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[Zum Zeugen gewandt:]

Drückt das richtig Ihre Ansichten aus: »... bis die am 30. 6. 1934 erfolgten Morde und deren Rechtfertigung durch Hitler ihn« – das sind doch Sie – »überzeugten, daß seine Hoffnungen und Bemühungen umsonst gewesen seien.« Stimmen Sie damit überein? Das ist doch ein Fragebogen, der von Ihrem eigenen gelehrten Herrn Verteidiger vorgelegt worden ist?

VON PAPEN: Ja, ich stimme damit überein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das Ihre Ansicht ist, warum schrieben Sie dann diese Briefe, in denen Sie so eine widerliche Bewunderung für Hitler zum Ausdruck bringen?

VON PAPEN: Was ich in dem Fragebogen zum Ausdruck bringen will, oder was ich Herrn Lersner fragen will, ist folgendes: Ist es richtig...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die Antworten, die der Zeuge erwartet, gehen ja aus seinen Fragen hervor. Dies ist eines der besten Beispiele für eine Suggestivfrage, das ich je gesehen habe. Sie sagen, daß dieser Fragebogen Ihre Ansicht ausdrückt, nicht wahr?

VON PAPEN: Ich darf vielleicht sagen, wenn ich dieser Ansicht war, daß mit dem 30. Juni es offensichtlich wurde, daß eine weitere Zusammenarbeit mit Hitler nicht mehr möglich war und daß infolgedessen das Koalitionsprogramm, das zwischen uns vereinbart war, zusammengebrochen war,...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen doch immer wieder, daß Ihre Loyalität und Bewunderung unverändert geblieben seien und daß Sie für ihn gearbeitet hätten: »Ich bleibe Ihnen in Treue verbunden in Ihrer Arbeit für unser Deutschland.«

Wenn Ihre Ansicht so war, wie sie in dem Fragebogen zum Ausdruck kommt, daß die Grundlagen Ihres Glaubens erschüttert worden waren, warum schreiben Sie, daß Sie dem Werk Hitlers für Deutschland loyal ergeben bleiben?

VON PAPEN: Ich habe Ihnen und dem Gericht schon erklärt, daß ich hoffte, daß trotz dem Zusammenbruch der inneren Lage Hitler auf dem Gebiet der Außenpolitik eine vernünftige Politik machen würde. Er war aber da, wir konnten ihn doch nicht wegschaffen, wir hatten doch mit Hitler zu rechnen und mit seiner Regierung. Alle die Herren haben ja weiter mitgearbeitet, ich bin der einzige gewesen, der ausgetreten ist. Alle diese Briefe, durch welche Sie beweisen wollen, daß ich unaufrichtig oder nicht wahrheitsgetreu sei, oder wie Sie es nennen, daß ich ein Lügner oder ein Betrüger sei, können vor der Welt die Tatsache nicht ableugnen, daß ich damals meinen Abschied genommen habe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und elf Tage später eine andere Beschäftigung angenommen haben. Elf Tage nach dem letzten Brief haben Sie es übernommen, diese – ich will nicht sagen Mörderbande – sondern diese Regierung, die sich des Mordes zur Verwirklichung ihrer politischen Ideen bediente, als Bevollmächtigter für Österreich zu vertreten. Das war elf Tage nach Ihrem letzten Brief.

Wir wollen sehen, ob das Mordmotiv nicht auch in dieser Angelegenheit eine Rolle spielt. Glaubten Sie, daß Hitler hinter dem Juli-Putsch in Österreich gesteckt hatte, durch den es zur Ermordung des Kanzlers Dollfuß gekommen ist?

VON PAPEN: Ich wußte, daß der von ihm für die Führung der österreichischen Partei abgeordnete Herr Habicht jedenfalls mit dieser Sache im Zusammenhang stand. Daß Herr Hitler selber diesen Akt gebilligt hätte, das ist mir nicht bekannt gewesen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Glaubten Sie, daß das Deutsche Auswärtige Amt etwas mit dem Juli- Putsch zu tun hatte?

VON PAPEN: Das deutsche Außenamt hat mit dem Juli-Putsch gar nichts zu tun nach meiner Auffassung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Glaubten Sie, daß Dr. Rieth – wenn das sein Name ist – ja richtig, Rieth, der Deutsche Gesandte in Wien – glaubten Sie, daß er hinter dem Putsch steckte?

