[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Zeuge! Sie haben heute vormittag erklärt, daß Sie im Zusammenhang mit der Ermordung Ihres Freundes Ketteler sich im Jahre 1938 an Göring gewandt hätten, weil diesem die Geheime Staatspolizei unterstanden habe. Ist es nicht eine Tatsache, und ist Ihnen nicht diese Tatsache bekannt gewesen, daß spätestens vom Jahre 1936 ab die Geheime Staatspolizei ausschließlich Himmler unterstand, und daß sie formell dem Reichsinnenminister unterstellt war?
VON PAPEN: Es ist möglich, daß ich durch meine vierjährige Abwesenheit von Deutschland in Österreich das nicht gewußt habe. Es ist ja hier festgestellt worden. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, als ich mich an Göring wandte, daß er imstande sei, mich gegen die Gestapo zu verteidigen, und nachdem es Hitler abgelehnt hatte, mich in dieser Angelegenheit zu sprechen, war es nur natürlich, daß ich an ihn, an den zweiten Mann in Deutschland, mich wandte.
DR. SEIDL: Ich habe keine weitere Frage mehr.
VORSITZENDER: Will die Anklagebehörde den Zeugen im Kreuzverhör vernehmen? Sir David, würden Sie lieber nach der Pause beginnen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mylord! Ich denke, daß ich bis dahin die Dokumente zusammengestellt haben werde und daß es vielleicht für den Gerichtshof bequemer wäre.
VORSITZENDER: Wir werden dann um 13.55 Uhr wieder zusammentreten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich danke vielmals, Euer Lordschaft.
[Das Gericht vertagt sich bis 13.55 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Erinnern Sie sich daran, daß Sie in Ihrem Verhör vom 19. September vorigen Jahres ausgesagt haben, Ihr gegenwärtiger Standpunkt sei, Hitler wäre der größte Verbrecher gewesen, den Sie je in Ihrem Leben gesehen hätten?
VON PAPEN: Das trifft durchaus zu. Das ist die Ansicht, die ich mir geformt habe, nachdem ich hier von all den Verbrechen erfahren habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war am 19. September 1945. Ihre nächste Antwort interessiert mich aber weitaus mehr. Sagten Sie nicht, als man Ihnen die Frage stellte, wann Sie zu der Ansicht kamen, daß Hitler der größte Verbrecher sei, den Sie je in Ihrem Leben gesehen hätten: »Erst nachdem ich die Tatsachen kennengelernt habe, nach denen er den Krieg anfing«? Erinnern Sie sich daran, daß Sie das gesagt haben?
VON PAPEN: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat es nicht bei Ihrer engen Zusammenarbeit mit Hitler ziemlich lange gedauert, bis Ihnen diese recht offenkundige Tatsache zum Bewußtsein kam?
VON PAPEN: Meine Ansicht über Hitler, seine innenpolitische Bedeutung, war mir nach dem 30. Juni 1934 vollkommen klar; aber ich habe wie alle anderen Menschen annehmen dürfen, daß er wenigstens auf dem außenpolitischen Gebiet vernünftig sein würde, und dieser Ansicht bin ich gewesen bis nach dem Münchener Agreement.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann wollen wir doch einmal sehen, ob Sie nicht eigentlich schon eher Gelegenheit gehabt hätten, zu dieser Ansicht zu kommen; als Sie im Jahre 1932 Reichskanzler waren, mußten Sie sich doch mit den Persönlichkeiten, Zwecken und Methoden der Nationalsozialistischen Partei vertraut machen, nicht wahr?
VON PAPEN: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und das haben Sie auch getan, nicht wahr?
VON PAPEN: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie erinnern sich noch – ich will keine Zeit damit verschwenden das Dokument zu verlesen, aber Sie dürfen mir glauben, daß ich wörtlich zitiere – daß Hitler Ihnen am 16. November 1932 einen Brief geschrieben hat, in dem er sagte: »Sie müssen meine Einstellung und die Einstellung meiner Partei kennen.«
VON PAPEN: Natürlich wußte ich, welche Ziele seine Partei verfolgte; aber ich darf hinzufügen, wenn eine Partei in eine Koalition mit einer anderen Partei tritt, dann hat sie von ihrem Programm sehr viel abzustreichen und ein Koalitionsprogramm anzunehmen, und das war, was Hitler am 30. Januar getan hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, aber bevor wir zum 30. Januar kommen, will ich Sie fragen, welchen Standpunkt Sie im Jahre 1932 hatten. Während Ihrer Kanzlerschaft im Jahre 1932 bezweifelten Sie kaum die Möglichkeit, daß, wenn Hitler zur Macht kam, Deutschland Gefahr lief, mit brutalen und verfassungswidrigen Methoden regiert zu werden, nicht wahr?
VON PAPEN: Zweifellos war das Programm der Nationalsozialisten in dieser Beziehung revolutionär, aber ich habe ja dem Gericht ausführlich dargelegt, daß, als wir zu dieser Zwangslösung des 30. Januar schritten, wir eine Reihe von Sicherheiten einbauten und ein gemeinsames Koalitionsprogramm entwarfen, das nach unserer Ansicht die von Ihnen erwähnten Gefahrenpunkte ausschloß.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Präsident von Hindenburg vertrat um die Mitte des Jahres 1932 sehr stark die Ansicht, daß es höchst gefährlich wäre, Hitler die Macht in die Hand zu geben, nicht wahr?
VON PAPEN: Ja, er war durchaus dieser Ansicht, daß Hitler in seinen Machtbeschränkungen kontrolliert werden müsse.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will Ihnen nur einen Satz aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Meißner vorlesen, die der Gerichtshof auf Seite 43 im Dokumentenbuch 11a finden wird. Dieses Dokument ist GB-495, Nummer 3309-PS.
Das war später, im August 1932. Herr Meißner sagt darüber aus:
»Hindenburg erklärte, daß er wegen der gespannten Lage nicht mit gutem Gewissen das Risiko übernehmen könnte, die Macht der Regierung einer neuen Partei wie der Nationalsozialistischen zu übertragen, die keine Mehrheit hatte und die intolerant, lärmend und undiszipliniert war.«
Das ist eine sehr gemäßigte Beschreibung der damaligen Ansicht des Reichspräsidenten, nicht wahr?
VON PAPEN: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie wußten doch, Angeklagter – ich spreche jetzt nicht über eine Koalition, sondern darüber, ob die Nationalsozialisten selbst zur Macht kommen würden – das war Ihnen doch vollkommen klar, daß sie dann wenig Skrupel haben und kurzen Prozeß mit ihren politischen Gegnern machen würden. Stimmt das nicht?
VON PAPEN: Das kann man nicht sagen. Es ist immer im politischen Leben so, daß eine radikale Partei, überhaupt eine Partei, aber besonders eine radikale Partei, wenn sie zur Macht kommt und verantwortlich ist, sehr vieles in ihrem Programm abschreiben muß. Das haben wir beispielsweise bei den sozialistischen Parteien aller Länder gesehen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Stimmt es, daß der Angeklagte Göring, wie er unter Eid ausgesagt hat, Ihnen im Jahre 1932 mitgeteilt hatte, daß, was immer sonst die Nazis täten, Hitler niemals »Vize« werden oder an zweiter Stelle stehen und gegen jede politische Einrichtung kämpfen würde, die ihm nicht den ersten Platz einräumte? Ist das richtig?
VON PAPEN: Ja, das hat mir Hitler ja immer selbst erklärt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Daher wußten Sie doch ganz genau, daß Hitler und seine Komplicen die uneingeschränkte Möglichkeit verlangten, ihr Programm und ihre Absicht in die Tat umzusetzen, nicht wahr?
