[Zum Zeugen gewandt:]
Am 26. Februar machten Sie Schuschnigg einen offiziellen Abschiedsbesuch. Die Anklage hat hierüber eine Aktennotiz vorgelegt. Bitte äußern Sie sich zu diesem Abschiedsbesuch.
VON PAPEN: Diese Aktennotiz enthält offensichtlich das, was ich über meinen Abschiedsbesuch dem Herrn von Ribbentrop telephonisch mitgeteilt habe. In dieser Aktennotiz lenke ich die Aufmerksamkeit des Auswärtigen Amtes auf die Tatsache,...
VORSITZENDER: Von welchem Datum ist diese Notiz?
DR. KUBUSCHOK: Die Aktennotiz vom 26. Februar, die von der Anklage vorgelegt worden ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dokumentenbuch 11a, Seite 1.
VON PAPEN: In dieser Aktennotiz spreche ich von dem Druck, der auf Schuschnigg ausgeübt worden sei und unter dem er gehandelt habe. Die Tatsache, daß ich dies dem Auswärtigen Amt mitteile, sollte eigentlich zeigen, daß ich diesen Druck selbst mißbillige, sonst hätte ich ja darüber nicht berichtet. Am 26. Februar war dann auch meine interimistische Tätigkeit endgültig beendet.
DR. KUBUSCHOK: Am 9. März 1938 verkündete Schuschnigg das Plebiszit. Äußern Sie sich bitte hierzu.
VON PAPEN: Das Plebiszit, das Herr von Schuschnigg verkündete, war natürlich eine vollkommene Überraschung. Es stand nach meiner Auffassung im Widerspruch zu dem Geist der in Berchtesgaden vereinbarten Dinge und zur Tendenz eines friedlichen Ausgleichs der Spannungen.
Das Plebiszit verstieß ja auch gegen die Österreichische Verfassung. Es war ja kein Beschluß der Österreichischen Regierung, sondern es war eine spontane Maßnahme des österreichischen Bundeskanzlers, und es war nach meiner Ansicht ganz klar, daß diejenigen Elemente, die in Österreich für einen Zusammenschluß waren, über dieses Plebiszit sehr unerfreut waren.
DR. KUBUSCHOK: Der Zeuge Rainer hat bei seiner Bekundung und in seiner zitierten Rede erwähnt, daß er am Abend des 9. März in Ihrer Wohnung gewesen sei. Handelt es sich hierbei um eine verabredete Konferenz, überhaupt um eine Konferenz oder eine Beratung?
VON PAPEN: Keineswegs. Ich war von Wien abwesend vom 26. abends, soviel ich mich erinnere, bis etwa zum 9. März. Ich bin an diesem Tage nach Wien zurückgekehrt, und es kann natürlich möglich sein, daß die Herren in meine Gesandtschaft kamen und mich dort gesprochen haben. Irgend etwas Arrangiertes von meiner Seite steht gar nicht zur Debatte.
DR. KUBUSCHOK: Waren Sie am 11. März in Berlin?