VON PAPEN: Nein, mir ist nur bekannt, daß Dr. Rieth mit der Österreichischen Regierung verhandelt hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wußten also nicht, daß Hitler dahintergesteckt hatte. Sie bestreiten, daß das Deutsche Auswärtige Amt damit zu tun hatte. Sie wußten nicht, daß Dr. Rieth dahintergesteckt hatte? Jetzt sehen Sie sich einmal Seite 96 des Dokumentenbuches 11a an, Seite 79 und 80 im deutschen Text.

Es ist ein Bericht von Ihnen vom nächsten Jahr. Ich behandle ihn außerhalb der zeitlichen Reihenfolge, weil Sie darin in einem Satz die Tatsachen zusammenfassen. Und wenn Sie sich den Absatz ansehen – ich glaube, es ist der letzte auf Seite 79 im deutschen Text.

Es ist der vorletzte Absatz auf Seite 96 des Dokumentenbuches 11a, Euer Lordschaft.

Ich zitiere:

»Die von der persönlichen Unterredung zwischen dem Führer und Reichskanzler und dem Italienischen Staatschef zu Stresa erhoffte Ausgleichung des deutsch-italienischen Gegensatzes wurde durch die drohende Stellungnahme Mussolinis, anläßlich der Erschießung seines Freundes Dollfuß, wie durch die Teilmobilisierung italienischer Korps am Brenner in das schroffe Gegenteil gewandelt. Es zeigte sich, daß der durch meine Entsendung nach Wien gemachte Versuch, ›normale und freundschaftliche Beziehungen wiederherzustellen‹, nach dem Vorausgegangenen nicht ohne weiteres möglich war. Das Mißtrauen in die Gewaltmethoden der NSDAP Österreichs« – sehen Sie sich bitte die nächsten Worte an – »beeinflußt, wie sich durch die geführten Prozesse immer mehr herausgestellt hatte, von führenden reichsdeutschen Persönlichkeiten – war zu groß, der Eindruck der terroristischen Methoden und des Todes des Bundeskanzlers zu nachhaltig auf weiteste Kreise gewesen.«

Sagen Sie dem Gerichtshof, Angeklagter, wer waren die führenden deutschen Persönlichkeiten, von denen Sie hier sagen, daß sie den Juli-Putsch vom Jahre 1934 und den Dollfußmord unterstützt haben? Wer waren sie?

VON PAPEN: Keinesfalls der frühere Deutsche Gesandte in Wien, Herr Rieth, sondern ausschließlich der Herr Habicht und die ihm untergeordneten Persönlichkeiten, welche damals im Auftrage von Hitler die österreichische Politik der Nazis geleitet haben.

Aber ich darf darauf aufmerksam machen, daß in diesem Satz ja steht: »Das Mißtrauen in die Gewaltmethoden der Nazis Österreichs,... wie es sich durch die geführten Prozesse immer mehr herausgestellt hat...« – das ist ja eine Erkenntnis, die wir ein Jahr später gehabt haben, nicht damals, als ich beauftragt wurde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will folgendes wissen: Ich habe gefragt, wer die führenden reichsdeutschen Persönlichkeiten waren? Wollen Sie etwa behaupten, daß Habicht, der nur ein Verbindungsmann der NSDAP in Österreich war, eine führende reichsdeutsche Persönlichkeit gewesen sei. Wer waren sie denn? Sie wollen doch nicht sagen, daß österreichische Nazis führende reichsdeutsche Persönlichkeiten gewesen sind? Wer waren die führenden reichsdeutschen Persönlichkeiten, von denen Sie da sprechen?

VON PAPEN: Die führende Persönlichkeit war zweifellos Herr Habicht. Aber dieser Brief ist auch geschrieben, um dem Hitler zu sagen: »Hier, bitte, sieh', was Du angerichtet hast.«

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie ernstlich, daß der Gerichtshof diese Behauptung als Grundlage zur Beurteilung Ihrer Glaubwürdigkeit annimmt, daß Sie mit »leitenden reichsdeutschen Persönlichkeiten« Herrn Habicht gemeint haben und sonst niemand, obwohl Sie den Plural verwendet haben. Wollen Sie, daß der Gerichtshof das annehmen soll? Denken Sie gut nach, ehe Sie antworten. Erinnern Sie sich nicht, daß General Glaise-Horstenau sich nicht einmal des Namens von Habicht entsinnen konnte, als er hier aussagte. Sie können doch nicht ernstlich behaupten, daß Sie einen Agenten der österreichischen NSDAP als »führende reichsdeutsche Persönlichkeit« bezeichnet haben. Sie können uns doch bestimmt eine bessere Antwort geben. Denken Sie nochmal darüber nach, und sagen Sie dem Gerichtshof, wen Sie damit meinten.