VON PAPEN: Nein, das wußte ich nicht. Das ist eine Feststellung, die Sie hier treffen, die keineswegs den damaligen Verhältnissen entspricht. Sie brauchen ja nur das Regierungsprogramm unserer Koalition vom 1. Februar zu lesen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können ganz unbesorgt sein, Angeklagter, auf die Zeit Ihrer Koalition vom 30. Januar werde ich schon noch zu sprechen kommen. Aber vorher will ich Ihnen nur noch ein oder zwei Fragen stellen über Ihre persönliche Ansicht von Hitler und über Hindenburgs Ansicht von Hitler im Jahre 1932; denn ich will die Entwicklung zwar kurz aber klar herausarbeiten.
Ich befrage Sie immer noch über das Jahr 1932 und die Frage, die ich Ihnen noch einmal vorlege, ist: War Ihnen nicht klar, daß, wenn Hitler und seine Komplicen zur Macht kämen, sie sich nur dann zufrieden geben würden, wenn sie die uneingeschränkte Möglichkeit hätten, ihr Programm und ihre Absichten in die Tat umzusetzen?
VON PAPEN: Nein, das wußte ich nicht; denn sonst hätte ich ja nicht den Versuch unternommen, 1933 sie in ein gemeinsames Koalitionsprogramm hineinzubringen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie erzählten uns doch – ich will es nur noch einmal klargestellt haben –, daß es Ihrer Ansicht nach in der zweiten Hälfte des Jahres 1932 für Deutschland notwendig war, die politischen Gegensätze und inneren Streitigkeiten auszugleichen und die Beziehungen zu den Westmächten zu verbessern, um dadurch die Forderungen des Versailler Vertrags zu erleichtern. Ich versuche hier, Ihre Ansicht so, wie ich Sie verstehe, kurz zusammenzufassen. Stimmt das?
VON PAPEN: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, Ihr erster Schritt zu diesem Zweck war, daß Sie Hitler im August 1932 aufforderten, Vizekanzler in Ihrer Regierung zu werden, nicht wahr?
VON PAPEN: Ganz recht, jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hitler lehnte aber ab und lehnte auch Ihr neuerliches Angebot im November 1932 ab, nicht wahr?
VON PAPEN: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Um jetzt Zeit zu sparen, möchte ich nur feststellen, ob Herr Meißner in Ziffer 6 und 7 seiner eidesstattlichen Erklärung die Situation richtig beschreibt. Ich will es für Sie zusammenfassen, und glauben Sie mir, ich werde Ihnen sehr gern die Stellen vorlesen, über die Sie Zweifel haben. Er drückt sich folgendermaßen aus: Im November 1932 hätten Sie geglaubt, die allgemeine Lage und insbesondere die Nazi-Partei könne in Schach gehalten werden, wenn der Präsident Ihnen die Machtbefugnis gäbe, auf Grund des Artikels 48 Verordnungen zu erlassen und Sie die Unterstützung der Reichswehr und der Polizei hätten; daß aber General von Schleicher damals anderer Ansicht gewesen sei, da er nicht glaubte, daß die Reichswehr imstande war, die Ordnung in Deutschland aufrechtzuerhalten. Ist das richtig?
VON PAPEN: Es stimmt insofern nicht, als dieser Vorgang nicht verfassungsmäßig mit irgendeinem Paragraphen zu decken ist, sondern einen Verfassungsbruch darstellt. Sonst ist es richtig.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Daß er also außerverfassungsmäßige Methoden anzuwenden hätte, um Herr der Lage zu bleiben. Meinen Sie das?
VON PAPEN: Ja, er hatte mir ja, wie ich hier dargelegt habe, am 1. Dezember diesen Auftrag erteilt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, aber hat Meißner recht, wenn er sagt, daß Sie, nachdem es Ihnen nicht gelungen war, Hitler in Ihre Regierung zu bekommen, wünschten, auf Grund von Notverordnungen zu regieren und mit Hilfe der Reichswehr die Ordnung aufrechtzuerhalten, daß aber General von Schleicher gesagt hätte, daß es undurchführbar sei?
VON PAPEN: Nein, das stimmt nicht. Nachdem der Präsident Hindenburg entschieden hatte, daß er keinen Verfassungsbruch begehen wollte, hat er bekanntlich den General von Schleicher zum Reichskanzler ernannt. Herr von Schleicher wollte damals durch die Spaltung der Partei eine Mehrheit schaffen, und ich halbe diesen Versuch des Herrn von Schleicher selbstverständlich unterstützt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nur für den Fall, daß ich mich irren sollte, möchte ich Ihnen Meißners eigene Worte hier vorlegen. Absatz 5 auf Seite 44 des Dokumentenbuches 11a. Ich glaube, Angeklagter, es wäre gut, wenn Sie mit mir mitläsen, wenn es Ihnen recht ist, damit wir jeden Irrtum ausschließen.
VON PAPEN: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Absatz 5 von Meißners Erklärung lautet:
»Papen wäre wahrscheinlich von Präsident Hindenburg wieder zum Kanzler ernannt worden, wenn er bereit gewesen wäre, einen offenen Kampf gegen die Nationalsozialisten aufzunehmen, was die Androhung oder den Gebrauch von Gewalt mit sich gebracht hätte; beinahe bis zum Zeitpunkt seines Rücktritts waren Papen und noch einige andere Minister sich darüber einig, daß es notwendig war, den Kampf gegen die Nazis mit allen dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln durchzuführen und sich auf Artikel 48 der Verfassung zu stützen, selbst wenn dies zu einem bewaffneten Konflikt führen könnte. Aber die anderen Minister waren der Meinung, daß solch ein Vorgehen zum Bürgerkrieg führen würde.
Die Entscheidung wurde von Schleicher getroffen, der früher ein energisches Vorgehen gegen die Nationalsozialisten vorgeschlagen hatte, auch wenn es den Einsatz der Polizei und des Heeres bedeuten sollte. Dann, in der entscheidenden Kabinettssitzung, ließ er den Gedanken fallen und erklärte sich für eine Verständigung mit Hitler bereit.«
Stimmt das?
VON PAPEN: Zum Teil stimmt es, und zum Teil stimmt es nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann sagen Sie es uns so kurz wie möglich, worin es nicht stimmt.
VON PAPEN: Meine Wiederernennung zum Reichskanzler durch Hindenburg, wie Herr Meißner sagte, wäre möglich gewesen, wenn ich bereit gewesen wäre, einen offenen Kampf gegen die Nazis zu führen. Das ist historisch völlig falsch; denn ich habe ja am 1. Dezember Hindenburg vorgeschlagen, einen Verfassungsbruch zu begehen und damit einen offenen Kampf gegen die Nazi-Partei zu führen und Herr von Schleicher hat es kontradiktet. Das ist die historische Wahrheit.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Damit wir alles in richtiger Reihenfolge haben, betrachten Sie bitte Absatz 6 desselben Dokuments, ungefähr den zweiten Satz, er fängt an:
»Als es klar wurde, daß Hitler nicht bereit war, in die Regierung Schleichers einzutreten und andererseits, daß Schleicher nicht in der Lage war, die Nationalsozialistische Partei zu spalten, was er mit Hilfe Gregor Straßers zu tun gehofft hatte, erlitt die Politik, für die Schleicher Kanzler geworden war, Schiffbruch. Schleicher war sich darüber im klaren, daß Hitler... gegen ihn besonders erbittert war und daß er sich nie dazu bereit erklären würde, mit ihm zusammenzuarbeiten. Deshalb änderte er jetzt seine Meinung und entschloß sich dazu, die Nazis zu bekämpfen, was bedeutete, daß er jetzt eine Politik treiben wollte, der er sich einige Wochen früher, als Papen sie vorgeschlagen hatte, scharf widersetzt hatte.«
Ist das richtig?