VON PAPEN: Am 10. März abends erreichte mich in der Gesandtschaft ein Telephonanruf der Reichskanzlei mit dem Befehl Hitlers, mich sofort in der Nacht noch nach Berlin zu begeben. Ich bin dann am nächsten Morgen nach Berlin geflogen und etwa zwischen 9.00 und 10.00 Uhr vormittags in der Reichskanzlei eingetroffen. Warum Hitler mich bestellt hat, weiß ich nicht; ich nahm an, daß bei der Entwicklung dieser Krise er vielleicht meinen Rat wünsche; vielleicht hat er auch gefunden, daß meine Anwesenheit in Wien für seine Pläne störend sein würde. Jedenfalls war ich nun an diesem entscheidenden Tage, am 11. März, in Berlin und in der Reichskanzlei. Ich traf dort Hitler, umgeben von sehr vielen Ministern, Herrn Göring, Dr. Goebbels, von Neurath, Staatssekretären und auch Militärs. Er begrüßte mich mit den Worten:
»Die Lage mit Österreich ist unerträglich geworden, Herr von Schuschnigg verrät die deutsche Idee, auf diese Zwangsabstimmung können wir uns nicht einlassen.«
Und wie ich seine starke Aufregung sah, erinnere ich ihn noch einmal an sein mir in Bayreuth gegebenes Versprechen und warne ihn dringend vor übereilten Entschlüssen. Aber an diesem Morgen sagt er mir: »Entweder wird das Plebiszit abgestellt, oder die Regierung muß abtreten.«
Wir wissen ja heute aus dem Brief, den er durch einen Sonderkurier an Dr. Seyß geschickt hat, von dieser ultimativen Forderung an die Österreichische Regierung. Er hat mich damals über dieses aktive Eingreifen seinerseits nicht orientiert. Der Tag hat sich dann weiterhin so abgespielt, daß ich selbst mit der Mehrzahl der anwesenden Personen mich in dem großen Saal aufhielt, während im Privatbüro Hitlers von Herrn Göring telephoniert wurde. Was telephoniert wurde, haben wir, die wir im großen Saal warteten, nur bruchstückweise erfahren, aber wir wissen es ja jetzt aus den Dokumenten hier.
Nur einen Zwischenfall will ich erwähnen. Gegen 5.00 Uhr nachmittags kam die Meldung aus Wien, daß die Regierung Schuschniggs bereit sei abzutreten. Daraufhin habe ich Hitler bestürmt, nunmehr seine militärischen Anordnungen zurückzuziehen. Herr Hitler hat das getan. Zwischen 5.00 und 6.00 Uhr nachmittags wurde der Befehl an die bereitgestellten militärischen Kräfte zurückgezogen. Ich habe damals den anwesenden General Keitel und den General von Brauchitsch beglückwünscht, daß uns diese Sache erspart bliebe. Aber eine Stunde später war die Situation wieder ganz anders. Als von Wien telephoniert wurde, der Bundespräsident weigere sich, eine Regierung Seyß-Inquart zu ernennen, hat Hitler erneut die Befehle an die Truppen wieder herausgegeben. Dann hieß es am späten Abend, die Österreichische Regierung habe um den Einmarsch deutscher Truppen gebeten, weil sie sonst der Situation nicht Herr werden könne.
Ich sehe noch Herrn von Neurath, der neben mir steht und der zu mir sagt: »Das ist eine so wichtige Meldung aus Wien, daß wir sie unbedingt schriftlich haben müssen.«
Wir stehen also unter dem Eindruck, daß dieser Ruf um Hilfe von Wien aus an uns gerichtet wird. Der weitere Verlauf des Abends ist bekannt, und ich kann nur sagen, daß ich persönlich auf das tiefste erschüttert war über diese Lösung, denn es war ganz klar, wenn man mit der Armee einmarschierte, könnte es zu Zwischenfällen und zu Blutvergießen kommen, und ein neues Blutvergießen zwischen unseren beiden Völkern würde nicht nur die deutsche Frage erneut unerhört kompromittiert haben, sondern auch den allerschlechtesten Eindruck hinterlassen haben über die Führung der deutschen Politik.
DR. KUBUSCHOK: Ich verweise auf Dokument 97, Seite 241 des dritten Dokumentenbuches. Verzeihung, es ist noch nicht im Dokumentenbuch enthalten, es wird soeben überreicht – Dokument 97, Seite 241 –. Es ist ein Affidavit von Thaß, einem Freund des Zeugen Papen, der ihn am Abend des 11. März gesprochen hat. Ich zitiere, etwa von der Mitte beginnend:
»An jenem 11. März 1938, dem Beginn des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich, erschien Herr von Papen spät abends im Union Club, wo er mir sehr erregt und verzweifelt erklärte:
›Ich komme soeben aus der Reichskanzlei. Ich halbe versucht, Hitler den Einmarsch auszureden und dringend abgeraten, er begeht aber den Wahnsinn und hat soeben den Befehl zum Einmarsch gegeben.‹«