VON PAPEN: Herr Ankläger! Herr Habicht war nicht ein Agent, sondern Herr Habicht war von Hitler eingesetzt, als der Führer der österreichischen Partei, also kann ich ihn doch mit Recht eine führende Persönlichkeit nennen. Wenn Hitler selbst damals von den Dingen Kenntnis gehabt hat, dann wird er ja beim Lesen meines Briefes gewußt haben, worauf ich anspiele.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber auch wenn ich Ihnen Habicht zugestehen wollte, was ich jedoch bestimmt nicht tun werde, so ist das doch nur ein einziger Mann. Wer waren aber die anderen? Sie sprechen von reichsdeutschen Persönlichkeiten. Wer sind denn die anderen Leute, die hinter diesem Putsch und Mord gesteckt haben?

VON PAPEN: Ich muß nun offen sagen, daß nach zwölf bis dreizehn Jahren, die seit damals vergangen sind, ich mich nicht mehr erinnern kann, welche Leute ich im Auge gehabt habe, als ich das schrieb. Jedenfalls war der Zweck dieses Briefes, und das wird Ihnen einleuchten, Herrn Hitler zu sagen, diese Methoden, die dort angewandt sind, waren viel schädlicher, viel unglaublicher, als wir es damals gewußt haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, ich nehme das hin. Gehen wir jetzt von der Tatsache aus, daß Sie von verschiedenen ungenannten prominenten reichsdeutschen Persönlichkeiten wußten, die hinter der Ermordung Dollfuß' gesteckt hatten.

Wir wollen nun weitergehen und sehen, was Sie über Herrn Messersmith sagen. Soweit ich verstehe, bestreiten Sie mit ziemlicher Heftigkeit, wenn ich so sagen darf, was er über Sie sagt. Darum wollen wir uns noch einmal ansehen, was er sagt und wieviel davon Sie ernstlich als unwahr bezeichnen wollen.

Euer Lordschaft! Ich glaube, ich habe Ihnen gestern gesagt, auf welche Dokumente ich mich berufen werde. Affidavit 1760-PS finden wir im Dokumentenbuch 11; auf Seite 22 ist die wesentliche Stelle. Die andere eidesstattliche Versicherung ist 2385-PS, auf Seite 24, Buch 11a. Sie ist etwas kürzer.

Ich glaube, Angeklagter, Sie sollten sich Dokument 1760-PS ansehen, es beginnt auf Seite 3. Ich möchte, daß Sie sich die Stelle in der eidesstattlichen Erklärung heraussuchen – ich fürchte, ich kann Ihnen nicht genau die deutsche Stelle angeben – in der er über Sie spricht.

Es ist auf Seite 22, Euer Lordschaft.

Der Absatz beginnt: »Daß die Anschlußpolitik vollkommen unverändert blieb, wurde mir von Franz von Papen bei seiner Ankunft in Wien als Deutscher Gesandter bestätigt.«

Haben Sie die Stelle gefunden, Angeklagter?

VON PAPEN: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auf Seite 12 der deutschen Übersetzung.

VON PAPEN: Seite 12?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Seite 12 genau in der Mitte der Seite.

VON PAPEN: Ja. Seite 12, ich habe es.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht können Sie den Absatz finden, der beginnt: »Daß die Anschlußpolitik vollkommen unverändert blieb, wurde mir von Franz von Papen bei seiner Ankunft in Wien als Deutscher Gesandter bestätigt.« Können Sie das finden? Es steht ungefähr auf der Mitte der Seite.