VON PAPEN: Das ist durchaus richtig.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich will die Lage ganz genau klarstellen. Sie haben uns erklärt, daß Sie sich zum erstenmal im August an Hitler gewandt haben. Bevor Sie sich an ihn wandten, hatten Sie schon die SA und SS legalisiert, nachdem diese vom Reichskanzler Brüning für illegal erklärt worden waren. Sie taten das am 14. Juni, nicht wahr?
VON PAPEN: Ich hatte das Verbot aufgehoben, jawohl, aber nur für vier Wochen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie hielten es wirklich für gut, das Verbot gegen die SA, den Terror der Straßen, aufzuheben?
VON PAPEN: Ich habe dem Gericht ausdrücklich erklärt, wieso es zur Aufhebung dieses Verbots kam. Der Grund war, Hitler und seine Partei zu einer Tolerierung meines Kabinetts zu veranlassen. Und der zweite Grund war, daß die Aufhebung dieser Kampfverbände einseitig war, wenn man nicht zugleich auch die sozialistischen und kommunistischen Verbände verbot.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und am 20. Juli hatten Sie sich der Regierung Braun-Severing mit Gewalt entledigt und Preußen und die preußische Polizei unter Ihre Gewalt bekommen?
VON PAPEN: So kann man es nicht ausdrücken, nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun gut, Sie sind die Regierung Braun-Severing losgeworden und hatten Preußen und die preußische Polizei nunmehr in der Hand, ist das richtig?
VON PAPEN: Ich hatte die preußische Polizei nicht in der Hand. Aber die preußische Polizei wurde nunmehr von dem Reichskommissar von Preußen, den ich eingesetzt hatte, einem sehr gemäßigten Mann, regiert.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nach der Weimarer Verfassung hatten Sie als Kanzler das Recht, die wesentlichen Richtlinien der Politik zu diktieren, und der Kommissar für Preußen wie alle anderen Minister mußten diesen grundlegenden Richtlinien folgen, stimmt das nicht?
VON PAPEN: Nachdem ich einen Kommissar eingesetzt hatte, hatte ich das Recht, die generellen Linien der Politik für Preußen zu bestimmen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich nunmehr eine Rede ansehen, die Sie in Essen im November 1933 gehalten haben, in der Sie über diese Zeit sprachen.
Es ist Seite 54 im Dokumentenbuch 11 und Seite 47 im deutschen Dokumentenbuch.
Sehen Sie einmal die Einleitung an:
»Seitdem die Vorsehung mich dazu berufen hatte, der Wegbereiter der nationalen Erhebung unserer Heimat und der Wiedergeburt unseres Vaterlandes zu werden, habe ich versucht, das Werk der Nationalsozialistischen Bewegung und ihres Führers mit allen meinen Kräften zu stützen.«
Stimmt das?
VON PAPEN: Absolut, jawohl, das bezieht sich...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Augenblick, ich fragte nur, ob das stimmt. Ich komme vielleicht noch einmal darauf zurück.
»Und wie ich damals, bei der Übernahme der Kanzlerschaft« – das bezieht sich auf Sie, als Sie Kanzler wurden – »dafür geworben habe, der jungen kämpfenden Freiheitsbewegung den Weg zur Macht zu ebnen.«
War die Art, wie Sie der jungen, kämpfenden Freiheitsbewegung den Weg zur Macht ebneten, daß Sie das Verbot gegen die SA aufhoben, die gemäßigte Regierung in Preußen absetzten und die Befehlsgewalt über die Polizei zentralisierten?
VON PAPEN: Nein, das wäre ein sehr schlechter Vergleich gewesen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bleiben Sie jetzt einen Augenblick dabei, und sagen Sie mir, ob das nicht Ihr Werk war. Sagen Sie dem Gerichtshof, wie Sie der jungen kämpfenden Freiheitsbewegung den Weg zur Macht ebneten, wenn nicht auf diese Art?
VON PAPEN: Ja, ich werde das sehr genau sagen. Das Programm der Nazi-Partei sah eine Befreiung Deutschlands von der Diskrimination vor, die der Versailler Vertrag uns auferlegt hatte. Ich habe darüber ausführlich gesprochen hier und habe dargestellt, welche Mühe ich mir selbst gegeben habe, in dieser Beziehung ein Entgegenkommen der Großmächte zu erreichen. Wir wollten von einer Second-rate-nation wieder eine Großmacht werden, und das war der Sinn.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich will Sie jetzt nicht unterbrechen, und der Gerichtshof wird Ihnen jede Möglichkeit geben, zu wiederholen, was Sie über diesen Punkt gesagt haben; aber ich möchte, daß Sie zuerst meine Frage beantworten. Wenn ich unrecht habe mit meiner Behauptung, daß Sie diese beiden Schritte unternommen haben, um dieser kämpfenden Freiheitsbewegung den Weg zu ebnen, so sagen Sie uns mit einigen Worten, was Sie denn sonst unternommen haben, um den Weg zu ebnen? Das ist die Frage? Was haben Sie getan?
VON PAPEN: Ich habe zweimal an Hitler das Angebot gerichtet, in meine eigene Regierung einzutreten, und als Ende Januar 1933 die Lage keinen anderen Ausweg mehr bot, habe ich die Koalition auf Antrag Hindenburgs mit der Nationalsozialistischen Partei zusammengebracht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Waren Sie damals der Ansicht, daß Hitler für Deutschland unbedingt notwendig war?
VON PAPEN: Ich war der Ansicht, daß ein Mann, der im März 1932, das heißt, bevor ich an die Regierung kam, 36,8 Prozent aller deutschen Stimmen erhalten hatte bei der Präsidentenwahl, daß dieser Mann und seine Partei in die verantwortliche Regierungsarbeit eingeschaltet werden müßte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber abgesehen von seinem Wahlerfolg, glaubten Sie, daß Hitler auf Grund seiner Persönlichkeit, seiner Ziele und seines Programms damals für Deutschland eine Notwendigkeit war?
VON PAPEN: Ich wüßte nicht, wie man mit einer Partei, die 36,8 Prozent aller deutschen Stimmen kontrolliert, auf polizeilichem Wege fertig werden würde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich Ihre eigenen Worte im nächsten Absatz des gleichen Briefes an. Dort scheinen Sie nicht nur vom Wahlerfolg zu sprechen.
»Der liebe Gott hat Deutschland gesegnet, daß er ihm in Zeiten tiefer Not einen Führer gab, der es über alle Nöte und Schwächen, über alle Krisen und Gefahrenmomente hinweg mit dem sicheren Instinkt des Staatsmannes zu einer glücklichen Zukunft führen wird.«
Das war, ich will nicht sagen eine übertriebene aber doch eine ziemlich starke Ausdrucksweise von einem ehemaligen Kavallerieoffizier in Bezug auf eine politische Figur, wenn er nicht fest an diese Figur glaubte oder nicht wollte, daß andere Leute denken, er glaube fest an sie. Meinten Sie wirklich, was Sie hier sagen?
