hätte ihm des Morgens vor unserem Besuch gesagt, es seien Generale oben. Ich erinnere mich nicht mehr daran, aber es ist möglich, denn es kann sein, daß ich des Morgens von Salzburg aus telephoniert habe und das erfahren habe.
DR. KUBUSCHOK: Noch ein Punkt wäre zu ergänzen. Schuschnigg sagte, Sie hätten ihn an der Grenze empfangen. Vielleicht klären Sie diesen Punkt noch auf.
VON PAPEN: Ja. Herr von Schuschnigg und ich hatten zusammen, wie ich gesagt habe, in Salzburg übernachtet. Am nächsten Morgen bin ich bis zur Grenze vorausgefahren und habe ihn an der deutschen Grenze erwartet.
DR. KUBUSCHOK: Wurde mit dem Abkommen von Berchtesgaden der Boden des Vertrags vom 11. Juli 1936 verlassen?
VON PAPEN: Das Ergebnis der Abmachungen von Berchtesgaden war gewiß eine Erweiterung gegenüber dem Juli-Abkommen. Aber der Boden des Juli-Vertrages, seine Grundlage, das heißt die Aufrechterhaltung der österreichischen Souveränität, wurde nicht verlassen. Das ist bestätigt in den beiden Kommuniqués beider Regierungen, die sie aus Anlaß der Annahme des Abkommens veröffentlicht haben.
DR. KUBUSCHOK: Ich verweise auf das amtliche Kommuniqué, Dokument 78, Seite 174. Weiterhin auf Dokument 79, Seite 175, die Reichstagsrede Hitlers vom 20. Februar zu dieser Frage.