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wenn Sie sich das Affidavit des Herrn Messersmith etwas weiter unten ansehen, finden Sie folgendes:

»Als ich von Papen in der Deutschen Gesandtschaft besuchte, begrüßte er mich mit den Worten: ›Jetzt sind Sie in meiner Gesandtschaft, und ich kann die Unterhaltung führen.‹ In offenster und zynischster Art und Weise fuhr er dann fort, mir zu erzählen, daß ganz Südeuropa bis zu der türkischen Grenze Deutschlands natürliches Hinterland sei und daß er dazu berufen sei, die deutsche wirtschaftliche und politische Kontrolle über dieses ganze Gebiet für Deutschland zu erleichtern. Er sagte offen und ungeschminkt, daß das Erreichen der Kontrolle über Österreich der erste Schritt hierzu sei. Er erklärte mit Bestimmtheit, daß er in Österreich sei, um die Österreichische Regierung zu untergraben und zu schwächen und um von Wien aus an einer Schwächung der Regierung in anderen Staaten im Süden und Südosten zu arbeiten. Er sagte, daß er seinen Ruf als guter Katholik ausnützen werde, um Einfluß auf gewisse Österreicher wie Kardinal Innitzer zu diesem Endzweck auszuüben. Er sagte, daß er mir das erzähle, weil die Deutsche Regierung sich auf dieses Ziel, nämlich die Kontrolle über Südeuropa zu erhalten, festgelegt habe und daß nichts sie zurückhalten könne und daß unsere eigene Politik und die Politik Frankreichs und Englands nicht realistisch sei.«

Sodann sagt Herr Messersmith, er habe Ihnen gesagt, er sei empört, worüber Sie nur gelächelt und gesagt hätten, daß diese Unterhaltung natürlich nur zwischen Ihnen und Herrn Messersmith bleiben dürfe und daß Sie zu anderen nicht so offen sprechen würden.

Er fährt fort:

»Ich bin bei dieser Unterhaltung in Einzelheiten gegangen, weil sie kennzeichnend für die unbedingte Offenheit und Unumwundenheit ist, mit der hohe Nazi-Beamte von ihren Zielen sprachen.«

Nun haben Sie dem Gerichtshof erklärt, daß Sie Herrn Messersmith nichts Derartiges gesagt hätten. Wenn wir einmal absehen davon, ob Sie das Herrn Messersmith gesagt haben oder nicht, wollen Sie abstreiten, daß dies Ihre Ziele und Absichten waren?

VON PAPEN: Ja, ich streite absolut ab, daß meine Zwecke und Ziele die gewesen sind, die Herr Messersmith in seinem Affidavit hier angibt. Ich habe gestern das Gericht...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will das zuerst nur kurz besprechen. Wollen Sie noch einmal das Dokument aufnehmen, das Sie eben erst betrachtet haben? Es ist das Dokument 2248-PS.

Euer Lordschaft! Es befindet sich auf Seite 96 im Dokumentenbuch 11a. Ich möchte auf Seite 97 übergehen, Seite 81 im deutschen Buch.

Nun, Angeklagter, dies war Ihre Anschauung im Jahre 1935. Sehen Sie sich den Anfang von Seite 81 im deutschen Text an.

Euer Lordschaft! Es ist der erste Abschnitt auf Seite 97:

»Die große historische Rede des Führers vom 21. Mai d. J. und später das Flottenabkommen brachten eine starke außenpolitische Entlastung nach der englischen Seite. Aber die klare und endgültige Definierung des Verhältnisses des Nationalsozialismus zur sowjetischen Staatsdoktrin hatte die russisch-französischen Bemühungen, uns im Osten und Südosten lahm zu legen, selbstverständlich verdoppelt, ohne zugleich durch den klaren Verzicht auf die Annektion oder den Anschluß Österreichs eine Entlastung nach der Gegenseite zu erzielen.

Der Versuch jeder wirtschaftlichen und mehr noch jeder politischen Offensive des neuerstandenen Dritten Reiches nach dem europäischen Südosten muß zwangsweise auf eine gesamteuropäische Front stoßen.«

Wer hat Sie denn auf die Idee einer wirtschaftlichen oder politischen Offensive nach dem Südosten Europas gebracht? Hatten Sie das mit dem Angeklagten von Neurath besprochen?

VON PAPEN: Nein, durchaus nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Glauben Sie, daß Sie in Ihrem eigenen Namen gesprochen haben?