VON PAPEN: Dazu darf ich folgendes sagen: Nachdem ich die Koalition mit Hitler gemacht hatte, war ich überzeugt, daß er diesen Pakt der Koalition halten werde, und oft und wiederholt, nicht nur in dieser Rede, habe ich mich damals zu Hitler bekannt und zu dem gemeinsamen Programm, und weshalb ich gerade in dieser Rede für ihn eingetreten bin, das habe ich bereits dem Gericht gesagt; denn hier handelte es sich darum, festzustellen, und zwar vor der ganzen Welt festzustellen, daß das feierliche Bekenntnis Hitlers zum Frieden ein ernstgemeintes Bekenntnis war, das wir alle unterschrieben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich will mich nicht weiter dabei aufhalten. Verstehen Sie, was ich Ihnen vorhalte? Daß Sie in den ersten Monaten Ihrer Kanzlerschaft alle möglichen Versuche unternahmen, Hitler zu sich in die Regierung zu bekommen. Als er das zum zweitenmal ablehnte, da wollten Sie nach Meißners Aussage Gewalt gegen ihn anwenden. Als Schleicher dagegen Einspruch erhob, traten Sie zurück. Als Schleicher dann den Posten übernahm und in Schwierigkeiten geriet, wandten Sie sich wieder Hitler zu. Das ist es, was ich Ihnen vorwerfe, denn es geschah doch auf Ihre Veranlassung hin, daß Sie und Hitler am 4. Januar 1933 eine Besprechung im Hause Kurt von Schröders hatten, nicht wahr?
VON PAPEN: Nein, das ist eine völlig falsche Auffassung. Leider hat das Gericht nicht erlaubt, daß ich über diese Zusammenkunft am 4. Januar mich ausdrücklich geäußert habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Stimmen Sie also mit von Schröder nicht überein, der behauptet, daß die Zusammenkunft auf Ihr Verlangen hin stattgefunden hätte?
VON PAPEN: Ja, ich bin durchaus anderer Ansicht. Diese Zusammenkunft hat stattgefunden auf den Wunsch von Hitler.
VORSITZENDER: Wollen Sie ihn auffordern, uns über die Zusammenkunft vom 4. Januar zu berichten?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, gewiß. Ich werde das sofort behandeln.
Behaupten Sie, daß Hitler diese Zusammenkunft wünschte? Ich halte Ihnen vor, daß von Schröder, der ja der Mittelsmann war, behauptet, daß Sie diese Zusammenkunft verlangt hätten. Sind Sie anderer Ansicht?
VON PAPEN: Ja, ich bin völlig anderer Ansicht, weil es nicht den Tatsachen entspricht, was Herr von Schröder behauptet. Herr von Schröder....
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, dann erzählen Sie dem Gerichtshof selbst, wer diese Zusammenkunft zustande gebracht hat.
DR. KUBUSCHOK: Ich widerspreche der Verwendung des Affidavits Schröder. Bei der Beweiserhebung der Anklage sollte das Dokument vorgelegt werden. Ich verlangte Beibringung des Zeugen, da er sich in der Nähe befindet. Das Gericht stellte der Anklagebehörde anheim, den Zeugen zu stellen. Die Anklage verzichtete darauf, den Zeugen zu stellen. Jetzt soll im Wege des Kreuzverhörs das Affidavit verwendet werden. Ich glaube, das geht nicht, da insoweit die Entscheidung des Gerichts durchkreuzt würde. Das Gericht hatte entschieden: Verwendung mit dem Zeugen. Jetzt würde es ohne den Zeugen verwendet werden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das stimmt, Euer Lordschaft. Ich möchte darauf hinweisen, daß es jedoch etwas anderes ist, es im Kreuzverhör zu verwenden, nachdem Dr. Kubuschok als Teil seiner eigenen Beweisführung einen Bericht über diese Zusammenkunft aus dem Schultheßschen Kalender der Europäischen Geschichte als Beweismittel vorgelegt hat. Sie finden den Bericht in Band I, Seite 27 seines Dokumentenbuches. Wenn Beweismittel dieser Art ins Dokumentenbuch aufgenommen wurden, dann habe ich doch wohl das Recht, dieses Beweismittel im Kreuzverhör auf Grund des Affidavits von Schröders anzufechten.
Ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft, ich hätte weitergehen sollen. Mein Freund hat eine Erklärung des Freiherrn von Schröder selbst vorgelegt, die auf Seite 26 steht. Er sagt, daß Freiherr von Schröder gleichzeitig zur Widerlegung der falschen Pressemeldungen beim Conti-Büro folgende Erklärung abgegeben hat:
»Die Initiative, eine Aussprache zwischen dem ehemaligen Reichskanzler von Papen als dem Repräsentanten weitester nationalkonservativer Kreise und Herrn Hitler als dem alleinigen Führer der nationalsozialistischen Bewegung herbeizuführen, ist einzig und allein von mir persönlich ausgegangen.«
Ich hätte gedacht, daß, da eine Erklärung des Freiherrn von Schröder vorgelegt wurde, ich das Recht habe, sie mit einer anderen Erklärung Schröders anzufechten.
DR. KUBUSCHOK: Darf ich dazu etwas bemerken, Herr Präsident? Es sind zwei ganz verschiedene Dinge. Sir David weist auf ein Dokument hin, das ich aus dem Schultheßschen Geschichtskalender vorgebracht habe. Das ist ein gemeinsames Kommuniqué von Papen und Schröder, das damals in den Zeitungen veröffentlicht worden ist. Ich beanstande jedoch ein Affidavit des Zeugen Schröder und habe damals darauf hingewiesen, und die Anklage hat mir damals darin recht gegeben, daß Schröder im Rahmen der vorliegenden Anklage eine suspekte Persönlichkeit ist und daß er selber an den Dingen so interessiert ist, daß eine Produzierung eines Affidavits nur dann möglich ist, wenn wir die Gelegenheit haben, Herrn von Schröder die entsprechenden Vorhaltungen zu machen. Jedenfalls das, was hier ist, ist nichts anderes als die Wiedergabe zeitgenössischer Dokumente aus dem historischen Geschichtskalender von Schultheß. Diese Dokumente sind in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft vom Gericht angenommen worden.
VORSITZENDER: Sir David! Können Sie dem Angeklagten nicht die Tatsachen vorhalten ohne Beziehung auf das Dokument?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das kann ich leicht, Euer Lordschaft, und werde es auch tun.
Angeklagter! Schlugen Sie nicht bei dieser Zusammenkunft vor, – Verzeihung, ich glaube, wir müssen erst die näheren Umstände feststellen, wo sie stattfand und wer dabei war.
Es war in Baron von Schröders Haus in Köln, glaube ich, oder in seiner Wohnung in Köln, nicht wahr?
VON PAPEN: Ja, aber kein Freund von mir, nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich komme nun zu den Leuten, die im Hause anwesend waren. Bei der Besprechung waren zugegen: von Hitlers Partei er selbst, der Angeklagte Heß, Himmler und Keppler, nicht wahr?
VON PAPEN: Das ist möglich, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Keppler ist der Herr, von dem der Gerichtshof schon gehört hat, daß er sich im März 1938 in Wien aufhielt, nicht wahr?
VON PAPEN: Er war ein Mann, der sich immer in der Begleitung von Hitler befand.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, die Besprechung selbst fand zwischen Ihnen und Hitler statt im Beisein des Herrn von Schröder, nicht wahr?
VON PAPEN: Nein. Vielleicht darf ich dem Gericht einen kurzen Abriß der Verhandlung geben, wie das Gericht gewünscht hat?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich glaube, es ist viel einfacher, wenn ich Ihnen die Tatsachen vorhalte, ich werde mich kurz fassen; der Gerichtshof wünscht es.
Sagen Sie, daß Schröder nicht dabei war?
VON PAPEN: Schröder mag vielleicht Teilen des Gesprächs beigewohnt haben. Ich habe die Erinnerung, daß in der Hauptsache ich allein mit Hitler gesprochen habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und die Unterredung zwischen Ihnen und Hitler fing ungefähr um halb zwölf Uhr vormittags an, nicht wahr?
VON PAPEN: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die erste Sache, die Sie zur Sprache brachten, war, daß Sie Hitler erklärten, daß, obwohl Sie nicht imstande gewesen wären, die beiden Nazis freizulassen, die wegen Ermordung eines Kommunisten zum Tode verurteilt worden waren, Sie versucht hätten, den Präsidenten von Hindenburg zu veranlassen, sie zu begnadigen. Ist das nicht richtig?
VON PAPEN: Ja, ich erinnere mich, daß Hitler mir heftige Vorwürfe machte wegen dieses Todesurteils gegen diese Nationalsozialisten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste Punkt war Ihre Versicherung Hitler gegenüber, daß weder Machenschaften noch Intrigen Ihrerseits Hindenburgs Weigerung, mit Hitler über dessen Ernennung zum Kanzler zu sprechen, veranlaßt hätten. Das war doch der zweite Punkt, daß nicht Sie es waren, der von Hindenburg veranlaßte, diese Unterredung zu verweigern?
VON PAPEN: Ja, ich habe ihm erklärt, daß mein Angebot vom 13. August 1932 an ihn absolut ehrlich gemeint war.
VORSITZENDER: Ich glaube kaum, daß das eine Antwort auf Ihre Frage war, Sir David.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie Hitler nicht erklärt, daß es nicht Ihre Schuld gewesen wäre, daß Hindenburg sich im August 1932 geweigert hatte, die Frage der Ernennung Hitlers zum Kanzler zu besprechen...
VON PAPEN: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE:... als Hitler Hindenburg getroffen hatte.
VON PAPEN: Nein, das kann nicht zutreffend sein, denn nach Ausweis der historischen Akten hat ja Hitler eine Besprechung am 13. August mit Hindenburg gehabt, und Hindenburg hat ihm die Gründe auseinandergesetzt, warum er eine Kanzlerschaft Hitlers ablehnt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Behauptung ist, daß Sie am 4. Januar, nachdem Sie mit Hindenburg gesprochen hatten, zu Hitler sagten: »Ich möchte, daß Sie verstehen, daß es nicht meine Schuld war, daß Hindenburg nicht über die Frage Ihrer Ernennung zum Kanzler sprechen wollte.« Sagten Sie ihm das nicht, daß es nicht Ihre Schuld sei und daß Sie geglaubt hätten, von Hindenburg wäre dazu bereit?
VON PAPEN: Nein, Herr Ankläger, das ist die Behauptung des Herrn von Schröder. Aber das ist nicht richtig.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So, was behaupten Sie nun, ist über von Hindenburg und Hitler gesagt worden? Wenn Sie nicht anerkennen wollen, was ich Ihnen vorhalte, was haben Sie zu sagen?
VON PAPEN: Was Hindenburg Hitler gesagt hat, steht ja in allen Büchern zu lesen, das ist ja geschichtsnotorisch.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, nein. Wir wollen nur wissen – wenn ich mit Genehmigung des Gerichtshofs so sagen darf – was Sie am 4. Januar Hitler gesagt haben. Was haben Sie ihm gesagt, wenn Sie überhaupt etwas gesagt haben über das Verhältnis zwischen dem Präsidenten von Hindenburg und Hitler selbst?
VON PAPEN: Ja, wenn Sie mich hätten eine Erklärung abgeben lassen über den Verlauf der Verhandlung, würde ich das schon gesagt haben.
Im Laufe dieser ganzen Unterhandlung habe ich nichts anderes getan, als Herrn Hitler darauf aufmerksam zu machen, wie notwendig es sei, sich mit Herrn von Schleicher zu einigen, wie notwendig es sei, in seine Regierung einzutreten. Mit anderen Worten, ich setzte die Bemühungen fort, die ich selbst im Jahre 1932 gemacht habe, um die Nazi-Partei zu einer Mitarbeit zu bewegen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie allen Ernstes hier behaupten, daß Sie Hitler gesagt haben, er solle in ein Schleicher-Kabinett eintreten?
VON PAPEN: Im Gegenteil, ich habe ihm gesagt, er soll in ein Schleicher-Kabinett gehen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist ja, was ich Ihnen vorhalte. Ich behaupte, daß das ganz falsch ist. Was Sie Hitler vorschlugen, war, daß es sehr gut wäre, wenn die Konservativen und Nationalisten, deren politische Ansichten mit den Ihren übereinstimmten, sich mit Hitler zur Schaffung einer Regierung zusammentäten. Sie haben ihm das vorgeschlagen, was tatsächlich am 30. Januar dann geschah. Das war es, was Sie ihm bei dieser Besprechung vorgeschlagen haben. Sagen Sie, daß das nicht stimmt?
VON PAPEN: Mit keinem Worte, das ist eine absolute Fälschung. Zum Beweise dafür führe ich folgendes an:
Ich habe unmittelbar nach der Unterhaltung einen Brief an Schleicher geschrieben, am 4. Januar nachmittags. Diesen Brief wird er am 5. morgens gehabt haben. Aber noch bevor Herr von Schleicher diesen meinen Brief über den tatsächlichen Inhalt der Besprechungen erhalten hat, haben die Zeitungen, die Morgenzeitungen vom 5. Januar, eine Riesenhetze gegen mich inszeniert mit der Behauptung, in diesem Gespräch bei Schröder läge eine Illoyalität gegen Schleicher. Nach Berlin zurückgekommen, habe ich mich sofort zu Herrn von Schleicher begeben, und ich habe ihm erklärt, was tatsächlich der Inhalt unseres Gespräches war. Herr von Schleicher hat darüber ein Kommuniqué veröffentlicht. Dieses Kommuniqué...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber er war ja nicht der einzige, der ein Kommuniqué herausgegeben hat. Sie und Hitler haben auch eins herausgegeben.
Ich möchte, daß Sie sich daran erinnern, Angeklagter – ich halte Ihnen vor, daß Sie den Vorschlag gemacht haben, daß Sie und Hitler eine Koalition mit den Konservativen, die hinter Ihnen standen, und den Nationalsozialisten hinter Hitler bilden sollten.
Sehen Sie das Kommuniqué an, das Sie und Hitler herausgaben.
Geben Sie bitte dem Angeklagten Dokument D-637. Euer Lordschaft, dies ist ein neues Dokument, das die Nummer GB-496 erhält.
Sehen Sie sich den Schluß des Dokuments an:
»Adolf Hitler und Herr von Papen übergeben der Öffentlichkeit folgende gemeinsame Erklärung:
Gegenüber unrichtigen Kombinationen, die in der Presse über das Zusammentreffen Adolf Hitlers mit dem früheren Reichskanzler v. Papen vielfach verbreitet wurden, stellen die Unterzeichneten fest, daß die Besprechung sich ausschließlich mit den Fragen der Möglichkeit einer großen nationalen, politischen Einheitsfront befaßt hat und daß insbesondere die beiderseitigen Auffassungen über das zur Zeit amtierende Reichskabinett im Rahmen dieser allgemeinen Aussprache überhaupt nicht berührt worden sind.«
Und nun, Angeklagter, nachdem ich Ihnen in Erinnerung gerufen habe, was Sie selbst herausgegeben haben, stimmt meine Behauptung nicht, daß Sie Hitler vorgeschlagen haben, diese Koalition von Konservativen und Nationalisten, die mit Ihnen politisch übereinstimmten, und mit der Nazi-Partei unter Hitler zu bilden?