VON PAPEN: Selbstverständlich, ich stelle ja nur eine Negative fest. Ich stelle fest, Sir David, daß ein Vordrängen in den Südostraum an die gesamte europäische Front stoßen muß. Also ich warne davor.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie werden verstehen, Herr von Papen, daß ich im Augenblick keine Erklärung dazu abgeben kann. Ich kann nur Ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge lenken. Ich frage Sie lediglich, ob der Außenminister es war, der Sie auf diese Idee gebracht hat, oder ob es Ihre eigene Idee war. Sie sagen, es war Ihre eigene Idee.

VON PAPEN: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich nun Seite 82 an.

Es ist auch auf Seite 97 im englischen Text.

Sie fahren dort wie folgt fort:

»Diese realpolitische Betrachtung der europäischen Konstellation ergibt ohne weiteres, daß das deutsch- österreichische Problem, in der nahen Zukunft jedenfalls, von der außenpolitischen Seite mit Erfolg nicht angefaßt werden kann. Wir müssen uns vorläufig damit bescheiden, den internationalen Status Österreichs für eine spätere Lösung nicht verschlechtern zu lassen. In dieser Beziehung scheint die Gefahr eines Nichteinmischungspaktes mit bilateralen Sicherungsverträgen erfolgreich abgewehrt. Das Heranreifen einer Lösung war und bleibt nur der Gestaltung des deutsch-österreichischen Verhältnisses in sich überlassen.«

Warum fürchteten Sie sich so sehr vor einem Nichteinmischungspakt, wenn Ihrer Meinung nach die österreichische Frage nur auf evolutionärem Wege und nur durch den eigenen Willen Österreichs gelöst werden sollte? Warum befürchteten Sie einen Nichteinmischungspakt, der das Reich verpflichten würde, sich in die Politik Österreichs nicht einzumischen?

VON PAPEN: Aus einem sehr einfachen Grunde. Alle politischen Kombinationen, die damals von der Gegenseite getroffen wurden, hatten nur das eine Ziel, Österreich in eine Kombination hineinzustellen, sei es ein Donau-Pakt, sei es ein Pakt mit Italien und Frankreich, eine Situation, die es unmöglich machte, den Anschlußgedanken vorwärtszubringen. Infolgedessen mußte unser selbstverständliches politisches Ziel sein und bleiben, den internationalen Status Österreichs nicht verschlechtern zu lassen, wie ich es hier ausgeführt habe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, das ist die Antwort, die ich von Ihnen erwartet habe. Sehen Sie sich nun den nächsten Absatz auf Seite 83 an:

»Die deutsche Nation hat durch Jahrhunderte einen wahren Leidensweg für die Erringung ihrer Einheit durchschreiten müssen. Mit dem Aufbruch des Nationalsozialismus und der Begründung des Dritten Reiches durch die endgültige Erschlagung allen einzelstaatlichen Partikularismus schien eine einzigartige, nie wiederkehrende Gelegenheit gegeben, Bismarcks Werk zu vollenden und das deutsch-österreichische Verhältnis – als dynamische Folge des innerdeutschen Geschehens – einer Lösung näherzubringen.«

Ich möchte versuchen, ganz kurz darzulegen, was Sie mit der Vollendung des Werkes dieses Mannes meinen, weil ich hoffe, daß wir über die ältere Geschichte nicht verschiedener Meinung sind, was wir auch über die neuere Geschichte denken mögen. Ich verstehe Ihre Ansicht dahin, daß die Gründung des Deutschen Reiches durch Bismarck vom Jahre 1871 nur der Versuch einer Lösung war, die das Habsburger Reich von Deutschland getrennt hielt und daß die endgültige Vollendung seines Werkes darin bestehen sollte, die alten Habsburgischen Hausländer zusammen mit den Ländern zurückgeführt werden sollten, die zum Heiligen Römischen Reich gehört hatten. Ist das nicht im großen und ganzen, was Sie meinen?

VON PAPEN: Ganz recht. Nicht die Habsburger Staaten alle, sondern Österreich, der deutsche Anteil.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die ursprünglichen Habsburger Gebiete?

VON PAPEN: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Richtig. Ich hoffe, ich drücke mich objektiv genug aus.

VON PAPEN: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was haben Sie gemeint, wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, daß das deutsch-österreichische Verhältnis als »dynamische Folge des innerdeutschen Geschehens« einer Lösung näherzubringen wäre? Was haben Sie damit gemeint?