VON PAPEN: Nein, Herr Ankläger, in diesem Kommuniqué wird zweierlei festgestellt. Einmal stelle ich fest, daß wir über das Kabinett Schleicher, wie das allgemein in der Presse angenommen wurde, über seinen Sturz oder über seinen Ersatz durch eine andere Regierung überhaupt nicht gesprochen haben. Dann stelle ich fest, daß es notwendig ist, die große nationalpolitische Einheitsfront zu schaffen. Herr von Schleicher präsidierte ja dasselbe Kabinett, das ich präsidiert hatte, mit denselben politischen Kräften. Wenn ich also Hitler auffordere, in dieses Kabinett einzutreten, so ist das genau dieselbe Kombination, als wenn ich ihn aufgefordert hätte, in mein Kabinett einzutreten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will nicht mit Ihnen darüber streiten, Angeklagter. Wenn Sie behaupten wollen, Sie hätten in dem Kommuniqué auf Ihre Weise zum Ausdruck gebracht, daß Sie Hitler gebeten hatten, die Nazis in Schleichers Kabinett zu bringen und daß Sie nicht mit ihm über Bildung einer Koalition gesprochen hätten; wenn Sie behaupten, das Kommuniqué hätte nur das zum Ausdruck gebracht, so habe ich keine Fragen mehr darüber, und ich werde auf eine andere Sache übergehen. Ich habe Ihnen meine Ansicht darüber gesagt und finde, daß das Kommuniqué dasselbe zum Ausdruck bringt.
Nun kommen wir zum nächsten Schritt, den Sie unternahmen. Wollen Sie ableugnen, daß Sie sich im Laufe des Monats Januar darum bemühten, mit Hitler in Verbindung zu treten, sich mit dem Präsidenten von Hindenburg in Verbindung setzten, um Hitler in die Regierung zu bringen? Oder geben Sie das zu?
VON PAPEN: Das stimmt. Ich werde auch sagen, wie es stimmt. Ich habe zwei Unterhaltungen offizieller Art mit Hindenburg gehabt. Am 9. Januar, als ich nach Berlin zurückkam, habe ich mich vom Reichskanzler Schleicher zum Reichspräsidenten Hindenburg begeben. Der Reichskanzler Schleicher, in der Auffassung, daß ich in der Schröder-Unterhaltung gegen ihn illoyal gehandelt hätte, hatte Hindenburg gebeten, mich nicht mehr zu empfangen. Ich habe Herrn von Hindenburg über den tatsächlichen Inhalt der Besprechung Schröder informiert, und nachdem ich mich mit Schleicher geeinigt hatte, war auch Herr von Hindenburg der Überzeugung, daß das Ganze ein großes Mißverständnis gewesen war. Alsdann habe ich Herrn von Hindenburg nach meiner besten Erinnerung erst am 22. Januar offiziell wieder über diese Regierungssachen gesprochen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann wollen wir mal sehen, was der Chef der Präsidialkanzlei dazu zu sagen hat und ob seine Aussage Ihr Gedächtnis auffrischen kann.
Wollen Sie sich Meißners Affidavit ansehen, den zweiten Teil von Absatz 6 an.
Euer Lordschaft! Es ist 11a, Seite 45, ungefähr die siebente Zeile von unten.
Sie sehen, Angeklagter, daß nach dem ersten Abschnitt von Absatz 6 der zweite Teil folgendermaßen beginnt: »Schleicher machte Hindenburg diese Vorschläge zum erstenmal Mitte Januar 1933...«
Der nächste Satz lautet dann:
»Unterdessen war Papen nach Berlin zurückgekehrt und hatte dank Hindenburgs Sohn mehrere Besprechungen mit dem Präsidenten. Als Schleicher seine Bitten um Notvollmacht erneute, erklärte Hindenburg, daß er nicht imstande sei, ihm so eine Blanko-Vollmacht zu geben und daß er sich die Entscheidung in jedem einzelnen Fall vorbehalten müsse. Schleicher seinerseits erklärte, daß es ihm unter diesen Umständen unmöglich sei, in der Regierung zu bleiben und bot am 28. Januar 1933 seinen Rücktritt an.«
Dann Absatz 7:
»Mitte Januar, zu der Zeit, als Schleicher zum erstenmal Ausnahmevollmachten erbat, wußte Hindenburg nichts von den Zusammenkünften zwischen Papen und Hitler – besonders von der Zusammenkunft, die im Hause des kölnischen Bankiers, Kurt von Schröder, stattgefunden hatte. In der zweiten Hälfte Januar spielte Papen eine immer wichtigere Rolle im Haus des Reichspräsidenten, aber trotz der Überredungen von Papen zögerte Hindenburg außerordentlich – bis Ende Januar –, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Er wollte Papen wieder als Reichskanzler haben. Zuletzt konnte Papen ihn auf Hitlers Seite herübergewinnen mit dem Argument, daß die Vertreter der anderen Rechtsparteien, die der Regierung angehören würden, Hitlers Handlungsfreiheit einschränken würden. Außerdem äußerte Papen seine Befürchtungen, daß – sollte die gegenwärtige Ge legenheit wieder verpaßt werden – ein Aufstand der Nationalsozialisten und Bürgerkrieg wahrscheinlich wären.«
Ist das richtig?
VON PAPEN: Nein.
DR. KUBUSCHOK: Darf ich eine Bemerkung machen zur Verwendung des Affidavits Meißner? Das Affidavit – der Fall ist ähnlich, aber nicht ganz gleich dem Falle Schröder – das Affidavit Meißner ist nicht in der Verhandlung dem Gericht angeboten worden. Es war mir jedoch bei der Beweisverhandlung der Anklage zur Kenntnis gekommen, daß ein Affidavit Meißner verwendet werden sollte. Ich habe mich daraufhin mit der Staatsanwaltschaft unterhalten und habe darauf hingewiesen, daß ich mich mit der Vorlegung des Affidavits Meißner keinesfalls begnügen würde, sondern unbedingt Meißner als Zeugen hierher bestellen würde. Der Grund ist der gleiche; die Persönlichkeit des Zeugen Meißner, der an den Dingen sehr beteiligt ist, läßt hier äußerste Vorsicht geraten sein. Die Staatsanwaltschaft hat mir gesagt, sie würde das Affidavit nicht verwenden und hat mir schließlich auch erklärt, daß sie Schröder nicht als Zeugen laden würde. Ich hatte von mir aus keine Veranlassung, den Zeugen zu laden. Ich stehe jetzt in der Lage, daß im Kreuzverhör nunmehr das Affidavit gebracht wird, ohne daß ich den suspekten Zeugen Meißner vor dem Gericht durchleuchten, noch angreifen kann.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Was die Angelegenheit des Affidavits anbelangt, so sagt mir Major Barrington eben, daß er es noch nicht hatte, als er den Fall gegen Papen vorbrachte. Ich verwende es jetzt. Wenn der Gerichtshof nun findet, daß das, was der Zeuge zugibt, genügend von dem Affidavit abweicht, um ein Kreuzverhör zu rechtfertigen, habe ich nicht das geringste gegen einen Antrag für ein Kreuzverhör Meißners durch Dr. Kubuschok einzuwenden.
VORSITZENDER: Was sagen Sie zur Behauptung des Herrn Dr. Kubuschok, daß die Anklagevertretung erklärt hätte, sie würde das Affidavit nicht verwenden?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Das habe ich nicht gesagt. Major Barrington, der mit mir war, erinnert sich auch nicht, daß ich so etwas gesagt hätte. Major Barrington selbst hat das bestimmt niemals gesagt. Das war auch nie unsere Absicht, denn es war doch offensichtlich ein sehr wichtiges Dokument für uns.
VORSITZENDER: Von wann ist es datiert?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vom 28. November. Wir haben Dr. Kubuschok eine Abschrift überreicht.
DR. KUBUSCHOK: Jawohl.
Herr Präsident! Darf ich erklären? Es ist eine verpflichtende Erklärung seitens der Englischen Anklagebehörde, das Affidavit nicht vorzulegen und den Zeugen nicht zu bringen, nicht abgegeben worden. Ich habe aber immer wieder, unter Hinweis darauf, falls das Affidavit verwendet wird, gesagt, daß ich den Zeugen verlange. Ich habe die Anklagebehörde verschiedentlich befragt: »Wird der Zeuge nun von Ihnen gerufen werden oder nicht?« Das ist verneint worden. Worauf ich sagte: »Dann habe ich auch kein Interesse daran; dann werden wir diesen ganzen Komplex fallen lassen, und ich werde diesen Zeugen nicht rufen.«
VORSITZENDER: Das Affidavit scheint vor langer Zeit ausgestellt zu sein?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft.
VORSITZENDER: Tatsächlich war es ungefähr zur Zeit, als der Prozeß begann. Vielleicht sollten Sie sich nur auf die Tatsachen stützen und nicht auf das Affidavit.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin selbstverständlich gerne bereit, den Wünschen des Gerichtshofs zu entsprechen. Sollten irgendwelche Fragen auftauchen und sollte Dr. Kubuschok Herrn Meißner ins Kreuzverhör nehmen wollen, so habe ich von mir aus nichts dagegen. Meiner Ansicht nach bin ich in der Sache Schröder aber in einer etwas anderen Lage. Was die Frage anlangt, ob wir fair handeln, so möchte ich Euer Lordschaft darauf hinweisen, daß gewiß kein Mitglied meines Stabes auch nur einen Augenblick daran dachte, die Verteidigung könne annehmen, daß wir das Dokument nicht gebrauchen würden, denn wir hatten von Anfang an die Absicht, es zu verwenden. Wir haben der Verteidigung eine Abschrift dieses Affidavits gegeben, um sie rechtzeitig davon in Kenntnis zu setzen.
DR. KUBUSCHOK: Jawohl; das ist geschehen, und ich habe es auch dankbar anerkannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich bemühe mich sehr, nicht zuviel Zeit des Gerichtshofs in Anspruch zu nehmen. Ich möchte am liebsten weitergehen und nur die Tatsachen vorbringen und so alle Erörterungen darüber abschneiden.
VORSITZENDER: Sehr gut, tun Sie das.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, Angeklagter, Sie haben erklärt, daß Sie zwei Zusammenkünfte mit dem Präsidenten von Hindenburg gehabt hätten, und dann, nach dem 18. Januar, hatten Sie ein paar Begegnungen mit Hitler, und nach dem 22. Januar Besprechungen mit Göring, wie er in seiner Aussage angegeben hat; nicht wahr?
VON PAPEN: Nein, mit Hitler bin ich nicht zusammengekommen seit dem 4. Januar bis zum 22. Januar.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, sagen wir ungefähr vier Tage lang. Aus den Akten der Nazi-Partei geht hervor, daß Sie die Verhandlungen am 18. Januar angefangen haben. Wir wollen nicht über einen oder zwei Tage streiten. Die maßgebliche Zusammenkunft war diejenige, die mit Oskar von Hindenburg im Hause des Angeklagten von Ribbentrop zustande gebracht wurde, nicht wahr?
VON PAPEN: Es war eine Vorbesprechung; sie war jedenfalls die erste Fühlungnahme mit den Nationalsozialisten, mit Hitler und mit Göring.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und bei dieser Zusammenkunft in Ribbentrops Haus unterhielt sich Oskar von Hindenburg mit Hitler etwa eine Stunde lang unter vier Augen. Stimmt das nicht?
VON PAPEN: Das ist möglich. Ich erinnere mich nicht mehr daran.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danach kam man zum Entschluß, daß Hitler Reichskanzler in der neuen Regierung werden würde, daß er den Angeklagten Frick als Innenminister und den Angeklagten Göring als Minister ohne Portefeuille in die Regierung bringen würde und daß er selbst als Kanzler Regierungschef würde?
VON PAPEN: Nein, am 22. haben wir uns keineswegs darauf geeinigt, sondern wir haben uns darauf beschränkt...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sagte nur, daß das im Laufe einiger Tage zwischen Ihnen beschlossen wurde; nicht wahr?
VON PAPEN: Ja, aber es ist sehr wichtig, festzustellen – verzeihen Sie, daß ich das hinzufüge: Wir haben diese Besprechungen erst begonnen, nachdem es feststand, daß Herr von Schleicher keine Regierung bilden konnte, nachdem der Spaltungsversuch mit der Nazi-Partei mißglückt war. Das ist sehr wichtig.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Behaupten Sie nun dem Gerichtshof gegenüber, daß Sie zu dem Zeitpunkt alles das, was Sie zugeben unternommen zu haben, um Hitler zur Macht zu bringen, nur darum taten, weil er an der Spitze der größten Partei im Reichstage stand, oder weil Sie dachten, er wäre der geeignetste Mann damals für den Posten des deutschen Reichskanzlers? Was war nun Ihr Motiv?
VON PAPEN: Mein Motiv, Herr Ankläger, war sehr einfach. In der Lage, die nach dem 23. Januar entstanden war, gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Verfassungsbruch mit Bürgerkrieg oder eine Regierung mit Hitler an der Spitze.
Ich glaube, ich habe das sehr ausführlich dem Gericht geschildert.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was ich von Ihnen wissen möchte, Angeklagter, ist: Sie hatten damals diese Besprechungen mit Hitler; Sie selbst sind doch auch Kanzler von Deutschland gewesen. Dachten Sie damals, daß Hitler mit seiner Person, seinen Zielen und Absichten der richtige Kanzler für Deutschland sein würde? Das ist doch eine sehr einfache Frage. Ich will eine gerade Antwort. Waren Sie der Ansicht, daß es gut für Deutschland wäre, Hitler, so wie Sie ihn damals kannten, zum Reichskanzler zu haben?
VON PAPEN: Darauf kann ich nur sagen, daß die Koalition, die ich im Auftrage des Reichspräsidenten geformt habe, eine Zwangslösung war. Es entstand nicht die Frage, ob er besser oder schlechter war; wir mußten ihn nehmen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, dann wollen wir einmal sehen. Ich glaube, Sie sagten, daß Sie gar nicht so sicher waren, daß Hitler die Opposition ausschalten würde, ehe er selbst zur Macht käme. Wie lange brauchten Sie, nachdem Hitler schon Reichskanzler geworden war, um zu erkennen, daß er die Absicht hatte, alle Opposition auszuschalten?
VON PAPEN: Das habe ich endgültig erkannt, als ich den letzten Versuch machte in der Marburger Rede, ihn auf das gemeinsame Programm festzulegen, und als dieser Versuch scheiterte...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war 18 Monate später, am 17. Juni 1934. Wollen Sie dem Gerichtshof erklären, daß Sie 17 Monate gebraucht hätten, um darauf zu kommen, daß Hitler die Opposition zerbrechen wollte?
VON PAPEN: Nein, ich habe ja dem Gericht gesagt...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie noch an ein oder zwei Dinge erinnern. Erinnern Sie sich an Herrn Ernst Heilmann, der Führer der Sozialdemokraten im Preußischen Landtag war?
VON PAPEN: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, er gehörte zusammen mit Ihnen zehn Jahre lang dem Preußischen Landtag an. Er kam sofort in ein Konzentrationslager, wo er mit der größten Grausamkeit behandelt wurde, nicht wahr?
VON PAPEN: Das habe ich erst später hier erfahren; das habe ich nicht gewußt damals.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie vor dem Gerichtshof behaupten, daß Sie im Jahre 1933 nicht wußten, daß Ernst Heilmann in ein Konzentrationslager kam?