VON PAPEN: Damit meine ich folgendes: Noch niemals in der deutschen Geschichte war es vorgekommen, daß eine große Partei, welche die Einheit Deutschlands auf ihre Fahne geschrieben hatte, in beiden Ländern bestand. Das war eine einmalige historische Erscheinung, und ich wollte damit ausdrücken, daß die Dynamik dieser Bewegung in beiden Ländern, die auf eine Einheit drängt, eine Aussicht auf eine Lösung gibt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie bitten, Angeklagter, mir folgenden schwierigen Punkt zu erklären: Wie konnten Sie eine Zustimmung zu einer Zentralisierung in Deutschland mit einer Nazi-Regierung, deren skrupelloses Programm Sie doch nach den Ereignissen vom 30. Juni 1934 kennen mußten, in Einklang bringen – wie konnten Sie ein skrupelloses zentralisiertes Deutschland mit einer evolutionären Lösung des österreichischen Problems in Einklang bringen? Das ist nämlich, was dieser Abschnitt zum Ausdruck bringt. Ich behaupte, daß sein eigentlicher Sinn viel einfacher ist, als Sie uns gesagt haben. Er bedeutet nämlich, daß Sie darauf aus waren, Österreich bei der ersten Gelegenheit in das nationalsozialistische Reich einzuverleiben.

VON PAPEN: Selbstverständlich mußte ich mit den gegebenen Verhältnissen rechnen und habe mit ihnen gerechnet wie jeder Realpolitiker. Also ich wollte versuchen, mit Hilfe der vorhandenen Faktoren der Nationalsozialistischen Partei in beiden Ländern zu einer Lösung zu kommen, aber ich sehe keinen Widerspruch, Sir David. Sie sagen, wieso ich mein Ziel erreichen könnte durch Zentralismus. Wenn Sie das Ende meines Berichtes gütigst sehen wollen, dann werden Sie finden, daß ich Hitler ja einen Dezentralismus vorschlage.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was ich im Augenblick von Ihnen hören will, ist eine Erklärung Ihres Ausdruckes »dynamische Folge des innerdeutschen Geschehens«. Kurz gesagt, Angeklagter, Sie sollen sich darüber klar werden – es ist nicht meine Sache, darüber mit Ihnen zu streiten –, daß der erste Punkt der Erklärung des Herrn Messersmith die Frage dieser Aktion in Südosteuropa aufwirft. Seine zweite Behauptung war, daß Sie sich zuerst mit der österreichischen Frage befassen wollten.

Wollen Sie freundlichst im selben Dokumentenbuch Seite 102 aufschlagen. Sie finden dort Ihren eigenen Bericht vom 18. Oktober 1935. Ich möchte nämlich, daß Sie auf den dritten Vorwurf, den Herr Messersmith gegen Sie erhoben hat, antworten, nämlich, daß Sie in Österreich auf eine Schwächung des Regimes hinzuarbeiten beabsichtigten, was Sie bestritten haben.

Ich will nur den ersten Satz vorlesen, damit Ihnen die Sache ins Gedächtnis zurückgerufen wird. Der Bericht, von dem ich spreche, ist vom 18. Oktober 1935. Sie sprechen darin über die Umbildung des österreichischen Kabinetts – es ist ein neues Dokument, GB-502, Euer Lordschaft –, Dokumentenbuch 11a, Seite 106 und beginnt wie folgt:

»Die gestrige Kabinettsumbildung gleicht einem kalten, von Starhemberg und der Heimwehr durchgeführten Putsch. Es stellt sich heraus, daß der Minister Fey von seiner beabsichtigten Ausbootung frühzeitig Kenntnis erhalten hatte und bereits gestern nachmittag die öffentlichen Gebäude Wiens durch die ihm ergebene Wiener Heimwehr besetzen ließ. Die Regierung parierte diese Maßregel, indem sie gleichzeitig die Besetzung durch Polizei verstärkte.«

Sie fahren dann mit der Besprechung dieser Angelegenheit fort. Das ist zu Beginn des Berichtes. Sodann, ungefähr in der Mitte der nächsten Seite, sagen Sie folgendes:

»Trotz des offenbaren Sieges des Vizekanzlers und des heißen Bemühens der österreichischen Presse, die Kabinettsumbildung mit Gründen innerer Konsolidierung plausibel zu machen, herrscht in der österreichischen Öffentlichkeit – auch in Heimwehrkreisen – das Gefühl, einer völlig unsicheren Entwicklung entgegenzugehen.