VON PAPEN: Ich habe lediglich gewußt, daß eine Reihe von politischen Gegnern aus der Kommunistischen und Sozialistischen Partei von der Gestapo ins Konzentrationslager geschickt worden war; das habe ich gewußt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie bitte meine Frage beantworten. Da war also der Führer der Sozialdemokratischen Partei im Preußischen Landtag, ein Mann, der mit Ihnen zusammen zehn Jahre lang im Parlament saß. Wollen Sie sagen, Sie wußten nicht, daß man ihn in ein Konzentrationslager gebracht hatte?
VON PAPEN: Ich erinnere mich nicht, nein. Ich glaube, daß ich es erst hier erfahren habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt will ich Ihnen noch einen bekannten Namen nennen, Carl von Ossietzky, dem der Friedens-Nobelpreis verliehen worden war, ein Schriftsteller und Journalist. Wußten Sie auch von ihm nicht, daß er ins Konzentrationslager gekommen war?
VON PAPEN: Ich habe Herrn Ossietzky nur in Erinnerung als Herausgeber einer periodischen Zeitschrift, sonst ist mir nichts über ihn bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wußten nicht, daß er im Jahre 1936 den Friedens-Nobelpreis erhielt?
VON PAPEN: Das konnte ich unmöglich im Jahre 1933 wissen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein. Aber Sie wußten auch nicht, daß er ihn später bekommen hat; wußten Sie nicht, daß er eingesperrt wurde?
VON PAPEN: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich dachte, ich hätte seinen Namen mit dem Ihrigen in Zusammenhang bringen können. Nehmen wir jemand anderen, nehmen wir Dr. Ernst Eckstein, der Reichstagsabgeordneter und ein sehr bekannter Rechtsanwalt in Breslau war. Wußten Sie, daß er in ein Konzentrationslager gebracht worden war?
VON PAPEN: Nein, ich habe Dr. Eckstein nicht gekannt, leider.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Oder Dr. Joachim, den sozialdemokratischen Rechtsanwalt aus Berlin; wußten Sie, daß er in ein Konzentrationslager gekommen war?
VON PAPEN: Nein, ich habe ihn nicht gekannt, und ich habe es auch nicht gewußt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und abgesehen von diesen Einzelfällen, wußten Sie nicht, daß innerhalb weniger Monate, nachdem Hitler Kanzler geworden war, Hunderte, wenn nicht Tausende von Sozialdemokraten und Kommunisten in Konzentrationslager gebracht wurden?
VON PAPEN: Tausende?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, sagen wir Hunderte, wenn Ihnen das lieber ist. Das ist die Ziffer, die Göring zugegeben hat. Nehmen wir also Hunderte von Sozialdemokraten und Kommunisten. Minister Severing schätzte die Zahl jeder Partei auf 1500; wußten Sie das nicht?
VON PAPEN: Ich erinnere mich sehr genau, als der Angeklagte Göring eines Tages in das Kabinett kam, nachdem er das Hauptquartier der Kommunistischen Partei, das Liebknecht-Haus, polizeilich ausgenommen hatte, und dem Kabinett mitteilte, er habe eine Unmenge von Akten gefunden, aus denen hervorgehe, in welchem Maße Kommunisten und andere Elemente versuchten, die öffentliche Ordnung zu stören und die neue Regierung zu stürzen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie meine Frage beantworten. Wußten Sie nicht, daß Hunderte von Sozialdemokraten und Kommunisten in Konzentrationslager gebracht wurden?
VON PAPEN: Nein, Hunderte, das war mir unbekannt. Ich habe gewußt, daß einzelne Führer ins Konzentrationslager geworfen worden waren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In Ihrer Aussage vor Gericht haben Sie angegeben, daß der Amnestieerlaß vom 21. März denen ähnlich war, die schon früher herausgekommen waren. Das war doch eine ausgesprochen einseitige Amnestie, nicht wahr? Es war nur eine Amnestie für diejenigen, die in der nationalen Revolution gekämpft hatten, das heißt, eine Amnestie für die Nazis. Aber keine Amnestie für Kommunisten oder Sozialdemokraten oder sonst jemanden, der zur Gegenpartei gehörte, nicht wahr?
VON PAPEN: Ganz richtig, ja. Es war ein Amnestieakt für die Leute, die gegen das Zustandekommen der Regierung gearbeitet hatten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wußten das also. Sehen wir uns noch einmal Ihre Essener Rede an, Ihr eigener Bericht über Ihr Tun; Seite 54 des Dokumentenbuches 11. Sie haben mir gerade erklärt, daß alles, was Sie in dieser Rede gesagt hatten, auf Wahrheit beruhte – das war im November –, daß Sie versucht hätten, die Arbeit der nationalsozialistischen Bewegung und ihres Führers mit allen Kräften zu unterstützen. Später haben Sie, wie Sie hier lesen können, gesagt, daß Sie »von der gütigen Vorsehung dazu ausersehen worden waren, die Hand des Führers und des Kanzlers in die Hand des geliebten Feldmarschalls zu legen«.
Im November 1933 mußten Sie doch ziemlich eindeutig festgestellt haben, wie Hitler, Ihr Kanzler und Führer, mit denjenigen verfuhr, die seine politischen Gegner waren. Sie haben uns Ihren Standpunkt ja schon klargemacht, warum sagten Sie dann, wie stolz Sie darauf wären, die Nationalsozialistische Partei mit aller Ihrer Kraft unterstützt zu haben, wenn Sie nicht damit einverstanden waren?
VON PAPEN: Wir haben gegen die Verstöße Hitlers und der Partei gegen die Koalitionspolitik nach unseren besten Kräften innerhalb des Kabinetts opponiert. Gewiß waren uns die Verstöße bekannt. Ich habe persönlich in vielen Reden, die hier dem Gericht nicht vorliegen, auch auf diese Verstöße hingewiesen, aber solange dieser Koalitionspakt bestand, mußte ich doch hoffen, daß wir uns durchsetzen würden und deshalb, nur aus diesem Grunde, habe ich Hitler meiner Loyalität versichert, damit er seinerseits auch loyal gegen uns andere sein sollte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will Ihnen nun die letzten Worte vorlesen. Sie wenden sich hier in einem besonderen und sehr vorsichtig gehaltenen Aufruf an Ihre katholischen Landsleute und sagen:
»Lassen Sie uns in dieser Stunde dem Führer und dem neuen Deutschland sagen, daß wir an ihn und sein Werk glauben.«
Warum haben Sie so gesprochen, wo Sie doch im November 1933 wissen mußten, daß es sein Programm war, jeden Widerstand zu brechen, seine politischen Gegner zu zerschmettern, die Gewerkschaften aufzulösen und sich selbst zum uneingeschränkten Herrscher Deutschlands zu machen? Warum haben Sie solche Reden gehalten, wenn Sie nicht an ihn glaubten und nicht mit allem, was Hitler wollte, einverstanden waren?
VON PAPEN: Das will ich Ihnen ganz genau sagen. Sie wissen, daß ich im Juli dieses Jahres das Konkordat abgeschlossen hatte und daß ich von Hitler die Versicherung erhalten hatte, den religiösen Frieden zur Basis seiner Politik zu machen. Je mehr es gelang, konservative Elemente hinter die Regierung zu bringen, um so besser mußte es für die Erfüllung meines Programms sein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das Ihre Antwort ist, dann gehen wir zu einem anderen Punkt über. Ich glaube, Sie haben heute angegeben, oder Sie haben sogar vor ein paar Minuten gesagt, daß Sie nach und nach herausfanden, mit was für Leuten Sie da zusammensaßen, als Sie am 17. Juni Ihre Marburger Rede hielten. Glauben Sie bitte nicht, daß ich beleidigend sein will...
VORSITZENDER: Die russische Übersetzung kommt hier auf derselben Leitung durch wie die französische. Machen wir jetzt eine Pause.