Von unserem Gesichtspunkte aus ist die Änderung der Dinge nur zu begrüßen. Jede neue Auflockerung des Systems ist von Vorteil, auch wenn sie sich im Effekt zunächst gegen uns zu richten scheint. Die Fronten geraten in Bewegung, und es wird unsere Sorge sein müssen, sie in Bewegung zu halten.«

Geht daraus nicht ganz klar hervor, Angeklagter, daß Sie der Ansicht waren, daß es, solange es politische Ungewißheit oder politische Störungen im Österreichischen Staat gab, nicht darauf ankam, ob es eine anti-deutsche Bewegung war, solange der Kampf sich verstärkte und Mißtrauen weiter um sich griff? Denn das gereichte Deutschland zum Nutzen und war, was Sie wollten. Bringen diese Zeilen das nicht zum Ausdruck?

VON PAPEN: Nein, nicht ganz.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nicht ganz?

VON PAPEN: Ich darf folgendes zu Ihrer Erklärung sagen, Sir David. Es handelt sich hier bei diesem Bericht um eine Regierungsänderung unter Einschluß des Fürsten Starhemberg und der Heimwehr. Es ist Ihnen bekannt, daß Starhemberg und die Heimwehr sich mit Mussolini verbündet hatten gegen das Deutsche Reich. Eine Auflösung dieser innerpolitischen Front, die gegen die Interessen eines Zusammenschlusses gerichtet war, konnte nur von Vorteil im Sinne meiner Politik liegen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was ich aber nicht verstehe, ist folgendes: Sie haben gesagt: »Trotz des offenbaren Sieges des Vizekanzlers und des heißen Bemühens der österreichischen Presse...« und fahren fort: »Jede neue Auflockerung des Systems ist von Vorteil.« Prinz Starhemberg und die italienische Partei hatten, Ihrer Meinung nach, gewonnen, da Sie sagen: »Trotz des offenbaren Sieges«.

Dann sprachen Sie von »jeder neuen Auflockerung des Systems«. Das konnte doch nicht das Bündnis Starhembergs betreffen, weil es ja erfolgreich gewesen war. Mit »System« meinen Sie die Österreichische Regierung, nicht wahr? Etwas anderes können Sie gar nicht damit meinen.

Euer Lordschaft! Vielleicht sollte ich mit diesem Argument nicht fortfahren, aber es ist ein recht komplizierter Gegenstand.

VON PAPEN: Ja, das ist er.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sollten seine Aufmerksamkeit noch auf die paar übrigen Sätze lenken.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft, ich werde weiterlesen:

»Die Weiterführung von Ausgleichsverhandlungen, auf die ich schon seit der Genfer Erklärung verzichtet habe, scheint vorläufig ganz überflüssig. Man wird gut tun, die wachsend erregte Stimmung im Volke gegen den italienischen Kurs durch kluge und taktvolle pressemäßige Behandlung weiterzutreiben, ohne jedoch der Regierung irgendeinen begründeten Anlaß zu geben, zu dem Verlegenheitsmittel einer neuen Hetze gegen uns schreiten zu können. Ich wäre dankbar, wenn der Herr Reichsminister für Propaganda einige erprobte Journali sten in diesem Sinne ansetzen wollte.

Im übrigen können wir die weitere Entwicklung getrost der nahen Zukunft überlassen. Ich bin überzeugt, daß die Kräfteverschiebung auf dem europäischen Schachbrett uns in nicht ferner Zeit erlauben wird, die Frage unserer Einflußnahme auf den Südostraum aktiv anzufassen.«

Ungewöhnlich – wenn ich so sagen darf – wie Herr Messersmith Ihre Gedanken hat erraten können, wenn Sie niemals ein Gespräch mit ihm darüber gehabt haben?

Euer Lordschaft, wäre es Ihnen recht, abzubrechen?

VORSITZENDER: Wir vertagen die Verhandlung.

VON PAPEN: Darf ich aber morgen noch einmal auf die Frage zurückkommen?

VORSITZENDER: Gewiß.